Südostasien – Digitale Dienstleistungen sind in vielen Alltagsbereichen präsent. Wie steht es um Reichweite und Zugänglichkeit? Wo wird am meisten investiert? Spielt Nachhaltigkeit eine Rolle?
„Während die Steigerung der Rentabilität und die Aufrechterhaltung der Wachstumsdynamik in den nächsten zwei bis drei Jahren für Unternehmen in der gesamten Region zu einer Priorität geworden sind, ist es ebenso wichtig, sicherzustellen, dass die digitale Wirtschaft auf eine ökologisch und sozial nachhaltige Weise wächst,“ so Stephanie Davis, Vice President bei Google Southeast Asia, im Oktober 2022. Dass diese Wirtschaft unter den derzeitigen Bedingungen nicht ökologisch und sozial nachhaltig sein kann, zeigen einige Beispiele in dieser Ausgabe der südostasien. In Indonesien ist die Regulierung der inzwischen digitalisierten ojek-Branche äußerst unzureichend. In den Philippinen müssen Content-Moderator*innen für einen Billiglohn und ohne psychologische Betreuung arbeiten. In Thailand stehen Pflegearbeiterinnen zunehmend unter einem kostspieligen Digitalisierungs-Druck.
Der Fokus dieser Ausgabe auf zivilgesellschaftliche Perspektiven soll hier ergänzt werden durch einen Blick auf den 2022 auf 200 Milliarden U.S.-Dollar Außenumsatz (gross merchandise value) gewachsenen Markt. Welche Bereiche hat dieser Markt und wie beeinflussen diese das tägliche Leben der Menschen? Wo liegt der Fokus der Investitionen? Wie steht es um die digitale Inklusion und Reichweite? Wir beginnen mit einer Übersicht in Anlehnung an den aktuellen Marktreport e-Conomy SEA 2022 über Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam und illustrieren die dort genannten Bereiche mit Beispielen.
Von Alibaba bis Zalo: Digitaler Dienstleistungsboom in Städten
Um die digitale Transformation besser zu verstehen und zu bewerten, benötigen wir ein grundlegendes Verständnis des digitalen Markts. Die großen internationalen Player wie Meta und Alibaba nehmen hier genauso Einfluss wie in Südostasien gegründete Unternehmen und die Regierungen der Länder. Viele der von den Unternehmen vermarkteten Dienstleistungen sind aus dem Leben vieler Menschen insbesondere in städtischen Umgebungen nicht mehr wegzudenken. Rund 160.000 Arbeitsplätze für Fachkräfte sind insbesondere in den Bereichen E-Commerce, Transport, Lieferdienste und Finanzdienstleistungen entstanden. Der Digitalwirtschaft zuzurechnen sind auch 30 Millionen Jobs von Fahrer*innen, Medienschaffenden (so genannten Content Creators) und Angestellten von Logistikunternehmen. Zwischen sechs und sieben Millionen kleine bis mittelgroße Restaurants sind auf Plattformen für Lieferdienste registriert.
Bereich | Dienstleistung/Angebote | Unternehmen (Sitz) |
E-Commerce | Handelsplattformen (‚Marketplaces‘), Lieferdienste | Alibaba (China) Shopee (Singapur) Bukalapak (Indonesien) |
Transport | Vermittlungsdienste zur Personenbeförderung, auch in Kombination mit Essenslieferung und e-wallet-Bezahlung | Grab (Singapur) Gojek (Indonesien) |
Tourismus | Plattformen und Dienste für Flug- und Hotelbuchungen, Online-Vermietungen | ZEN Rooms (Indonesien/Südkorea) |
Online-Medien und Unterhaltung | Werbung, Gaming, On-Demand Musik und Filme | Netflix (USA) Viu (Hongkong) Vidio (Indonesien) |
Soziale Medien | Plattformen, deren primärer Fokus die Interaktion und Kommunikation von Individuen und Organisationen ist | Meta (USA) Twitter (USA) Tencent (China) Zalo (Vietnam) |
Finanzdienstleistungen | Online-Zahlungen, e-wallet, Überweisungen, Kreditvergabe, Versicherungen, Verwaltung von Investitionen und Kryptowährungen | MoMo (Vietnam) 2C2P (Singapur) PayMaya (Philippinen) Instarem (Indien) |
