Laos: Pandemie und globale Inflation haben vielen Menschen schwer zugesetzt. Die Grundlage für demokratische Strukturen besteht in der Schaffung von ansatzweise gleichen Lebensverhältnissen.
Westliche Kommentator*innen stehen dem politischen Regime in Laos eher kritisch gegenüber und äußern ihre Besorgnis über Regierungsführung und Menschenrechte. Freedom House stellt in seinem Bericht 2023 über Laos fest, dass die Laotische Revolutionäre Volkspartei (LPRP) „alle Aspekte der Politik beherrscht und die bürgerlichen Freiheiten stark einschränkt“. Außerdem hält sie die Wahlen zur Nationalversammlung für „nicht frei und fair“ und schlägt vor, sie von internationalen Beobachtern überwachen zu lassen.
Ein-Parteien-Dominanz
Laos ist ein kommunistischer Einparteienstaat, der von der LPRP regiert wird. Das 71-köpfige Zentralkomitee unter der Leitung des 13-köpfigen Politbüros ist für alle wichtigen Entscheidungen zuständig. Auf dem 11. Parteitag im Januar 2021 wurde der damalige Premierminister Thongloun Sisoulith von 768 Delegierten zum Generalsekretär der LPRP für eine fünfjährige Amtszeit gewählt. Auch die Mitglieder des Zentralkomitees und die zehn stellvertretenden Mitglieder wurden für ihre fünfjährige Amtszeit neu gewählt.
Nach dem Parteitag finden alle fünf Jahre Wahlen zur Nationalversammlung statt. Die LPRP stellt die Kandidat*innen für diese Wahl auf, deren Mitglieder den Präsidenten und den Premierminister wählen. Bei den Wahlen im Februar 2021 erhielt die LPRP 158 der 164 Sitze, die restlichen sechs gingen an Unabhängige. Anschließend wählte die neunte Nationalversammlung in ihrer konstituierenden Sitzung den Generalsekretär der LPRP, Thongloun, zum Präsidenten und Phankham Viphavanh zum Premierminister der Demokratischen Volksrepublik Laos [Phankham wurde im Dezember 2022 von Sonexay Siphandone abgelöst, d.R.].
Laos befindet sich zwar nach wie vor in einer wirtschaftlichen Misere. Doch hat das Land die wirtschaftlichen Härten nach der Pandemie unter dem derzeitigen politischen Regime und der derzeitigen Führung überstanden. Das wirtschaftliche Umfeld nähert sich allmählich der Normalität von vor der Pandemie an. Herausfordernd bleiben die hohe Auslandsverschuldung und die zweistellige Inflation. Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, welcher Ansatz – Gradualismus [Veränderung durch viele Zwischenschritte anstelle einer sprunghaften Handlung, d. R.] oder zielstrebiges Verfechten eines bestimmten Konzepts von ‚Demokratie‘ – gewählt werden sollte, um ein demokratisches Regierungssystem zu fördern und gleichzeitig das Wohlergehen der Menschen im Rahmen der sozialen Stabilität zu erhalten.
Unterschiedliche Konzeptualisierung demokratischer Ansätze
Generell sollte der Gradualismus auf der Grundlage der lokalen Gegebenheiten ein vielversprechenderer Ansatz für die Einführung der Demokratie sein, indem die sozioökonomische Entwicklung als Voraussetzung vorangetrieben wird. Darüber hinaus sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass Demokratie in Südostasien und anderswo aufgrund der kulturellen, sozialen und historischen Unterschiede der Regionen und Länder auf unterschiedliche Weise konzeptualisiert werden kann. Die Souveränität des Volkes ist sicherlich von Bedeutung, kann aber eine Vielzahl von institutionellen Arrangements erfordern. Sie kann nur durch solide Schritte in Richtung eines Ziels wie „das größte Glück der größten Zahl“ gewährleistet werden, ein Leitprinzip, das von Jeremy Bentham, einem britischen Utilitarismus [Beurteilung von Handlungen nach Nutzenmaximierung für eine größtmögliche Anzahl an Betroffenen, nicht nach Motiven, d. R.] – Philosophen des 19. Jahrhunderts, geprägt wurde.
