Südostasien: Vielen Menschen fehlt es noch immer am sicheren Zugang zu Lebensmitteln – ganz besonders Frauen und Kindern. Das Buch „Ensuring a Square Meal“ beleuchtet, welche Rolle Frauen für eine ausreichende Ernährung ihrer Familien spielen können – innerhalb sowie auch außerhalb der Familie.
Kürzlich wurde der Welternährungsbericht 2020 der Vereinten Nationen veröffentlicht. Eine der Hauptbotschaften ist: Die Zahl unterernährter Menschen steigt weiter an, vor allem in Asien. Die Gründe dafür sind vielfältig: Konflikte, extreme Klimasituationen, Wirtschaftskrisen. Durch die COVID-19-Pandemie, so der Bericht, drohe die Zahl der Hungernden weiter anzusteigen.
Lebensmittelkrisen gab es bereits in den Jahren 2008/2009 und 2012 – ausgelöst durch steigende Preise. Schon diese Krisen verschärften die Disparität zwischen Regionen in Südostasien, die vom schnellen wirtschaftlichen Wachstum der frühen 2000er Jahre profitierten, und jenen, auf die sich diese positiven Impulse nicht übertrugen. Obwohl einige Regierungen Mechanismen für Ernährungssicherung und nachhaltige Landwirtschaft etabliert haben, so bleibt doch die Gefahr von stark ansteigenden Preisen in einer unsicheren globalen Wirtschaftslage bestehen – auch darauf verweist der aktuelle Welternährungsbericht.
Frauen in den Fokus rücken
Aufgrund dieser Erkenntnis veranstaltete das Institute of Southeast Asian Studies (ISEAS) in Singapur bereits 2011 eine Konferenz, die sich mit der Rolle von Frauen für eine sichere Ernährung beschäftigte. Das Kompendium Ensuring a Square Meal: Women and Food Security in Southeast Asia ist eine Sammlung der Beiträge dieser Konferenz. Herausgegeben wurde das Buch von Theresa W. Devasahayam, die zu dieser Zeit in der Geschlechterforschung des ISEAS arbeitete und die Ungleichheit von Frauen im öffentlichen und privaten Raum untersuchte.
Im einleitenden Kapitel beschreibt die Herausgeberin, warum es notwendig ist, Ernährungssicherung in Südostasien aus Perspektive der Geschlechterforschung zu betrachten und richtet damit den Fokus auf ein bisher kaum erforschtes Gebiet. Dabei identifiziert Devasahayam ein wichtiges Paradox: Zusammen mit Kindern sind Frauen am meisten gefährdet, nicht genügend Nahrung zu erhalten. Gleichzeitig tragen sie aber signifikant zur Ernährung ihrer Familien sowie zur wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Entwicklung bei.
Überfälliger Perspektivenwechsel
In Südostasien leisten Frauen ungefähr 50 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeit, wobei Devasahayam mit einer höheren Dunkelziffer rechnet, da die Arbeit von Frauen häufig als ‚Zuarbeit’ angesehen und deswegen nicht statistisch erfasst werde. Die Arbeit der Frauen sei zudem nicht nur bedeutend für die Produktion von Lebensmitteln sondern auch für deren Handel. Ihr Einkommen ermächtige Frauen dazu, Entscheidungen auf Haushaltsebene zu treffen, wie zum Beispiel zu Bildungsinvestitionen für die Kinder oder auch um lokale Wirtschaftsnetzwerke wie zum Beispiel Handelskooperativen zu fördern. Fallstudien zeigen außerdem, dass Frauen ihr Einkommen eher zum Wohlergehen der gesamten Familie einsetzen als Männer.
Warum haben Frauen trotzdem keinen sicheren Zugang Lebensmitteln? Als Gründe führt Devasahayam die allgemeine Lebensmittelknappheit an, den Mangel an Kaufkraft und die Zugangsbeschränkungen zu fruchtbarem Land. Diese Ressourcenprobleme haben auch Männer in Entwicklungsländern, für Frauen kommen jedoch strukturelle, politische, kulturelle und soziale Faktoren erschwerend hinzu. Beispielsweise seien häufig nur Männer die Zielgruppe von technischen Weiterbildungen und Wissenstransfer in der landwirtschaftlichen Entwicklung.