Medizin (Healthtech) | Dokumentation der eigenen Gesundheit; Beratung und Diagnosen | Ooca (Thailand) Naluri (Malaysia) Riliv (Indonesien) Mosia (Vietnam) Arooga Health (Philippinen) Mindline at Work (Singapur) |
Bildung (EdTech) | Medien und Technologien zur Verbesserung des Lernerfolgs und zur Weiterbildung, teilweise mit Gamification-Ansätzen. | Pandai (Malaysia) Google Classroom (USA) Ruangguru (Indonesien) Taamkru (Thailand) |
Software as a Service (SaaS) | Software-Anwendungen werden als Service-Paket von einem externen Dienstleistungsunternehmen betrieben. | Plugo (Singapur) REclimate (Singapur) Piktochart (Malaysia) |
Web3 | Die Weiterentwicklung des Internets auf Basis von Blockchain-Technologien, die unter bestimmten Bedingungen eine Dezentralisierung ermöglichen könnten. | ARCADE2BIT (Singapur) SerMorpheus (Indonesien) |
Katastrophen- und Umweltschutz | Apps, die auf Basis von Karten, Daten aus sozialen Medien und KI-gestützter Technologie die Informationslage verbessern und Bewusstsein oder Verhaltensänderungen schaffen | PetaBencana (Indonesien) TrashCash (Philippinen) |
Anmerkung: die Tabelle fokussiert auf Dienstleistungen und Organisationen, deren Geschäftsmodell digitale Angebote sind. Daneben digitalisieren auch einige ‚traditionelle Unternehmen’ wie Banken ihre Dienstleistungen. Die Tabelle nennt vor allem Dienstleistungen in mittelgroßen und großen Städten. Quellen: TechCrunch, With Content, Angel.co, Vietcetera, Tech Collective Southeast Asia 2022, Zusammenstellung: Tanja Verena Matheis.
Das höchste Potenzial sahen privatwirtschaftliche Investor*innen im Jahr 2021 in den Bereichen digitaler Finanzdienstleistungen (24 Prozent aller ‚Investment Deals‘) und E-Commerce (25 Prozent), die vor allem wohlhabende und digital affine Menschen in großen Städten regelmäßig nutzen. Und dort ist auch die Infrastruktur für den Ausbau solcher Dienstleistungen bereits vorhanden. Investitionen in die Digitalisierung der Landwirtschaft (Agritech) spielen zumindest in den analysierten Ländern eine kleinere Rolle. Die umsatzstärksten Bereiche mit der höchsten Investitionstätigkeit erreichen derzeit vor allem Menschen in großen Städten mit mittleren bis hohem Einkommen. Schon in Städten mit 50.000 bis 200.000 Einwohner*innen nimmt die Verbreitung dieser Dienstleistungen im Vergleich zu großen Städten ab.
Digitalisierung lässt CO2- Emissionen steigen
Digitale Dienstleistungen bieten ein hohes Potenzial für soziale und ökologische Verbesserungen, wie die Beispiele von Apps zum Katastrophenschutz und zur Abfallentsorgung zeigen. Im Gesundheitsbereich können digitale Angebote zumindest einen Teil der bestehenden Versorgungslücke durch Telemedizin und Lieferdienste schließen, und die Kosten angesichts knapper medizinischer Ressourcen reduzieren, was zum Beispiel eine Rolle in Indonesien, Vietnam und den Philippinen spielt.
Andererseits sind digitale Dienstleistungen auch Teil der sozialen und ökologischen Probleme in Südostasien. Die CO2-Emissionen, die auf Dienstleistungen im E-Commerce, bei Essenlieferungen und im Transport, zurückzuführen sind, werden auf ungefähr sechs Millionen Tonnen geschätzt und könnten bis 2030 auf 20 Millionen Tonnen ansteigen. Zwar gibt es bei Lieferungen und Personenbeförderung noch Einsparpotenzial durch optimierte Routenplanung, emissionsarme Fahrzeuge und die Reduzierung von Verpackungsmaterial, doch nicht alle durch den digitalen Sektor (mit)verursachten Emissionen können vermieden oder kompensiert werden.
