Indonesien: Soziale Medien bieten vielen Indonesier*innen neue Möglichkeiten des Informationsaustauschs. Gleichzeitig steigt damit aber auch der Druck auf religiöse Minderheiten in Form von Hate Speech.
Die Entwicklung der Kommunikationstechnologie und der Verbreitung von Informationen verläuft in Indonesien rasant. Zugleich nimmt der Druck auf religiöse Minderheiten auch durch die wachsende Zahl digitaler Kanäle zu. Die beträchtliche Zahl an Social Media-Nutzer*innen trägt sehr zur Intensität der Äußerungen in sozialen Medien bei. Es gibt immer mehr Hate Speech (Hassrede) im digitalen Raum. Im Folgenden wird ein Fall aus Tanjungbalai im Norden Sumatras berichtet, der exemplarisch für viele weitere Fälle ist.
Digitaler Aufruhr nach einem bereits gelösten Konflikt
Am 22. Juli 2016 besuchte Meiliana, eine Buddhistin mit chinesischen Vorfahren, den Kasini Shop des muslimischen Inhabers, Herrn Uo. Während sie ihre täglichen Einkäufe erledigte, beschwerte sie sich bei Herrn Uo, dass die Lautstärke des Lautsprechers der Al-Maksum-Moschee, direkt gegenüber Meilianas Haus, zu laut sei.
Später standen zwei Versionen der Beschwerde im Raum. In Meilianas Version steht die derzeitige Lautstärke im Vergleich zur früheren Lautstärke im Mittelpunkt. In der zweiten Version wird die Aussage von Herrn Uo hervorgehoben, dass sie Uwak, Herrn Uos Vater und Hausmeister der Moschee, gebeten habe, die Lautstärke zu verringern, da sie davon starke Kopfschmerzen bekommen habe. Auch bei weiteren Gesprächen zu Meilianas Beschwerde differieren die Versionen der Beteiligten stark.
Meiliana lebte zu diesem Zeitpunkt bereits seit fast acht Jahren gegenüber der Moschee. Die Verhandlung zwischen ihr, der örtlichen Polizei und den Ältesten der Moschee verlief zunächst konstruktiv und endete zunächst friedlich.
Hass verselbstständigt sich im digitalen Raum
Trotzdem erhielten viele Menschen in den lokalen und nationalen Regionen Nachrichten in den sozialen Medien, wie Facebook, in denen es hieß, dass ein Verbot der Gebetsrufe vorgeschlagen wurde. Im Fall von Meiliana wurden ihre Worte einfach so verdreht, dass sie wie eine generelle Forderung nach einem Verbot von Gebetsrufen klangen. Folglich forderten viele Menschen die Muslim*innen im Land auf, für ihre Rechte einzutreten. Doch damit nicht genug: Im Netz kursierte zunehmend Hate Speech.
In der Folge kam es am 28. Juli 2016 zu Gewaltausbrüchen. Wütende Menschen verwüsteten buddhistische und chinesische Gebetshäuser und setzten sie in Brand. Einige Autos und Motorräder verbrannten, auch eine Gesundheitsklinik wurde demoliert. Insgesamt acht Menschen wurden wegen der Unruhen angeklagt und zu Haftstrafen zwischen einem Monat und vier Monaten verurteilt. Aber auch Meiliana wurde wegen Blasphemie vors Gericht gestellt und wurde 2019 zu 18 Monaten Haft verurteilt.
Die Polizei verhaftete schließlich einen Mann namens AT in Süd-Jakarta. Er hatte einen provozierenden Status auf Facebook veröffentlicht, um in Reaktion auf das Chaos in Tanjung Balai weiteren Hass zu schüren. Auf Facebook konnten mehrere solcher provozierender und hasserfüllter Kommentare entdeckt werden, zum Beispiel: „Wenn du dich gestört fühlst, zieh einfach auf einen Berg, wo niemand lebt“.
Ein weiterer Facebook-Nutzer provozierte mit den Worten, „Eine Minderheit sollte wissen, wie sie sich zu verhalten hat. Die muslimischen Minderheiten in Europa tun es und verstehen es, dass es keinen Gebetsruf gibt, um die Mehrheitschristen zu respektieren. Hier ist es eine Minderheit, die die Mehrheit reglementieren will. Eine religiöse Minderheit ist sicher, wenn sie in einem Land lebt, in dem der Islam die Mehrheit bildet. In anderen Ländern, in denen der Islam in der Minderheit ist, werden seine Anhänger*innen immer verfolgt. Man muss wissen, wie man sich als Minderheit zu verhalten hat. Wenn ihr euch benehmt, sind wir gut. Wenn ihr euch nicht benehmt, warnen wir euch, bis ihr Respekt zeigt“.