Die Beiträge des Buches arbeiten diese erschwerenden Faktoren heraus und verdeutlichen sie anhand von Fallbeispielen und wissenschaftlicher Literatur. Die Autor*innen stellen grundlegende Fragen zur Chancengleichheit auf Landbesitz, zu den Zugangskriterien zu landwirtschaftlichen Ressourcen und Services, zur Möglichkeit der wirtschaftlichen Organisation und Teilnahme an Programmen, zur Evaluierung von Gesetzgebungen und eben zu der Rolle, die Frauen in der Ernährungssicherung auf allen Ebenen spielen. Diese Leitfragen werden nicht nur im Hinblick auf die strukturelle Dichotomie zwischen Männern und Frauen analysiert sondern auch im Kontext der Sphären privat und öffentlich sowie der Annahme, dass es Überlappungen beider gibt.
Frauen ermächtigen und Ernährung sichern – Fallbeispiele
Das zweite Kapitel gibt einen Überblick über Definitionen, Annahmen und Bereiche, die die Ernährungssicherung beeinflussen. Die weiteren Artikel widmen sich überwiegend konkreten Beispielen aus Indonesien, Vietnam, Malaysia und den Philippen. Dabei werden verschiedene Lebensrealitäten betrachtet, wie zum Beispiel der Einfluss von Palmölplantagen auf Landrechte in Indonesien oder der Fakt, dass sich in Vietnam Maßnahmen zur Ernährungssicherung durch Reisanbau häufig ausschließlich an Männer richten, obwohl Männer und Frauen die Entscheidungen zur Produktion von Reis gemeinsam treffen.
Eine weitere Studie aus Vietnam zeigt, dass es dem Wohlergehen der Familie und ganz besonders der Ernährung der Kinder dient, wenn die Frauen gestärkt werden. Erforderlich sei dafür, dass Frauen die Möglichkeit haben, außerhalb des eigenen Haushalts zu arbeiten, um etwas dazuzuverdienen.
Ein anderes Beispiel aus Indonesien beschäftigt sich mit Frauen, die in Singapur arbeiten und dadurch indirekten Einfluss auf die landwirtschaftliche Entwicklung haben. Zwar betrachten die Frauen selbst die landwirtschaftliche Arbeit als wenig lukrativ und arbeiten deshalb für ein festes Einkommen im Ausland. Durch das Geld, das sie aber nach Hause schicken, tragen sie jedoch maßgeblich zur Ernährungssicherung und den landwirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Familien bei.
Wissenschaftlich fundiert, doch leider nicht aktuell
Die Beiträge in den zehn Kapiteln dokumentieren wissenschaftlich fundiert den aktiven und großen Anteil, den Frauen an der Sicherung der Ernährung für ihre Familie und ganzer Dörfer haben. Gleichzeitig arbeiten die Beiträge auch heraus, an welchen Stellen Frauen strukturell benachteiligt werden, was wiederum dazu führt, dass ihnen die Werkzeuge fehlen, Lebensmittel zu produzieren, zu handeln und sich zu vernetzen.
Erwähnt sollte auch werden, dass die Beiträge des Buches vor inzwischen neun Jahren entstanden sind. Auch wenn der überwiegende Teil der Erkenntnisse vermutlich weiterhin relevant ist, wäre es wünschenswert, in dem Buch auch aktuellere Entwicklungen und Lebensrealitäten zu finden.
Trotzdem kann das Buch als deutlicher Appell an Entscheidungsträger*innen in Regierungen oder Projekten der Entwicklungszusammenarbeit gelesen werden, Frauen zu fördern und es ihnen zu ermöglichen, die Versorgung mit Lebensmitteln für ihre Familien sicherzustellen. Das würde einiges zur Armutsreduzierung beitragen.
Trotz der sozialwissenschaftlichen Natur des Buches ist es anschaulich und gut lesbar geschrieben. Das macht es nicht nur für Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen im entwicklungspolitischen und politikgestaltenden Bereich zu einer spannenden und erkenntnisreichen Lektüre. Gleichzeitig zeigen die Ausführungen wieder einmal, wie signifikant und dennoch unterbeleuchtet die Rolle von Frauen in allen Entwicklungsbereichen eines Landes oder einer Region ist – und wie diese gleichzeitig durch die patriarchale Dichotomie unterminiert wird.
Rezension zu: Theresa W Devasahayam (Hg). Ensuring a Square Meal: Women and Food Security in Southeast Asia. World Scientific, 2018, 264 Seiten.