Indonesien: Die Regierung will über 1200 Änderungen an bestehenden Gesetzen vornehmen. Ihr Ziel: die Wirtschaft deregulieren und Investitionen ankurbeln. Auf Umweltschutz und die Rechte von Indigenen könnte sich das verheerend auswirken.
Die Regierung von Präsident Joko Widodo hat im Februar 2020 dem Parlament ein Omnibus-Gesetz vorgelegt, das mehr als 1200 Änderungsvorschläge zu mindestens 80 bestehenden Gesetzen beinhaltet. Der Regierung zufolge zielen all diese Maßnahmen darauf ab, die Investitionsbedingungen in Indonesien zu erleichtern mit der Absicht, das Wirtschaftswachstum über die 5 Prozent zu steigern, bei denen es sich seit 2014 festgefahren hat.
Aber der Omnibus-Entwurf droht, die ohnehin schon dürftigen Umweltschutzmaßnahmen zu erodieren. Der Prozess der Ausarbeitung sei intransparent und überstürzt, so Hariadi Kartodihardjo, ein Forstwissenschaftler an der Hochschule für Agrarwissenschaft in Bogor (IPB): „Der Prozess [zur Aushandlung] der Substanz [der Gesetzentwürfe] dauert noch lang“, sagte er. „Aber es scheint, die Politiker*innen wollen, dass es schnell geht. Wie ich gehört habe, sollen die Omnibus-Gesetze im Mai oder Juni [2020] vom Parlament verabschiedet werden.“
Die Regierungskoalition von Präsident Widodo kontrolliert drei Viertel der Sitze im Parlament, weswegen es wahrscheinlich ist, dass von der Regierung eingebrachte Gesetzentwürfe das Parlament weitgehend unverändert durchlaufen. Die Regierung erklärte, sie erwarte eine Verabschiedung der Gesetze innerhalb von 100 Tagen nach ihrer Vorlage.
Doch so viele deregulierende Bestimmungen in so kurzer Zeit durchzuwinken, lässt so gut wie keine Gelegenheit für eine gründliche Überprüfung. Nicht einmal ein gewisser Anschein von Umweltschutzbestimmungen werde gewahrt, so Laode Muhammad Syarif, Exekutivdirektor der NGO Kemitraan (Partnerschaft). „Wie soll man ein Gesetz in 100 Tagen verabschieden? Das ist unmöglich“, sagte er. „Wenn die Regierungsvertreter das unterstützen, wo sind sie zur Schule gegangen?“ Würde die Gesetzgebung überstürzt, entstünden Risiken, befürchtet Hariadi. „Und wer wird die Risiken tragen? Es sind die Investoren selbst.“
Das Ende der Umweltverträglichkeits-Prüfungen?
Einer der strittigsten Punkte im Omnibus-Gesetzentwurf ist die Lockerung der Anforderungen an Unternehmen und Bauträger zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Nach geltendem Recht ist eine solche Prüfung nötig, um je nach Umfang des Projekts entweder vom Umweltministerium oder von den lokalen Behörden eine Umweltgenehmigung einzuholen. Die Umweltgenehmigung selbst ist wiederum eine Voraussetzung für den Erhalt einer Geschäftsgenehmigung, die dann die Durchführung des Projekts ermöglicht.
Der Omnibus-Gesetzentwurf fordert die Überarbeitung oder den Widerruf von 39 bestehenden Artikeln über Umweltgenehmigungen, darunter Paragraphen im Umweltschutzgesetz von 2009 und im Forstgesetz von 1999. Dies würde zur Folge haben, dass Umweltgenehmigungen nicht länger Voraussetzung für eine Geschäftsgenehmigung sind.
