
Gipfeltreffen der BRICS Mitglieder in Rio Juli 2025: Runde zu Frieden, Sicherheit und Reform der Global Governance © Prime Minister’s Office (GODL-India), open data license
Weltweit: Das Erbe der Konferenz von Bandung in Indonesien im Jahr 1955 setzt sich im aktuellen globalen Kampf um Gerechtigkeit und Selbstbestimmung fort. TEIL II
Der Name BRICS wurde bekanntlich von dem Goldman-Sachs-Analysten Jim O’Neill geprägt, um für das Finanzkapital vielversprechende Schwellenländer zu bezeichnen, die den Boom der Weltwirtschaft im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts verlängern würden. Aber auch wenn O’Neill den Namen nicht erfunden hätte, wären die BRICS – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – höchstwahrscheinlich als bewusste Formation großer, sich rasch entwickelnder Länder mit einem ambivalenten Verhältnis zu den traditionellen Wirtschaftszentren in Europa und den Vereinigten Staaten entstanden.
BRICS als neuer internationaler Akteur: Gemeinsame Anliegen und Widersprüche
Bei den BRICS Staaten handelt es sich um kapitalistische Regime. Die Rolle des Staates in der Wirtschaft ist in einigen Ländern ausgeprägter und erfolgreicher als in anderen. Eines der Hauptmerkmale, die sie gemeinsam hatten, war ihre ‚dialektische‘ Beziehung zu den Volkswirtschaften des ‚Zentrums‘. Einerseits profitierten sie von der Globalisierung und von ausländischen Investitionen. Andererseits haben alle Länder ausländisches Kapital genutzt, um sich technologisches und Management-Know-how anzueignen und so ihre Abhängigkeit von letzterem zu verringern. Während sie sich zu dynamischen Zentren der Kapitalakkumulation entwickelt haben, die den globalen Kapitalismus als Ganzes belebten oder wiederbelebten, verfolgten sie das Ziel, ihre geopolitische und geoökonomische Macht gegenüber den traditionellen Zentren der globalen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht zu stärken.
Die Bevölkerung der heute aus zehn Ländern bestehenden BRICS-Staaten macht über 48 Prozent der Weltbevölkerung aus. Sie tragen 39 Prozent zur Weltwirtschaftsleistung bei. Die Tatsache, dass so viele Länder, darunter Thailand und Malaysia, Schlange stehen, um beizutreten, zeigt, dass der globale Süden erkannt hat, dass sich die Waage immer mehr wider den Westen neigt, der zunehmend defensiv, mürrisch und unsicher geworden ist.

Die Mitgliedsstaaten von BRICS © BRICS Lula Putin, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Da das von den USA dominierte globale multilaterale System unter Präsident Donald Trump mit Unsicherheiten konfrontiert ist, ist BRICS für den Globalen Süden sowohl als Quelle von Entwicklungsgeldern als auch als politisches Bündnis zunehmend attraktiv geworden. Dahinter steht etwas, was der UN-Generalversammlung trotz all ihrer Vorzüge als Ort der Bündnisbildung für die Entwicklungsländer fehlt: wirtschaftliche Schlagkraft.
Trump und der Globale Süden
Die aktuelle Situation ist für den Globalen Süden von großer Unsicherheit geprägt. Es gibt widersprüchliche Trends. In den USA, während Trumps zweiter Präsidentschaft, ist es sicher, dass die folgenden vier Jahre für das Klima, Frauen, Migranten und Minderheiten Verschlechterungen bringen werden. Wir haben einen Aufstieg faschistischer Bewegungen in den USA, in Europa, in Israel sowie in mehreren Ländern des Globalen Südens, darunter Indien und Brasilien, beobachtet. Einige dieser Bewegungen haben bereits die Macht übernommen.
Gleichzeitig gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass Trump die Paradigmen des liberalen Internationalismus und expansionistischen Imperialismus aufgibt, wonach die US-Eliten verpflichtet sind, an allen Fronten der Welt zu kämpfen, wenn sie die imperialen Interessen der USA bedroht sehen. Trump scheint sich auf den amerikanischen Kontinent zurückzuziehen und sich darauf zu konzentrieren, das ‚imperiale Kernland‘, Nordamerika, wieder zu stärken und gleichzeitig den Griff der USA auf Lateinamerika durch eine aggressive Wiederholung der Monroe-Doktrin zu verstärken.