Aus einer anderen Perspektive sollten die politischen Entscheidungsträger den Schwerpunkt auf die „menschliche Sicherheit“ legen, die von den Vereinten Nationen in der Resolution 66/290 der Generalversammlung von 2012 als „Ansatz zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Identifizierung und Bewältigung weit verbreiteter und bereichsübergreifender Herausforderungen für das Überleben, die Lebensgrundlage und die Würde ihrer Bevölkerung“ befürwortet wurde. Die Resolution fordert „menschenzentrierte, umfassende, kontextspezifische und präventionsorientierte Antworten, die den Schutz und die Selbstbestimmung aller Menschen stärken.“ Das Konzept der menschlichen Sicherheit kann bedeuten, dass eine Einmischung von außen nur dann legitim ist, wenn sie die einzige Option ist, um das Überleben, den Lebensunterhalt und die Würde der Menschen zu sichern. Es gibt verschiedene Auslegungen dieses Konzepts, aber im Kontext von Laos geht es vor allem um das Überleben der Menschen, ihren Lebensunterhalt und ihr Recht darauf, ein menschenwürdiges Leben zu führen.
Auf regionaler Ebene teilen die zehn Mitgliedsstaaten des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) die Grundprinzipien, die im Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit in Südostasien (TAC) von 1976 verankert wurden. Einige dieser Grundsätze, wie die gegenseitige Achtung der Unabhängigkeit, Souveränität, Gleichheit, territorialen Integrität und nationalen Identität aller Nationen, das Recht jedes Staates, seine nationale Existenz frei von äußerer Einmischung, Umsturz oder Zwang zu führen, und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines jeden anderen Staates“, können sich mit dem Einwand gegen ein „fremdes Demokratie“-Konzept ohne den lokalen Kontext decken.
In Bezug auf die Menschenrechte bestätigten die Minister auf der Klausurtagung der ASEAN-Außenminister unter dem Vorsitz des stellvertretenden Premierministers und Außenministers von Laos, Saleumxay Kommasith, am 29. Januar 2024 die Verpflichtung zur regelmäßigen Einberufung des ASEAN-Menschenrechtsdialogs. Zuvor nahm der ASEAN-Gipfel im September 2023 die Erklärung der Staats- und Regierungschefs zum ASEAN-Menschenrechtsdialog an, in der sich zu „konstruktiven Diskussionen, Beratungen und der Ausübung von gegenseitigem Respekt und Verständnis im Hinblick auf die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den ASEAN-Mitgliedstaaten bei der Stärkung der Kapazitäten zur Bewältigung aktueller und neuer Menschenrechtsprobleme“ verpflichtet wurde.
Wirtschaftliche Herausforderungen
Solange die grundlegenden Menschenrechte nicht in erheblichem Maße verletzt werden, wird die breite Mehrheit der Bevölkerung wahrscheinlich lieber von der sozioökonomischen Entwicklung profitieren, als sich einem ‚importierten‘ Demokratie-Konzept unterzuordnen, das nicht ihr eigenes ist. Für eine fremde Wertetheorie zu verhungern, ist keine bevorzugte Option.
Viele Menschen in Laos stehen vor verschiedenen Herausforderungen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die einkommensschwache städtische Bevölkerung ohne Fremdwährungsguthaben hat am meisten unter der Inflation gelitten, die im Februar 2023 einen Höchststand von 41,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr erreichte, insbesondere bei Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs. Umgekehrt haben sich Haushalte mit höherem Einkommen möglicherweise gegen eine zweistellige Inflation abgesichert, indem sie auf Fremdwährungsanlagen und ‚Matratzengeld‘ setzten. Nach den Statistiken der Zentralbank erreichte der Verbraucherpreisindex im Dezember 2023 einen Wert von 208, verglichen mit 120 im Dezember 2021.
