
Das Thalu Fah Camp fordert die Freilassung ihrer Freund:innen aus dem Gefängnis, die Neuschreibung der Verfassung sowie die Abschaffung des Paragraphen 112.
© Thalu Fah
Thailand: Aktivist:innen hinterfragen die Rolle von Männlichkeit und Führungsvorbildern in politischen Organisationen.
„Lasst es mit unserer Generation enden“, war einer der Slogans der Proteste 2020-2021 in Thailand. Aber was genau ist „es“? Kann „es“ wirklich in einer Generation beendet werden?
Seit 2021 haben die Proteste nachgelassen. Nach einer Eskalation des thailändisch-kambodschanischen Grenzkonflikts 2025 wächst in Thailand erneut die Unterstützung für eine Militärherrschaft. Manche fordern sogar die Rückkehr des ehemaligen Militärmachthabers Prayut Chan-o-cha an die Macht.
Was ist mit den jungen Menschen passiert, die vor einem halben Jahrzehnt auf die Straße gegangen sind? Wie hat sich die Bewegung verändert und wie geht es weiter? Um diese Fragen aus einer Genderperspektive zu verstehen, haben wir Stimmen aus der Bewegung gesammelt.
Ein Weckruf
Thailands jüngste prodemokratische Bewegung war einzigartig. Noch nie wurde so offen über die Monarchie diskutiert. Zugleich legt die Jugend auf den Straßen immer mehr Wert auf die Intersektionalität ihres Aktivismus. Forderungen nach Gleichstellung führten schließlich zur kürzlichen Verabschiedung des Gesetzes der Ehe für Alle.
Doch nicht alle Forderungen waren von diesen Idealen geprägt. Lertsak Kumkonesak („Lert“), Gründer des Project for Public Policy on Mineral Resources, beschreibt einen deutlichen Unterschied zwischen den jüngsten Protesten und der Bewegung von 1973-76 in Thailand. Er erinnert sich: „Sexuelle Belästigung oder Missbrauch wurde damals privat gehalten und vertuscht. Das Ziel war Demokratie. Die vorherrschende Meinung war, dass diese ‚kleinen Dinge‘, die ‚kleinen Fehler der Männer‘, nicht angesprochen werden sollten.“

Duangtip Kranri von Feminist Pladaek (Ko-Autorin dieses Artikels) demonstriert in Khon Kaen in Nordostthailand für die Freilassung politischer Gefangener. © Feminist Pladaek
2021, als einige bekannte Aktivisten öffentlich der sexuellen Belästigung beschuldigt wurden, war dies ein Weckruf. Die Bewegung konnte den Kampf für Demokratie nicht mehr über die Prinzipien der Gleichberechtigung stellen.
Politische Bewegungen und maskuline Räume
Lert, der sich seit fast 30 Jahren für den Schutz natürlicher Ressourcen im Isaan im Nordosten Thailands einsetzt, hat erlebt, wie Gender die Bewegung beeinflusst. Er beobachtete, wie Frauen an Versammlungen teilnahmen, aber oft danach gingen, um sich um Hausarbeit oder Familie zu kümmern. Die Männer blieben zurück, um zu trinken. In diesen maskulinen Räumen wurden neue Beschlüsse getroffen, die den Männern mehr Macht über die endgültigen Entscheidungen gaben.
„Unsere Organisation lehnt dies ab. Wir haben eine Regel: Wer trinken will, trinkt aus Spaß. Entscheidungen werden aber in den Versammlungen getroffen“, erklärt Lert. Dieses Thema war ein Ausgangspunkt für die Analyse weiterer Genderfragen. Doch Lert selbst sieht sich nicht als Teil der „thailändischen Feministinnen“, die er aus früheren Zeiten als „aggressiv“ in Erinnerung hat. Das bedeutet nicht, dass Lert konfrontative Strategien ablehnt. Im Gegenteil, er betont den historisch „heißen“ Aktivismus als Stärke: „Die Bewegung im Isaan war besonders stark. Die Menschen gingen auf die Straßen… Es gab eine klare Bewegung gegen die Regierung und die Kapitalisten.“
Dao Din ist eine bekannte Aktivistengruppe im Isaan, die für Konfrontation bekannt ist. Einer ihrer Gründer, Pop*, beschreibt seine Frustration angesichts des derzeitigen Stillstands der Bewegung: „Die Mechanismen machen Veränderungen schwierig. Es braucht also etwas außerhalb des Parlaments, wie Proteste – aber es passiert nichts. Es gibt den Willen, aber… es fehlt an Leuten.“ Ähnlich wie Lert steht auch Pop dem Feminismus kritisch gegenüber. Er hat zum Beispiel Probleme mit der Idee einer Frauenquote. „Ich finde, Gleichheit ist genug“, sagt er. „Keiner von uns braucht mehr Rechte als jemand anderes.“
Maskulinität: Stärke oder Hindernis?
Yajai von Thalu Fah, einer aus der Demokratiebewegung entstandenen Aktivist:innengruppe, sieht dagegen, wie geschlechtsspezifische Erwartungen sowohl seine Entwicklung als meinungsstarker Anführer als auch die Dynamik der Bewegung beeinflusst haben. Obwohl er als Student wenig Selbstbewusstsein beim Sprechen vor hunderten Leuten hatte, stellten ihn seine Kommiliton:innen häufig ins Rampenlicht – und so gewann er an Selbstvertrauen. In der Regel sind es die Männer bei Thalu Fah, die zum Mikrofon greifen. „Männer riskieren weniger. Wenn wir zum Beispiel verhaftet werden, kommen wir ins Männergefängnis… Für Frauen ist das anders, sie sind angreifbarer. Deshalb haben wir das Gefühl, dass wir diejenigen sein müssen, die sprechen und führen“, erklärt er.

