Indonesien/Niederlande: Mit der niederländischen kolonialen Besatzung nahm die Polarisierung der ambonesischen Gesellschaft zu. Bis heute prägen soziale und religiöse Spaltungen das Zusammenleben.
In der postkolonialen Gesellschaft Ambons in der Provinz Maluku (Molukken) ist das Zusammenleben von der Polarisierung und dem Konflikt zwischen christlichen und muslimischen Gruppen überschattet. Religiöse Polarisierung ist in Ambon keine neue Erfahrung: Kriege der lokalen Bevölkerung mit den Armeen Portugals und der Niederlande wurden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wiederholt geführt.
Diese Spannungen und Konflikte führten zur Spaltung zwischen verschiedenen religiösen Gruppen – zwischen Teilen der Bevölkerung, die zum Islam oder Christentum konvertierten – und zur starken Ausprägung von Identität basierend auf Religions- und Clan-Zugehörigkeit. Seit der niederländischen kolonialen Besatzung im 16. Jahrhundert nahm die Polarisierung der ambonesischen Gesellschaft zu und verschärfte sich besonders im späten 19. Jahrhundert.
Im Jahr 1882 erreichte die Zahl muslimischer Einwohner*innen der Inseln von Ambon (Haruku, Saparua und Nusalaut) 16.693 oder 28,3% der Gesamtbevölkerung von 58.893 (Marianne Hulsbosch Pointy Shoes and Pith Helmets. Dress and Identity Construction in Ambon from 1850 to 1942. Leiden/Boston: Brill, 2015). Doch trotz des rapiden Zuwachses der muslimischen Bevölkerung wurde diese von den niederländischen Besatzer*innen marginalisiert Dies führte dazu, dass muslimische Ambones*innen eine zunehmend konservative Haltung gegenüber religiöser Interpretation einnahmen und sich von Nicht-Muslim*innen abgrenzten.
Modernisierung und Monopole
Im frühen 20. Jahrhundert nahmen Muslim*innen im Unterschied zu Christ*innen kaum am ‚modernen‘ Lebensstil von Niederländisch-Ostindien teil, etwa was Kleidung (Schuhe, Hosen) und Nahrungsmittel (Brot, Schweinefleisch) anging. Zudem wurden Muslim*innen als rückständig betrachtet, weil sie selten der kolonialen Armee Koninklijk Nederlandsch-Indisch Leger (KNIL) beitraten. Dagegen wurde die KNIL in der christlichen Mehrheitsgesellschaft als wichtiger Träger der Modernisierung angesehen, da Mitglieder der Truppe als diszipliniert galten, ein überdurchschnittlich hohes und reguläres Einkommen erhielten und ihre Kinder das Privileg hatten, europäische Schulen zu besuchen.
Muslim*innen waren eher als Händler*innen, Pilgerer*innen und Matrosen aktiv gesellschaftlich involviert. Die muslimische Bevölkerung erlitt durch die Monopolisierung des einst von ihr dominierten Gewürzhandels durch Niederländer*innen wirtschaftliche Verluste und ihr blieb der Zugang zu niederländischen Schulen meist verwehrt. Die einzige Ausnahme bildeten die Söhne lokaler Herrscher (radja), die ebenfalls die Vorzüge westlicher Bildung genießen durften.
Christliche Privilegien während der Kolonialzeit
Im Vergleich zu Muslim*innen bekamen Christ*innen leichter Zugang zu westlicher Bildung und zur Kolonialregierung. Die christliche Gemeinschaft Ambons mit ihrer Nähe zur kolonialen Verwaltung beanspruchte für sich die Definitionshoheit, was das Verständnis von ‚Moderne‘ betraf. Für Ambones*innen in den Städten hatte es nicht nur religiöse, sondern auch politische Vorzüge, christlich zu sein. Durch ein Bekenntnis zum Christentum versprachen sich viele Einwohner*innen der Molukken erleichterten Zugang zur niederländischen Macht.
Im Verhältnis zu überwiegend muslimisch geprägten ethnischen Gruppen wie Javaner*innen, Makassar*innen oder Butones*innen waren Molukker*innen deutlich privilegiert. Ihre Nähe zu den Kolonisator*innen schützte sie auch vor den Aggressionen anderer ethnischer Gruppen, die den christlichen Glauben nicht angenommen hatten, da die niederländische Regierung einheimischen Christ*innen Schutz bot und Macht zuteilte. Christliche Ambones*innen genossen die Früchte westlicher Bildung und hatten die Möglichkeit, in der niederländischen Verwaltung zu arbeiten. Zudem kamen sie als Bedienstete von Kolonialbeamt*innen in Kontakt mit der Welt jenseits von Ambon, indem sie etwa als Lehrer*innen und Beamt*innen im gesamten Gebiet Niederländisch-Ostindiens arbeiteten.
Die ambonesische Gesellschaft war während des Übergangs zu einem unabhängigen indonesischen Staat in drei politische Lager gespalten. Einige Ambones*innen solidarisierten sich aufgrund ihrer Privilegien mit der niederländischen Kolonialmacht, die meisten von ihnen christliche Dorfbewohner*innen. Andere unterstützten gemäßigte Politiker*innen, die ein föderales System forderten, in dem Ambones*innen autonom über ihre eigene Gesellschaft herrschen könnten. Republikaner*innen schließlich votierten für eine Eingliederung in den neu geschaffenen indonesischen Staat. Die letzte Option wurde vor allem von muslimischen Dorfbewohner*innen unterstützt, da sie während der Kolonialzeit durch die niederländische Politik benachteiligt worden waren.
