Liebe Lesende,
das moderne Leben in Europa und anderen westlichen Staaten wäre undenkbar ohne die kolonialen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse vergangener Jahrhunderte. Sie waren – und sind – eine wichtige Voraussetzung von Kapitalismus, Globalisierung und unserem heutigen Wohlstand. Aus dieser Entwicklung resultieren jedoch geopolitische Konflikte und der Klimawandel als Folgen der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, ebenso wie Rassismus und soziale Ungleichheit.
Die Staaten des Globalen Südens fordern zunehmend Entscheidungen auf Augenhöhe, was sich in neuen Staatenbündnissen und Machtverschiebungen auf globaler Ebene zeigt. Zudem erwarten sie eine Wiedergutmachung für Menschenrechtsverbrechen und gesellschaftliche Traumata, die die früheren Besatzer*innen zum großen Teil bis heute nicht anerkannt haben. Um das bis heute anhaltende Ungleichgewicht zwischen ehemaligen Kolonialmächten und den von ihnen unterdrückten Regionen zu überwinden, muss jedoch in westlich geprägten Ländern das Verständnis dafür wachsen, wie sich der europäische Kolonialismus bis heute auf die betroffenen Länder und ihre Einwohner*innen auswirkt.
In dieser Ausgabe der südostasien wollen wir vor allem Prozesse aufzeigen, die dazu beitragen, koloniale Kontinuitäten aufzubrechen. Natürlich können wir keine endgültigen Lösungen für eine Vielzahl an komplexen Problemen präsentieren. Vielmehr ist dies ein Versuch, durch gedankliche und lebenspraktische Beispiele mehr Verständnis dafür zu schaffen, wie das Handeln europäischer Kolonialmächte die Lebensrealität von Menschen in Südostasien bis heute beeinflusst – und warum wir lernen sollten, die Perspektiven der Betroffenen als gleichberechtigt anzuerkennen.
Die Redaktion dieser Ausgabe stellt sich und ihre Motivation vor:
Lydia Bucher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Neueste Geschichte/ Zeitgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie promoviert in Kolonial-, Wissenschafts- und Globalgeschichte. Bei ihrer Arbeit begegnet sie regelmäßig Überbleibseln aus Kolonialzeit und wissenschaftlichem Rassismus, sei es im kollektiven Wissen, auf Social Media oder in Museumsdepots. Diese Kontinuitäten aufzubrechen, ist ihr ein wichtiges Anliegen.
Charlotte Mei Yee Chin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück und Gründerin von Coaching Intercultural Southeast Asia. Sie interessiert sich besonders dafür, wie postkoloniale Strukturen die sozialen und politischen Verhältnisse in Südostasien beeinflussen. Dabei untersucht sie vor allem die kolonialen Kontinuitäten in Hinsicht auf Genderfragen und Extremismus in der Region.
Nelden Djakababa Gericke ist Psychologin, Schriftstellerin, Kunsthandwerkerin und berichtet für die indonesische Zeitschrift Tempo aus Deutschland. Langjährige Erfahrung mit individueller und kollektiver Traumabewältigung hat ihr gezeigt, dass Erzählen, Schreiben und ‘Basteln’ von Geschichten helfen, eine schwierige Vergangenheit zu verarbeiten. Dazu gehören auch die Folgen postkolonialer Machtstrukturen, wie die Ereignisse von 1965 in Indonesien.
Laura Faludi arbeitet und forscht seit mehr als einem Jahrzehnt in Südostasien zu Menschenrechten und Konfliktlösung, aktuell zu Myanmar. Durch ihre Mitarbeit an zahlreichen Projekten der internationalen Zusammenarbeit in der Region sieht sie sich ständig mit der Frage konfrontiert, inwiefern sie selbst an kolonialen Kontinuitäten beteiligt ist. Sie strebt daher danach, alte Sichtweisen umzuwerten und ungleiche Machtstrukturen abzubauen.
Monika Schlicher hat sich schon im Studium der Geschichte und Politischen Wissenschaften Südostasiens mit den Auswirkungen des Kolonialimperialismus beschäftigt. Das prägte ihren beruflichen Weg: Seit den 1990er-Jahre ist sie entwicklungs- und menschenrechtspolitisch aktiv, insbesondere zu Timor-Leste und Indonesien. Die Auseinandersetzung mit globalen Machtstrukturen und kolonialen Kontinuitäten bestimmt ihre Arbeit in der Stiftung Asienhaus, die sie leitet.
Christina Schott ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des Korrespondentennetzes Weltreporter. Davor hat sie 20 Jahre als Südostasienkorrespondentin und interkulturelle Projektmanagerin gearbeitet. Dabei musste sie lernen, wie tief koloniale Perspektiven in Journalismus und Kulturarbeit verankert sind. Mit ihrer Arbeit möchte sie Lücken in der Auslandsberichterstattung füllen und die Perspektiven des Globalen Südens im Blick behalten.
Für Marina Wetzlmaier ist die Beschäftigung mit den Philippinen ein persönliches wie berufliches Anliegen. Als Tochter einer philippinischen Mutter versteht die Journalistin ihre Auseinandersetzung mit Geschichte, Politik und Gesellschaft des Landes als Teil ihrer eigenen Identitätssuche. Die Auswirkungen ungleicher Machtstrukturen, die auch aus der Kolonialzeit resultieren, hat sie in ihrer Zusammenarbeit mit der lokalen Zivilgesellschaft kennengelernt.
Wir wünschen Euch/Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre mit dieser südostasien, die in den kommenden vier Monaten um viele weitere Artikel wachsen wird. Schon jetzt weisen wir auf die danach folgende Ausgabe 1|2025 hin, in der wir auf 40 Jahre südostasien schauen werden. Hier geht es zum Call for Papers.
Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung bei
Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des