
Nach der Verkündung des Ergebnisses des Unabhängigkeitsreferendums am 4. September 1999 kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ein zerstörtes Haus in Kampung Alor in Dili im Oktober 1999. © Jörg Meier
Indonesien/Timor-Leste: Die Beziehungen zwischen Timor-Leste und der ehemaligen Besatzungsmacht Indonesien haben sich erheblich verbessert.
In Heft 4 des ersten Jahrgangs der SOA-Informationen von 1985 beschreibt Peter Franke im Beitrag „Regionale Konflikte in Südostasien“ unter anderem den Konflikt zwischen Indonesien und Osttimor, Nach 400-jähriger Kolonialherrschaft Portugals wurde Osttimor 1975 unabhängig – zunächst nur für wenige Tage. Indonesien besetzte die Inselhälfte. Dagegen leistete die FRETILIN (Frente Revolucionária de Timor-Leste Independente – Revolutionäre Front für die Unabhängigkeit von Osttimor) Widerstand.
Unser Redaktionsmitglied Hendra Pasuhuk war 1999 akkreditierter Beobachter des Referendums über die Unabhängigkeit Osttimors, das von Indonesien, Portugal und den Vereinten Nationen vereinbart worden war. Er berichtet über diesen Meilenstein der Konfliktbeilegung und den heutigen Stand der Beziehungen zwischen Indonesien und Timor-Leste.
Es war ein schöner Montagmorgen in Dili. Schon seit frühen Stunden bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Es war der 30. August 1999. Rund 450.000 wahlberechtigte Ost-Timores:innen waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben beim Referendum über den zukünftigen Status von Ost-Timor.
Im Vorfeld des Referendums gab es einige Zwischenfälle. Bewaffnete Milizen-Gruppen der Pro-Integrations-Bewegung zogen durch die Straßen mit Parolen und Spruchbändern und warben für den Verbleib Osttimors als Provinz des indonesischen Einheitsstaates. Es gab blutige Zusammenstöße mit der Anti-Integrations-Bewegung, die für die Unabhängigkeit Osttimors kämpfte. Noch am Sonntag kam es zu Schusswechseln zwischen militanten Gegner:innen und Befürworter:innen der Unabhängigkeit.

Veranstaltung der Befürwörter:innen der Unabhängigkeit am 25. August 1999. © Anna Voss, Watch Indonesia!
Die Befürchtung war, dass am Referendums-Tag viele Menschen aus Angst einfach zu Hause bleiben würden. Aber es kamen viele, sehr viele Menschen. Das Ergebnis des Referendums, das einige Tage danach von den Vereinten Nationen veröffentlicht wurde, war sehr deutlich. 78,5 Prozent (344.580 Stimmen) der Wahlberechtigten stimmten für die Unabhängigkeit, 21,5 Prozent (94.388 Stimmen) für die Autonomie innerhalb Indonesiens. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 98 Prozent.
Während der 23jährigen Besatzungszeit Osttimors kannten die meisten Indonesier:innen nur zwei politischen Gruppen dort: Pro-Integration und Kontra-Integration. Dies war verständlich, weil die indonesische Öffentlichkeit jahrzehntelang nur das Propagandamaterial der Regierung und der Armee lesen und hören konnte. Die Pro-Integrations-Bewegung durfte ihre öffentlichen Treue-Gelübde und die feierliche Zeremonie zum ‚Integrationstag‘ jedes Jahr abhalten, während die Anti-Integrations-Bewegung nur im Untergrund agieren konnte.
Das Suharto-Regime erklärte immer wieder, die Anti-Integrations-Bewegung gebe es in Ost-Timor nicht. Sie sei nur eine Erfindung der osttimoresischen Kommunisten, die ins Ausland geflohen sind. Die lauten Proteste im Ausland über Menschenrechtsverletzungen in Osttimor seien nur billige westliche Einmischungsversuche.
Politische Reformen in Indonesien
Nach dem Rücktritt von Suharto im Mai 1998 wurde es möglich, das Thema Osttimor offen anzusprechen. In den Monaten danach wurden in vielen Städten Seminare und Vorträge gehalten, Berichte in Medien veröffentlicht. Erstmals konnten sich viele Indonesier:innen über unterschiedliche Meinungen, Standpunkte und Wege zur Lösung des Osttimor-Konflikts informieren. Die Idee, zur Lösung des Konfliktes ein Referendum abzuhalten, fand schnell breite Zustimmung bei pro-demokratischen Aktivist:innen.

