Vietnam ist wegen seines langen Küstenstreifens stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. Da das Land weniger als ein Prozent der globalen Treibhausemissionen verursacht, ist das ‚eigene Sparpotential’ begrenzt. Vietnam ist auf Mitigation der großen Emittenten USA, Europa und China angewiesen.
In Vietnam ist es schwer, jemanden zu finden, der den Klimawandel oder dessen katastrophale Auswirkungen leugnet. Denn der Temperaturanstieg führt bereits jetzt zu verheerenden Wetterextremen wie Überschwemmungen. Mit seinem über 3400 Kilometer langen Küstenstreifen läuft Vietnam Gefahr, 35% seiner Landfläche, inklusive der ‚Reiskammer’ im Mekongdelta und der Megastadt Ho Chi Minh Stadt, an das Meer zu verlieren. Durch Dürren versalzen langfristig die Böden im Mekongdelta, da Meerwasser in die Flussarme eindringt. Viele Bauern und Bäuerinnen migrieren deswegen auf der Suche nach einer neuen Lebensgrundlage in die Städte. Handlungen zur Mitigation und Adaption sind bisher dennoch lediglich punktuell. Neben zahlreichen lokalen Problemen liegt dies auch an internationalen Akteuren.
Nationales Klimaziel: Reduzierung von Treibhausgasen um acht Prozent
Auf dem Papier sehen Klimaschutzmaßnahmen in Vietnam viel versprechend aus. So gibt es zum Beispiel seit 2011 die National Climate Change Strategy. Seit 2013 gibt es das Gesetz zur Vermeidung und Kontrolle von Naturkatastrophen und 2014 wurde das Gesetz zum Umweltschutz mit einem Kapitel zum Klimawandel verabschiedet. Als nationalen Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasen legte Vietnam sich auf eine Minderung von acht Prozent gegenüber dem ‚business as usual’ Szenario bis 2030 fest. Sollte es weitere Unterstützung der Reduktionsmaßnahmen durch die internationale Gemeinschaft geben, verpflichtet sich Vietnam zur Reduzierung von 25 Prozent der Treibhausgase. Dies soll vor allem durch alternative Kraftstoffe, die verstärkte Etablierung von erneuerbaren Energien und Effizienzsteigerung erreicht werden.
Dabei hat Vietnam kaum Anteil an der Klimakatastrophe. Unter einem Prozent der Emissionen kamen global gesehen im Jahr 2016 aus dem südostasiatischen Land. Eigene Reduktion kann also allein nicht der Schlüssel zur Rettung des Landes sein. Vietnam ist auf die Mitigationsmaßnahmen bei den großen Emittenten USA, Europa und China angewiesen und muss sich vor Ort vor allem anpassen und die Bevölkerung auf die Krise vorbereiten.
Seit der Kolonialzeit gilt: Wachstum geht vor Umweltschutz
Die Umsetzung von Adaptionsmaßnahmen hapert jedoch und die Ursachen sind zahlreich. Wie auch global trifft die Klimakatastrophe in Vietnam die Armen zuerst. Menschen, die sich nicht vor 45° im Sommer mit Klimaanlagen schützen können oder ihre Häuser auf befestigte Grundstücke außerhalb von Überschwemmungsgebieten bauen können. Sie finden bei den Machthabenden kaum Gehör, denn Korruption und Vetternwirtschaft ist in Vietnam weit verbreitet.
Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Priorität: Wachstum geht vor Umweltschutz. Zwar ist Umweltzerstörung und Nutzbarmachung der Natur in Vietnam kein rein modernes Phänomen. Spuren davon gehen Hunderte von Jahren zurück. Doch das hegemoniale Paradigma des Wirtschaftswachstums und die Vereinnahmung der Natur als Ressource wurden seit der französischen Kolonialisierung kontinuierlich forciert. Aktuelle Akteure, von anderen Staaten über die Weltbank bis hin zu Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) haben erfolgreich gefestigt, dass Wirtschaftswachstum nationale Priorität Nummer eins sein muss.
