Europa/Asien – Die Covid-19-Pandemie verursacht eine globale gesundheitliche, soziale und ökonomische Krise und zugleich enorme Konfusion und Ratlosigkeit. Das Buch „Corona, Krise, Kapital“ von Verena Kreilinger, Winfried Wolf und Christian Zeller ist lesenswert. Denn es verbindet eine solide Analyse der Pandemie mit einer klaren Perspektive, wie eine solidarische Antwort darauf aussehen könnte.
Die Politik der Bundesregierung angesichts der Pandemie ist eine Bankrotterklärung. Hier ist das Buch Corona, Krise, Kapital unmissverständlich. Nach einem Jahr währenden ‚Jojo-Lockdown’ ist dieser Bankrott offensichtlich geworden. Die Große Koalition hat nicht nur fast drei Millionen Infizierte, viele davon mit Langzeitfolgen, und über 75,000 Tote in Deutschland zu verantworten, sondern auch immense soziale und psychische Schäden, die durch ihre halbherzige Politik angerichtet werden. Die These des Buches, die die Autor*innen systematisch nachweisen, ist, dass die deutsche Regierung (und natürlich auch viele andere in Europa und der restlichen Welt) die Profit- und Akkumulationsinteressen des Kapitals über die Gesundheit und das soziale Wohlergehen der Bevölkerung stellen.
Um es kurz zu sagen: man kann eine Pandemie nicht wirksam eindämmen, wenn Kontaktbeschränkungen auf individualisiertes Verhalten in der Freizeit fokussiert werden, aber jeden Tag Millionen von Menschen in Fabriken, Supermärkten und Großraumbüros arbeiten müssen. Von Anfang an hat diese Regierung daher nicht das Ziel verfolgt, den Virus auszulöschen, sondern nur die Ausbreitung zu verlangsamen („flatten the curve“), damit deutsche Unternehmen weiterproduzieren können.
Der Provinzialismus des Westens
SARS, MERS-CoV, Ebola – es gab in den letzten Jahren etliche Virenseuchen, die Warnsignale abgegeben haben. 2012 gab die Bundesregierung die vom Robert-Koch-Institut mitverfasste Studie Pandemie durch Virus Modi-SARS in Auftrag. Die Analyse, wenn man sie im Vergleich zur heutigen Pandemie lese, sei „im hohen Maß wirklichkeitsnah“, nur mit dem Unterschied, dass der angenommene Virus tödlicher sei. Im Planspiel sterben 7.5 Millionen Menschen. Man hatte daher genug Zeit, sich auf diese Pandemie vorzubereiten, doch „alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen“. Stattdessen seien seit der Studie „120 Kliniken geschlossen und mehr als 10,000 Krankenbetten abgebaut“ worden, wird in Corona, Krise, Kapital festgestellt.
Die Autor*innen schreiben, dass man „eine Epidemie des 21. Jahrhunderts“ am besten mit „Maßnahmen des 19. Jahrhunderts bekämpft“. Laut WHO müsse man „die Kontaktpersonen ausfindig machen, alle Kontakte nachvollziehen“, um sie dann zu isolieren. Genau dies hat die chinesische Regierung nach dem Ausbruch in Wuhan getan. Die Stadt und die Provinz wurden abgeschottet, keiner durfte rein oder raus. Alle Menschen mussten zu Hause bleiben, auch die Büros und Fabriken wurden geschlossen, der individuelle Autoverkehr und öffentliche Verkehrsmittel eingestellt. Es halfen auch viele Freiwillige mit, um die Menschen systematisch zu testen. Mit Hilfe von zehntausenden von Ärzten und Helferteams wurden überall „Quarantäneeinrichtungen in Messehallen, Sportstätten“ und Krankenhäusern eingerichtet, um auch „Kontakte der Infizierten aufzuspüren und unter Quarantäne zu stellen und somit die Übertragungsketten einzudämmen“. Mit Erfolg. Nach wenigen Monaten war der Virus in China praktisch ausgestorben, das Leben geht schon längst ‚normal‘ weiter.
Kaum auszumalen, wenn China den Virus so hätte grassieren lassen, wie Europa. Allerdings wird im Buch auch die Intransparenz und Informationspolitik der chinesischen Regierung kritisiert: anstatt sofort die WHO zu informieren und Flüge aus der Region zu unterbinden, habe man zunächst geschwiegen, um die Exportgeschäfte nicht zu gefährden. Damit seien wertvolle Tage und Wochen verloren gegangen. Dass man aber trotzdem entschlossen auf die Gefahr reagieren konnte, zeigt Südostasien, das zum Beispiel Auslandsflüge schnell unterband. Der Westen hingegen blieb in neoliberalen Dogmen verhaftet. Ein solches rigoroses Eingreifen wie im ‚autoritären Asien‘ wäre mit ‚unserer freiheitlichen‘ Ordnung nicht zu machen, so eine häufig gehörte Argumentation.
Eine neoliberal gemachte Katastrophe
Eine Stärke des Buches ist seine globale und ganzheitliche Perspektive. Die Pandemie ist in seiner Analyse ein Resultat der kapitalistischen, globalisierten Produktionsweise einerseits. Andererseits verstärkt sie die enormen sozialen Ungleichheiten und Verwerfungen des Neoliberalismus. Covid-19 wird zugleich als Ergebnis und Beschleuniger einer dreifachen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise analysiert.
