Indonesien: Gunung Madu ist eines der größten Zuckerrohrunternehmen Indonesiens. Im September 2021 kam es dort zum ersten großen Streik. Der Kampf um die Rechte der Arbeiter*innen wird jedoch schon sehr viel länger geführt, wie die ehemalige Mitarbeiterin Maria Luciani im Interview berichtet.
2021, nach 46 Geschäftsjahren beschloss Gunung Madu mit Sitz in Zentral-Lampung, Sumatra, einseitig, die Bestimmungen für den jährlichen Bonus der Zuckerrohrfabrik nach neuen Kriterien zu ändern. Das Unternehmen strebt an, für jeden Bonus, der den Arbeitern gewährt wird, einen Key Performance Indicator (KPI) zu verwenden. Diese Änderung verstößt gegen den zuvor vereinbarten Tarifvertrag. Die Beschäftigten traten in den Streik, um ihre Rechte zu verteidigen und ein Misstrauensvotum durchzusetzen. Dieser Streik entwickelte sich organisch, ohne dass die regionale Sektion der Arbeitergewerkschaft Gesamtindonesiens (SPSI) vor Ort koordiniert oder eingegriffen hätte.
Die SPSI wurde 1985 während des Suharto-Regimes gegründet. Sie ist dafür bekannt, in hohem Maße mit den Interessen des Unternehmens und der Regierung verwoben zu sein. Das Erbe der Suharto- Zeit im SPSI-Gremium ist unbestreitbar stark, insbesondere da seine Kinder große Anteile an Gunung Madu besitzen. Um dagegen vorzugehen, versuchte Daud Sukamto, Gewerkschaftsaktivist bei Gunung Madu, zusammen mit Kolleg*innen 2005 die Föderation unabhängiger Tabak-, Zuckerrohr- und Zuckerarbeiter (FSPM-TG) zu gründen. Unterstützt wurde er von der Internationalen Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Catering-, Tabak- und anverwandter Arbeitnehmerverbände (IUL) mit Sitz in Genf.
Dieser Versuch scheiterte. Daud Sukamto und seinen Kollegen wurde die Verbandstätigkeit untersagt. Und das, obwohl die indonesische Regierung das Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (Nr. 48) von 1948 ratifiziert hat und die FSPM-TG Berichten zufolge eine Registrierungsnummer erhielt und damit legal war In der Folge wurde Daud Sukamto von Gunung Madu suspendiert und später entlassen. Ihm wurde „grobes Fehlverhalten“ vorgeworfen. Dieser Begriff stammt aus dem vagen Wortlaut von Abschnitt 158(1)(f) des Arbeitskräftegesetzes von 2003. Berichten zufolge beklagte die IUL in der IAO (2005), dass ihr Vertreter in Indonesien und der Generalsekretär von FSPM-TG bedroht und schikaniert wurden.
Maria Luciani ist pensionierte Buchhaltungsangestellte und Witwe des Gewerkschaftsführers Daud Sukamto. Maria, die 33 Jahre lang für Gunung Madu gearbeitet hat, erzählt im Interview von der Entlassung ihres Mannes im Jahr 2005, dem Konflikt mit der indigenen Bevölkerung von Lampung und ihren Gedanken zum aktuellen Streik der Arbeiter*innen wegen der Streichung der Prämien für die Schließung der Zuckerrohrmühlen.
südostasien: Wann sind Sie von ihrer Arbeit bei Gunung Madu in den Ruhestand getreten und wie sieht Ihr Leben seitdem aus? Ist während dieser Pandemie alles in Ordnung?