Duangtip Kranrit, fordert das Recht zur Eheschließung für alle Geschlechter. © Feminist Pladaek
Starke männliche Anführer stärken die Bewegung in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, sagt Yajai. Gleichzeitig „haben manche Frauen dann das Gefühl, sie könnten nicht mitwirken. Es verwehrt ihnen den Einstieg in die Bewegung.“ „Im Kern der Männlichkeit“, erklärt er weiter, „liegt die Haltung: ich habe recht… die Weigerung, eigene Schwächen einzugestehen.“
Keine Konsequenzen bei Grenzüberschreitungen
Jintana Srinudet („Kung“) arbeitet seit 18 Jahren für die Foundation for Consumers. Sie kennt die Auswirkungen maskuliner Räume in der Graswurzelarbeit – vom Land, wo Frauen auf Kochen und Putzen reduziert werden, bis hin zu Büros, in denen Männer in Anwesenheit ihrer weiblichen Kolleginnen offen Pornos am Handy schauen. Nur wenige Frauen würden den Mut aufbringen, selbst eine Führungsrolle zu übernehmen, nachdem sie mit bestimmten Männern zusammengearbeitet hätten, berichtet sie. „Wenn die Männer glauben, sie wissen es besser, respektieren sie die Entscheidungen der Gruppe nicht. Sie tun sich zusammen und machen einen neuen Plan… Sie verweisen auf ihre umfangreiche Erfahrung und sagen den Frauen, sie hätten keine Ahnung.“
Das übergroße Selbstvertrauen der Männer spiegelt sich auch in Kungs Erfahrung mit anzüglichen Kollegen wider. Zu Beginn ihrer Tätigkeit zeigte sie einem älteren NGO-Kollegen eine Chatnachricht als Beweis und wurde nicht ernst genommen: „Nein, das ist nicht so einer. Ich glaube nicht, dass er das machen würde“, sagte er, „obwohl die Nachricht direkt vor seinen Augen war!“ Seitdem weist Kung alle sofort zurecht, die Grenzen überschreiten. „Ich musste mich einfach selbst schützen“, sagt sie. Nach vielen Jahren weiß sie, wen sie meiden muss.
„Weil der Bewegung klare Prinzipien fehlen, wie mit Übergriffen umzugehen ist, passiert am Ende – wenn es einen Vorfall gibt – nichts, es gibt keine Konsequenzen. Einige kehren der Bewegung ganz den Rücken. Das führt zu weniger Ressourcen, weniger Wirkungskraft“, sagt Yajai.
Langsamer Wandel
Erst in den letzten vier bis fünf Jahren sieht Kung einen Wandel der Bewegung: „Die Leute wurden aufmerksamer… weil sich diese Themen mit der Frage der Geschlechtervielfalt überschnitten und ein Teil davon wurden.“ Phakwilai Sahunalu („Kai“), prominenter Aktivist aus Surin und Berater des Isaan Gender Diversity Network, reflektiert nach fast vier Jahrzehnten Bewegungserfahrung: „Ich sehe, wie Frauen eine größere Rolle spielen und mehr Anerkennung bekommen. Aber das Patriarchat ist nicht verschwunden.“

Khon Kaen, Aktivist Phoen von der Modindaeng Revolutionary Party an der Universität Khon Kaen. © Modindaeng Revolutionary Party
Phoen*, der seine Aktivistenlaufbahn erst kürzlich in der Schule begann und dann der Modindaeng Revolutionary Party an der Universität beitrat, kritisiert den Fortbestand patriarchaler Strukturen, die selbst in solchen Jugendorganisationen vorherrschen. Er sagt, dass diese den Raum für Innovationen blockierten und ein Klima der Ent- statt Ermutigung schufen. „Als ich mich mit feminineren Ideen auseinandersetzte, fühlte ich mich nicht akzeptiert. Besonders bei Männern, die sich sehr maskulin gaben, fühlte ich mich nicht sicher“, erklärt Phoen. Sexistische Witze verstärkten dieses Gefühl. Phoen glaubt, die patriarchale Kultur sei einer der Gründe für die Auflösung der studentischen Gruppe an der Universität.
Eine Armee oder eine Bewegung?
Einige jüngere Aktivist:innen sind bemüht, innovative und inklusive Räume zu schaffen – um neue Wege zu finden, die nächste Generation für die Bewegung zu gewinnen.
Jirajade Wisetdonwail („Maprang“), Mitgründerin von Feminist Pladaek, ist eine davon. Sie hinterfragt, wie thailändische Graswurzelbewegungen oftmals die Machtstrukturen reproduzieren, die sie zu überwinden versuchen. Ihr traditionelles „Armee-Modell“ sei nicht nachhaltig und spiegele die unterdrückenden Strukturen wider, vor denen viele fliehen wollen. „Diese Aufopferungspolitik ist spirituelle Gewalt. Gründen wir hier eine Armee oder eine Bewegung?“, fragt Maprang. „Unter männlicher Führung wird erwartet, dass man alles für die Bewegung gibt – bereit ist, ins Gefängnis zu gehen oder auf der Straße zu sterben. Nur wenige können sich das leisten.“

