Das Fotoessay von Simon A. Peth mit Fotos von Srikhoon Jiangkratok und Simon A. Peth ist ein Auszug aus der Onlineausstellung „Work Men on the Move“
Dieses Fotoessay zeigt Bilder eines thailändischen Rückkehrers, der in den 1990er Jahren als Vorabeiter auf einer Baustelle in Singapur gearbeitet hat. Es gibt einen einzigartigen Einblick in das Alltagsleben von Arbeitsmigranten in Singapur und macht deutlich, dass sich die „foreign workers“ trotz der ihnen auferlegten strengen Regeln durchaus auch ihren Freiraum erkämpfen und aneignen.
Boomtown, Smart City und neuralgischer Knotenpunkt der globalisierten Welt. Weniger Nation, als vielmehr ein staatliches Supraunternehmen. Ein komprimierter Raum in dem man die großen Themen der Globalisierung wie Digitalisierung und wirtschaftliche Transformation wie in einem Brennglas beobachtet kann. Das ist das heutige Singapur. Vor gerade mal 53 Jahren wurde Singapur ein unabhängiger Staat und versuchte, die britische Kolonialzeit, die japanische Besatzung und politischen Differenzen mit dem ‚großen Bruder’ Malaysia zurückzulassen. Und doch hat Singapur auf subtile Art und Weise selbst eine Form der Unterdrückung geschaffen: Die weit reichende und permanente Kontrolle seiner Bürger, Arbeiter und all jener, die von außen nach Singapur kommen.
Dies wird beim Blick auf die Arbeiterbewegung in Singapur deutlich. Die gibt es nämlich nicht. Das heißt, es gibt sie schon, doch hinter diesem Schlagwort verbirgt sich lediglich eine politische Agenda, die unter dem Slogan Our Unusual Labour Movement dem asiatischen Tiger einen sozial-liberalen Anstrich verleihen soll. Doch welche Freiheiten haben die Arbeiter*innen in Singapur wirklich, sich selbstbestimmt zu organisieren und sich für ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen einzusetzen? Und wie sieht das im Besonderen bei den Arbeitsmigrant*innen aus, die mit 1,4 Millionen Menschen nicht weniger als 40% aller Arbeitskräfte in Singapur stellen?
Gewerkschaften als Kontrollinstanz
Auf den ersten Blick scheint es verwunderlich, dass es in Singapur keine richtige Arbeiterbewegung gibt, denn Singapurs Gründungsvater Lee Kuan Yew, der in London studiert hatte, war vor seiner politischen Karriere als Anwalt für die Arbeiterbewegung tätig. Auch die von ihm mitbegründete People’s Action Party (PAP) und heutige Regierungspartei verdankt ihren Erfolg nicht zuletzt der Arbeiterbewegung in den Anfangsjahren der Unabhängigkeit Singapurs. Doch der zweite Blick macht deutlich, dass Lee Kuan Yew in der Arbeiterbewegung und in Gewerkschaften weniger eine Opposition zur Arbeitgeberschaft sah, als vielmehr ein Werkzeug zur Kontrolle und zur wirtschaftlichen Entwicklung. Dieses Verständnis zog sich durch bis in das heutige Singapur mit seinem tripartite mediation framework, in dem der Dachverband der Gewerkschaften (NTUC) zusammen mit der SNEF (Singapore National Employers Federation) und dem Ministry of Manpower (MOM) gemeinsam für die nationale Maxime der Produktions- und Wachstumssteigerung an einem Strang ziehen. Alternative Verbände und Gewerkschaften wurden in der Vergangenheit systematisch verboten und so ist die „Arbeiterbewegung“ in Singapur heutzutage gleichbedeutend mit der NTUC (National Trades Union Congress). Während letztere in der öffentlichen Wahrnehmung vielmehr als Garant für niedrige Lebensmittelpreise in Supermärkten wahrgenommen wird zeigt ein Blick auf die Organisationsstruktur, dass es sich dabei vielmehr um den verlängerten Arm der Regierungspartei PAP handelt.