Stimmzettel für das Osttimor-Referendum werden im August 1999 für den Transport in einen Hubschrauber geladen. © Anna Voss, Watch Indonesia!
Die indonesischen Generäle vertraten jedoch die Ansicht, dass ein Referendum einen Bürgerkrieg in Osttimor auslösen würde. Außerdem würde dies eine Welle von separatistischen Forderungen lostreten, so die Argumentation. Aber zu dieser Zeit lehnten immer mehr Indonesier:innen die Einmischung des Militärs in politische Angelegenheiten ab.
Das Referendum und die Unabhängigkeit
Im Januar 1999 überraschte der damalige indonesische Präsident Bacharuddin Jusuf Habibie mit dem Angebot eines Referendums mit der Option einer weitreichenden Autonomie oder Unabhängigkeit Osttimors. Das Referendum sollte unter Aufsicht der Vereinten Nationen durchgeführt werden. Die indonesischen Militärs waren entsetzt und fingen an, Milizen-Verbände als so genannte pro-indonesische Kräfte aufzustellen und auszurüsten. Damit sollte den Anschein eines Bürgerkrieges in Osttimor erweckt werden. Trotzdem unterzeichneten Indonesien, Portugal und die Vereinten Nationen am 5. Mai 1999 ein Abkommen über die Durchführung eines Referendums.
Nach dessen Durchführung am 30. August war die Stimmung in Dili sehr angespannt. Bewaffnete Milizen stellten Kontrollpunkte auf den Straßen auf. Nachts waren an vielen Orten Schüsse zu hören. Nach der Verkündung des Ergebnisses am 4. September 1999 kam es dann zu gewalttätigen Ausschreitungen durch pro-indonesische Milizen. Viele Gebäude brannten, Tausende Menschen flohen in die Berge.
Wie viele Menschen in jenen Tagen ums Leben kamen, ist ungeklärt. Schätzungen sprechen von rund 1.500 getöteten Menschen und 300.000, die ins benachbarte Westtimor flohen. Wir, die von den Vereinten Nationen akkreditierten Wahlbeobachter, wurden am 6. September mit australischen Militärmaschinen von Dili nach Darwin evakuiert.
Erst nach internationalem Druck entsandten die Vereinten Nationen später eine Friedenstruppe (INTERFET) unter australischer Führung. Fast drei Jahre nach dem Referendum, am 20. Mai 2002, wurde Osttimor schließlich ein unabhängiger Staat unter dem offiziellen Namen Demokratische Republik Timor-Leste.
Timor-Leste heute
Timor-Leste hat seitdem bedeutende Fortschritte gemacht. Die Regierung steht jedoch weiterhin vor der Aufgabe, wirtschaftliche und soziale Herausforderungen zu bewältigen, um die Stabilität und Entwicklung des Landes zu fördern.