Die Autor*innen verorten die Ursachen dieser sowie vieler vorangegangener und künftig auf uns zurollender Pandemien in der Zerstörung der Natur im Kapitalismus. Erstens werde durch die Zerstörung von Habitaten, zum Beispiel durch Entwaldung, eine künstliche Nähe zwischen Wildtieren und Menschen hergestellt, die zur Übertragung und Mutation von Viren führen könne. Zweitens schaffe die Massentierhaltung ideale Bedingungen für die Ausbreitung und Mutation von Viren. Und drittens werde durch die globalisierten Warenketten und Freihandelsdogmen eine große Zahl von Verbindungen geschaffen, die zur schnellen Ausbreitung einer Pandemie führen könne. Dies alles trifft in besonderer Weise auf Südostasien zu, wo sich Plantagenwirtschaft und Bergbau in die Wälder hineinfressen, und Landschaften schaffen, die ideal für die Ausbreitung von Stechmücken (mitsamt Virenmutationen) sind.
Ein ganzes Kapitel des Buches ist der Wirtschaftskrise gewidmet, die die größte seit 1929 werden dürfte. Kapitalvernichtung und Einbrüche im Bruttosozialprodukt führten vielerorts zu Massenverarmung, während mal wieder Rettungspakete für die großen Konzerne geschnürt würden. Auch die sozialen Folgen der Pandemie, die als „Brennglas der Ungleichheit“ bezeichnet wird, werden breit diskutiert. Betroffen sind vor allem die Armen, die prekär Beschäftigten, die Migrant*innen und Geflüchteten, die nicht nur ohne Auskommen und soziale Absicherung dastünden, sondern auch häufiger infiziert würden und stürben. Die „nationalen Egoismen“ der EU-Staaten führten auch dazu, dass der Virus sich global weiter ausbreiten werde, mit verheerenden künftigen Folgen für Millionen von Menschen in den Slums und Großstädten des globalen Südens. Auch hier ist die Relevanz für Südostasien mit den urbanen Megaräumen wie Manila oder JABODETABEK (Großraum Jakarta) offensichtlich.
Das Unvermögen der Regierung gekoppelt mit der kalten Verwertungslogik des Kapitals wird in der Pandemie auf besondere Weise im Gesundheitssektor sichtbar. Die Autor*innen sprechen von der „Durchrationalisierung des Krankenhaussektors zur Fabrik“. Der „radikale Abbau der Krankenhauskapazitäten“, Pflegenotstand und Kostensenkung durch die schlechte Bezahlung von migrantischem Pflegepersonal, zum Beispiel aus den Philippinen, hätten dazu geführt, dass die Situation für Beschäftigte im Gesundheitsdienst schon vor der Pandemie unerträglich gewesen sei. Die Blockadehaltung der EU bezüglich der Freigabe der Patente auf Covid-19-Impfstoffe nehme den unnötigen Tod von Hunderttausenden Menschen vor allem im Globalen Süden in Kauf.
Solidarisch aus der Krise
Angesichts des Bankrotts der Bundesregierung und vieler anderer Länder sei es unerklärlich und unverzeihlich, dass die Linke und die Gewerkschaftsbewegung weitgehend passiv blieben und den Moment verpasst hätten, „mit einer eigenständigen und solidarischen Forderungsperspektive zur Eindämmung der Pandemie in die politische Auseinandersetzung einzugreifen“. Zwar würden vereinzelte Forderungen nach Patentfreigabe oder nach einer besseren sozialen Abfederung der Krise gestellt, es gebe aber kein radikal anderes Vorgehen insgesamt, kritisieren die Autor*innen. Und dass, obwohl die Pandemie gerade die Arbeiter*innenklasse am stärksten treffe und als Ausdruck einer umfassenden Krise des Kapitalismus zu verstehen sei. Dies schaffe den Raum für Stimmen der Faschisten und so genannten Querdenker.
Umso wichtiger ist es, dass das Buch eine klare „solidarische und ökologische Perspektive zur Eindämmung der Pandemie“ aufzeigt. Diese baut auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse der wichtigsten Epidemiolog*innen auf, die eine „konsequente Eindämmung“ des Virus fordern. In der „ersten Säule“ der „solidarischen Anwendung“ dieser Strategie wird genau erörtert, wie dies sozial- und geschlechtergerecht, inklusiv für Migrant*innen und unter Verteidigung unserer demokratischen Rechte passieren kann. In der „zweiten Säule“ wird genauso detailliert der Ausbau und die schrittweise „gesellschaftliche Aneignung des Gesundheitswesens“ beschrieben. Dazu kommt die Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums (Säule 3) und die „lokale bis globale Solidarität“ (Säule 4), die auch die Freigabe der Patente und eine koordinierte, transnationale Pandemiebekämpfung mit einschließt.
Corona, Krise, Kapital ist ein rundum empfehlenswertes Buch – nicht nur als Lektüre sondern auch als Handlungsaufforderung. Ganz besonders sei es der Fridays for Future-Bewegung ans Herz gelegt. Denn es zeigt sehr gut, wie ein solidarischer Lockdown, der die Wirtschaft mit einschließt, als Schritt zum umfassenden sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft dienen könnte. Erst solidarischer Corona-Lockdown, dann solidarischer Klima-Lockdown!
Rezension zu: Verena Kreilinger, Winfried Wolf und Christian Zeller. Corona, Krise, Kapital. Plädoyer für eine solidarische Alternative in den Zeiten der Pandemie. PapyRossa. 2020. 277 Seiten.