Dies ist der zweite Teile des Artikels „Müllbanken in Indonesien“ (hier geht es zu Teil I):
Abhängigkeiten und ungleicher Zugang zu Förderung
Wer hat Zugang zu Unterstützungsmechanismen und wer ist davon ausgeschlossen? In einem Interview teilte uns die Repräsentantin der CSR-Abteilung von Unilever Indonesia mit, dass nur gut funktionierende Müllbanken, die eine angemessene Menge an Abfall verarbeiten, den Wettbewerbsvoraussetzungen entsprechen und somit Chancen auf eine Förderung von Unilever haben. Des Weiteren ist der Wettbewerb auf Städte begrenzt, da Abfallmanagement in Indonesiens langfristigen, nationalen, urbanen Entwicklungsplan (Long-Term National Urban Development Plan) angesiedelt ist (Shuker, Lain G.; Cadman, Cary Anne (2018): Indonesia – Marine Debris Hotspot Rapid Assessment (Synthesis Report). Washington, D.C.: World Bank Group.).
Dieses Ungleichgewicht in Hinblick auf die Unterstützungsmöglichkeiten für urbane und ländliche Müllbanken spiegelt internationale Trends wider. Laut Global Waste Management Outlooks des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environmental Program and International Solid Waste Association (2015): Global Waste Management Outlook) zielt die derzeitige internationale Entwicklungsagenda darauf ab, Abfallprobleme in urbanen Räumen anzugehen. Somit bleiben Unterstützungsmechanismen jenen Müllbanken, die sich in ländlichen Gegenden befinden oder Schwierigkeiten haben entsprechende Mengen zu verarbeiten, oftmals verwehrt.
Wir empfinden es als problematisch, dass die Unterstützung sich dahingehend unterscheidet, obwohl ländliche und urbane Gebiete keine dichotomen Bereiche darstellen und sich Abfall nicht an Stadtgrenzen hält. Beispielsweise hinterlassen Touristen aus Städten große Abfallmengen in ländlichen Erholungsgebieten. Als bekanntes Ziel für Touristen sieht sich Parangtritis der Abfallproblematik hauptsächlich aufgrund dieser urbanen Abfallströme ausgesetzt. Außerdem betrachten wir es als problematisch, dass Unilever und die lokale Regierung Indikatoren festlegen, die definieren wie eine erfolgreiche Müllbank funktioniert. Dabei wird die Effizienz einer Müllbank nur anhand der verarbeiteten Müllmengen gemessen und andere Aspekte, wie zum Beispiel soziale Unterstützung oder abfallbezogene Bildungsprojekte, die Garduaction eingeführt hat und die für die Akteure von Garduaction wichtig sind, werden nicht betrachtet.
Kreativität und Handlungsmacht lokaler Gemeinschaften
Die Betreiber*innen von Garduaction beugen sich jedoch nicht ihrer schwachen finanziellen Lage. Stattdessen haben wir beobachtet, wie die Akteure kreative Projekte umsetzen, um ihre Handlungsmacht zu stärken. Beispielsweise stellen sie selbst gemachte Plastikinstallationen zum Verkauf und bieten Upcycling-Workshops an, um so Einkommen für Garduaction zu generieren. Des Weiteren entwickeln sie alternative und einzigartige Methoden, um Freiwillige für die tägliche Arbeit zu gewinnen. Im Gegensatz zu Lintas Winongo, die mit den finanziellen Fördermitteln von Unilever Entschädigungen für die Freiwilligen der Müllbank bezahlt, hat Garduaction keine finanziellen Ressourcen hierfür. Stattdessen geben sich die Organisator*innen größte Mühe, einen besonderen Ort zu schaffen, den Freiwillige gerne auf ihren sozialen Medien teilen. Sie sind der Meinung, dass Freiwillige lieber Zeit bei Garduaction verbringen und eher freiwillige Arbeit leisten, wenn sie Bilder ihrer freiwilligen Tätigkeiten auf ihren Instagram-Accounts teilen können. Zudem zieht dies wiederum neue Freiwillige an.