Yajai fordert zusammen mit Pai Dao Din, der kürzlich wegen neuer Majestätsbeleidigungsvorwürfe inhaftiert wurde, den Rücktritt von Prayut Chan-o-cha. © Thalu Fah
Die Entscheidung zwischen dem eigenen Wohl und dem kollektiven Wandel schafft geschlossene Räume für Privilegierte. Um dem entgegenzuwirken, ließ sich Maprang von den Feministinnen wie Bell Hooks und Starhawk inspirieren und schuf Räume für lebensbejahenden Widerstand – das Herzstück revolutionärer Liebe. Ähnlich nimmt sich das Feminist Friend Meeting and Zine Collective in Khon Kaen die Pionierarbeit früher lesbischer Aktivistinnen, vor allem aber deren Zine-Kultur, zum Vorbild. Gründerin Zoom sieht einen großen Nachteil der Männlichkeit: „Sie lässt uns andere Aspekte unserer Menschlichkeit vernachlässigen.“ Feminist Friend Meeting and Zine Collective arbeitet basisdemokratisch und bedürfnisorientiert und setzt auf radikales Vertrauen sowie kollektive Entscheidungen.
Alte Muster
Trotz der Bemühungen um eine Dezentralisierung politischer Macht zugunsten benachteiligter, marginalisierter Gruppen, droht der thailändisch-kambodschanische Grenzkonflikt das Land in alte Muster zurückzuwerfen: „Am Ende entscheiden wieder nur Männer unter sich“, sagt Kai.
Der Funke, der das Pulverfass entzündete? Eine Frau. „Die Leute kritisierten die Premierministerin, die versuchte, das Problem im Dialog, durch vernünftigen Austausch zu lösen. Sie griffen sie an, weil sie keinen konfrontativen Führungsstil zeigte“, berichtet Irene*, Mitglied von Feminist Pladaek. Ähnlich wie Yingluck Shinawatra ein Jahrzehnt zuvor erschien auch Paetongtarn Shinawatra („Ung Ing“) vielen zu versöhnlich, sanft, ja sogar verräterisch, in einer Bevölkerung, die ‚maskuline Herrschaft‘ nach wie vor schätzt.
Für manche junge Menschen, die nur unter Militärherrschaft aufgewachsen sind, wirken Rufe nach einer Rückkehr zu nationalistisch-autoritären Führungskräften, unter denen sie sozialisiert wurden, ganz natürlich. Doch unter Aktivist:innen bildet sich ein Konsens: Gute Führung heißt zuhören, Raum geben statt Raum einnehmen.
Die Zukunft

Maprang hilft bei der Eröffnung des zweiten Jahres der Gemeinschaftsinitiative „Weaving School for Restoration“ in einer vom Goldbergbau beeinträchtigten Gegend im Isaan. © Radical Grandma Collective
Was also hofften die Protestierenden in ihrer Generation zu beenden? War „es“ der Kreislauf der Militärputsche unter den Überbleibseln des Feudalsystems? Oder meint „es“ auch das Patriarchat? Wird „es“ trotz des Aufschreis der Jugend an die nächste Generation weitergegeben – an viele, die heute gezwungen sind, Botschaften aus dem Gefängnis an die Öffentlichkeit zu schmuggeln?
Feministische und LGBTQIA+-Gruppen hoffen weiterhin, „es“ zu beenden. Doch hat ihr Aufkommen tatsächlich genug Raum geschaffen, damit ausreichend Menschen ihren Platz in der Bewegung finden? Falls nicht, sind die Protestierenden vielleicht dazu verdammt, dass die Bewegung mit ihrer Generation endet – noch bevor die Demokratie das Parlament erreicht – geschweige denn die breite Bevölkerung.
*Einige Interviewpartner:innen haben darum gebeten, im Rahmen dieser Veröffentlichung lediglich mit ihrem Spitznamen und nicht mit ihrem vollständigen Namen genannt zu werden.
Übersetzung aus dem Englischen von: Sophie Marijam Grobe