Thailand: Eine Ausstellung von 2017 erzählt die Geschichte von Frauen aus Bangkok, die sexualisierte Gewalt überlebt haben. Ihre Aussagen zeigen, dass der Nationale Frauen und Entwicklungsplan nur auf dem Papier existiert.
Ich versuche hier eine kritische Reflexion über die „#MeToo“-Bewegung im thailändischen Kontext, in dem ich drei verschiedene Prozesse in Beziehung setze. Erstens bin ich persönlich von dem Prozess inspiriert, bei dem ich mich mit einer Gruppe von (vergewaltigten und) misshandelten Frauen, Ehefrauen und Müttern, die in einem Frauenhaus am Stadtrand von Bangkok lebten, auseinandergesetzt und von ihnen gelernt hatte. Die aus dieser Arbeit entstandene Ausstellung, die als selbst gemachtes Archiv konzipiert wurde, beziehe ich zweitens auf den seit 1982 vom thailändischen Staat erstellten Nationalen Frauen und Entwicklungsplan. Dieser Plan ist eine ganz andere Art des Archivs, nämlich eine, die marginalisierte Stimmen im Prozess der Wissenskonstruktion zum Thema Gewalt gegen Frauen ausklammert. Drittens versuche ich, aus dieser Gegenüberstellung politische Schlussfolgerungen zu ziehen für die sich abzeichnende globale Agenda zu Gewalt gegen Frauen, die durch die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung 2030, Nr. 5.1, initiiert wurde und die sich ehrgeizig das Ziel der „Beendigung aller Formen der Diskriminierung aller Frauen und Mädchen überall“ gesetzt hat.
Das Erzählen von ‚#MeToo‘-Geschichten im thailändischen Kontext
Die Ausstellung der Frauen aus dem Frauenhaus ist durch ein Zusammentreffen mit einer NGO-Mitarbeitern (von der Social Equality Promotion Foundation) und einer MA-Studentin, Manee Khunpakdee entstanden. Für den Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (25. November) organisierten sie 2017 die sehr kreative Ausstellung Stimmen und Ansichten der Überlebenden: Erzählen durch meine Archive. Die (experimentelle) Ausstellung wurde zusammen mit einer Vielzahl von Aktivitäten, unter anderem eine Podiumsdiskussion, ein Theaterstück und eine Musikshow, präsentiert.
Da jedoch das Konzept und die Praxis (oder sogar der Begriff) von ‚Archiven’ für diese Frauengruppe recht neu war, kam die Idee, ihre Präsentation auf ihre persönlichen Archive zu konzentrieren. Als Gruppe von Überlebenden erinnerte sich jede von ihnen an die intimen Gegenstände, die mit der erlebten Gewalt zu tun hatten, und identifizierte sie. Zu diesen Gegenständen gehörten zum Beispiel eine Busfahrkarte, die eine Überlebende während der Vergewaltigung noch in der Hand hielt, ein Kessel mit heißem Wasser, ein zerrissenes Tuch, ein Pyjama, der nach einem Angriff ihres Partners mit Blut befleckt war, sowie ein Schlagring. Alle wurden mit Bildunterschriften im Stil einer kritischen und alternativen Ausstellung ausgestellt. Zwei Beispiele seien hier vorgestellt:
„Ich erinnere mich noch gut an diesen Tag. Obwohl ich schwanger war, musste ich regelmäßig um 4 Uhr morgens aufstehen, um im Wald nach Bambussprossen zu graben [und sie mitzubringen], um sie auf dem Markt zu verkaufen. Eines Tages kam ich um 21 Uhr nach Hause, als mein Mann brutal auf mich zukam und schrie: „Gib mir Geld!“ Als ich mich weigerte, schlug er mich mit seinem Eisenknöchel, ohne sich darum zu kümmern, dass es sich auf das sechs Monate alte Baby in meiner Gebärmutter auswirken würde. Er wollte nur Geld für eine andere Frau ausgeben, für Glücksspiel und den Kauf von Drogen. Meine Schwiegermutter wurde Zeuge des Vorfalls; sie half jedoch nicht, da dies als ein [normales] Problem zwischen Frau und Mann angesehen wird.“
„An diesem Abend verließ ich mein Büro und fuhr wie üblich mit dem Bus nach Hause, ohne zu wissen, dass mich ein Fremder anstarrte. Am Zielort stieg ich aus dem Bus aus und ging mit weniger Vorsicht weiter, während er mir auf dem Weg folgte. In diesem Moment bog ich in die Gasse ab, in der sich mein Haus befindet, er sprang plötzlich auf, um sich vor mich zu stellen, und versuchte, mich zu vergewaltigen. Ich wehrte mich mit Zähnen und Nägeln, konnte ihn aber nicht aufhalten, da er körperlich viel größer und stärker war.“
Die obigen Geschichten kommen uns vertraut vor. Viele Ehemänner schlagen ihre Frauen brutal zusammen. Und Vergewaltiger lauern Frauen des Öfteren auf, indem sie ihnen im Bus folgen, während sie sich auf dem Weg zu ihrem Zuhause befinden, sei es in Mumbai, Nairobi, Jakarta oder sogar in Toronto und New York City (obwohl die meisten Vergewaltigungen von Personen begangen werden, die die Frau kennt). Es ist jedoch das erste Mal, dass ich solche Geschichten lese, in denen die Frauenarchive zusammen mit einer Busfahrkarte oder einem Schlagring in Form einer Ausstellung, die auf die Beendigung von Gewalt gegen Frauen abzielt, zu sehen sind. Hier findet eine Verwandlung von einem ‚Archiv-als-Quelle’ zu ‚Archiv-als-Subjekt’ statt.