„Garduaction ist nicht nur eine Bank“ – Solidarität und soziale Dimensionen
Die zunehmende Bedeutung von Abfall als Ressource führt zu einem enormen informellen Sektor, der zwar vielen Menschen ein Einkommen ermöglicht, jedoch gleichzeitig niedrige und unsichere Arbeitsbedingungen bietet (Medina, Martin (2007): The World’s Scavengers: Salvaging for Sustainable Consumption and Production. Lanham: AltaMira Press sowie Shuker, Cadman 2018).
In Indonesien werden Müllsammler*innen oftmals des Diebstahls bezichtigt, weil sie – im Gegensatz zu tukang rongsok (Müllsammler*innen, die Abfall von Haushalten kaufen) – Abfall aufsammeln, ohne dafür zu bezahlen. Aus diesem Grund haben Müllsammler*innen eine niedrige soziale Stellung und werden sozial marginalisiert. So haben Lintas Winongo’s Organisatoren beispielsweise explizit erwähnt, dass sie Müllsammler*innen nicht vertrauen und sie als Kund*innen nicht akzeptieren.
Laut Bambang Suwerda strebt die Müllbank-Bewegung eine langfristige Verbesserung des sozialen Status von Müllsammler*innen an. Im Gegensatz zur Müllbank Lintas Winongo, wo soziale Bindungen nur innerhalb der Gemeinschaft gestärkt werden, bietet Garduaction auch soziale Unterstützung für und Solidarität mit Menschen an, die aufgrund unterschiedlicher, individueller sozioökonomischer Hintergründe aus der Gemeinschaft ausgegrenzt werden. Nachdem sie ihren Job verloren hatte, hat eine Abfallarbeiterin beispielsweise darüber nachgedacht als tukang rongsok zu arbeiten, aber besaß nicht das Startkapital, um Abfälle von Haushalten zu kaufen. Sie erklärte uns, dass Garduaction ihr ermöglichte, ihre Schulden abzuarbeiten, indem sie auf der Müllbank ohne Startkapital mit Abfall arbeiten konnte. Es wurden verschiedene weitere Lebensgeschichten mit uns geteilt, die darauf hinweisen, dass Garduaction Menschen anzieht und einbezieht, die aufgrund ihrer Arbeit als Müllsammler*innen, aufgrund ihrer Herkunft, Behinderungen oder Verletzungen oder aufgrund ihrer Arbeits- oder Obdachlosigkeit stigmatisiert werden. Wir schließen daraus, dass Garduaction als sozial-orientierter Zwischenhändler innerhalb der lokalen Recycling-Hierarchie fungiert.
Lokale und globale Machtasymmetrien
Bei Garduaction beobachteten wir außerdem Ungleichgewichte bezüglich der Nähe und Distanz, die die Akteure zu schmutzigem, ungetrennten und unverarbeiteten Müll im Alltag haben. Je mehr Akteure schmutzigen Abfall bearbeiten, desto mehr hängt ihr Lebensunterhalt von der Arbeit mit Abfall ab. So sind die Abfallpraktiken der Organisator*innen freiwillig und beziehen sich nur auf einer abstrakten Ebene auf Müll, das heißt sie sind schmutzigem Müll in ihrer Arbeit nicht direkt ausgesetzt. Für die Müllsammler*innen und Müllarbeiter*innen stellt Müll hingegen die primäre Einkommensquelle dar. Sie sind schmutzigem Abfall im Alltag unmittelbar ausgesetzt und verarbeiten ihn mit ihren bloßen Händen. Die Müllarbeiter*innen sagten, dass sie die soziale Unterstützung der Müllbank zwar schätzen, aber berichteten, dass sie sich dennoch als billige Arbeitskräfte wahrnehmen und gerne höhere Löhne erhalten würden. Zusätzlich empfinden wir es als problematisch, dass keine Arbeitsstandards implementiert werden, insbesondere in Hinblick auf Hygiene- und Gesundheitsaspekte.
In den Medien wird Südostasien derzeit oftmals als Hauptverursacher von Plastikproblematiken dargestellt. Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass Europa einer der Hauptexporteure von Abfällen ist und Deutschland sogar unter die Top 5 der Abfallexporteure (ISWA 2015) zählt. Seit Chinas Importsperre für Plastik 2018 verschieben sich globale Abfallströme zunehmend nach Südostasien. Wir möchten auf die Bewegung Break Free From Plastic aufmerksam machen, deren Abfall-Inspektion ergeben hat, dass Unternehmen mit Hauptsitz im globalen Norden die Hauptverursacher von Plastikverschmutzung in Südostasien sind.