Maria Luciani: Ich bin 2013 in den Ruhestand gegangen, nachdem ich 33 Jahre für das Unternehmen als Buchhalterin gearbeitet habe. Gott sei Dank bin ich gesund. Ich bin allein hier in Yukum (Wohnungen für Renter*innen von Gunung Madu). Ich habe drei Kinder, die alle schon verheiratet sind. Ich gehe schon seit zwei Jahren nicht mehr aus. Wir müssen uns um uns selbst kümmern. Ich beschäftige mich damit, meine Pflanzen zu gießen. Ich kann nicht einfach faulenzen und nichts tun. Wenn ich müde werde, lege ich mich hin, sehe fern oder schaue YouTube. Das ist meine Unterhaltung. Aber wenn etwas Melancholisches auf dem Bildschirm zu sehen ist, schalte ich sofort den Fernseher aus oder wechsle den Kanal. Ich habe Angst davor, melancholische Dinge zu sehen. Ich habe auch einen kleinen Hund namens Lovy, der mich begleitet. Sie ist wie eine Klingel. Immer wenn jemand zu mir nach Hause kommt, bellt sie und das ist mein Klingelzeichen. Aber ich habe sie nie selbst gebadet. Ich bezahle immer jemanden dafür oder bitte jemanden, mir dabei zu helfen. Mein Mann, Daud, war derjenige, der das Baden übernommen hat.
Sie haben nach der Entlassung Ihres Mannes weiter bei Gunung Madu gearbeitet, richtig?
Ja. Selbst nachdem Daud entlassen wurde, nahm er mich immer noch mit ins Büro. Aber wir zogen in den Wohnkomplex Block E um – meinem Arbeitsverhältnis entsprechend. Das frühere Haus beruhte auf Dauds Arbeitsverhältnis.
Wie erinnern Sie sich an Daud Sukamto als Person? Was ist seine Geschichte?
Ich war seine Kollegin. Wir arbeiteten in der gleichen Abteilung, der Buchhaltung. Wir haben dann geheiratet, als ich 25 und er 35 war. Die Regel war, dass Ehe-Mann und -Frau nicht im selben Büro arbeiten dürfen, also wurde er in die Abteilung für das Wiegen von Zuckerrohr versetzt.
Daud stammte aus einer armen Familie in Solo (Zentraljava). Sein Vater verstarb, als er noch zur Grundschule ging, und er wurde bald zur Stütze der Familie. Bis ihn eines Tages ein Armeeoffizier adoptierte und ihn zur Schule schickte. Nach seinem Abschluss bekam er die Stelle bei Gunung Madu.
Wie wurde er zum Leiter der regionalen SPSI-Sektion bei Gunung Madu?
Er wurde per Abstimmung zum Leiter von SPSI Gunung Madu gewählt. Er wurde zweimal wiedergewählt, weil seine Freund*innen, die Arbeiter*innen, ihm vertrauten.
Was war die Motivation Ihres Mannes, die neue Gewerkschaft FSPM-TG bei Gunung Madu zu gründen?
Das ist schon eine Weile her. Ja, er hat es versucht, aber das Unternehmen hat ihm den Weg versperrt. Später wurde er suspendiert und entlassen. Er wollte den Lohnstandard der Arbeiter*innen von Gunung Madu erhöhen. Er lag beim absoluten Minimum. Als wir uns den IUL-Lohnstandard für Zuckerarbeiter*innen ansahen und ihn mit dem Lohnstandard bei Gunung Madu verglichen, war der Unterschied sehr groß. Der IUL-Lohnstandard für Zuckerarbeiter*innen lag damals weit über dem von Gunung Madu. Daud schlug vor, die Löhne schrittweise zu erhöhen. Viele Kolleg*innen bezeugten, dass sein Vorgehen gut war, weil er sehr mutig war.
Ein weiterer bemerkenswerter Versuch von Daud bestand darin, den Arbeiter*innen von Gunung Madu nach ihrer Pensionierung zwei Hektar Land zu verschaffen, um ihr Leben nach der Pensionierung zu sichern. Daraufhin besaßen viele Arbeiter*innen von Gunung Madu Land, um es als Palmen-Plantage zu nutzen. Es kam jedoch zu einem Streit zwischen den Arbeiter*innen von Gunung Madu und der indigenen Bevölkerung von Lampung, die behauptet, das Land habe ihren Vorfahren gehört. Obwohl wir die Landzertifikate bereits besaßen, konnten wir nicht viel tun, weil wir den Konflikt mit den Indigenen von Lampung nicht fortsetzen wollten. Wir wussten nicht, ob dieses Land ihren Vorfahren gehört hat.
Warum verfolgte Daud seine Ziele nicht gemeinsam mit der SPSI?