Das Preisniveau stieg in diesen beiden Jahren um 73 Prozent. Im Gegensatz dazu stieg der Gesamtbetrag der ausstehenden Bankeinlagen in Landeswährung nur um 33 Prozent von 52,8 Billionen Kip auf 70,0 Billionen Kip [etwa 310 Millionen EUR, d.R.], während der Betrag der Bankeinlagen in Fremdwährung im selben Zweijahreszeitraum um das 2,3-fache in Landeswährung von 75,4 Billionen Kip [etwa 330 Millionen EUR], auf 173,8 Billionen Kip [etwa 760 Millionen EUR], anstieg. Der Kontrast zwischen den Besitzenden und Nicht- Besitzenden hat möglicherweise zu einer starken Unzufriedenheit in der letzteren Gruppe geführt, was ungünstige politische Auswirkungen haben könnte.
Auch die sozialen Medien, die durch die allgegenwärtige Informationstechnologie unterstützt werden, haben einen zunehmenden Einfluss auf die Regierungsführung, sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht. Besorgniserregend sind die Risiken der Verbreitung von Desinformation und Propaganda durch die Regierenden und Regierten. Positiv ist, dass die politischen Führer die sozialen Medien nutzen können, um ihre Botschaften wirksam zu verbreiten und die öffentliche Meinung zu verstehen, indem sie auf die Stimmen der Menschen hören.
Freedom House berichtet, dass „die schlechten wirtschaftlichen Umstände zu etwas offenerem Dissens als in der Vergangenheit geführt haben, wobei viele Laot*innen ihre Wut auf die Regierung in den sozialen Medien zum Ausdruck brachten“, und zwar inmitten der wirtschaftlichen Widrigkeiten nach der Covid-19-Pandemie.
Politische Dynastien
Ende 2022 tauchten in den sozialen Medien Gerüchte über den Rücktritt des damaligen Premierministers Phankham Viphavanh auf. Er reichte schließlich ein Rücktrittsschreiben ein, woraufhin die Nationalversammlung im Dezember 2022 Sonexay Siphandone zum neuen Premierminister wählte. Die Wahl von Sonexay Siphandone wurde von vielen erwartet, da sein Vater, Khamtay Siphandone, innerhalb der Partei eine Symbolfigur, und die Einflusswahrung seines Clans auf die Politik entsprechend wichtig war. Dennoch spiegelt sein Amtsantritt eine beschleunigte Verjüngung der Führung wider, die auf dem Konsens des inneren Kreises der Partei beruht. Von Sonexay wird erwartet, dass er die aufstrebenden Technokrat*innen der Partei in entscheidende Kabinettspositionen führt, da er in seiner Rolle als Führungspersönlichkeit der nächsten Generation von der Parteiführung beauftragt wurde.
Da Sonexay über die zunehmenden Stimmen des Unmuts in den sozialen Medien informiert ist, gibt es gute Gründe für ihn, die wachsende öffentliche Unzufriedenheit zu mindern, indem er sozialen Schutzmaßnahmen für die Schwächsten Priorität einräumt. Obwohl die laotische Wirtschaft trotz der Pandemie nicht zusammengebrochen ist, muss die Regierung Haushaltsmittel mobilisieren, um den Menschen ein menschenwürdiges Leben und soziale Stabilität zu ermöglichen. Die Steuereinnahmen liegen jedoch nach wie vor unter dem Niveau vor der Pandemie und schränken den fiskalischen Spielraum ein, selbst wenn die Ausgaben gekürzt würden.
Die Aufgabe der politischen Führung sollte darin bestehen, politischen Maßnahmen Vorrang einzuräumen, die das Wohlergehen der Menschen und die soziale Stabilität berücksichtigen. Sie sollte mittel- und langfristig eine wirklich demokratische und modernisierte Regierungsführung mit einer natürlichen Affinität zum kulturellen, sozialen und historischen Kontext in Laos zu schaffen.
Übersetzung aus dem Englischen von: Simon Kaack