Malaysia: Neonazis in Südostasien und Songs über die Vorherrschaft der Malai*innen? Was wie ein Widerspruch wirkt, bildet in Malaysias extremer Musikszene eine ‚geheime Community’. Diese entwickelte eigene von White Power inspirierte Symbole, Ausrufe und Schein-Historik. Und sie vernetzt sich zunehmend mit der globalen ultranationalistischen Bewegung.
„In der Stille der Nacht, jedes Wochenende, versammeln wir uns für das selbe Ziel. Lasst uns nie vergessen, Religion und Brauch, Kultur und Rasse müssen herrschen. Wir sind die Nusantara Oi!… Dies ist unser Land, wir kämpfen für unsere Rechte als Rasse, wir bleiben immer Malaien… Nusantara Oi! Oi! Oi! Oi! Oi!“
Jugra, Nusantara Oi!
Dies sind übersetzte Zeilen aus dem Song Nusantara Oi! aus Jugras aktuellem Album RAC Untuk Nusantara (RAC for Nusantara – erschienen 2019), einem Mix aus Oi!-Skinheadpunk und Nationalsozialistischem Black Metal NSBM (National Socialist Black Metal). Ihre eigenen Texte beschreiben Jugra – ein Duo (ehemals Trio) aus der Stadt Petaling Jaya, Selangor – als „Nusantara-Nationalismus, Nationalsozialismus, Rassismus und Heidentum“. So bezeichnet sich die Band außerdem selbst als die erste in Malaysia, die seit 2012 Black Metal mit Themen der Rock Against Communism (RAC)-Bewegung verbinden. Hierbei zeigt sich, dass der Band die ideologische Dimension genauso wichtig ist wie die musikalische.
Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick über eine kleine, verschwiegene Untergruppe innerhalb der zeitgenössischen extremen Musikszene Malaysias. Auch als ‚malaiische (Neo)Nazis‘ bekannt (wie sie in Malaysia genannt werden) übernehmen diese trotzig visuelle Nazi-Symbole. Es handelt sich um eine Untergruppe von Metalheads, Punks und Skinheads, die einen begrenzten Raum in der Szene einnimmt, und sich an schon länger etablierter White Power-Musik orientiert. Zugleich beschäftigt sich diese Szene aber auch aktiv mit historischen Themen, um Geschichte umzudeuten. Ihnen gehört jener Raum in der Underground-Szene, in dem globale (musikalische) Einflüsse auf ein seit der Kolonialzeit fest verwurzeltes, vom Staat getragenes, auf Rassentrennung basierendes System treffen. Im Besonderen werde ich dabei zwei Songs von Jugra aus ihrem vor kurzem veröffentlichten Album analysieren, die häufige Themen dieser Musikszene wiedergeben.
Das Wortspiel „Nazi Goreng“ in der Überschrift wurde übernommen aus dem Titel eines Romans von Mario Ferrarese: Nazi Goreng: Young Malay Fanatic Skinheads. Dieser 2013 veröffentlichte Thriller thematisiert Rassentrennung und wurde 2015 vom Innenministerium Malaysias verboten. „Nazi Goreng“ spielt dabei auf Bratreis an (auf Indonesisch und Malaysisch nasi goreng). Das Gericht ist weit über Nationalstaatsgrenzen verbreitet und es gibt so viele Rezept-Varianten, dass das Wortspiel „Nazi Goreng“ eine passende Verspottung der nationalistischen Vorstellung von ‚Reinheit‘ darstellt.
Heikles Bedeutungsschaffen
Der Titelsong des Albums RAC untuk nusantara (RAC für Nusantara) heißt auf Malaysisch Daulat Jugra (Heil Jugra), oder auch Herrschaft von Jugra. Jugra war eine frühere königliche Hauptstadt während der Herrschaft des 4. Sultans von Selangor, der ein enger Verbündeter der britischen Kolonialherrschaft im späten 19. Jahrhundert war.
