Kambodscha: Curran Hendry unterstützt mit der NGO Angka Changrit die Verbreitung der Grillenzucht im Land. Im Interview erklärt er, wie Grillen-Produkte die Ernährungssicherheit der Bevölkerung stärken und Einkommensmöglichkeiten für ländliche Familien schaffen können.
In Kambodscha hat das Essen von Insekten eine lange Tradition. Wie beliebt sind sie heute?
Das Essen von Insekten ist in Kambodscha über alle sozialen und Einkommens-Grenzen hinweg sehr beliebt. Es ist interessant und erfreulich, dass mit der Entomophagie (dem Verzehr von Insekten) kein gesellschaftliches Stigma verbunden ist.
Wer kann sie sich leisten?
Jeder kann sich gebratene Insekten leisten. In die Schlangen vor den Verkaufsständen reihen sich ebenso teure Range Rover wie Moped-Taxifahrer, die sich für den Abend diese leckeren Snacks holen.
In welcher Form werden sie gegessen und zu welchem Anlass?
In Kambodscha kann man beobachten, wie nachmittags mobile Verkaufsstände an Straßenecken und auf Märkten aufgestellt werden, um gebratene Insekten zu verkaufen. Angeboten werden Grillen, Heuschrecken, Käfer, Seidenraupen, Vogelspinnen, Wasserwanzen und viele andere.
Sie werden in kleinen Portionen angeboten, die in Dosen – etwa in Größe von Kondensmilch-Dosen – abgemessen werden. Kleine Grillen mit süßem Chili-Limetten-Geschmack sind für umgerechnet 0,45 bis 0,60 Euro pro Dose zu haben. Eine Dose Riesengrillen kostet etwa 1,40 Euro.
Auch in den Food Courts der beiden großen internationalen Einkaufszentren in Phnom Penh werden Grillen und Seidenraupen verkauft. In einigen der teuersten Nachtclubs der Stadt gelten Riesengrillen als Delikatesse und werden dort für umgerechnet bis zu 14 Euro angeboten.
Kurz, man knabbert hier Insekten, wie man in westlichen Ländern Kartoffelchips, Pommes Frites oder Salzgebäck als einen abendlichen Snack genießt.
2013 erklärte die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen, essbare Insekten könnten dazu beitragen, den Nahrungsbedarf für eine wachsenden Weltbevölkerung zu sichern. Kann Protein auf Insektenbasis die Ernährung der ländlichen kambodschanischen Bevölkerung nachhaltig verbessern und Unterernährung reduzieren?
Essbare Insekten sind unglaublich nährstoffreich und gesund. Man kann sie sich als die perfekten Protein-Vitamin-Nuggets der Natur vorstellen. Aus entwicklungspolitischer Sicht bieten sie sowohl als direkte Nahrungsergänzung sowie als Einkommensmöglichkeit Vorteile. Außerdem ist die Insektenzucht sehr nachhaltig und umweltfreundlich.
Die Grillenzucht eignet sich für die Bekämpfung von Armut und Unterernährung deshalb besonders, weil die Züchter*innen die Grillen nicht selbst essen müssen, sondern sie verkaufen und sich von dem Erlös andere lebensnotwendige Dinge kaufen können. Es ist nur eine Frage von Zeit und Ressourcen, ländlich lebende, arme Familie zu erreichen und ihnen die Aufzucht von Grillen zu vermitteln.
Inwieweit sind sich Kambodschaner*innen des besonderen Nährwerts von Grillen und anderen Insekten bewusst bzw. wie könnte man Bewusstsein dafür schaffen?
In Kambodscha essen die Menschen Insekten, weil sie den Geschmack und die Konsistenz lieben. Die ernährungsphysiologischen Vorteile spielen dabei keine Rolle. Um sie darüber aufzuklären, kann man den Weg über die sozialen Medien gehen, um über die gesundheitlichen Vorzüge vom Verzehr von Insekten zu informieren.
Wie viele Familienbetriebe gibt es in Kambodscha, die von der Grillenzucht und dem Insektenfang leben und wie groß ist die Produktion? Verkaufen sie die Insekten auf dem Inlandsmarkt oder gibt es auch Export?