Fake und Fiction im digitalen Raum
Heute hat fast jeder Mensch Zugang zu einer Flut an Inhalten, die über digitale Medien verbreitet werden. Die massive Verbreitung von ‚Informationen‘ verwirrt viele Menschen, wenn es darum geht, deren Richtigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus wird auch über Falschinformationen schlicht hinweg gesehen. Die Digitalisierung von Inhalten beseitigt frühere Hindernisse für die Veröffentlichung von Inhalten, da die Kosten für die Produktion und Verbreitung von Informationen ‚alter Art‘ sich enorm verringert haben. Somit kann Jede*r jede Art von Inhalten produzieren und veröffentlichen.
Angesichts des leichten Zugangs zu digitalen Informationen und deren Produktion und Verbreitung machen viele Menschen die Popularität der sozialen Medien für die zunehmende Hassrede gegen Minderheiten in Indonesien verantwortlich. Darüber hinaus sind Indonesier*innen dafür bekannt, dass sie gern und viel auf Social-Media-Plattformen ‚plaudern‘. Leider ist die digitale Kompetenz vieler Indonesier*innen gering, so dass es vielen von ihnen schwer fällt, Informationen zu filtern und Fakten von Fiktion zu unterscheiden.
Verheerender „Stille Post“-Effekt
In Verbindung mit dem Hass gegen religiöse Minderheiten gibt es Menschen, die gezielt Fehlinformationen verbreiten, um damit Schaden anzurichten. In Meilianas Fall entsprach es zwar der Wahrheit, dass sie sich über die Lautstärke der Gebetsrufe beschwerte. Was auf digitalen Kanälen jedoch aus dieser Beschwerde gemacht wurde, ging weit darüber hinaus und wurde in vielen Versionen weiter geteilt. So werden Situationen aus dem Zusammenhang gerissen und zu einer neuen Geschichte zusammengebastelt. Diese provozieren dann zu Hassbotschaften gegen religiöse Minderheiten – in diesem Fall gegen Meiliana als Buddhistin.
Hassrede ist ein Kommunikationsakt, insbesondere in den sozialen Medien, der von einer Person oder einer Gruppe in Form von Provokation, Aufstachelung oder Beleidigung einer anderen Person oder Gruppe vorgenommen wird. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Fall als ein Spiegelbild der Art und Weise zu betrachten, wie Nutzer*innen Inhalte präsentieren, wie sie interagieren, und wie das zu Hass führen kann. Die Situation in Tanjung Balai legt bereits bestehende Konflikte zwischen in Indonesien offiziell anerkannten Religionen offen, und bietet gleichzeitig neue digitale Räume für die Verbreitung dieser Konflikte.
Politisches Klima verstärkt Intoleranz
Die Fähigkeit, Toleranz zu üben, stellt im Leben vieler Indonesier*innen mit ihrer Vielfalt an Religionen, Überzeugungen und Kulturen eine mühsame Herausforderung dar. Darüber hinaus ist es erfahrungsgemäß schwierig, soziale Medien einzuschränken. Daher ist es umso wichtiger, zu beobachten, wie die sozialen Medien in Indonesien Inhalte über interreligiöse Themen und Vielfalt im Allgemeinen produzieren. Es ist interessant zu sehen, wie die indonesischen Internetnutzer*innen auf diese Themen reagieren. Viele neigen dazu, Hass und Negativität zu verbreiten, anstatt Unterstützung zu leisten und die Akzeptanz von Vielfalt zu teilen. Dieser Umstand kann auch auf die mangelnde Fähigkeit zurückgeführt werden, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Das vorhandene Verständnis ihrer religiösen Grundsätze trägt bei vielen Menschen zur negativen Sichtweise gegenüber religiösen Minderheiten bei. Diese Sichtweisen werden häufig im politischen Wettbewerb vor den Parlamentswahlen politisiert. In diesem Fall hat die Beschuldigung und die Zuschreibung schlechter Eigenschaften an andere Gruppen durch Hassreden die Stereotypen zwischen den Gruppen verstärkt und erneut ein ungesundes öffentliches Klima geschaffen. Durch die Zusammenarbeit aller indonesischen Regierungssektoren und der Gesellschaft sollte aktiv dem digitalen Hass entgegengetreten werden. Dies bleibt eine große Herausforderung.
Text übersetzt aus dem Englischen von: Tanja Verena Matheis
Fanny Syariful Alam ist Regionalkoordinator der Bandung School of Peace Indonesia (SEKODI-Bandung), Preisträger des Nuffic Neso the Netherlands 2023 sowie Mitglied des Multi-Stakeholder-Forums zur Förderung des Gesetzentwurfs gegen gewalttätigen Extremismus in West-Java.
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