Doch wer ist nun also diese „Nusantara-Rasse” in (der Band) Jugras Vorstellung, die sie auch als „austronesische Rasse” bezeichnen? In dem Lied Pelayar dari Hujung Selatan Timur (deutsch: Seefahrer aus dem fernen Südosten) besingen sie Menschen und (imaginäre) Kultur Nusantaras:
„Seefahrer des Fernen Südostens, die den weiten Ozean beherrschten, eine uralte Zivilisation, die mit der Zeit unterging, man nannte sie Lemuria, nun vergangen und begraben… Heute sind wir als eine Rasse bekannt, Nusantara ist ihr Name, wir sind vereint!… Das Vermächtnis besteht weiter. Groß-Nusantara!“
Jugra, aus dem Album Alif Ba Ta 2018
Die Wahl dieser prähistorischen Zeit zeigt die Idealisierung Nusantaras als eine Rassenüberlegenheit. Es gibt eine Menge Anspielungen auf Mythen und Symbole, die mit Nusantaras assoziiert werden. Im indonesischen Wörterbuch wird Nusantaras als „der ganze Bereich des indonesischen Archipelstaates“ definiert, während es das malaysische Wörterbuch als „Malaiischer Archipel“ bezeichnet. Darüber hinaus wurden dem Konzept des Nusantaras im Laufe der südostasiatischen Geschichte verschiedene Bedeutungen gegeben. Der Begriff schien über lange Zeit verschollen und tauchte dann wieder während des Kampfes gegen die Kolonialherrschaft in Indonesien und Britisch-Malaya auf, angereichert mit „beinahe magischer Konnotation“; er verschwand erneut bis zu den 1990ern, als sich eine Nusantaras-Jugendkultur und eine politisierte Nusantaras-Form des Islams in Südostasien entwickelten (Evers 2016).
Aufgrund der zahlreichen historischen und ästhetischen Verbindungen der Region werden auch heute noch Studien auf den Gebieten der Geistes- und Sozialwissenschaften und Archäologie weiterhin in inter- und transdisziplinärer Zusammenarbeit durchgeführt. Diese Forschung hat jedoch auch essentialistische und hochdubiose Behauptungen inspiriert, wie etwa die Abstammungstheorie, die die „Malai-Gene“ als zweitälteste auf der Welt bezeichnet, und die Wiederaufwärmung von Oppenheimers ‚Sundaland-Theorie’ durch die Historikerin Zaharah Sulaiman (Annuar 2018) [Die Sundaland-Theorie sieht die historische Region Sunda, die während der letzten Kaltzeit vor ca. 115.000 bis 11.700 Jahren bestand und die heutige malaysische Halbinsel, Java, Borneo und einige kleinere Inseln umfasst, als Ursprungsort der austronesischen Völker an, d. Red.] Maude E. Phipps von der Human Genome Organization HUGO hat Sulaimans genetische ‚Beweise’ sowohl migrationshistorisch als auch biologisch als unwissenschaftlich kritisiert.
Politischer Ethnonationalismus wirkt auch in der Musikszene
Das andauernde Hochspielen von Ethnonationalismus in der malaysischen Gesellschaft und Politik strahlt auch auf die Underground-Musikszene ab. Ebenso wie die importierten weltweiten Ideologien von Punk und Metal, auf die sich malaysische Musiker*innen beziehen. Man muss nicht besonders gründlich hinhören, um die Inkohärenz der Jugra-Ideologie und ihrer Gleichgesinnten, die als Koalition namens Blut und Ehre des Malaiischen Landes DMTM (Darah and Maruah Tanah Melayu) zusammenfanden, zu bemerken. Mit ihrer nebulösen, opportunistischen, aber auch unreflektierten Verschmelzung von ‚arischem‘ Neonazismus und ‚Malai‘-Essentialismus verkünden DMTM ihre Hingabe und ihren Einsatz für die Ideologie der Malai-Vorherrschaft.
Entsprechende Symbole sind ebenfalls zu erkennen auf dem Coverbild der von Jugra mit der Band Spiderwar geteiltem Album No Malay Will Ever Lost in the World. Beide rücken gestalterisch ihre NSBM/RAC-Avatare in den Vordergrund. Diese sind aus Darstellungen eines (prämodernen) männlichen malaiischen Kriegers und eines Kämpfers der Antikolonialarmee in Britisch Malaya entstanden.
