China/Südostasien: In seinem Buch „In the Dragon’s Shadow“ zeichnet der Journalist Sebastian Strangio ein düsteres Bild der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und Südostasien. Detailreich, aber auch hierarchisch und zuweilen exotisierend beschreibt er soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklungen seit den 2000er Jahren.
Ausgehend von seiner Berichterstattung für Nikkei Asian Review, Al Jazeera, Yale Global Online und New York Times unternimmt Sebastian Strangio den Versuch, die Komplexität der Beziehungen Chinas mit seinen südostasiatischen Nachbarstaaten zu fassen. Sein Buch In the Dragon’s Shadow richtet sich vor allem an die China-interessierte Öffentlichkeit in Europa und Nordamerika und liest sich wie eine ‚Verfolgungsjagd’ des chinesischen Einflusses durch die Länder Südostasiens.
Die Kapitel befassen sich mit Vietnam, Kambodscha, Laos, Thailand, Myanmar, Singapur, Malaysia, Indonesien und den Philippinen. Es geht um die Beziehungen zur Volksrepublik, um chinesische Investitionsprojekte, die Wahrnehmung Chinas in den einzelnen Ländern und die chinesischen Communities. Sein gesamtes Buch stellt Strangio in den Kontext der Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und China in Südostasien. Die zwei kleinsten Länder Südostasiens, Brunei und Timor-Leste, fehlen allerdings im Buch.
Von China nach Südostasien
In allen Kapiteln ist die zeitliche und räumliche Spannweite enorm. Strangio führt die Leser*innen unter anderem vom französisch besetzten Saigon des Jahres 1866 den Mekong hinauf, an die chinesisch-vietnamesische Grenze im Jahr 1979, in die chinesisch-laotische Grenzstadt Boten im Jahr 2016, nach Malakka unter portugiesischer Kolonialherrschaft im Jahr 1521, in die Planstadt Forest City in Malaysia 2014, auf die Straßen Jakartas von 1998 und auf die philippinische Insel Palawan im Jahr 2019.
Hinzu kommen Orte, die symbolisch für den Aufstieg Chinas in der Welt stehen, wie der Hafen von Hambantota in Sri Lanka, der drei Mal genannt wird. Nach außen verändern solche Infrastrukturprojekte Chinas geopolitische Position, in diesem Fall insbesondere gegenüber Indien, und nach innen wirken sie in die Partnerländer hinein und schaffen wirtschaftliche Abhängigkeiten. Doch entgegen der Darstellung von Expert*innen wie Deborah Brautigam, die zeigt, dass der Verkaufsdruck für die sri-lankische Regierung nicht durch die Kredite für den Hafen sondern durch ausstehende Zahlungen am internationalen Anleihemarkt entstanden ist, ordnet Strangio ihn als Symbol von Chinas so genannter Schuldendiplomatie ein.
Strangio schafft es, einen differenzierten Blick auf die Einwohner*innen mit chinesischen Wurzeln in Südostasien zu eröffnen. Überzeugend stellt er heraus, wie die Innenpolitik zu ethnischen Gruppen in den jeweiligen Ländern und die China-Politik nach außen zusammenhängen und wie chinesische Communities mit ihren Beziehungen zu China als Sündenböcke für innenpolitische Fehler herhalten mussten. Eine Gemeinsamkeit südostasiatischer Länder sieht Strangio in der Verbesserung der diplomatischen Beziehungen zur Volksrepublik, sobald Peking seine Unterstützung für lokale kommunistische Bewegungen einstellt. Strangios Einblicke in die Beziehungen der südostasiatischen Länder mit der Volksrepublik legen zudem mehrfach offen, wie variabel der chinesische Grundsatz der ‚Nichteinmischung’ ist.
Vom Zentrum in die Peripherie
In the Dragon’s Shadow ist hierarchisch und sino-zentrisch aufgebaut: Strangio geht von Südostasien als einem Spielball der Großmächte USA und China aus und arbeitet sich von Peking als dem Machtzentrum durch die Länder Südostasiens in der Reihenfolge näher bis entfernter von Peking. Der Erzählfluss und die Kapitelfolge folgen dem Mekong stromabwärts. Die Rangordnung der Länder wird teilweise unnötig durch Strangios Bildsprache von der Übernahme von Infrastrukturen durch China untermauert. Zum Beispiel, wenn er beschreibt, wie militärische Infrastrukturen wie die Marinebasis in Subic Bay auf der philippinischen Insel Luzón oder das Flugfeld im kambodschanischen Kampong Chhnang die beheimatete Großmacht wechselt.
