Indonesien: Frauen in der indonesischen Punksubkultur erleben auch innerhalb ihrer eigenen community häufig Diskriminierung und Übergriffe von Männern. Viele von ihnen schließen sich zu Gruppen, Gemeinschaften und Kollektiven zusammen, um Kritik daran zu üben.
„Im Punk konnten Frauen mit Identitäten jenseits konventioneller Weiblichkeitsentwürfe herumexperimentieren und aus der für sie vorgesehenen traditionellen Frauenrolle ausbrechen“ , stellt Katja Peglow (2017) in Bezug auf die frühen Jahre der Punksubkultur in England fest. Dies galt auch im Indonesien der 1990er Jahre, in dem sich Punk als ‚Kulturimport‘ gerade erst als subkulturelles Phänomen ausbreitete. Indonesien ist – basierend auf Religion und Tradition – gesellschaftlich stark geprägt durch Normen und Werte, welche mit den Verhaltensweisen der Punksubkultur nicht konform und von dieser negativ konnotiert werden.
In vielen urbanen Zentren des Landes, besonders auf der Insel Java, entwickelte sich daher, eine Subkultur, welche auch für (junge) Frauen interessant war. Im Punk sahen einige Mädchen und Frauen unter anderem die Möglichkeit, gegen geltende Geschlechterrollen und -normen aufzubegehren: „Vielleicht schon von klein auf wurde mir die Doktrin auferlegt: du bist eine Frau, du musst so und so sein. Musst kochen können, waschen können, so sein, wie du sein sollst, na ja, sehr patriarchalisch. Also dachte ich mir, warum das so sein muss. […] Ich hatte viele Fragen und habe sie mir schließlich selbst beantwortet. […] Im Punk fühlte ich mich akzeptiert, fühle ich mich wie ich selbst.“ (Interview 08.10.2017) [1]
Patriarchale Muster in der Punksubkultur
Die Emanzipation von normativ vorgesehenen Rollenbildern und Verhaltenserwartungen, durch die aktive Partizipation innerhalb der Punksubkultur, war die Hoffnung vieler junger Frauen. Diese stellte sich jedoch schnell und zu ihrem Erstaunen als Trugschluss heraus. Elemente traditioneller Rollenzuschreibungen sowie Diskriminierungen auf Grund ihres Geschlechts, bis hin zu sexuellen Übergriffen, setzten sich in der Punksubkultur fort. So beschreibt eine Akteurin, welche seit den 1990er Jahren aktiv ist, ihre Erfahrungen damit: „Es ist dasselbe wie mit alltäglichem Sexismus. Wie catcalling (Hinterherrufen), victim blaming (Täter-Opfer-Umkehr) wenn Frauen belästigt werden, und tja, das ist sehr ähnlich mit anderem Sexismus.“ (Interview 11.10.2017) Nicht nur sexuelle Übergriffe oder victim blaming wurden von vielen Frauen in der indonesischen Punksubkultur erlebt. Auch alltägliche Diskriminierungen oder Benachteiligungen auf Grund ihres Geschlechts wurden und werden wahrgenommen.
Um diesen Widerspruch auf die politische Agenda zu bringen, haben sich einige Frauen aus der indonesischen Punksubkultur dagegen positioniert. Sie sind mit ihrer eigenen Form der Kulturarbeit, politischem Widerstand oder Öffentlichkeitsarbeit aktiv. Grundsätzlich muss erwähnt werden, dass der weibliche Anteil innerhalb der indonesischen Punksubkultur ohnehin schon marginal ist. Sexismus und soziale Ungleichheiten auf Grund von Geschlecht mögen viele der weiblichen Akteure wahrnehmen oder bereits selbst erfahren haben. Tatsächlich ist es jedoch nur eine kleine Minderheit an Frauen, welche das Thema zum Gegenstand politischer Arbeit erhebt.
Umso deutlicher wird die Besonderheit des feministischen Aktivismus innerhalb der Punksubkultur. Feminismus ist in Indonesien kein neues Phänomen und es existiert auch eine historisch gewachsene, feministische Bewegung. Durch das recht junge, subkulturelle Phänomen des Punks in Indonesien sind jedoch die politischen Aktivitäten einiger Akteurinnen ebenso neu und durch eigene, distinktive Merkmale geprägt. Beispielhaft soll an dieser Stelle der Dokumentarfilm „Ini scene kami juga!“ („Das ist auch unsere Szene!“) vorgestellt werden.