Grillenzucht ist recht weit gefasster Begriff. Manche Familien stellen ein paar 1×2 Meter große Pferche neben ihren Häusern auf, andere haben zehn 2×5 Meter große Gehege. Beides kann man als Grillenfarm bezeichnen. Einige Familien verdienen den Großteil ihres Einkommens mit Grillenzucht, für andere ist es eine relativ leicht umzusetzende, zusätzliche Einkommensquelle.
Außerdem gibt es landesweit Tausende von Menschen, die Wildinsekten fangen; dafür werden Netze in offene Felder gestellt und nachts mit Licht angestrahlt. Letztlich gibt es also Zehntausende von Kambodschaner*innen, die Insekten züchten oder fangen. Aus westlicher Perspektive sind selbst die kommerziellen Farmen recht klein. Ein größerer Betrieb liefert rund 1000 Kilo Grillen monatlich, aber die Mehrheit produziert eher um die 200 Kilo pro Monat.
Die lokal gezüchteten Grillen werden alle im Land verzehrt, während die vielen Wildinsekten wie Riesengrillen, Taranteln usw. auch an das benachbarte Thailand und Vietnam verkauft werden.
Wie züchtet man Grillen und wie werden sie verarbeitet?
Die Grillenzucht ist ausgesprochen einfach. Die Grillen leben ihren gesamten natürlichen Lebenszyklus in eigens dafür errichteten Pferchen. Nachdem die Weibchen Eier gelegt haben, werden sie eingesammelt und in spezielle Schalen gelegt. Nach sieben bis zehn Tagen schlüpfen die jungen Grillen. In der Wachstumsphase kann man sie mit so ziemlich allem füttern. Sechs bis acht Wochen später beginnt der Zyklus wieder von vorn.
Die Verarbeitung kann auf verschiedene Weise durchgeführt werden. In kommerziellen Anlagen stellt man die Grillen in einem Gefrierschrank, wo sie sofort in eine Art Schlaf fallen; dann werden sie gefroren. In den ländlichen Gebieten werden sie in warmem Salzwasser eingeschläfert.
Welche Herausforderungen gibt es für die Familienbetriebe, um die Aufzucht als Unternehmen zu etablieren?
Die größte Herausforderung ist das nötige Wissen, wie man mit der Aufzucht überhaupt beginnt, welche Futtermittel verwendet und welche hygienischen Ansprüche erfüllt werden sollten. Zudem haben Grillen bei Raumtemperatur nur eine relativ kurze Haltbarkeit. Das kann beim Verkauf Schwierigkeiten bereiten. Die Insekten werden über Zwischenhändler verkauft, die zunächst einen bestimmten Preis, beispielsweise 9000 Riel pro Kilo (etwa 2 Euro), versprechen.
Wenn sie zum vereinbarten Erntetermin erscheinen, behaupten sie, dass der Preis umständehalber gesunken sei und nun – zum Beispiel – nur noch bei nur 6000 Riel pro Kilo (rund 1,35 Euro) liegt. Das ist ein verbreitetes Problem für Kleinbäuer*innen in unterschiedlichen landwirtschaftlichen Bereichen.
Du arbeitest für die Organisation Angka Changrit in Phnom Penh. Welche Ziele verfolgt ihr und welche Aktivitäten setzt Ihr um?
Unsere Nichtregierungsorganisation will in erster Linie ländliche und benachteiligte Insektenfarmer*innen und die, die es werden wollen, erreichen. Wir vermitteln ihnen Wissen und das nötige Werkzeug, damit sie Insekten von hoher Qualität und Gesundheitsstandard züchten können, um so ihren Lebensunterhalt zu verbessern.
Zurzeit arbeiten wir mit über 300 Grillenzüchter*innen. Wir bieten Schulungen zu ‚best practices’ der Branche, etwa was die Errichtung von Pferchen, die Hygienemaßnahmen, das Futter und die Verarbeitungsweise angeht. Wir kaufen die Grillen dieser Züchter*innen zu über dem Marktpreis liegenden Preisen und verarbeiten sie zu verschiedenen Produkten wie Grillenmehl oder geröstete und aromatisierte Grillen-Snacks, die wir über unser Sozialunternehmen vertreiben.