Zur hierarchischen Perspektive des Buches auf Südostasien gehört auch, dass große und gut sichtbare chinesische Investitionsprojekte im Mittelpunkt stehen: Staudämme, Immobilienkomplexe und Eisenbahnstrecken. Dies spiegelt einen wichtigen Teil der chinesischen Exportkompetenz wider, verzehrt jedoch das Bild des gesamten chinesischen Engagements, zu dem auch Investitionen im Pharmasektor Indonesiens, in die Agroindustrie Thailands oder in die Ölförderung in Brunei gehören.
Seine Gesprächspartner sind vor allem Männer aus sozio-ökonomisch privilegierten Schichten, darunter ein Prinz, ein ehemaliger Botschafter sowie ein Premierminister. Die meisten Interviews, aus denen Strangio zitiert, fanden in den Hauptstädten Südostasiens statt. Strangio gibt Männern mit zwielichtigen Einkommensverhältnissen viel Raum wie zum Beispiel dem Casinobesitzer Zhao Wei und dem Drogenbaron Lo Hsing Han im Goldenen Dreieck oder dem Warlord Sai Leun in der Grenzstadt Myanmars Mong La.
Seine Auswahl von Personen und Biographien wirft die Frage auf, warum er nicht mehr der „ungefähr 66 Millionen Menschen“, die vom Mekong abhängig sind, sprechen lässt. Oder mehr Aktivist*innen der „starken Zivilgesellschaft“ auf den Philippinen? Immerhin kommen zentrale Figuren wie der vietnamesische Dissident Nguyen Quang A und die Umweltaktivisten Dai Qing aus China, Niwat Roykaew aus Thailand und Steven Naw Awng aus Myanmar zu Wort.
Von Nationalstaaten zur Bandbreite der Akteur*innen
Das Buch reiht sich in eine Vielzahl von Veröffentlichungen ein, die mit einem ‚Drachen’ als China-Metapher spielen. Zusammen mit dem ‚Schatten’ des Drachens trägt das Buch zu einer Angst schürenden Vereinfachung und Exotisierung Chinas bei. Gerade in der Verwendung der Schattenmetapher für China liegt eine Schwäche des Buches.
Die Volksrepublik tritt in den Ländern Südostasiens nicht als Monolith auf, der vom Zentrum in die Peripherie einfällt. Die suggerierte Einheit Chinas fällt besonders auf, da Strangio ansonsten historisch fundiert schreibt und auf südostasiatischer Seite, zum Beispiel im Fall von Myanmar, anschaulich die verschiedenen Akteur*innen in der Interaktion mit China herausarbeitet. So widerspricht Strangio sich selbst, wenn er einerseits häufig ein einheitliches China als Entscheidungsträger dahinstellt und sich andererseits den Ländern Südostasiens differenziert nähert, unter der Grundannahme wie „improvisiert, widersprüchlich, und chaotisch“ die Belt and Road Initiative (BRI) im Kern doch sei.
Viele Wirkungsmechanismen bleiben so verborgen, zum Beispiel wie chinesische Akteur*innen mit WeChat Pay in südostasiatischen Ländern bezahlen und so chinesisches Geld von deren Volkswirtschaften isoliert bleibt und direkt wieder nach China abfließt. Strangios sprachliche Stärke wiederum liegt in zahlreichen Vignetten, also sehr dichten anschaulichen Situationsbeschreibungen, die jedoch manchmal orientalisierend wirken.
Strangio schließt mit der Feststellung, dass die Volksrepublik China vornehmlich ökonomische Interessen in Südostasien hat. Politisch soll nicht der Autoritarismus als Regierungsform, sondern sollen chinesische Regierungspositionen in den Ländern etabliert werden. Der Erfolg Chinas wird davon abhängen, inwieweit die Regierung in Peking ihre Partnerländer in Südostasien und deren lokalen Kontext sowie die eigene Beziehung zu ihnen mit Blick auf die Konsequenzen für Südostasien wahrnimmt und bewertet. Gleichzeitig haben die Länder Südostasiens gelernt, chinesische Initiativen wie die BRI für sich zu nutzen, jedoch nicht multilateral durch die ASEAN sondern bilateral im direkten Dialog mit China.
Rezension zu: Sebastian Strangio. In the Dragon’s Shadow: Southeast Asia in the Chinese Century. Yale University Press. 2020. 360 Seiten