Liedbeispiel aus dem No Malay Will Ever Lost in the World-Album:
Der Albumtitel ist übersetzbar als Kein*e Malai*in wird je auf der Welt verloren sein. Studioversion von Jugras K.M.M. (Kesatuan Melayu Muda) (zu Deutsch die junge malaiische Union) © YusufAzinzan, Youtube
Es gibt bislang kaum substanzielle Forschung zu Rechtsaußen-Tendenzen der Underground-Subkultur in Malaysias Musikszene. Auch gibt es keine Studien über die (diskreten) Verbindungen zwischen der „kuasa Melayu-Identität“ (Malay Power, d.h. die Bewegung zur Stärkung von Malai*innen) und den von Machthaber*innen definierten, in Regierungspolitik übergegangenen Vorstellungen von politischer und institutioneller Herrschaft von Malai*innen (Shamsul 2001). Shamsul beklagt ebenso das unkritische Übernehmen des durch koloniale Historiographie konstruierten sozio-politischen Konzepts und Klassifizierung von Malai*innen und Malai-Sein durch Historiker*innen im post-kolonialen Malaysia.
DMTM und ihre malaysischen Fans haben weiße nationalsozialistische Symbole mit ihrer einheimischen Geschichte und ihren Mythen verknüpft, um eine zeitgemäße Mischidentität zu rekonstruieren: Malay Power. Dieser offensichtliche Widerspruch der ‚Malai-Neonazis‘ führt zu „bizarrerweise existierenden“ NSBM-Gruppierungen, deren Mitglieder nicht-europäischer Abstammung sind.
Vielleicht erscheint es nicht mehr so absonderlich, dass es eine ‚Arier-Malai’-Kombination gibt, wenn man den Begriff „chauvinistische politische Agenda“ verwendet (Shamsul 2001: 356). In einer ideellen Welt könnte man mit dem Gedanken des Kolonialoffiziers Sir W.E. Maxwell (1881), einem früheren britischen Siedler in Selangor, spielen. Er argumentierte, dass die ursprünglichen Mythen der malaiischen Traditionen, besonders der fest etablierten alten malaiischen Königreiche, aus der ‚Arier‘-Mythologie kamen, wie die Arier-Invasionstheorie besagt.
Die malaiische Neonazi-Subkultur entspringt der Unzufriedenheit über das historische Narrativ des malaysischen Staates und der früher regierenden politischen Partei United Malays National Organization UMNO (Pertubuhan Kebangsaan Melayu Bersatu). Über sechs Jahrzehnte lang dominierte die UMNO die Politik des Landes basierend auf der Ideologie des malaiischen Nationalismus, mit dem angeblichen Ziel, „die Würde von Rasse, Religion und Land“ aufrechtzuerhalten, bis sie die Mehrheit an die Koalition aus Oppositionsparteien bei den malaysischen Parlamentswahlen 2018 verlor (vgl. dazu auch die Artikel „Neues Malaysia“? – „So viel hat sich noch nicht geändert“ sowie „Alles beim Alten im „Neuen Malaysia“?“ auf suedostasien.net). Trotz neuer Koalitionsregierung scheint es, dass eine Veränderung hin zu einer selbstreflektierten Kritik der geschichtswissenschaftlichen, vom Staat verwendeten Begriffe und deren Rassifizierung weiterhin aussteht.
Ein weiteres Beispiel, in dem malaiische Nationalsymbole unreflektiert vermischt wurden, ist Jugras Alif Ba Ta-Albumcover. Der Titel spielt an auf die ersten drei Buchstaben der Jawi-Schriften, die auf dem arabischen Alphabet basieren, um Malaiisch und einige andere südostasiatische Sprachen darzustellen. Abgebildet ist ein mystischer männlicher malaiischer Krieger, gezeichnet mit einer Nazi-Swastika, die umrahmt ist von der buginesischen Lontara-Schrift (einer Brahmi-Schrift, die für die Sprache der ethnischen Bugis auf Sulawesi verwendet wurde). Mag die Swastika auch ursprünglich ein rein spirituelles Zeichen im (indisch-)asiatischen Raum gewesen sein, soll sie in Jugras Fall vermutlich eher schocken und mit Vorherrschaft der eigenen Rasse assoziiert werden.
