Kambodscha: Während in manchen Teilen der Hauptstadt täglich der Haushaltsmüll abgeholt wird, wird die Entsorgung in anderen völlig vernachlässigt, so der Bericht ‚Urban Governance: Waste Management in Phnom Penh‘ der NGO Sahmakum Teang Tnaut (STT). Die Organisation arbeitet zu städtischer Armut und zeigt durch ihre Recherchen urbane Ungleichheiten, insbesondere im Bereich Wohnrechte und Infrastruktur, auf. Die südostasien hat Soeung Saran, den Geschäftsführer von STT, zu den Ergebnissen des Berichts interviewt.
Was hat eure im Januar 2019 veröffentlichte Studie herausgefunden?
In der Studie ‚Urban Governance‘ stellten wir fest, dass 99 (35,7%) der 277 städtischen Gemeinden mit hoher Armut in Phnom Penh keine Abfallentsorgung von Haushaltsmüll [1] erhalten. Wohlhabende Gemeinden, auch in der direkten Nachbarschaft, werden dagegen regelmäßig von der Müllabfuhr angefahren.
Woran liegt das?
Es liegt aus unserer Sicht an kleinen und engen Straßen in einigen Stadtgegenden sowie wahrscheinlich am fehlenden politischen Willen, der bei den verantwortlichen Stadtbehörden und beim zuständigen Entsorgungsunternehmen für Hausmüll liegt.
Was sind die Probleme in der lokalen Verwaltung Phnom Penhs?
Es ist nicht transparent, wie die Abfallwirtschaft koordiniert wird. Hinzu kommt, dass die Stadtverwaltung nicht ihrer Rechenschaftspflicht nachkommt und dass sie nicht oder schlecht auf Beschwerden und Anfragen von Seiten der Bürger*innen, engagierter Gruppen oder Organisationen reagiert.
Wo genau funktioniert die Abfallwirtschaft in Kambodschas Hauptstadt nicht?
Betrachtet man vor allem die Gebiete Phnom Penhs mit hohem Armutsanteil, und nicht nur die Innenstadt, wohlhabende Gegenden und touristische Zentren, zeigt sich, dass die Abfallwirtschaft dort nicht funktioniert. Dies betrifft dann besonders die Gegenden, wo marginalisierte sowie mittellose Bevölkerungsgruppen leben.
Melden das die betroffenen Haushalte nicht bei den Behörden?
Die Betroffenen, zumeist einkommensschwache Familien, haben wenig Möglichkeiten das zu melden. Zum einen liegt das an Unkenntnis, zum anderen an fehlenden Kapazitäten sowie politischer Einflussnahme, ihr Recht auf Inklusion in das städtische Abfallsystem durchzusetzen.
Was können diese Gruppen tun?
Hier gibt es zunächst das Problem, dass eine schlechte Kommunikation und ein schlechter Austausch zwischen der Stadt, dem zuständigen Entsorgungsunternehmen CINTRI und den Bürger*innen bestehen. Dann haben viele Bewohner*innen Phnom Penhs ein geringes Wissen über Müllentstehung und -entsorgung sowie das Abfallsystem. Und vornehmlich die armen Haushalte wissen wenig oder nichts von ihrem Recht auf Teilhabe, sie kennen keine Beschwerdemechanismen oder Stellen, an die sie sich wenden können. Nur wenige sind in der Lage, Erkundigungen dazu einzuholen und nur manche sind in Netzwerke eingebunden, die sie dabei unterstützen könnten.
Was haben euch die betroffenen Menschen aus Phnom Penh berichtet?
Interviewte Bewohner*innen in den betroffenen Stadtteilen fühlten sich von der lokalen Verwaltung nicht ernst genommen. Sie erzählten uns, dass eingereichte Beschwerden von den lokalen Behörden ignoriert wurden. Viele fühlen sich diskriminiert. „Die Behörden kümmern sich nicht um uns. Es ist ihnen egal, was mit dieser Gemeinschaft passiert“, sagte uns ein Einwohner einer städtischen Gemeinde mit hohem Armutsanteil bei der Datenerhebung.