Vietnam besteht dabei – ähnlich wie andere Länder – auf das Recht auf wirtschaftliche Entwicklung. Zwei Mythen halten sich hartnäckig: Dass es Wohlstand braucht für Umweltschutz; und dass westliche Länder dafür das beste Beispiel sind. Dabei tragen eben jene immer noch die größte Schuld an der Klimakrise. China hat sie zwar, was das Gesamtmaß der aktuellen Emissionen angeht, überholt, jedoch unter anderem, weil westliche Länder ihre ‚dreckigen Produktionen’ nach China verlegt haben. Auch ist Chinas CO2-Ausstoß pro Kopf immer noch geringer (7,5t CO2 pro Person, Stand 2014) als der der USA (16,5t) oder Deutschlands (8,9t). Vietnams Ausstoß lag 2014 bei 1,8 t pro Kopf.
Vietnam ist außerdem weiterhin Schauplatz der ‚Mitigation der anderen’. Um die eigene CO2-Bilanz aufzubessern, investieren Staaten wie Deutschland in Projekte wie REDD+ (United Nations Programme on Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation). Sie investieren in Aufforstung und Waldschutz am anderen Ende der Welt, um eigene Konsumverhalten vor Ort nicht hinterfragen zu müssen. Dabei ist REDD+ allein wegen der Definition, was ein Wald ist, in Vietnam fragwürdig. Monokulturen haben denselben Status wie Urwälder. Staatliche Kontrollen, ob es einen Wald nur auf dem Papier gibt, sind nicht zuverlässig. So ist bereits vorgekommen, dass an Orten, wo laut offiziellen Dokumenten ein Wald sein sollte, freie Ackerfläche war. Unter NGOs und Stiftungen wird größtenteils das Wachstumsparadigma, wenn auch grün angestrichen, weiter propagiert. So wird die Debatte der Klimagerechtigkeit, wie z.B. in den Philippinen spürbar, in Vietnam nicht geführt.
Agenda-Setting folgt neokolonialen Richtlinien
Nicht nur Regierungen, auch internationale NGOs spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die Definition und Implementierung von Maßnahmen gegen die Klimakrise geht. „Klimawandel ist ein Trendthema für Geldgeber“, sagt die Leiterin einer lokalen Umwelt-NGO, die namentlich nicht genannt werden möchte. Vor zehn Jahren gab es schon einmal den Trend, Förderung für Klimaprojekte auszuloben. Dazwischen hätten andere Themen – wie Plastikmüll – übernommen. Erst seit kurzem gäbe es wieder Mittel für Klimamitigation und -adaption.
Obwohl sich viele internationale Organisationen aus Vietnam zurückgezogen haben und es stattdessen finanzielle Unterstützung für neu gegründete lokale Organisationen gibt, bedeutet das nicht mehr Möglichkeiten für ein eigenes Agenda-Setting der lokalen Akteure. Viele vietnamesische NGOs beklagen, dass die Themensetzung und die Analyse, was eigentlich das zu lösende Problem sei, im Ausland in den Zentralen von NGOs geschähen. Neben der Themensetzung erschwerten auch die Vorgaben von Berichterstattung und Rechenschaftspflicht die Arbeit der lokalen Organisationen. So sagt die bereits zitierte NGO-Leiterin: „Geldgeber haben Schwierigkeiten damit, lokale Kapazitäten zu verstehen, mehr Geld ist für Verwaltungsarbeit nötig als für die Projekte“. Dabei sind die Projekte der NGOs essentiell, da auch die vietnamesische Regierung sich auf sie verlässt.
Es gibt vereinzelt Projekte, die nicht der Idee des grünen Wachstums folgen, sondern alternative Konzepte und Visionen besprechen. Sie tun dies allerdings vor allem praktisch und versuchen Wörter wie „Klimagerechtigkeit“ zu vermeiden. Unter dem Konzept „nachhaltiger Entwicklung“ („phát triển bền vững“) finden sich Regierungs- und Nicht-Regierungsakteure zusammen. Dies hat verschiedene Gründe.