Die NTUC wurde 1961 durch die PAP gebildet und ist ein Dachverband von derzeit 58 Gewerkschaften und 62 Arbeiterverbänden, deren Präsident stets durch einen Funktionär der PAP besetzt wird. Das sich die NTUC politisch kaum für die Belange der Arbeitnehmer*innen einsetzt, wurde 2012 in einem einschlägigen Interview mit dem damaligen Generalsekretär der NTUC und späteren Arbeitsminister Lim Swee Say deutlich, der in Hinblick auf den Mindestlohn sagte: „this is something we don’t embrace.“ Auch heute noch ist aus den Reihen der NTUC zu hören, dass es vielmehr darum gehe, die Arbeitsmoral und Einstellung der Arbeiter zu verändern, als deren Arbeits- und Lebensbedingungen. So schlussfolgert Garry Rodan vom Asia Research Center an der australischen Murdoch Universität, dass das „Versagen der NTUC, eine unabhängige und aktive Rolle in der Bestimmung und Durchsetzung der Rechte seiner Mitglieder einzunehmen, die Arbeiter*innen ohne angemessene Vertretung zurücklässt.“
Migrant*innen ohne Vertretung
Dies gilt in noch viel stärkerem Maße für die so genannten foreign workers, die, abgesehen von kleineren NGOs, keine Lobby und kaum zivilgesellschaftliche Interessensvertreter*nnen in Singapur haben. Als im November 2012 eine Gruppe chinesischer Busfahrer gegen zu niedrige Löhne und schlechte Unterbringung protestierten, stellte sich die NTUC hinter die Regierung und bezeichnete diesen Streik als illegal. Zuvor hatte es 25 Jahre lang keine Streiks oder Protestaktionen gegeben. Gut ein Jahr später kam es nach einem Autounfall, bei dem ein indischer Arbeiter getötet wurde, zu gewaltsamen Ausschreitungen, den so genannten Little India Riots, bei denen hunderte Arbeitsmigranten gegen die schlechte Behandlung in Singapur protestierten. Das Thema wurde zu einem innenpolitischen Thema. Die Regierung reagierte mit noch strikteren Regeln für die foreign workers, wie etwa dem Verbot von Alkoholkonsum insbesondere an den Orten, wo sich die Arbeitsmigrant*innen in ihrer geringen Freizeit treffen. Heute zählt Singapur zu den Ländern mit einem der strengsten Migrationssysteme, einem System, das durch drakonische Strafen – von Prügelstrafe bis zur Todesstrafe – und einer permanenten Kontrolle geprägt ist. Kritiker sprechen von einem modernen Apartheidsystem.
Was bedeutet dies für das Alltagsleben der Arbeitsmigrant*innen? Wie lebt es sich unter solchen Bedingungen? Dieses Fotoessay beleuchtet diese Frage mit einem besonderen Blick auf das Alltagsleben thailändischer Arbeitsmigrant*innen in Singapur. Aus Thailand kommen in erster Linie Männer, die auf den zahlreichen Baustellen oder als Hafenarbeiter arbeiten. Frauen sind als Arbeitskraft in diesen Sektoren offiziell nicht erwünscht. Der Alltag der Arbeiter ist durch ein striktes Migrationsmanagement und eine strukturelle Segregation bestimmt und es gibt kaum einen Spielraum für Aushandlungsprozesse. Werden diese Menschen so zum Inputfaktor der Globalisierung degradiert? Schwarz-weiß lässt sich diese Frage nicht beantworten.
Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe 1/2019 der südostasien
Ausgangspunkt ländliches Thailand. Die meisten Thailändischen Arbeiter in Singapur kommen aus dem ländlichen Regionen in Thailand, insbesondere dem Nordosten des Landes. Arbeitsmigration ist hier über die Jahrzehnte zur Normalität geworden und wird sozial reproduziert. Söhne folgen ihren Vätern und schicken später ihre eigenen Kinder in die globalen Arbeitsmärkte. In viele ländlichen Regionen Thailands ist so eine Kultur der Migration entstanden © Srikhoon Jiangkratok, 1994.