Marginalität von Frauen
2005 gründete sich in Bandung (Westjava) mit D‘Ponis die erste komplett weiblich besetzte Punkband in dieser Region. Es war nicht die erste Band dieser Art in Indonesien. Doch gab es in Bandung bis dato keine vergleichbare. Sie selbst bezeichnen ihren Stil als „Shiny Punk Happily Oi! n‘ Roll“. Die Reaktion innerhalb der Subkultur auf die Bandgründung war: „Wow, die können aber gut spielen!“ (Interview 25.10.2017).
Diese Resonanz wurde von den Bandmitgliedern nicht positiv aufgenommen, denn sie fühlten sich – als Frauen – objektiviert. So beschreibt Hera – damals Mitglied von D‘Ponis und spätere Regisseurin des Dokumentarfilms „Ini scene kami juga!“: „Wir standen im Fokus der Aufmerksamkeit, weil wir Frauen waren, die Musik machten. Ich fühlte mich dabei unwohl. Sie haben uns als Punkfrauen gesehen, aber nicht unsere Musik.“ (Interview 29.10.2017) Hera verließ die Band aus persönlichen Gründen und wurde Mitglied in der Punkband Kroia, welche bis dahin ausschließlich aus Männern bestand. Und auch hier machte Hera wieder für sie prägende Erfahrungen: „Jedes Mal, wenn wir in anderen Städten getourt sind, habe ich keine Frauen gesehen, die uns zusahen. Also gab es auf den Gigs keine Frauen, nur mich, weil ich spielte. Und dann habe ich mich selbst gefragt, warum Frauen auf Gigs nicht repräsentiert waren, was läuft falsch?“ (Interview 29.10.2017)
Erstes Album von D‘Ponis:
Zum einen nahm Hera eine Diskriminierung auf Grund ihres Geschlechts wahr. Nicht die musikalischen Fähigkeiten ihrer Band wurden in ihrer Wahrnehmung wertgeschätzt, sondern ausschließlich die Tatsache, eine Frauenpunkband zu sein. Zum anderen nahm Hera die fehlende Partizipation von Frauen in der Subkultur selbst wahr. Also entschloss sie sich, dieses qualitative Ungleichgewicht innerhalb der Subkultur öffentlich zu machen und zur Diskussion zu stellen. 2007 begann Hera mit den Dreharbeiten. Sie machte Videoaufzeichnungen auf Punkkonzerten und fragte spontan nach möglichen Interviews.
Zu dieser Zeit hatte sie noch nicht geplant, einen Dokumentarfilm daraus zu machen. Sie verwendete die Aufnahmen und Interviewmitschnitte zunächst auf ihrem Blog Hungry Heart Project mit dem Ziel, den wenigen Frauen innerhalb der indonesischen Punksubkultur ein Format der Kritik zu bieten. Als sie die Möglichkeit hatte, Videoaufzeichnungen und Interviews in anderen Städten in Indonesien durchzuführen und das vorhandene Material sich häufte, entschied sich Hera das Material als Dokumentarfilm aufzuarbeiten und 2016 unter dem Titel „Ini Scene Kami Juga“ zu veröffentlichen.
Trailer zum Dokumentarfilm „Ini Scene Kami Juga“:
Der Dokumentarfilm ist keine professionelle Produktion. Wie vieles innerhalb der Punksubkultur ist er im Sinne der ‚DIY-Ethik‘ (Do It Yourself) produziert worden. Das bedeutet, Hera und drei weitere Helfer*innen haben die teilweise sehr einfachen Videoaufzeichnungen, Fotomaterial und Tonmitschnitte selbst bearbeitet und zusammengeschnitten. Sie verfügten über keine Produktionsfirma und mussten die Kosten zur Erstellung des Dokumentarfilms selbst tragen. Finanziert haben sie sich durch Spenden auf selbstorganisierten Soli-Veranstaltungen und durch die Herstellung von Merchandise-Produkten zum Film.
Insgesamt 14 Frauen aus verschiedenen Städten auf der Insel Java wurden gefilmt und interviewt. Durch den vertrauten Kontakt mit der Regisseurin wurde ihnen Raum geboten, ihre persönlichen Erfahrungen innerhalb der indonesischen Punksubkultur zu thematisieren. Dies umfasst auch ihre individuellen Erlebnisse von Sexismus, Diskriminierung oder sogar sexuellen Übergriffen – in einer Subkultur, welche von sich selbst behauptet, subversiv und widerständig zu sein. Ziel ist es, die Frauen in dieser männlich dominierten Subkultur zu Wort kommen zu lassen. Der Film soll auch anregen, über die eigenen Privilegien bzw. Nicht-Privilegien zu reflektieren.