Es entsteht ein defensiver Imperialismus, dessen Prioritäten darin bestehen, Zollmauern gegen ausländische Importe aufzubauen, harte Maßnahmen zu ergreifen, um die Einwanderung nicht-weißer Migranten zu verhindern und Arbeiter ohne Papiere auszuweisen. Des Weiteren geht es darum, die globalen Lieferketten, die von transnationalen Unternehmen der USA aufgebaut wurden, zu zerstören und ihre Produktionsstätten in die USA zurück zu verlagern.
Ära geoökonomischer Konkurrenz
Es ist wahrscheinlich, dass wir in eine Ära geoökonomischer Konkurrenz eintreten, in der der Freihandel und die freie Bewegung von Kapital durch eine enge Zusammenarbeit zwischen dem nationalen Kapital und dem Staat ersetzt werden, um das Eindringen ausländischer Akteure in den Binnenmarkt zu begrenzen und die Übernahme fortschrittlicher Technologien, insbesondere Künstlicher Intelligenz (KI), durch konkurrierende Akteure unternehmerisch-staatlicher Art zu verhindern. Einseitige wirtschaftspolitische Maßnahmen statt multilateraler Initiativen durch die Institutionen von Bretton Woods und einseitige militärische Einsätze statt gemeinsamer Angriffe unter der NATO scheinen der bevorzugte Ansatz der USA unter der Regierung von Trump zu sein.
Trotz der Komplexität des gegenwärtigen Moments kann man vielleicht vorsichtig die Behauptung aufstellen, dass die Bilanz der Fortschritte und Rückschläge im Kampf des Globalen Südens mit dem Globalen Norden in den siebzig Jahren seit Bandung zugunsten des Ersteren ausfällt. Es ist tatsächlich schwierig, der jüngsten Einschätzung des renommierten Wirtschaftshistorikers Adam Tooze zu widersprechen: …Wir befinden uns in einer multipolaren Welt…
Meiner Meinung nach ist es anachronistisch, sich an eine andere Perspektive zu klammern. Ich denke, dass wir die unipolare Phase in den 2010er Jahren bereits hinter uns gelassen haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine riesigen Bereiche der US-Macht und sogar eine Vormachtstellung der USA mehr gibt. Die drei offensichtlichsten Bereiche sind die militärische Macht, der globale Finanzmarkt und bestimmte Bereiche der Hochtechnologie.
Neue polyzentrische Ordnung
In einem allgemeineren Sinne können wir dennoch eine Fragmentierung der US-Macht beobachten. Ihre Legitimierung, die ‚Soft Power‘ der US-Hegemonie, hat einen erheblichen Substanzverlust erlitten. Die Fähigkeit der US-Eliten, die verschiedenen Dimensionen ihrer Macht klar zu formulieren, ist bereits fadenscheinig geworden.

US-Präsident Trump mit Tabelle von Zolltarifen im April 2025 © U.S. Federal Government (Daniel Torok), public domain, via Wikimedia Commons
Das schließt zwar populistische Versuche, die Vorherrschaft der USA wiederherzustellen, nicht aus. Noch verhindert es die nostalgischere Variante der Atlantiker, wie sie sich bei Joseph Biden zeigte. Doch stemmen sich solche Bemühungen gegen den Strom eines dramatischen Trends. Analytisch gesehen denke ich nicht monokausal, aber, wenn man einen Hauptfaktor benennen möchte, dann ist es das Ausmaß der globalen wirtschaftlichen Entwicklung, das zahlreiche wachsende Zentren für Kompetenz und Macht hervorgebracht hat. Das bedeutet, dass zahlreiche Akteure nun verschiedene Formen der Machtpolitik betreiben können, die ihnen zuvor nicht möglich waren. Der dramatischste Fall ist China, doch auch Indonesien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Brasilien überschreiten bestimmte Schwellenwerte und bilden eine neue polyzentrische Ordnung.
