Myanmar: Seit Jahrzehnten erleben ethnische und religiöse Minderheiten Gewalt durch die mächtigste Institution des Staates – das Militär. Dessen führende Rolle bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie untergräbt die Bestrebungen der Minderheiten nach Selbstbestimmung. Einen Hoffnungsschimmer bietet eine nicht-staatliche, lokale Initiative der indigenen Karen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus.
Die Geschichte Myanmars ist von Militär-Regimen und einer entsetzlichen Menschenrechtsbilanz geprägt. Der jüngste Militärputsch vom 1. Februar 2021 macht die – ohnehin begrenzten – Reformen der letzten zehn Jahre rückgängig. Eben dieses Militär hat über Jahrzehnte Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord gegen ethnische und religiöse Minderheiten begangen. In Reaktion auf Covid-19 führt eine sicherheitsorientierte Strategie zur Eindämmung der Pandemie zu einer Beschneidung von Grundfreiheiten und einer weiteren Militarisierung der ethnischen Gebiete.
Der Salween Friedenspark, eine lokal geführte nicht-staatliche Friedensinitiative in Mutraw (offiziell als Hpapun-Distrikt bezeichnet) im Karen-Staat, ist ein Ausdruck von Selbstbestimmung und indigener Handlungsfähigkeit während der Pandemie und eine Form des Widerstands gegen das gewalttätige Unterfangen der myanmarischen Staatenbildung.
Covid-19 in Myanmar und die staatliche Reaktion
Das Ausmaß der Ausbreitung von Covid-19 in Myanmar ist schwer zu beurteilen, denn es mangelt an verfügbaren Tests. Systematische und umfassende nationale Daten über die Todesfälle fehlen. Ende Februar 2020 waren 3.197 Tote (Stand 25. Februar 2021) bei 141.000 offiziell bestätigten Infizierten registriert. Vermutlich liegen die offiziellen Zahlen um ein Vielfaches unter der tatsächlichen Zahl der tatsächlichen Fälle. Alleine wegen der langen, durchlässigen Grenze zu China ist es möglich, dass das Virus schon vor Bekanntgabe des ersten offiziellen Falles im März 2020 im Land aufgetreten ist. Nach einer anfänglich niedrigen Zahl von Infizierten gab es im August/September 2020 einen Höhepunkt.
Die Nichtregierungsorganisation Progressive Voice analysierte in einem Bericht im Jahr 2020 die Reaktion der Regierung und des Militärs auf die Pandemie. Demnach wird Sicherheitspolitik über das Wohlergehen der Menschen gestellt. Dem Militär kommt dabei eine Hauptrolle zu.
Dominanz von Militärs und Unterdrückung ethnischer Gruppen
Am 30. März 2020 wurde das Covid-19 Control and Emergency Response Committee gegründet, um staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu koordinieren. Es wird von aktiven und ehemaligen Militärs dominiert und hat weit reichende Befugnisse. Unter anderem kann es rechtliche Schritte gegen Personen einleiten, die ‚Falschinformationen’ verbreiten, was in Verhaftungen von Medienmitarbeiter*innen und Razzien in Medienhäusern resultierte. Die Behörden versuchten, die angespannte Lage zu nutzen, um mutmaßliche Verbündete ethnischer Organisationen zu unterdrücken.
Diese sicherheitspolitische Antwort der Regierung in Abstimmung mit dem Militär hat dazu gedient, weiter hart gegen Andersdenkende vorzugehen und Militäroperationen gegen ethnische Gruppen fortzusetzen. Dies geschah trotz des Aufrufs des UN-Generalsekretärs im März 2020 zu einem weltweiten Waffenstillstand – ein Aufruf, der auch von vielen ethnischen bewaffneten Gruppen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und diplomatischen Vertretungen in Myanmar geteilt wurde. Während in Yangon ein Lockdown und Präventionsmaßnahmen durchgesetzt wurden, fielen im Rakhine-Staat Bomben und im nördlichen Karen-Staat wurden Militäroperationen durchgeführt. Somit spielt Covid-19 eine zentrale Rolle in der Verflechtung von Überwachungs-Ausbau und Verfolgung, die Myanmars Reaktion auf die Pandemie beherrschen.
Gesundheits-Initiativen ethnischer Gruppen werden vom Militär behindert
Ethnische bewaffnete Organisationen und ethnische Gesundheitsdienstleister*innen, die unabhängig vom Staatsapparat tätig sind, haben eigene Maßnahmen umgesetzt. Dazu gehören Sensibilisierungskampagnen, Reisebeschränkungen, Checkpoints, Quarantänezentren und medizinische Untersuchungen. Diese Dienstleister*innen arbeiten seit vielen Jahren unter widrigen Umständen in den Staaten Mon, Karen, Karenni, Shan und Kachin und versorgen die Menschen, die von den Militäroffensiven betroffen sind. Die Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, die von gemeindebasierten Organisationen geführt und von ethnischen bewaffneten Gruppen wie etwa der Karen National Union (KNU) unterstützt werden, sind ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Gefüges in den ethnischen Gebieten.
Die Covid-19-Maßnahmen sind nur die jüngste Entwicklung. In den letzten Jahren hat der Staat Myanmar mit Unterstützung von internationalen Organisationen die Gesundheits- und Bildungsdienste sowie deren Projekte als Mittel zur Staatenbildung eingesetzt. Er kann so in ethnische Gebiete vordringen, die bislang aufgrund der bewaffneten Konflikte unzugänglich waren, und so die lokal bereitgestellten Dienste verdrängen.