Lokale Szenen mit weltweitem Netzwerk
Nur sehr wenig Information findet sich auf dem sogenannten DMTM-Blog, der seit 2012 nicht aktualisiert wurde; er existiert nur, um auch dort online eine Präsenz des Genres zu zeigen. Facebook-Seiten und Blogs einiger anderer Bands und Mitglieder zeigen, dass sie sich anscheinend als urbane, kosmopolitische, hybride Individuen oder Kollektive sehen, die opportunistisch zwischen den Vorstellungen springen, speziell auch auf musikalische Art. Jedoch geschieht dies leider ohne viel Selbstreflexion oder Kritik an den vertretenen Idealen.
Ein Indiz dafür ist zudem, dass auch die antifaschistische Bewegung in Malaysia auf Malay Power-Veranstaltungen (wie das Rebellion Fest in Ipoh City am 13. April 2019, bei dem u. a. auch Spiderwar auftreten sollten, und das Death to the Antifa Fest eine Woche zuvor) aufmerksam wurden. Aktivist*innen, die sich gegen Malay Power aussprechen, protestierten u.a. auf Twitter gegen deren Ausrichtung und erwirkten deren Verschiebung.
Jugra und ihr Label, Heritage Nusantara Produktion, hatten bis vor kurzem jeweils eine eigene Facebook-Präsenz, auf denen sie Updates teilten und für ihre Songs, Gigs und Merchandise warben, jedoch sind beide Seiten inzwischen offline. Im Unterschied zu internationalen Musiksubkulturen des rechten Flügels, wie White Power und RAC, veranstaltet die malaysische DMTM-Szene eher kleine, verschwörerische Privatkonzerte, deren Veranstaltungsorte geheim gehalten werden. Auf der anderen Seite wird der Nusantara Oi!-Song vom rechtsaußen stehenden amerikanischen Musiklabel Winter Solace Productions beworben und vertrieben.
Drei charakteristische Merkmale der (extrem) rechten Musikszene können daher allgemein, wie Laurent Beauguitte (2019) erklärt, weltweit ausgemacht werden:
- Sie sind dem Underground zuzuordnen und oft illegal;
- sie werden organisiert in kleinen, geografisch eng vernetzten Orten; sie sind dabei aber
- trotzdem verbunden mit einem globalen Netzwerk gleich gesinnter Musiker*innen und Aktivist*innen.
Musik scheint dabei mehr noch als andere Formen der Populärkultur (Videospiele, Magazine oder Webseiten) zu einer stärkeren Verbindung von ‚Hassgruppen‘ untereinander führen zu können. Zum Beispiel wurden Jugras erste LP (2014) und ihr erstes Album (2015) auf einem bulgarischen Blog mit ‚Arier‘-Thematik promotet, neben ansonsten fast nur europäischen und einigen russischen Musiker*innen. Die globale Nationalismusbewegung hat so definitiv das Internet als effiziente Plattform entdeckt, um ein Netzwerk an Musikfirmen und Organisationen aufzubauen. Im Vergleich zu anderen DMTM-Bands scheinen Jugra als einzige sehr aktiv mit einer Handvoll kleiner Labels zusammen zu arbeiten, die sich auf die Aufnahme und/oder Verbreitung amerikanischer und europäischer White Power-Musik spezialisiert haben.
Fazit: (Globale) Übereinstimmungen in der rechten Szene werden klarer, wenn man den Begriff ‚Malai-(Neo)Nazi‘ mit all seinen Widersprüchen beleuchtet, anstatt ihn zu vermeiden. Dennoch sollte schlussendlich darauf hingewiesen werden, dass die Anzahl von Malay Power-Gruppen sehr gering ist neben der viel breiter öffentlich sichtbaren Anti-Rassismus-Bewegung in Malaysias Musikszene, z.B. Skinheads gegen rassistische Vorurteile SHARP (Skinheads Against Racial Prejudice).
Übersetzung aus dem Englischen von: Katharina Valjak und Stefanie Zinn
Zum Weiterlesen:
- Evers, H. (2016). Nusantara: History of a concept. In: Journal of the Malaysian Branch of the Royal Asiatic Society 89 (1): 3-14.
- Shamsul, A. B. (2001). A history of an identity, an identity of a history: The idea and practice of ‚Malayness‘ in Malaysia reconsidered. In: Journal of Southeast Asian Studies 32 (3): 355-366.
- Maxwell, W. E. 1881. Aryan Mythology in Malay Traditions. In: The Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland 13 (3): 399-409.