Philippinen: Die Duterte Regierung führt unter dem Deckmantel der Pandemie ihre autoritäre Politik fort. Während unter den Maßnahmen insbesondere die arme Bevölkerung leidet, schwinden die zivilen Handlungsräume zur Gegenwehr zunehmend.
Man hätte meinen können, es sei ein sehr schlechter Aprilscherz, so absurd war es, was der philippinische Präsident Rodrigo Duterte zu Beginn der Corona-Pandemie auf den Philippinen von sich gab. Leider war seine Aussage (mal wieder) kein Scherz. Anfang April 2020 appellierte er zur Ausführung des Lockdowns an seine Exekutive:
Deutsche Übersetzung: „Ich werde mich nicht zurückhalten. Ich appelliere an die Polizei und das Militär, diejenigen die Chaos stiften und bei jeglicher Gegenwehr, schießt sie tot!“Rodrigo Duterte, April 2020
Fast ein Jahr später gab es einen ähnlichen Appell in einer Rede vom 5. März 2021 an die philippinische Polizei (PNP) und das philippinische Militär (AFP). Duterte sagte, sie sollten „Menschenrechte ignorieren“ und wenn AFP und PNP auf Kommunisten stießen, sollten sie diese töten und sicherstellen, dass sie wirklich tot seien. Am darauf folgenden Wochenende gab es einen Crackdown bei dem neun linke Aktivist*innen ermordet und sechs weitere festgenommen wurden. Ein Zusammenhang zwischen der Rhetorik des philippinischen Präsidenten und den Handlungen des Militärs sowie der Polizei liegt auf der Hand.
Rede von Präsident Rodrigo Duterte an Polizei und Soldaten:
In einer Rede am 5. März 2021 forderte Präsident Rodrigo Duterte Polizei und Soldaten auf, kommunistische Rebellen bei Begegnungen zu “töten” und “fertigzumachen”. Zwei Tage später, am Sonntag, den 7. März, gingen die staatlichen Streitkräfte mit einer tödlichen Razzia in Calabarzon gegen Aktivist*innen vor.
Unmenschlichkeit zeigt sich während der Corona-Pandemie umso mehr
Dutertes Rhetorik und welche Brutalität diese befeuert, kennen wir bereits aus dem Anti-Drogenkrieg. So gab er all diejenigen, die sich gegen eine Festnahme wehrten, zum Abschuss frei. Das war nur kurze Zeit nach dem Mord an dem 17-jährigen Kian Loyd de los Santos, dessen Tod eine Protestwelle auf den Philippinen gegen den Anti-Drogenkrieg hervorrief. Zehntausende Menschen wurden in dem sogenannten Krieg gegen die Drogen ermordet, wie ein Report des UN-Menschenrechtsausschusses 2020 feststellte. Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International gaben bald nach der Präsidentschaftswahl an, dass dieser Krieg sich nicht gegen Drogen richtet, sondern tatsächlich ein Krieg gegen die Armen sei. In diesem Krieg werden weder Drogen noch Armut ausgelöscht, sondern arme und/oder drogenabhängige Menschen getötet. Dass die philippinische Regierung weder Menschenwürde noch Menschenrechte der Bevölkerung achtet, wurde mitten in der Pandemie wieder bestätigt.
Das Anti-Terrorgesetz als neue Waffe der Machthabenden
Schon zu Beginn des Lockdowns wurden unzählige Menschen festgenommen und sogar in Hundekäfige gesteckt. Menschen, die aus Hunger auf die Straße gingen, um für Lebensmittel zu streiten, wurden festgenommen. Dabei protestierten sie einfach gegen die ausgebliebene staatliche Hilfe.
Mit der Unterschrift von Duterte trat mitten in dieser Pandemie am 20. Juli 2020 dann auch noch das Anti-Terror-Gesetz (ATG) in Kraft. Laut diesem Gesetz können Menschen und Gruppen ohne Anklage für bis zu 24 Tage festgehalten werden. Es stellte sich damit auch als eine juristische Waffe der philippinischen Machthabenden gegen den Protest aus der Zivilbevölkerung heraus. Wie bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes ist auch hier das so genannte Red-tagging ein großes Problem: Politisch engagierte Menschen können als kommunistische Rebellen bezichtigt und dann im schlimmsten Fall sogar getötet werden.
CNN berichtet über die Verbreitung von community pantries während der Pandemie:
Der Gefahr des Red-taggings sahen sich jüngst auch community pantries ausgesetzt. Diese lassen sich mit den deutschen ‚Tafeln’ gleichsetzen und werden von örtlichen Kommunen oder Nachbarschaftsinitiativen philippinenweit selbst organisiert. Für die philippinische Regierung ein Dorn im Auge. So wurden Tafeln von Polizei und Militär als „kommunistische Rekrutierungszentren“ bezeichnet. Einige der Initiativen sahen sich schließlich aus Angst gezwungen, zu schließen.