Der italienische Marxist Antonio Gramsci prägte den denkwürdigen Satz: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue kämpft um ihre Geburt. Es ist die Zeit der Monster.“ Er versuchte zu erklären, dass man ohne Krise keine Gelegenheit haben kann.
Die Krise des globalen Kapitals und der Hegemonie der USA bedeutet sowohl große Risiken als auch große Chancen. Der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China, der sich als zentrales Merkmal der kommenden Zeit herauskristallisiert, birgt die Gefahr eines Krieges. Er könnte jedoch auch den Weg zu einer Welt eröffnen, in der Macht dezentraler verteilt wird. In dieser Welt könnten kleine, traditionell benachteiligte Akteure aus dem Globalen Süden größere politische und wirtschaftliche Handlungsspielräume erhalten, indem sie die Supermächte gegeneinander ausspielen. Dadurch könnte durch Zusammenarbeit eine wirklich multilaterale Ordnung in einer multipolaren Welt entstehen, anstatt dass sie einseitig oder durch liberale Hegemonie aufgezwungen wird.
Wer in Bandung ungehört blieb…
Der Vorstoß des Globalen Südens zur Parität mit dem Globalen Norden seit Bandung hat Fortschritte und Rückschritte, offensive und defensive Phasen erlebt. Bandung entstand in einem Moment des antikolonialen Bewusstseins. Heute ist zwar der größte Teil der Welt von direkter kolonialen Kontrolle befreit, aber das Erbe des Siedlerkolonialismus behindert nach wie vor die Wirtschaft Südafrikas, Simbabwes und einiger anderer Länder in Afrika südlich der Sahara. Das ungeheuerlichste Beispiel für das Fortbestehen des Kolonialismus ist jedoch Israel, das nach wie vor mit massiver Gewalt die Rechte des palästinensischen Volkes verletzt, in Gaza einen Völkermord begeht und als äußerst destabilisierende Kraft im Nahen Osten wirkt. Israel wird von den Vereinigten Staaten, den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien sowie von Deutschland massiv unterstützt – wie hervorgehoben werden muss.
Die antikoloniale Mission von Bandung bleibt unvollendet. Jedoch hat der Globale Süden das Gleichgewicht zu seinen Gunsten verschoben. Das bedeutet nicht, dass das Nord-Süd-Gefälle keine Rolle mehr spielt. Aber es bedeutet, dass es durchlässiger geworden ist und wahrscheinlich zunehmend von anderen Beziehungen in einer definitiv multipolaren Welt aufgewogen oder überschattet wird, da sich die USA und Europa zunehmend voneinander entfernen und die USA unter Trump ihre Energien wieder auf ihre Rolle als Regionalmacht konzentrieren.

Zwillingsbrücken und Zentrum der 32 Millionenstadt Chongqing im Südwesten Chinas © Jay Huang.CC BY 2.0, via flickr
Der beste Weg, den Geist von Bandung voranzubringen, besteht darin, über seine politischen, ideologischen und organisatorischen Grenzen hinauszugehen. Die meisten Regierungen des Globalen Südens sind zwar nicht mehr den Kolonialmächten verpflichtet, aber viele werden von politischen und wirtschaftlichen Eliten beherrscht, die den Großteil der Bevölkerung im Griff haben. Den Geist von Bandung aufrechtzuerhalten bedeutet, sich nicht nur zu verpflichten, das Land von Kolonialismus und Neokolonialismus zu befreien, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Stimmen, die in Bandung unbeachtet blieben – die Stimmen der Frauen, der Bauern, der indigenen Gruppen, des Planeten – gehört werden und ihre Interessen an die erste Stelle der Agenda für den Wandel gestellt werden.
Dies ist eine stark gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung des Artikels „The Long March from Bandung to the BRICS„, erschienen bei Focus on the Global South am13. März 2025. Der Originalbeitrag entstand unter Mitarbeit von Shalimali Guttal.
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Mustafa Kurşun und Jörg Schwieger
Dies ist Teil II des Artikels. Teil I ist hier zu finden.