Freiwillige Arbeit als ‚Ersatzdienst’ für Staat und/oder Industrie?
Laut Bambang Suwerda baut der Müllbank-Ansatz auf dem Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility, EPR) auf. Dieses setzt sich dafür ein, dass Produzenten wie Unilever Verantwortung für den durch ihre Produkte generierten Abfall übernehmen. Lintas Winongo’s Organisator*innen empfinden die Förderung von Unilever jedoch als unregelmäßig und nicht ausreichend. In Interviews haben wir erfahren, dass Unilever Indonesia’s CSR-Sprecherin Konsument*innen von Unilever-Produkten in der Verantwortung sieht. Zudem hat sie geäußert, dass sie Konsument*innen in Indonesien in der Lage sieht, Abfallprobleme tatsächlich zu bewältigen, da diese das javanische soziokulturelle Konzept der gegenseitigen Hilfe (gotong royong) nutzen können. Durch dieses Konzept wird legitimiert, dass Helfer*innen freiwillige Arbeit im Sinne von gegenseitiger Hilfe in Müllbanken errichten. Laut Bowens (1986) kritischem Ansatz zu gotong royong (Bowen, J. (1986): On the political construction of tradition: Gotong royong in Indonesia. The Journal of Asian Studies 54(3). Pp. 545–561.) hat der Staat dieses kulturelle Konzept während des Regimes der „Neuen Ordnung“ (Diktaturzeit unter Suharto 1966-1998) instrumentalisiert. Ähnliches beobachteten wir bei Unilever, der dieses javanische Konzept heutzutage nutzt, um die Verantwortung für die Abfallbewältigung an die Zivilgesellschaft abzugeben. Hird, M. (2017): Burial and resurrection in the Anthropocene. Infrastructures of waste. In: Harvey, P., Jensen, C., Atsuro, M. (eds) (2017): Infrastructure and Social Complexity. A companion. Pp. 242–252 nennt dies auch „individual responsibilization“, was laut Schlehe und Yulianto (2018) die Last von der Regierung nimmt.
Aus unserer Sicht entlastet dies auch Unternehmen. Diese Spannungen können darüberhinaus in den Diskurs zu „Anthroprozän“ (Davies, J. (2016): The Birth of the Anthropocene, Oakland: University of California Press) und „Kapitalozän“ (Moore 2017, Moore, J. (2017): The Capitalocene, Part I: on the nature and origin of our ecological crisis. The Journal of Peasant Studies 44(3). Pp. 594-630.) eingebettet werden, welcher die Frage aufwirft, ob ‚die Menschheit’ im Allgemeinen oder bestimmte Machtstrukturen des kapitalistischen Systems für Umweltverschmutzung verantwortlich sind.
Trotz der Popularität des Müllbank-Konzeptes seit 2017 nimmt die Anzahl der aktiven Müllbanken mittlerweile wieder ab. Laut Bambang Suwerda sind lokale Gemeinschaften und Freiwillige aufgrund fehlender Unterstützung erschöpft. Aus diesem Grund sind Einsatz, Zusammenarbeit und Unterstützung von unterschiedlichen Akteursgruppen, einschließlich lokaler Regierungen und multinationaler Konzerne, zusätzlich zum Engagement lokaler Gemeinschaften für den Fortbestand von Müllbanken notwendig.
Übersetzung aus dem Englischen von: Tiara Fausel
Lena Keller-Bischoff studiert Sozial- und Kulturanthropologie (MA) an der Albert Ludwig Universität Freiburg. Im Rahmen eines Internationalen Lehrforschungsprojektes führte sie 2018 mit ihrer Tandem-Partnerin Nuzuli Ziadatun Ni’mah eine sechswöchige Feldforschung durch. Sie ist ein Gründungsmitglied des internationalen und interdisziplinären Kollektivs INDO MELT und arbeitet derzeit an einem waste hub-Modell für die indonesischen Inseln.
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