Nachhaltigkeit hat für Investor*innen kaum Priorität
Bisher gibt es auch nur ein bedingtes Interesse von Venture Capital Fonds, die in Südostasien investieren und sich an jungen Unternehmen beteiligen, Nachhaltigkeitskriterien in die Bewertung von Investitionsprojekten einfließen zu lassen. Nur etwa die Hälfte der für den e-Conomy SEA 2022-Report befragten Investor*innen bewerteten umweltbezogene beziehungsweise soziale Kriterien als „etwas wichtig“ oder „wichtig“ in ihren Investitionsprojekten. Das bedeutet, dass Geschäftsmodelle oder App-Entwicklungen mit besonderem Fokus auf soziale und ökologische Verbesserungen von Investor*innen nicht unbedingt bevorzugt finanziert werden.
Der Privatsektor spielt in Südostasien jedoch eine tragende Rolle bei der Finanzierung und Bereitstellung von digitalen Dienstleistungen und dazugehörigen Netzwerkdiensten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Finanzierung und das Betreiben von Initiativen, die sich den sozialen und ökologischen Aspekten der Digitalisierung widmen, in einigen südostasiatischen Ländern unter den Beschuss autokratischer Regierungen oder der Justiz kommen können.
Digitale Spaltung, digitale Inklusion
Die Investitionen und Nutzungstrends in städtischen Regionen einiger südostasiatischer Länder deuten auf den anhaltenden Digital Divide hin, den es aus verschiedenen Gründen gibt. Dabei erreichen einige Dienstleistungen selbst in mittelgroßen Städten nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, vor allem weil viele Angebote nicht erschwinglich sind. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen, wo der Internetzugang unzureichend und unzuverlässig ist. Rund zehn Prozent der Erwachsenen gelten gemäß den nationalen Armutsgrenzen als arm und können nicht oder nicht regelmäßig digitale Angebote nutzen. Rund 150 Millionen Erwachsene in Südostasien sind aus unterschiedlichen Gründen von digitalen Angeboten ausgeschlossen.
Eine Möglichkeit, das Ausmaß der digitalen Spaltung oder Inklusion zu beschreiben, ist die Bewertung nach den Kriterien Zugänglichkeit, Erschwinglichkeit, Medienkompetenz und Einstellung gegenüber digitalen Entwicklungen. Einem Bericht der Unternehmensberatung Roland Berger zufolge schneiden die Länder Südostasiens sehr unterschiedlich ab. Es gab zwischen 2017 und 2020 auch wesentliche Verbesserungen. Singapur liegt 2017 und 2020 jeweils auf Platz eins eines globalen Länderrankings, vor allem aufgrund von kostenlosem öffentlichem W-Lan und finanzieller Förderung von digitaler Bildung. Myanmar, Vietnam und Kambodscha haben sich seit 2017 um sieben bis elf Plätze im Ranking verbessert, wobei der Putsch in Myanmar von 2021 in diesen Daten nicht berücksichtigt wurde. Zuvor hatte das Land durch eine Liberalisierung der Telekommunikation die digitalen Dienstleistungen zugänglicher und erschwinglicher gemacht. Vietnam hat unter anderem durch den massiven Ausbau der 4G- und 5G-Infrastruktur den Zugang verbessert. In Kambodscha waren es ebenfalls Verbesserungen in der Infrastruktur, die die das Internet zugänglicher machen.
Die digitale Medienkompetenz bleibt hinter den anderen Kriterien zurück, obwohl die Einstellung vieler Menschen in Südostasien gegenüber der Digitalisierung im globalen Vergleich oft überdurchschnittlich positiv ist. Vor dem Hintergrund des unzureichenden Datenschutzes, der unkontrollierten Verbreitung von Hate Speech, und der Beschneidung von Grundrechten ist dies besonders problematisch. Zur digitalen Bildung gehört es schließlich auch, mit Informationen kritisch umgehen zu können und Grundrechte zu kennen und wahrnehmen zu können. Hier füllen zivilgesellschaftliche Organisationen, wie Myanmar ICT for Development Organization eine wesentliche Lücke, während Telekommunikationsunternehmen ihrer Verantwortung in Sachen Transparenz und Moderation nicht gerecht werden.
Tanja Verena Matheis ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Management in der internationalen Ernährungswirtschaft an der Universität Kassel. Ihr Fokus in Forschung und Lehre sind u. A. Nachhaltigkeitsstandards und soziale Gerechtigkeit in Lieferketten. Sie ist Mitglied im Global Partnership Network (GPN), das im exceed-Programm des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) gefördert wird
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