Daud wollte mit Hilfe der IUL eine neue Gewerkschaft gründen, weil SPSI nutzlos war, dabei ging es auch um Geld. Die Diskussion zwischen den Arbeitnehmer*innen und dem Unternehmen endete immer mit einem Scheitern der Arbeitnehmer*innenseite. Ich war ja in der Buchhaltungsabteilung tätig und ein Kollege (er soll anonym bleiben) weiß, wie viele Milliarden Rupiah das Unternehmen ausgegeben hat, um das Verfahren der Entlassung von Daud vor Gericht zu gewinnen. Daud wurde sogar angeboten, zu kündigen. Er lehnte ab. Ihm wurde auch eine Abfindung in Höhe von zweihundert Millionen Rupiah angeboten, aber auch das lehnte er ab. Die Tatsache, dass er seit Jahrzehnten für das Unternehmen arbeitete, spielte dabei keine Rolle. Sein Prinzip war, dass er aus der Situation keinen Profit schlagen wollte.
Woran erinnern Sie sich während und nach der Entlassung Ihres Mannes?
Alle meine Freunde haben mir gesagt, dass ich eine starke Person bin. Ich habe während des ganzen Prozesses gebetet. Ich glaube, dass Gott die guten Menschen verteidigt und die Übeltäter bestraft. Wir waren unschuldig. Gott ist der beste Richter. Ich weiß noch wie schnell mein Herz schlug, als mein Mann die Gerichtsverhandlung mit der Firma hatte. Ich hatte solche Angst. Ich sagte zu ihm: „Immer, wenn du mit der Firma vor Gericht stehst, bin ich beunruhigt“. Darauf antwortete er: „Wir leben nur einmal, was für eine Verschwendung, anderen nicht zu helfen.“ Das war sein Lebensprinzip.
Was war das Schwierigste daran, mit dieser Situation umzugehen?
Am schwierigsten war es, das Schulgeld für unsere Kinder aufzubringen. Nachdem Daud entlassen worden war, schickte die IUL monatliche Unterstützung, etwa eine oder zwei Millionen Rupiah (rund 60 bis 120 Euro). Außerdem verdiente ich etwas Geld mit meinen Investitionen und lieh mir Geld bei der Genossenschaft von Gunung Madu. Meine Freund*innen halfen mir, ich benutzte die Namen vieler meiner Freund*innen, um Geld zu leihen. Einer meiner Freunde sagte mir: „Es ist keine Verschwendung, sich Geld zu leihen, um seine Kinder zur Schule zu schicken“. Nachdem ich in den Ruhestand gegangen bin, habe ich alle meine Schulden mit dem Geld aus meiner Rente zurückgezahlt.
Verfolgen Sie die aktuellen Nachrichten über die jüngste Demonstration der Arbeiter*innen von Gunung Madu? Unterstützen Sie die Aktionen?
Ja, ich verfolge das. Natürlich unterstütze ich es! Ich habe gehört, dass die Prämie in diesem Jahr noch gezahlt werden soll, aber im nächsten Jahr wird es anders sein. Die Prämie wird nur noch nach einer Bewertung vergeben: Wenn man eine gute Punktzahl erreicht, bekommt man die Prämie, wenn nicht, bekommt man sie nicht. Die Sache ist die: Die Prämie wird seit Jahrzehnten an die Arbeitnehmer*innen gezahlt – seit mehr als vierzig Jahren! Es liegt daran, dass die alte Generation in den Ruhestand gegangen ist, deshalb wird jetzt eine neue Regelung für die jüngere Generation getroffen.
Glauben Sie, die Demonstration konnte stattfinden, weil die jüngere Generation mutiger wird?
Ja, mutig zu sein, ist ein Muss. Die jüngere Generation der Arbeiter*innen bei Gunung Madu sind die Kinder der älteren Generation, sie müssen wissen, was ihre Eltern durchgemacht haben. Die Erinnerungen an Daud sind immer noch lebendig, in Gunung Madu, in Java; viele halten die Erinnerungen an ihn noch in Ehren. Ich bin dankbar, dass Dauds Kämpfe in der Erinnerung vieler Menschen weiterleben.
Aus dem Englischen von: Jörg Schwieger