Kannst du ein weiteres Beispiel aus eurer Studie schildern?
In der Gemeinde Samaki Roeung Roeurng wird Müll zweimal pro Woche am Rande der Gemeinde abgeholt. Sie liegt am Boeung Trabek-Abwasserkanal, der als ‚schwarzer Kanal’ mit seinem pechschwarzen, müllgetränkten, und stinkendem Wasser stadtbekannt ist. Selten nimmt dort der Müllwagen alles mit. Innerhalb der Gemeinde wird gar kein Abfall abgeholt. Trotzdem muss jeder Haushalt 1 US-Dollar pro Monat für die Müllentsorgung aufbringen, die über die Elektrizitätsrechnung bezahlt wird.
Fast 300 Menschen leben dort in Häusern auf und am Wasser. Die Umgebung ist voller Müll, der Kanal schwemmt die Abfälle von Stadtbewohner*innen flussaufwärts heran. Bei Regen fließt er über und der Müll wird über den Stadtteil verteilt. Trotz des Gestanks suchen einige Gemeindemitglieder, meist Kinder, wieder verwertbare Materialien in der dunklen Brühe, die sie anschließend an die durch die Stadt ziehenden Müllsammler*innen verkaufen, oder selbst in irgendeiner Art und Weise verwenden.
Was haben die Stadtbehörden zu den Problemen gesagt?
Die Behörden nennen häufig das Problem der Infrastruktur: Sie behaupten, nicht alle Gemeinden anfahren zu können. Wie gesagt, das liegt an der schlechten Anbindung der Straßen an die täglich abgefahrenen Routen der Müllabfuhr und an den engen Gassen. Als Maßnahme wurden bereits Handziehwagen an CINTRI-Arbeiter verteilt, die jetzt häufiger in kleinen Gassen gesichtet werden können. Aber das Entsorgungsunternehmen CINTRI scheint seine Wagen nicht bedarfsabhängig zuzuordnen, wenn man die Wägen pro Kopf auf die Bevölkerung und die Ziehwägen, die arme Gemeinden tatsächlich abfahren, miteinander vergleicht.
Und was sagt der Entsorger CINTRI selbst dazu?
Die städtische Müllabfuhr beteuert, dass sie arme städtische Gemeinschaften unterstützen möchte, es aber hierfür oft an technischem Wissen oder Unterstützung durch die Behörden fehle.
Wer ist alles für den Haushaltsmüll in Phnom Penh zuständig?
Für die offizielle Müllsammlung ist seit 2002 alleinig das Entsorgungsunternehmen CINTRI zuständig. Hier mangelt es aber an Transparenz. Der Vertrag zwischen der Firma und der Stadt ist nicht öffentlich zugänglich, fällt aber in die Kategorie eines Langzeitvertrags, der der Firma über zehn Jahre den alleinigen Auftrag der Müllentsorgung in der Stadt zuspricht. Es gibt derzeit kaum öffentliche Daten zur Problematik, wenn sich auch immer mehr lokale NGOs und Bildungsinstitutionen für veränderte Handlungsweisen mit Abfall einsetzen. Recycelbarer Müll wird dagegen von informellen Müllsammler*innen gesammelt und weiterverkauft.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass CINTRI als städtisches Abfallunternehmen eine Monopol-Stellung einnimmt, weswegen Preise und Abholzeiten und -routen in keinerlei Konkurrenz stehen. Kurzum, es gibt niemanden, der mit CINTRI um den Auftrag zur Entsorgung der kommunalen Abfälle der Stadt konkurriert bzw. konkurrieren kann.
Eure Studie geht auch auf CINTRI selbst ein und bemängelt den Arbeitsschutz dort. Was habt ihr festgestellt?