„Some parts are fun, other parts suck“
Die Akteurinnen berichten über ihren Weg zum Punk, was sie veranlasst hat, Teil davon zu werden, was sie inspiriert und was ihnen missfällt. Sie erzählen alle auf ihre eigene Art und Weise, wie sie sich als Frau innerhalb der Subkultur fühlen. Sie sprechen darüber, welche Unterschiede sie gegenüber den männlichen Akteuren wahrnehmen. Ihnen wird der Raum geboten eine individuelle Botschaft an die späteren Zuschauer*innen zu richten und natürlich können sie darüber hinaus auch ihre eigenen Band- oder Kunstprojekte vorstellen. Die Partizipierenden hoffen, durch das öffentliche Aussprechen der realen Zustände der Subkultur emanzipatorische Veränderungen bewirken zu können.
So berichten fast alle der Akteurinnen im Film von sexuellen Übergriffen auf Konzerten: „Ich wollte im Moshpit [typischer Tanzstil mit sehr viel Körperkontakt, Anm. d. Verf.] tanzen, und habe dafür gesorgt, dass alle vor der Bühne aus meinem Freundeskreis stammte.“, sagt Ajeng Resista. „Ich dachte also, es wäre sicher zu moshen. Aber dann kam plötzlich dieser Typ, ich wusste nicht, wer er war, er kam plötzlich auf mich zu und hat meine Brüste begrabscht. Seitdem habe ich nicht mehr gemosht.“
Über den Moshpit berichtet eine andere Frau, Dinda Advena: „Einige von ihnen [Männer, Anm. d. Verf.] sind sehr sexistisch. Das geht soweit, dass viele Frauen Angst haben und sich nicht sicher im Moshpit fühlen, weil sie begrabscht werden.“ Nurul, eine weitere Akteurin mit den gleichen Erfahrungen erwähnt ebenfalls, dass sexuelle Übergriffe auf Konzerten sie so sehr beeinträchtigten, dass sie bis heute nicht mehr am Moshpit teilnehmen möchte und genau dieser Vorfall ihr vor Augen führte, dass „Sexismus immer noch Überhand in der HC [Hardcore, Anm. d. Verf.] Punkszene hat.“
Die Ursache sehen die Frauen in der patriarchalen Prägung und mangelnder Reflexion der männlichen Partizipierenden: „Ihnen wurde beigebracht, dass, wenn Mädchen dabei sind, man ihnen hinterherrufen und -pfeifen soll, bla bla… sie glauben, das wäre normal.“, sagt Ina im Film. Die Punksubkultur sollte eigentlich nach ihrem Selbstverständnis als politische Gegenbewegung auch Geschlechterungleichheit ablehnen. Leider trifft dies jedoch nicht zu. Kritik daran wird nicht beachtet. Alda, eine der Akteurinnen, beschreibt es so: „Eine Sache in der Punkszene, die ich hasse, ist die Ignoranz. Zum Beispiel die typischen Punk-Slogans, die sie von Freunden gehört oder in einem Zine gelesen haben, aber sie haben es nicht komplett gelesen und nicht darüber nachgedacht, was es heißt, anti-dies oder anti-das zu sein. Schlussendlich wird das fehlinterpretiert.“
Von den männlichen Partizipierenden wünschen sich die Akteurinnen im Dokumentarfilm mehr Reflexionsvermögen und ein besseres Verständnis für die realen Verhältnisse von Frauen innerhalb der indonesischen Punksubkultur: „Diskriminierung passiert überall. […] Das Wichtige ist nicht, ob sie existiert oder nicht, sondern wie wir damit umgehen. In der HC/Punk-Gemeinschaft tun wir nicht genug gegen auftretende Probleme.“, so die Einschätzung von Pramilla Deva.