Klima der Angst
Rodrigo Duterte war nie bekannt für vorsichtige Worte und ganz sicher nicht für seine Mitmenschlichkeit. Die sich wiederholenden harten Maßnahmen verbreiten ein Klima der Angst in der philippinischen Bevölkerung und beschneiden die Zivilcourage innerhalb dieser. Natürlich verkennt er dabei die Lebensrealität vieler seiner Bürger*innen. Die meisten leben von Tag zu Tag sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Das Leben vieler Filipin@s spielt sich dabei geschäftig auf der Straße ab. Um die weltweite Pandemie einzudämmen, gab es auch auf den Philippinen eine flächendeckende Ausgangssperre. Ich habe dann persönlich von Menschen gehört, die des Lebens müde werden. Sie fragen sich, wie sie überleben sollen. Denn: Wenn sie zuhause bleiben und nicht rausgehen, sterben sie vor Hunger. Wenn sie raus gehen, sterben sie entweder durch das Coronavirus oder durch die brutale Hand der philippinischen Regierung.
Ein Klima der Angst legt sich wie ein Schleier über die philippinische Gesellschaft und schnürt diese in ihren Freiheiten und Selbstbestimmung ein. Viele Menschen gingen trotzdem oder gerade deswegen protestieren.
Eine große Stärke der philippinischen Zivilgesellschaft liegt darin, sich gegenseitig zu unterstützen. Diese Selbsthilfe kann unter dem ATG dann aber als Terrorismus ausgelegt werden, wenn sie wie so oft als linker Aktivismus bezeichnet wird. Seitdem das Gesetz in Kraft ist, ist der Handlungsspielraum für die Bevölkerung also extrem eingegrenzt. Mittlerweile wurden 37 Petitionen gegen das ATG eingereicht. Ob das Gesetz verfassungswidrig ist, verhandelt nun das philippinische Verfassungsgericht. Eine Entscheidung steht aktuell [April 2021, d.R.] noch aus.
Brutal ‚von oben’, solidarisch ‚von unten’
Im April 2020 schrieb mir ein Bekannter eine verzweifelte Nachricht auf Facebook. Er und seine Familie haben seit zwei Wochen kein Essen mehr erhalten. Sie seien Tagelöhner.
Auch eine Soforthilfe von umgerechnet etwa 150 Euro, die von der Regierung versprochen wurde, kam bei vielen Menschen gar nicht erst an. Sie können sich nicht für die Hilfe registrieren, da die Ämter für den persönlichen Betrieb geschlossen sind. Andere können sich gar nicht erst legal draußen bewegen, da sie sich nicht ausweisen können. Daneben erschweren zusätzlich bürokratischen Hürden die Hilfeleistungen.
Durch eine katastrophale soziale Infrastruktur auf staatlicher Ebene, ist die Bevölkerung regelmäßig zur Selbsthilfe gezwungen und zeigt sich hierbei auch effektiver als die philippinische Regierung. So brutal wie die Regierung ‚von oben’ herab handelt, so sozial und solidarisch geht es ‚ganz unten’ zu. Diese Resilienz darf jedoch nicht romantisiert werden, denn schließlich muss die Zivilbevölkerung stark sein, um sich bei so einer Politik am Leben zu halten. Schon nach dem Supertaifun Haiyan (lokaler Name: Yolanda) Ende 2013 ließ gegenseitige, solidarische Katastrophenhilfe nicht lange auf sich warten. Staatliche Hilfsmaßnahmen dagegen kamen so langsam, dass es bereits Plünderungen aufgrund von Hunger gab. Zudem herrschte auch die Angst, dass Soforthilfe über offizielle Wege von der Regierung oder anderen Offiziellen abgegriffen und diejenigen nie erreichen würde, die es wirklich brauchten.
Wer in der Pandemie (auf)atmen darf
Katastrophen stellen unsere Gesellschaften weltweit auf den Prüfstand: Die Schwächen des kapitalistischen Systems und der politischen Verantwortlichen sind sichtbarer denn je in globalen Krisenzeiten. „Eines Tages wird es wieder ruhiger werden, aber wir wissen nicht wer bis dahin überleben und diesen Tag miterleben wird“, schreibt die indische Autorin Arundhati Roy über die Pandemie-Situation in Indien. “Den Reichen fällt das Atmen leichter“ fügt sie hinzu.
Auch auf den Philippinen kann in der Corona-Pandemie noch lange nicht aufgeatmet werden. Zusätzlich zu der Bedrohung durch die Pandemie schnürt der strikte verlängerte Arm der Regierung die Kehle der Bevölkerung vor Angst zu. Jeglicher ziviler Handlungsspielraum wird so fast unmöglich gemacht.