Konflikte um Eigentumsverhältnisse, Lokalwahlen und Handelswettbewerb
Gegen Ende der Neuen Ordnung unter Suharto (autoritärer Präsident Indonesiens von 1967 – 1998) erlebten ambonesische Muslim*innen schrittweise mehr soziale Mobilität. Die Alphabetisierungsrate unter Muslim*innen nahm stark zu. Sie sprachen dieselbe Lingua Franca (Indonesisch) und sahen dieselben Fernsehprogramme wie andere Indonesier*innen und hatten denselben Zugang zu Schulen und Universitäten sowie Verwaltungspositionen. Andererseits nahmen gegen Ende des Regimes der Neuen Ordnung auch Projekte der Islamisierung (islamisasi) zu, was sich in der steigenden Zahl von islamischen Internaten und der Organisation muslimischer Technokrat*innen widerspiegelte.
Diese muslimischen Vorstöße führten zu Ängsten unter ambonesischen Christ*innen. Der Trend der islamisasi fiel mit einer steigenden muslimischen Bevölkerungszahl zusammen. Zum Vergleich: der Anteil von Christ*innen an der ambonesischen Bevölkerung war von 60% in den 1970er-Jahren auf 52% in den 1990er-Jahren gefallen. Einer der Hauptfaktoren, der zum Zuwachs der muslimischen Bevölkerung führte, war Migration aus Sulawesi. Diese Zuwanderungsströme erhöhten nicht nur die soziale Diversität sondern verschärften auch die Spannungen zwischen Muslim*innen und Christ*innen. Die meisten Konflikte bezogen sich auf Eigentumsverhältnisse, Lokalwahlen und Handelswettbewerb.
Viele Analyst*innen halten die politische Polarisierung und den Niedergang christlicher Macht für die Hauptauslöser des gewaltsam ausgetragenen Konflikts in den Molukken zwischen 1999 und 2004. Er folgte unmittelbar auf die Wirtschaftskrise in Asien, die den Zusammenbruch des Neue Ordnung-Regimes beschleunigt hatte und ereignete sich also während des Übergangs zur Demokratie. Eine lange Geschichte von wechselseitigem Misstrauen, Wettstreit und Eifersucht sowie Gefühle der Marginalisierung trieben Muslim*innen und Christ*innen an und führten schließlich zum Gewaltausbruch in dieser Übergangsphase. Die Gewalttaten dauerten fünf Jahre an. Zum einen weil die Bevölkerung nahezu gleichmäßig in die zwei Lager geteilt war. Zum anderen aufgrund der vielen politischen Interessen, inklusive in Teilen des Militärs, die sich eine Rückkehr zu der Macht und dem Prestige erhofften, die ihnen während der Neuen Ordnung zur Verfügung gestanden hatten.
Leben in Segregation nach dem Gewaltausbruch
Zwischen 1999 und 2004 forderte der Konflikt zwischen Muslim*innen und Christ*innen in der Provinz Molukken etwa 10.000 Menschenleben. 140.000 weitere Menschen flohen. Der Konflikt lähmte außerdem die wirtschaftlichen Aktivitäten auf den Molukken. Unternehmer*innen, die den Markt auf den Molukken dominiert hatten, zogen sich zurück und nahmen ihr Kapital mit. Darunter waren viele Butones*innen, Javaner*innen und molukkische Chines*innen, die für viele Generationen in Ambon gelebt hatten.
Der Konflikt zwischen 1999 und 2004 führte zu einer Verringerung des alten christlichen sozialen und wirtschaftlichen Prestiges. Vor dem Konflikt waren nicht viele Christ*innen im informellen Sektor tätig. Nach dem Konflikt dagegen erfuhren sie einen drastischen sozialen Abstieg. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage zwang sie dazu, alternative Einkommensmöglichkeiten zu finden. Nun nahmen christliche Ambones*innen informelle Tätigkeiten an, die zuvor von muslimischen Migrant*innen dominiert gewesen waren, etwa als Marktverkäufer*innen (pedagang pasar), Fahrradrikscha-Fahrer (tukang becak) und Motorradtaxi-Fahrer*innen (tukang ojek).
Die massiven Vertreibungen während und nach dem Konflikt führten zu einer Koexistenz von muslimischen und christlichen Gemeinschaften. Doch leben diese je nach religiösem Hintergrund in verschiedenen Dörfern. Der andauernde Prozess einer sozialen und religiösen Neuordnung ist von all den beschriebenen ‚Geistern der Vergangenheit’ – also den Erfahrungen während der niederländischen Kolonialzeit, während des Neue Ordnung-Regimes und während des Konflikts – ebenso beeinflusst wie von Gefühlen der globalen Zugehörigkeit und der nationalen politisch-ökonomischen Struktur. Bis heute haben weite Teile der christlichen Gemeinschaft auf den Molukken aufgrund ihrer kolonialen Privilegien positive Erinnerungen an die Niederländer, während muslimische Gruppierungen sich häufig als Teil einer unterdrückten religiösen Gemeinschaft sehen und sich beispielsweise mit der palästinensischen Unabhängigkeitsbewegung identifizieren. Dies sind die Auswirkungen einer postkolonialen sozialen Imagination, die nicht nur eng mit der gegenwärtigen Politik in Indonesien verflochten sind, sondern auch mit seiner Geschichte.
Übersetzung aus dem Englischen von: Sophia Hornbacher-Schönleber