Darüber hinaus hat sich das von der Regierung eingerichtete Komitee für die Koordination und Zusammenarbeit mit den ethnischen bewaffneten Organisationen zur Prävention, Kontrolle und Behandlung von Covid-19 als weitgehend ineffektiv und unkooperativ erwiesen. Vielmehr wurden die lokalen Bemühungen durch das myanmarische Militär untergraben. Beispiele dafür sind das Niederbrennen von zwei KNU Covid-19 Kontrollposten im Mai 2020 und der Angriff des Militärs auf Sanitäter*innen des Restoration Council of Shan State, die im April 2020 durch den Shan-Staat reisten, um Aufklärung zu leisten.
Der Salween Friedenspark – eine nicht-staatliche, indigene Alternative
Trotz der Vernachlässigung der ethnischen Bevölkerung durch die Regierung und der anhaltenden Verfolgung ethnischer Organisationen durch das Militär gibt es Beispiele für erfolgreiche, nichtstaatliche Covid-19 Maßnahmen. Eines ist der Salween Friedenspark – ein geschütztes Waldgebiet in Mutraw im nördlichen Karen-Staat, das von der KNU verwaltet wird.
Hier hat sich eine Form indigener Regierungsführung, die auf traditionellen Praktiken, Umweltschutz und herkömmlicher Landnutzung basiert, der erzwungenen Eingliederung in den myanmarischen Staat widersetzt. Nach dem Ausbruch von Covid-19 haben die Gemeindevorsteher*innen des Salween Friedenspark eigene Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern und die dort lebenden Karen zu schützen. Dazu gehört die Praxis des Ta Wor Hee (Abriegelung der Dörfer in Zeiten der Krankheit, wie sie von den Vorfahren übermittelt wurde). Im Oktober wurde eine traditionelle Gebetszeremonie im Park abgehalten, bei der Regeln zum Schutz vor der Ausbreitung des Virus aufgestellt wurden.
Darüber hinaus gründeten lokale Führungskräfte und Karen-Gemeinschaftsorganisationen das Covid-19-Notfallkomitee, um die Gemeinschaft in Mutraw zu schützen. Das Komitee organisierte die Ausbildung des lokalen Gesundheitspersonals, öffentliche Aufklärungskampagnen, Sicherheitsvorkehrungen in Schulen, die Einrichtung von medizinischen Kontrollpunkten und Quarantänezentren für Rückkehrer*innen. Durch Verbindungen zu Gesundheits- und medizinischen Organisationen an der thailändischen Grenze können Covid-19-Tests zur Analyse in ein Labor geschickt werden und Sauerstoff steht bei Bedarf zur Verfügung. Auf diese Weise wird die Kommunikation mit der Weltgesundheitsorganisation und dem öffentlichen Gesundheitssystem in Thailand aufrechterhalten. Das Komitee half auch dabei, den Zugang zu Lebensmitteln sicherzustellen, zum Beispiel durch Reisvorräte und Verteilungspläne. Durch die Verbindung indigener Praktiken mit modernen medizinischen Verfahren hat Mutraw eine koordinierte, gut organisierte und effektive Reaktion geschaffen, die die Pandemie weitgehend unter Kontrolle gebracht hat und die Gemeinden vor einer ernsthaften Knappheit an Lebensmitteln schützt.
Dezentrale Lösungen für mehr Selbstbestimmung in Zeiten der Pandemie
Die Initiative der Karen stellt eine Herausforderung für den Staat Myanmar dar. Sie ist effektiv, geht auf die lokalen Bedürfnisse ein, nutzt traditionelles Wissen und verfügt über Akzeptanz in den Gemeinden. Bezeichnenderweise lehnt sie die Verwaltung der staatlichen Regierung ausdrücklich ab.
saIn vielerlei Hinsicht ist die Covid-19-Reaktion im Salween Friedenspark repräsentativ für eine Lösung für Myanmars lange Geschichte von Konflikten und umstrittener Friedenskonsolidierung. Eine dezentralisierte, föderale Struktur der Regierungsführung, in der ethnische Gruppen Selbstbestimmung und substanzielle Autonomie über ihre Ressourcen und Entscheidungsfindung besitzen, zeigt, wofür Gruppen wie die KNU und andere ethnische bewaffnete Organisationen kämpfen. Die jüngsten militärischen Angriffe der Streitkräfte Myanmars in Mutraw zeigen jedoch den mangelnden politischen Willen der mächtigen staatlichen Akteur*innen Myanmars.
Chancen durch dezentrale Unterstützung
Interessant ist, wie sich diese Situation nach dem Militärputsch vom 1. Februar 2021 und der anhaltenden Bewegung des zivilen Ungehorsams weiterentwickeln wird. Vorerst haben die indigenen Praktiken des Salween Friedenspark für Sicherheit und Versorgung in ihren Gemeinden gesorgt – zumindest besser, als es dem myanmarischen Staat gelungen ist. Anstatt zu versuchen, diese essenziellen Strukturen zu untergraben, sollten internationale Organisationen, die Myanmars Kampf gegen Covid-19 unterstützen wollen, dezentralisierte Regierungsstrukturen anerkennen und unterstützen. Sie können finanzielle oder technische Hilfe durch das Mutraw Covid-19 Response Committee oder durch ihre Partner*innen an der Grenze zu Thailand leisten. Auch wenn sie die gängigen Vorstellungen von herkömmlichen, staatlich gelenkten top-down Strategien in Frage stellen mögen, sind die Maßnahmen des Salween Friedenspark zur Bekämpfung der Pandemie ein erwiesener Erfolg in einer Welt von gescheiterten Antworten auf Covid-19.
Übersetzung aus dem Englischen von: Simon Kaack