Umweltverträglichkeitsprüfungen würden demnach nur noch für Projekte erforderlich sein, die als hoch riskant eingestuft werden, so Bambang Hendroyono, Generalsekretär des Umweltministeriums. „Eine Umweltverträglichkeitsprüfung wird nur [benötigt], wenn es sich um sehr große [Projekte] mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Umwelt handelt“, sagte er. „[In diesem Fall] wird öffentliche Kommunikation nötig.“
Darüber hinaus erklärte er, dass der Umweltschutz trotzdem bestehen bleibe, weil Unternehmen grundsätzlich auf Naturschutz bedacht seien. „Es gibt also keinen Grund zur Besorgnis, denn eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist eine moralische Botschaft“, sagte er. „Unternehmen müssen Umweltprinzipien bedenken.“
Ein*e weitere*r Beamte des Ministeriums erklärte, die Regierung diskutiere momentan noch, welche Art von Projekten als hoch riskant eingestuft würden und daher immer noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderten.
Selbst dann könnten Unternehmen jedoch noch eine Geschäftsgenehmigung erhalten, bevor sie die Prüfung durchführten, so der koordinierende Minister für Recht und Sicherheit, Mahfud M. D. Er sagte weiter, dass als Sicherheitsvorkehrung zur Gewährleistung der Umweltverträglichkeit von Projekten nach dem Erwerb der Geschäftsgenehmigung und der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung eine Überprüfung stattfinden werde.
„Wenn die Genehmigungen erst nach der Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt werden, wird es sehr lange dauern“, sagte Mahfud gegenüber lokalen Medien. „Den Menschen wird [vor der Erteilung der Genehmigungen] das Geld ausgehen.“
Umweltzerstörung ist jetzt schon enorm und irreversibel
Forstwissenschaftler Hariadi argumentiert, die Aufhebung der Anforderungen an eine Umweltverträglichkeitsprüfung und eine Umweltgenehmigung, um Investitionen zu erleichtern, wären katastrophal für ein Land, das ohnehin anfällig für Naturkatastrophen ist. Er wies dabei auf die Überschwemmungen und Erdrutsche hin, die Jakarta und die umliegenden Gebiete Anfang 2020 heimsuchten und mindestens 67 Menschen töteten sowie mehr als 173.000 Menschen vertrieben.
Umweltaktivist*innen schrieben die Schwere der Katastrophe der Abholzung und den Umweltschäden in den stromaufwärts gelegenen Gebieten zu. Dazu zählen auch Wohn- und Gewerbegebiete, die in Überschwemmungsgebieten und Wasserfassungsgebieten unter Verletzung von Flächennutzungs- und Umweltvorschriften gebaut wurden.
Hariadi prognostiziert, es könnte noch schlimmer kommen, wenn die Omnibus-Gesetze Umweltschutz vollständig außer Acht ließen und weist darauf hin, dass viele solcher Schutzmaßnahmen aus gutem Grund vorhanden seien. „Was ist nun mit den Paragraphen, die Investitionen in bestimmten Sektoren in der Tat aus Umweltgründen unterbinden?“, fragte er. „Das Problem ist, dass man diese Artikel nicht einfach beseitigen kann. Nehmen wir an, Sie wollen ein Auto bauen. Das Auto muss Räder haben, aber die Räder sind teuer. Wenn Sie die Räder loswerden, dann haben Sie auch kein Auto, nicht wahr?“
Nicht Umweltschutz, sondern Korruption verlangsamt die Verfahren
Hariadi meint, die derzeit hohen Kosten und die lange Wartezeit auf die Erteilung einer Umweltgenehmigung seien nicht auf aufwändige Anforderungen an die Umweltverträglichkeitsprüfung und die dafür nötigen wissenschaftlichen Untersuchungen zurückzuführen, sondern auf die unzähligen Möglichkeiten für Korruption im bürokratischen Prozess. Er zitiert eine von seiner Universität durchgeführte Studie, in der mindestens 32 Stufen des Verfahrens identifiziert wurden, die entweder von Beamt*innen zur Einforderung von Bestechungsgeldern missbraucht oder von Antragsteller*innen zur Umgehung von Vorschriften manipuliert werden könnten.
Henri Subagiyo, der ehemalige Exekutivdirektor des Indonesischen Zentrums für Umweltrecht (ICEL), erklärt, ein weiterer Faktor sei der Mangel an Umweltdaten, etwa zu den Kapazitäten der Flüsse des Landes. Jedes Mal, wenn ein Unternehmen beispielsweise eine Fabrik in der Nähe eines Flusses errichten will, muss es seine eigenen Daten von Grund auf neu sammeln, um festzustellen, wie viele Abfallprodukte es sicher in den Fluss einleiten kann.