Zum einen ist dies das Paradigma, das von internationalen Organisationen ausgelobt wird, unter dem Ausschreibungen zur Geldvergabe stattfinden. Zum anderen ist „nachhaltige Entwicklung“ von der vietnamesischen Regierung politisch als unproblematisch anerkannt. Im autoritären System kann es für NGOs schwierig sein, sich durch andere Begriffe, Normen und Debatten abzugrenzen. Sie könnten dadurch ihre Arbeitsgenehmigungen riskieren. So nutzen sie das Konzept, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, auch wenn sie in der Praxis Projekte umsetzen, die durch kritisch gegenüber den Konzepten der gängigen Wachstumsdoktrin sind. Wenige internationale Akteure versuchen Debatten um alternative Wirtschaftsmodelle und Lebensweisen anzustoßen. Doch fraglich ist ohnehin, wie erfolgreich dies sein kann, wenn diese wiederum aus dem Ausland importiert werden.
Lost in translation: Klimadebatten in städtischer und ländlicher Umgebung
Hinzu kommt die weitere Kluft zwischen den oft Stadt-basierten NGOs und der ländlichen Bevölkerung, die Ziel von Adaptionsmaßnahmen der Klimakrise sind. Bäuer*innen können den Klimawandel nicht immer in der NGO-Sprache von nachhaltiger Entwicklung erklären. Viele merken aber, dass etwas nicht stimmt, dass Ernten sich verändern und Überschwemmungen zunehmen. Ihr Wissen darüber, was Klimawandel aber konkret bedeutet und welche Adaptionsmaßnahmen nötig sind, wird kaum in die Aktionsplanung durch die Mitarbeitenden der NGOs mit einbezogen. Das Vorurteil, dass die ländliche Bevölkerung ungebildet und nicht wissend ist, ist weit verbreitet.
Nicht zuletzt spielt die Wirtschaft in Vietnam wie global auch eine wichtige und mehrheitlich negative Rolle in den Bemühungen um Klimamitigation und -adaption. Internationale Unternehmen wie Coca Cola agieren durch ihre Corporate Social Responsibility– Abteilungen als Geldgeber für Umwelt-NGOs. Unterstützte Projekte richten sich dabei kaum nach innen an das eigene Unternehmen, um beispielsweise den eigenen Beitrag zum Klimawandel zu hinterfragen.
Zwar ist das Plastikmüllproblem ein anderes als die Klimakrise, doch illustriert dies die Doppelagenda der wirtschaftlichen Geldgeber. So unterstützt Coca Cola Bildungsprojekte an Schulen Hanois zur Müllreduzierung, ist aber zugleich größter Plastikverschmutzer in der Wirtschaft weltweit. Lokale Unternehmen sorgen sich wenig um Umweltbelange. Die produzierende und emittierende Industrie ist Teil des vietnamesischen Wachstumsplans.
Was bedeutet all dies für internationale Akteure? Zunächst einmal, dass eine Dekolonisierung des Klimaregimes nötig ist. Jene, die die Klimakrise zu verantworten haben, müssen in die Verantwortung genommen werden. Und es braucht den Paradigmenwechsel „Weg vom Wachstum“. Zusätzlich braucht es auf allen Ebenen eine Veränderung in den Machstrukturen: Internationale NGOs müssen lokalen Akteuren die Definition von Problemen überlassen. Die am stärksten von der Klimakrise Betroffenen müssen, vertreten durch lokale Organisationen, von Anfang an in Mitigations- und Adaptionsmaßnahmen eingebunden werden.
Zum Weiterlesen:
- James Fairhead, Melissa Leach and Ian Scoones. „Green Grabbing: a new appropriation of nature?“ The Journal of Peasant Studies 39:2 (2012) 237-261.
- Carmen Gonzalez. „Beyond Eco-Imperialism: An Environmental Justice Critique of Free Trade“. Denver Law Review 78:4 (2001) 979- 1016.
- Heinrich-Böll-Stiftung: Neue Ökonomie der Natur (Dossier).
- Liliane Danso-Dahmen, Philipp Degenhardt: Social-Ecological Transformation – Experiences from Asia and Europe
- Anett Keller: Der Hintern der Welt
- Jutta Kill, Thomas Fatheuer: REDD Early Movers – Ergebnisbasierte Zahlungen ohne klimarelevante Ergebnisse?
- Peter Vandergeest, Anusorn Unno. „A new extraterritoriality? Aquaculture cerfification, sovereignity, and empire“. Political Geography 31 (2012) 358-367., doi:10.1016/j.polgeo.2012.05.005