Ankunft in Singapur. Damals wie heute ist der Kontrast zwischen dem ländlichen Thailand und der global City Singapur groß. Für die meisten Neuankömmlinge ist es zu Beginn eine große Herausforderung sich in der neuen Stadt zurechtzufinden. Viele Arbeiter berichteten von Heimweh. © Srikhoon Jiangkratok, 1994 und W. Zhang, under CC BY 2.0, 2011
Container Camps. Arbeitsmigranten können nicht frei entscheiden, wo und wie sie untergebracht werden. Die Arbeitgeber sind verpflichtet sie in Schlaflagern unterzubringen, wo die Arbeiter registriert werden. Früher waren dies oft provisorische Container Camps mit schlechten hygienischen Bedingungen. Bis zu 25 Mann schliefen beengt in einem Container. © Srikhoon Jiangkratok, 1994
Ein Blick in die Lager der Gegenwart. Die neuste Generation der sogenannten Dormitories sind moderne Hightech-Lager. Sie sind mit Fingerabdruckscanner am Eingang und einer flächendeckenden Videoüberwachung ausgestattet. So wird das Kommen und Gehen aber auch das Verhalten der Männer im Lager überwacht. Bis zu 17.000 Männer werden in den heutigen Dormitories meist am Stadtrand untergebracht und es wird viel dafür getan, dass sie keinen Grund habe die Camps zu verlassen. So finden sich Lebensmittelläden, Küchen, Wäscherein, Sportanlagen, Apotheken, Interneträume und manchmal sogar Kinos auf dem Gelände. Dennoch erinnern die Dormitories eher an Gefängnisse als an einen Ort an dem man nach einem harten Arbeitstag Ruhe finden kann. © Simon Peth, 2015
Die Arbeit ist anstrengend und oft auch gefährlich. Eine Arbeitserlaubnis ist in Singapur an den aktuellen Arbeitgeber gebunden und so haben die Arbeiter keine Möglichkeit den Arbeitgeber aufgrund von schlechten Arbeitsbedingungen zu wechseln ohne, auf eigenen Kosten, das Land zu verlassen und erneut den langwierigen Migrationsprozess mit Arbeitstraining und Tests sowie die Rekrutierung durch windige job agents zu durchlaufen. Aufgrund der hohen Migrationskosten (ca. 2.300 € pro Arbeitsperiode) lohnt sich die Migration meist nur durch Überstunden (OT, over time). Zehn- bis Zwölfstundentage sind so an der Tagesordnung. © Srikhoon Jiangkratok, 1994
Verletzungen bis hin zu tödlichen Arbeitsunfällen kamen zwar in der Vergangenheit häufiger vor aber auch heute noch kommt es regelmäßig zu Problemen. Größere Arbeitsunfälle bedeuten meist das Ende der Migration, da die Arbeitgeber häufig nicht gewillt sind die verpflichtende Krankenversicherung zu informieren, da sonst die Beitragssätze steigen. Ein Arbeiter ist schnell ersetzt. © Srikhoon Jiangkratok, 1994
Im Vergleich zu Arbeitsmigranten aus anderen Ländern haben es die Thailänder noch relativ gut, denn das thailändische Arbeitsministerium hat in Singapur ein Office of Labour Affairs eingerichtet, welches sich um die Belange der Arbeiter kümmert und teilweise auch zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitern vermittelt. Ein großes Netzwerk an Freiwilligen sorgt so auch dafür, dass die Arbeiter über ihre Rechte und Ansprüche informiert werden. Das Foto zeigt eine Zweigstelle der Office of Labour Affairs in der Golden Mile, dem Treffpunkt Thailändischer Arbeiter in Singapur. © Simon Peth, 2015
Gemeinsam allein. Arbeitsverträge im Bausektor laufen in der Regel 1 bis 2 Jahre. Dies bedeutet Unsicherheit für die Arbeitsmigranten aber Flexibilität für die Arbeitgeber, die so jedes Jahr die Zahl ihrer Arbeiter anpassen können. So hangeln sich viele der Arbeitsmigrant*innen von Vertrag zu Vertrag. Dies geht nicht selten über 10 bis 20 Jahre so, was auch eine sehr lange Trennung von der Familie bedeutet. Familiennachzug ist für foreign workers im Gegensatz zu den hochqualifizierten „Expats“ gesetzlich nicht erlaubt. Viele der Arbeiter*innen leiden so an Einsamkeit auch wenn sie Freundschaften mit Arbeitskolleg*innen schließen. © Srikhoon Jiangkratok, 1994
Golden Mile, Little Thailand. Es gibt sie aber doch die Orte in denen auch beschwingtere Momente möglich sind. Die Golden Mile, ein Einkaufszentrum aus den 1970er Jahren hat sich über die Jahrzehnte zu dem Treffpunkt aller Thailänder in Singapur entwickelt. © Simon Peth, 2015
In der Golden Mile gibt es alles was das Arbeiterherz begehrt wie zum Beispiel Überweisungsservices, Thai Restaurants, einen thailändischen Supermarkt, Telefonshops, eine Privatpraxis mit Thailändisch sprechendem Personal und auch Karaokebars. An Wochenenden und insbesondere nach den monatlichen Zahltagen ist es hier so voll, dass es kaum ein Durchkommen gibt. © Simon Peth, 2014
Trotz der harten Arbeits- und Lebensbedingungen nehmen viele Arbeitsmigrant*innen ein Leben im permanenten Provisorium in Singapur in Kauf, da es im Gegensatz zu ihren Herkunftsregionen im ländlichen Thailand hier wenigstens ein regelmäßiges Einkommen gibt. Aber nicht alle Migranten*innen tun dies aus freien Stücken. © Srikhoon Jiangkratok, 1994
Gefangen im Migrationssystem. Arbeitsmigration birgt viele Risiken, so auch von Agenten übers Ohr gehauen zu werden. Manche Arbeitsmigranten brauchen so Jahre um ihre Schulden für die Vermittlungsgebühren oder die Hypothek ihres Ackerlands abzubezahlen. © Srikhoon Jiangkratok, 1994