Ika Vantiani appelliert im Film auch an die partizipierenden Frauen: „Diese Szene ist sehr maskulin und von Männern dominiert. Als Frau denke ich, dass wir etwas unternehmen sollten. Ihnen sagen sollten: das ist, was ich will, das, wo ich sein will, und das, was ich tun will. Ich will mich sicher im Moshpit fühlen, sicher auf der Bühne, sicher, wenn ich meine Zines mache, sicher bei Food Not Bombs (internationale Bewegung gegen Lebensmittelverschwendung, Anm. d. Verf.). Ich denke, Frauen sollen das endlich beginnen zu machen.“
Lässt man die sexistischen Erfahrungen und Geschlechterungleichheiten außer Betracht, fühlen sich die Akteurinnen innerhalb der Punksubkultur jedoch frei im Ausleben ihrer individuellen Bedürfnisse – ein Privileg, welches in der indonesischen Gesellschaft nicht selbstverständlich ist. So wird die Subkultur gelobt für die Möglichkeit der individuellen Freiheit und Kreativität, trotz ihrer negativen Seiten: „Ich liebe sie für ihre Unabhängigkeit und Kreativität. In einer gesunden Punkszene, oder einer idealen, gibt es Empowerment. Es gibt ein größeres Bewusstsein über Empowerment von Frauen […]. Warum ich immer noch dabei bin, trotz der anstößigen Sachen, die ich vorhin erwähnt habe? Weil ich hier Leute finde mit interessanten Gedanken zu alternativen Lebensstilen. Mit alternativ beziehe ich mich gar nicht auf eine spezielle Szene. Ich meine Arten zu leben als Alternative zur repressiven Gesellschaft.“, so Alda. Anggi Faradila, eine weitere Akteurin beschreibt die Besonderheit in der indonesischen Punksubkultur zu partizipieren: Sie sieht sie als Alternative zu den in der Regel vorgezeichneten Lebenswegen von Frauen: „Zum einen fühle ich mich nicht wie andere Mädchen. Ich mache Erfahrungen, die die meisten Frauen nicht machen können.“
Zusammenschnitt vom Ladyfast 2016 in Yogyakarta, einem weltweiten Punkmusikfestival von und für Frauen, bei dem auch alle der Interviewten anwesend waren:
Zwischen Dankbarkeit und Scham
„Ini Scene Kami Juga!“ wurde bereits in mehr als 50 Städten bzw. Veranstaltungen in Indonesien und weiteren Ländern in Asien und Europa präsentiert. So wurde der Film erst kürzlich auf Soli-Veranstaltungen in London und Tokio für das ebenso in Indonesien ansässige feministische Kollektiv Needle N‘Bitch (welches auch Teil der im Dokumentarfilm vorgestellten Gruppen ist) präsentiert (zum Instagram-Profil von Needle N’Bitch).
In Indonesien wurde der Dokumentarfilm positiv aufgenommen. Bisher habe Hera noch keine negative Kritik oder Reaktion wahrgenommen. Vielmehr sind die Rezipient*innen dankbar und reflektiert. So fasst eine*r der am Veröffentlichungsprozess Beteiligten zusammen: „Jedes Mal, wenn ich eine Filmvorführung mache, sagen sie danke. ‚ Danke, dass du den Film gemacht hast, der Film zeigt, wie schlimm die Punkszene ist. Es ist schwierig für Frauen.“ (Interview 29.10.2017)
Feministische Intervention
Besonders auf die weiblichen Zuschauerinnen hat der Film Wirkung gezeigt. Frauen, welche zuvor oft von sexueller Belästigung auf Punkkonzerten betroffen waren und sich dementsprechend unsicher fühlten, bekamen durch die Veröffentlichung des Dokumentarfilms Gehör: „Deshalb waren sie dankbar für diesen Film, weil sie genau fühlten, was dort geschildert wurde. Es ist, als hätte der Film ihre Gefühle verkörpert, und gezeigt, dass Frauen tatsächlich von solchen Vorfällen betroffen sind.“ In der Wahrnehmung einer Teilnehmerin haben Männer bei öffentlichen Vorführungen oft Scham über die thematisierten Situationen von Frauen innerhalb der indonesischen Punksubkultur gezeigt: „Viele männliche Freunde schauten auf den Boden. […] Vielleicht haben sie sich geschämt.“ (Interview 29.10.2017)
Nicht nur in Indonesien ist die Punksubkultur männlich dominiert und sind Frauen von Sexismus, Diskriminierung und sexuellen Übergriffen betroffen. Weltweit gibt es feministische Interventionen. Was sich in den USA Anfang der 1990er Jahre aus der Punksubkultur heraus entwickelte und sich unter dem Namen Riot Grrrls zu einer internationalen Bewegung und eigenen Musikkultur etablierte, kann auch in Indonesien seit einigen Jahren als feministische Intervention und eigenes subkulturelles Feld gelesen werden. Die Kritik der Frauen innerhalb der indonesischen Punksubkultur ist nicht ungehört geblieben und zeigt sich in vielen verschiedenen Formen und Aktionen. „Ini Scene Kami Juga!“ ist dabei eine der ‚einflussreichsten‘. Gerade dreht Hera die Fortsetzung und möchte diesmal auf weiteren Inseln des Archipels Frauen der indonesischen Punksubkultur ein Medium der Kritik bieten. Und auch D‘Ponis feierten kürzlich ihre Rückkehr auf die Bühne.
Wer den Film „Ini Scene Kami Juga!“ gerne zeigen möchte oder die kommenden Dreharbeiten der Fortsetzung des Films unterstützen will, melde sich bitte unter:
[1] Die mit Datum gekennzeichneten Zitate stammen aus Interviews der Autorin in Indonesien in den Jahren 2016 – 2018. Weitere Zitate sind dem Dokumentarfilm „Ini scene kami juga“ entnommen.