Wir konzentrieren uns weniger auf Kampagnen über den Nährwert von Insekten, da die Menschen sie bereits täglich essen. Aber wir gehen oft auf lokale Food Festivals und bieten dort essbare Insekten an.
Außerdem bauen wir gerade einen Verband kambodschanischer Insektenzüchter*innen auf. Ziel ist es, sich mit Fragen der Grillen-Aufzucht und best practice zu befassen, Wissen zu vermitteln und die Unsicherheit im Hinblick auf die Verkaufspreise anzugehen. Wenn es ein landesweites Unterstützungsnetzwerk gibt, können Kleinbäuer*innen einen besseren und faireren Zugang zu den Märkten bekommen.
Wie steht die kambodschanische Regierung zur Grillenzucht als Einkommensmöglichkeit für Kleinbäuer*innen? Gibt es festgelegte Qualitätsstandards und Maßnahmen, um die kommerzielle Grillenzucht zu etablieren und auszubauen?
Die Regierung unterstützt grundsätzlich Initiativen kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Noch gibt es keine Maßnahmen zur Förderung der Grillenzucht, wie sie etwa kürzlich in Thailand erlassen wurden, aber wir setzen uns weiter dafür ein. Was Qualitätsstandards angeht, überlässt man das am besten den einzelnen Züchter*innen. Wer sich in Zukunft für Export-Standards qualifizieren will, kann seinen Betrieb entsprechend aufrüsten.
Wie sieht es mit den ökologischen Folgen der Grillenzucht aus, insbesondere im Vergleich zur konventionellen Viehzucht?
Grillen benötigen im Vergleich zur traditionellen Tierhaltung fast kein Land, Wasser oder Futter. Sie produzieren auch rund 80 Mal weniger Methan als Rinder. Grillenzucht ist also von Natur aus umweltfreundlich und nachhaltig. Je mehr Menschen im Westen dazu übergehen würden, Insekten in ihre Ernährung aufzunehmen, desto besser wäre die Welt.
Im Vergleich zu Hühnern, die unter unmenschlichen Bedingungen in Legebatterien gehalten werden, weisen Grillen ein ähnliches Verhältnis der Energieumwandlung auf. Aus einem begrenzten Blickwinkel könnte man also sagen, wenn weltweit nur kommerziell gezüchtete Batteriehühner gegessen würden, würde das die gleiche Menge an Nahrung (Energie) erfordern wie für Grillen. Das berücksichtigt natürlich nicht die ökologischen und moralischen Aspekte des ökologischen Landbaus. Das Verhältnis der Effizienz der Futtermittel für Grillen ist nur einer der vielen Vorteile. Und da das ganze Tier essbar ist, entsteht kein Abfall.
Welche Chancen und Risiken siehst Du für kambodschanische Kleinbäuer*innen, wenn der globale Insektenverzehr zunimmt und sich die kommerzielle Vermarktung essbarer Insekten zu einem lukrativeren Geschäft entwickelt?
Für kambodschanische Grillenzüchter*innen würden sich viel mehr Möglichkeiten ergeben. Es ist wie mit dem Kaffee. Nicht jeder Kaffee ist gleich. Jedes Anbaugebiet hat Vorzüge und eigene Geschmacksnoten. Sollte sich ein multinationales Unternehmen entschließen, weltweit führend in der Herstellung von Grillen-Snacks zu werden, gäbe es unterschiedliche Produkte, die wie die köstlichen Kaffeesorten kleiner Anbieter aus Äthiopien, Kenia, Kolumbien, Brasilien, oder Sumatra (Indonesien) von Liebhabern nachgefragt würden. In Kambodscha besteht ja bereits eine Nachfrage nach Grillenprodukten, so dass eine Verschiebung zu verstärkter globaler Nachfrage den lokalen Anbietern zugute käme.