„Umweltdaten können nicht von heute auf morgen generiert werden. Sie müssen über einen langen Zeitraum gemessen werden“, so Henri. „Aber das Problem ist, dass diese Daten oft nicht verfügbar sind, weil unsere Regierung sie nicht besitzt. Wir wissen nie, wie viel Abfall wir in die Flüsse einleiten können und trotzdem werden immer wieder Genehmigungen erteilt.“
Henri erklärt auch, dass der Umweltschutz, einschließlich der Forderung, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, nicht als Hindernis für Investitionen angesehen werden sollte. Stattdessen sei sie ein wesentlicher Faktor zum Schutz von Investoren gegen zukünftige Unsicherheit. „Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist nicht nur ein Verwaltungsdokument. Es ist ein Leitfaden für Unternehmen zum Schutz der Umwelt“, führte Henri aus. „Wenn es ignoriert wird, besteht ein Umweltrisiko für die Unternehmen selbst. Die Umweltverträglichkeitsprüfung schützt die Unternehmen faktisch vor rechtlichen Bedrohungen.“
Ähnliche Anforderungen, so Henri, gäbe es auch in anderen südostasiatischen Ländern, die als investorenfreundlicher angesehen werden. Das deute darauf hin, dass es nicht die Umweltvorschriften seien, die diese aus Indonesien fernhielten.
Mas Achmad Santosa, ein Schifffahrtsexperte der Indonesischen Initiative für Gerechtigkeit im Ozean, pflichtet ihm bei, dass Indonesien Gefahr laufe, unter den Mitgliedsstaaten in der Vereinigung südostasiatischer Nationen (ASEAN) zum Außenseiter zu werden. „Umweltverträglichkeitsprüfungen werden universell praktiziert, insbesondere in den entwickelten Ländern“, erklärte er. „Alle 10 ASEAN-Länder fordern sie ein und der Trend geht eigentlich dahin, sie zu stärken, nicht sie zu schwächen.“
Abschaffung der Strafverfolgung für Geschäftsleute
Laut Forstwissenschaftler Hariadi finden sich noch weitere beunruhigende Bestimmungen in den Gesetzentwürfen, die derzeit noch ausgearbeitet werden. Eine entscheidende Änderung ist die Abschaffung der Strafverfolgung für Geschäftsleute, die Verstöße gegen Umweltverordnungen begehen. Stattdessen wird die empfohlene Höchststrafe der Entzug ihrer Geschäftsgenehmigungen sein.
Die Gesetzesvorlagen fordern auch eine Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung am Genehmigungsverfahren, um eine beschleunigte Ausstellung zu ermöglichen. Hariadi befürchtet, dies werde verhindern, dass die Bevölkerung über Projekte, die sie betreffen, umfassend informiert werde und könnte zudem Konflikte um Land und andere Ressourcen auslösen.
„Um eine rasche Erteilung von Genehmigungen zu ermöglichen, wird jegliche [öffentliche] Beteiligung gestoppt, solange [die Projekte] den Vorschriften für Flächennutzung entsprechen“, sagte er. „Es wird [Umwelt- und Flächennutzungs-] Probleme von sehr großem Ausmaß geben, aber die Beteiligung der Öffentlichkeit wird eingeschränkt werden. Wird das nicht zu Konflikten führen? Anstatt die Qualität der Öffentlichkeitsbeteiligung zu verbessern, wird sie einfach so fallengelassen.“
Bambang Hendroyono vom Umweltministerium sagte, die Öffentlichkeit werde weiterhin die Möglichkeit haben, mitzubestimmen – dies aber wiederum nur bei risikoreichen Projekten.
Dieser Artikel ist die übersetzte und redaktionell bearbeitete Fassung des am 11. Februar 2020 auf dem Umweltportal Mongabay erschienenen Artikels Experts see minefield of risk as Indonesia seeks environmental deregulation.
Übersetzung aus dem Englischen von Sophia Hornbacher-Schönleber
Das ist der erste Teil des Artikels „Profit geht vor Umweltschutz“ (hier geht’s zu Teil II).