Auszählung der Stimmen in Dili am 4. September 1999. © Anna Voss, Watch Indonesia!
Statistisch gesehen gehört Timor-Leste zu den ärmsten Ländern der Welt. Etwa 42 Prozent der rund 1,3 Millionen Einwohner leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Viele Menschen sind in der Subsistenzlandwirtschaft tätig. Diversifizierung der Wirtschaft, Schaffung von Arbeitsplätzen und Bekämpfung der Armut sind weiterhin drängende Aufgaben der Regierung.
Die Weltbank prognostizierte für 2024 und 2025 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4,1 Prozent. Die Regierung plant, Investitionen in Infrastruktur und Kapitalausgaben zu erhöhen, was das Wachstum weiter ankurbeln könnte. Aber die wirtschaftliche Lage bleibt fragil, da die bestehenden Öl- und Gasreserven zur Neige gehen. Die Abhängigkeit von diesen Ressourcen ist hoch und die Entwicklung neuer Gasfelder wird durch Streitigkeiten über die Verarbeitung des geförderten Gases verzögert. Während die Regierung ein LNG-Terminal im eigenen Land errichten möchte, bevorzugen australische Partnerunternehmen aus Kostengründen die Verarbeitung in Australien.
Regionale Zusammenarbeit
Die Beziehungen zwischen Timor-Leste und Indonesien haben sich seit der Unabhängigkeit Timor-Lestes im Jahr 2002 erheblich verbessert und sind heute von Kooperation und Versöhnung geprägt. Im September 2024 besuchte das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, das Land. Dort lobte er die Bemühungen um Versöhnung mit Indonesien und betonte die Bedeutung einer „Reinigung des Gedächtnisses, um Wunden zu heilen“.

Osttimor-Demonstration in Perth, Australien, am 10. September 1999.
© Chris Johnson
Premierminister Xanana Gusmão vom Congresso Nacional da Reconstru o Timorense (CNRT) ist seit Juli 2023 im Amt. Er unterstrich in einem Interview die Fortschritte im Versöhnungsprozess und hob hervor, dass Timor-Leste ein Beispiel für andere Konfliktregionen sein könne. Er betonte, dass trotz der schmerzhaften Vergangenheit eine echte Versöhnung mit Indonesien erreicht werden könne, wobei die schwierige Geschichte anerkannt werde, aber der Blick auf eine friedliche Zukunft gerichtet sei.
Wirtschaftlich gesehen ist Indonesien heute Timor-Lestes größter Importpartner. Im Jahr 2018 importierte Timor-Leste Waren im Wert von über 159 Millionen US-Dollar aus Indonesien, während die Exporte nach Indonesien bei etwa 3 Millionen US-Dollar lagen.
Keine Verfolgung von schweren Menschenrechtsverstößen
Indonesisch wird in Timor-Leste als Arbeitssprache genutzt. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung spricht die Sprache fließend. Zudem erfreuen sich indonesische Musikrichtungen großer Beliebtheit. Im Januar 2016 besuchte der damalige indonesische Präsident Joko Widodo das Land erstmals offiziell. Ziel des Besuchs war es, die bilateralen Beziehungen zu stärken und Kooperationsvereinbarungen in Bereichen wie Jugend und Sport, Archivwesen, Klimatologie und Geophysik, Such- und Rettungsdienste sowie Energie, Erdöl und mineralische Ressourcen zu unterzeichnen.
Insgesamt haben Timor-Leste und Indonesien bemerkenswerte Fortschritte in bilateralen Beziehungen erzielt und eine gute Basis für weitere Zusammenarbeit geschaffen. Zudem wird eine verstärkte Integration in regionale Bündnisse wie ASEAN angestrebt. Im Januar 2025 wurde eine osttimoresische Delegation zum ASEAN-Außenministertreffen in Malaysia eingeladen.

Indonesiens Präsident Joko Widodo besucht Osttimor am 26. Januar 2016. © Präsidentenamt von Osttimor
Premierminister Xanana Gusmao war zuletzt beim Amtsantritt des derzeitigen indonesischen Präsidenten Prabowo Subianto am 20. Oktober 2024 in Jakarta. Am nächsten Tag gab es offizielle Gespräche beider Regierungschefs im Präsidentenpalast in Jakarta zur Vertiefung der bilateralen Beziehungen.
Die guten Beziehungen haben aber einen hohen Preis. Beide Seiten vermeiden stillschweigend, über die Verfolgung von Menschenrechtsverstößen zur Zeit der indonesischen Besatzung zu sprechen, obwohl es Berichte der Vereinten Nationen, der osttimoresischen Wahrheitskommission und der indonesischen Menschenrechtskommission gibt, die klar von schweren Menschenrechtsverletzungen sprechen und auch Namen von Verantwortlichen nennen.