Gewalt gegen Frauen im Frauen- und Entwicklungsplan der thailändischen Regierung
Wann und wie ist das Wissen über Gewalt gegen Frauen in Thailands Nationalen Frauen- und Entwicklungsplan hineingeschrieben worden? Frauenrelevante Themen wurden erst 1972, im 3. Nationalen Wirtschaftsplan, mit dem Schwerpunkt auf Familienplanung sowie auf der Hygiene von Müttern und Kindern behandelt. Es dauerte weitere zehn Jahre, bis der [erste] Fünfjahresplan für Frauen und Entwicklung (1982-1987) (im Rahmen des 5. Nationalen Wirtschaftsplans) auf den Weg gebracht wurde. Frauen werden hier vor allem als Input für das Wirtschaftswachstum betrachtet.
Gewalt gegen Frauen wird in keinem Abschnitt des Ersten Frauen- und Entwicklungsplans (1982) thematisiert. Es dauerte noch weitere 20 Jahre, bis das Thema im 9. Nationalen Wirtschafts- und Entwicklungsplan (2002-2006) unter dem Titel Förderung der Gleichstellung und des sozialen Schutzes behandelt wurde. Hier heißt es:
Gegenwärtig befinden wir uns im Rahmen des 12. Nationalen Wirtschafts- und Entwicklungsplans, der einen Abschnitt mit dem Titel Strategie für Frauen und Entwicklung (2017-2021) beinhaltet. Hier wird gefordert: „… einen Ansatz zum Schutz, zur Lösung und zur Hilfe der Betroffenen während des ganzen Prozesses … ein Prozess, der die Einschaltung eines Teams von berufsübergreifenden Experten erfordert“ (2560: 8).
Vom Opfer zum ermächtigten Subjekt
Siebzehn Jahre sind vergangen, in denen die Zahlen über Todesfälle und Überlebende häuslicher und sexualisierter Gewalt in die Höhe geschossen sind. Warum also haben die vielen Pläne, die von der Regierung formuliert wurden, diese Gewalt nicht eingedämmt?
Der Versuch, eine Neuausrichtung und Refokussierung der nationalen Pläne zu fordern, erfolgte während einer Versammlung der oben besprochenen Gruppe von Frauen im Jahr 2018. Sie verfasste eine Petition an die Regierung in ihrer eigenen Handschrift, in der sie Lösungen für Gewalt gegen Frauen forderten, die direkt auf die BEDÜRFNISSE der Überlebenden reagieren, anstatt Millionen für Werbeunternehmen auszugeben, die eine oberflächliche Medienkampagne veranstalteten.
Sie verlangten unter anderem:
- Sobald Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben, ihre Beschwerden bei einer beliebigen Stelle (d.h. bei der Polizei) einreichen, sollte diese unverzüglich Maßnahmen ergreifen. Die Fälle sollten nicht als bloßer ‚Konflikt zwischen Mann und Frau’ abgetan werden […].
- Im Krankenhaus sollten Frauen eine kostenlose DNA-Inspektion erhalten, entweder im Falle einer Vergewaltigung, eines sexuellen Übergriffs oder wenn Männer sich weigern, Verantwortung zu übernehmen […].
- Öffentliche Mittel sollten für die Überlebenden [als finanzielle Unterstützung] entweder zwischen oder nach dem Heilungsprozess, dem Kampf vor Gericht und der Berufsausbildung zum Aufbau einer eigenen Karriere bereitgestellt werden.
Die Lektüre der Petitionen der Überlebenden erinnert mich an das, was von Gayatri Spivak (zitiert aus: Blunt, A. and Jane Wills. (2000): Dissident Geographies: An Introduction to Radical Ideas and Practice. Prentice Hall/Pearson Education, S. 16) diskutiert wurde, dass „… Praktiken des Sprechens und Schreibens nicht unschuldig sind, sondern Teil des Prozesses der ‚Weltbildung‘ oder der diskursiven Abgrenzung bestimmter Teile der Welt von anderen sind. Wissen ist eine Form der Macht und, daraus folgend, der Gewalt; es … verleiht dem Verarbeiter von Wissen Autorität“. In dieser Hinsicht bezieht sich Spivaks Einsicht nicht nur auf das ungleiche Verhältnis zwischen der ersten und der dritten Welt, sondern auch innerhalb der dritten Welt selbst.
Während auf der einen Seite ein vorherrschender Diskurs über Gewalt gegen Frauen in den Regierungsplänen, wie sie von den feministischen Bürokraten geschrieben wurden, festgehalten wird, gibt es auf der anderen Seite eine Bewegung einer Gruppe von Überlebenden (auf der Suche nach ihren eigenen Archiven), die ihren eigenen Vorschlag schreiben und die Behörden auffordern, das Problem an der richtigen Stelle zu lösen, um die Gewalt gegen sie (und andere Frauen) zu beenden. Es besteht kein Zweifel, dass dies eine monumentale und historische Herausforderung durch die ‚fehlenden Stimmen’ im Prozess der Wissenskonstruktion über Gewalt gegen Frauen in der thailändischen Frauenbewegung ist.
Übersetzung aus dem Englischen von: Oliver Pye