Wir haben einen unzureichenden Arbeitsschutz der etwa 2.300 Angestellten des Unternehmens festgestellt. Fast 1.700 Personen werden im Außendienst eingesetzt, also beispielsweise am Müllwagen. CINTRI kommt dabei seinen gesetzlichen Verpflichtungen einer sicheren Arbeitsumgebung nicht nach: 14 Arbeiter starben in den letzten vier Jahren im Dienst. Es gab weitere 380 Unfälle in den letzten drei Jahren, davon 285 Unfälle von Arbeitern bei ihrer Arbeit am Müllwagen.
Ein sicheres Arbeitsumfeld, wie es das kambodschanische Arbeitsgesetz vorschreibt, sieht anders aus. Trotz dieser Todesfälle wird den Arbeitern auf den Müllwagen keine Schutzkleidung zur Verfügung gestellt und keine ergänzenden Sicherheitsmaßnahmen eingeführt.
Habt ihr CINTRI zu diesen Mängeln befragt?
Das Unternehmen selbst hat erklärt, dass es Warnkleidung, Masken und Arbeitsstiefel bereitstellte, aber die Arbeiter diese nicht tragen, und der Verkehr in Phnom Penh die Hauptgefahrenquelle der Arbeiter sei. Von uns befragte Arbeiter verneinten bzw. sagten aus, dass die Übergabe der Kleidung lange her sei. Aber nun gibt es erste Erfolge: Nach Erscheinen unserer Studie über die Situation der Abfallwirtschaft in Phnom Penh mit einer Auflistung von Sicherheitsmängeln, wurden viele CINTRI-Arbeiter mit sichtbarer Arbeitskleidung ausgestattet, die es ihnen erlaubt auch bei Nacht gesehen zu werden.
Was kann aus eurer Sicht getan werden, damit die Abfallwirtschaft verbessert wird?
Die Stadtregierung könnte einiges verbessern. Zum einen wäre es von Vorteil, wenn die Stadtbehörden ihre Entscheidungsprozesse transparenter machen, regelmäßige Rechenschaftsberichte ablegen, den Vertrag zwischen CINTRI und der Stadt und relevante Daten über die Haushalte bzw. Gemeinde offen legen würden.
Anderseits kann die Kommunikation mit der Stadtbevölkerung zu diesem Thema besser werden, indem Menschen über die Abfallsituation in der Stadt informiert werden und Gemeinden in die Abfallwirtschaft miteinbezogen werden, z.B. in öffentlichen Workshops oder bei Gemeindeversammlungen. Weitere Bildungsprogramme, die von der Lokalregierung finanziert werden könnten, könnten über Risiken des Mülls für Mensch und Umwelt berichten. Im Dialog mit der Bevölkerung können dann Lösungen für schwer zugängliche Gemeinden oder Straßen gefunden werden.
Abfallsammelstellen sollten innerhalb der Gemeinden eingerichtet werden, damit die Bewohner*innen ihre Abfälle dort sammeln können. Und die Mülllabfuhr sollte regelmäßig alle Orte anfahren.
Zuletzt muss natürlich von Seiten des Entsorgungsunternehmens CINTRI auch dafür gesorgt werden, dass die Arbeiter einen besseren Arbeitsschutz haben, vor allem für diejenigen, die nachts am und auf dem Müllwagen arbeiten.
Interview und Übersetzung aus dem Englischen von: Raphael Göpel
[1] Wiederverwertbarer Müll wird hingegen insbesondere von Müllsammler*innen entweder direkt bei den Haushalten abgeholt, bzw. aufgekauft, oder auf den Straßen Phnom Penhs eingesammelt. Einen Einblick in die ‚andere Seite‘ des Müllmanagements in Phnom Penh bietet der ebenfalls in dieser Ausgabe erschienene Artikel von Kathrin Eitel.