Kambodscha: Als 1975 die Herrschaft der Roten Khmer begann, ging es für viele nicht um Ideologie sondern vor allem um das eigene Überleben. In „Funan“, einem Mix aus Animationsfilm, Drama und Geschichtsporträt, arbeitet Regisseur Denis Dos die Schrecken und die Moral jener Jahre auf.
‚Nichts gehört dir’ – diese Lektion lernen die Bewohner*innen von Phnom Penh nach und nach, als sie mit Beginn der Revolution aus der Hauptstadt vertrieben werden. Die Familie um Chou, ihren Ehemann Khoun und ihren vierjährigen Sohn Sovanh, tritt den Marsch ins Ungewisse an. Sie hoffen, bald zurückzukehren. Ganz im Sinne der Geheimhaltung der Kommunistischen Partei, die nun an der Macht ist, bleibt die Führung dabei mysteriös, die Sprache vage: ‚Angka’ ( = ‚die Organisation’) macht euch zu einer besseren Gesellschaft, stellt euch nicht gegen die Revolution’.
Die Hauptcharaktere müssen sich fügen, zu Fuß in ein Arbeitslager wandern und dort schuften. Auf dem Weg in eine Nachbarkommune verlieren Sovanh und seine Großmutter den Rest der Familie in der Menge. Die Ordnung haltenden Partei-Kader verbieten die Suche mit den Worten, dass sich Angka schon um ihn kümmere. Sovanhs Mutter Chou ist besonders bestürzt über die Trennung. Sie und Khoun versuchen, in den Widrigkeiten des Systems Sovanh wiederzufinden.
Hilflosigkeit und emotionales Abstumpfen
Das Tempo des Films nimmt schnell Fahrt auf. Charaktere werden vorgestellt, bevor sie im Chaos der Gesellschaft ein oft nicht ganz explizit genanntes Schicksal ereilt. Chous Bruder Meng, der Kritiker, der sich nichts vorschreiben lassen will; der andere Bruder Tuch, der gesundheitlich schwächelt, und auf den die Familie Acht geben muss; ihr Cousin Sok im örtlichen Kader, der versucht zu helfen, aber nichts gegen das System tun kann; das junge Paar Lili und Hout, das ebenfalls getrennt wird, als man Hout abzieht und Lily ungeschützt lässt vor dem ungewollten Interesse eines Roten Khmer; die junge Mutter Chen, von den anderen geächtet, weil sie resigniert hat und mit einem Kader schläft, die aber dennoch Hilfsbereitschaft zeigt. Menschen verhungern, werden exekutiert oder abtransportiert, oft aus fadenscheinigen Gründen, die die Umstehenden oft nur weiter emotional abstumpfen.
Chou kann den Gedanken an Sovanh nicht loslassen. Trotz schwindender Kräfte beschließen sie und Khoun, die Bombardierung durch die vietnamesische Armee zu nutzen. Fern der Kommune suchen sie das Land weiter nach ihrem Sohn ab und hoffen, mit ihm nach Thailand fliehen zu können.
Indirekte Symbolik
Besonders an „Funan“ ist die Entscheidung, keine direkte Gewalt zu zeigen oder Worte als Schuldzuweisung zu verwenden. Das Elend spricht für sich. Die immer tragischeren Lebensumstände werden implizit dargestellt durch Überblenden und das Wiederholen von – nun veränderten – Alltagsmustern: Menschen werden in dunklen Farben, still, im Regen, ohne jegliches Lächeln, durch entfernte Schreie oder Geräusche dargestellt. Vergleiche zum Leben vor der Besetzung werden nicht angesprochen, doch die Veränderungen werden deutlich: in ausgemergelteren Gesichtern, kürzeren Haaren, uniformerer Kleidung.
Ein Leitmotiv, das sich durch den Film zieht, lässt innehalten: Eine Umarmung von Khoun und Chou, bei der sie die Augen schließen, in immer verzweifelteren, hoffnungsloseren Umständen. Die Situation des jungen Paares steht als Beispiel für viele Menschen – vom idyllischen Beginn bis zum Ende, an dem die, die überlebt haben, nur noch Schatten ihrer Selbst sind. Sie waren Zeugen des Todes, des zufälligen, bewussten, zur Abschreckung und Warnung, aus Missverständnissen heraus.
Eine entsprechend drückende Atmosphäre macht sich in den Beziehungen untereinander breit. Der Untertitel des Films ‚Die neuen Menschen’ ist eine treffende Metapher sowohl für das sozialistische Idealbild der Roten Khmer als auch für die individuellen Schicksale der Menschen in Kambodscha.
Systemübergreifender Zwang zur Anpassung
Die Geschichte basiert auf der Lebensgeschichte der Mutter des Regisseurs. In ihrem Realismus und den Fakten, die mittlerweile über das Rote Khmer-Regime bekannt sind, liegt auch eine Botschaft für die nächsten Generationen.
Die Idee der Revolution wird nicht kontinuierlich kritisiert, das Scheitern des Gesellschaftsversuches nicht explizit unterstrichen. Einerseits wirken seine Anhänger*innen zuweilen auf naive Art von der Idee selbst überzeugt und beschönigen die Mittel zum Zweck (‚Angka belohnt harte Arbeit’). Die Kader scheinen bereit, eine neue Welt mit aufzubauen, und das Leid nur temporär zu halten.
Andererseits sieht man, wie realitätsfern ihre Ziele sind, wie grausam ihre Methoden. Letztlich sind die korrupten Kader nur davon geleitet, ihre eigenen Vorteile im System zu erhalten. Der Großteil der Reaktionen des Volkes ist schon nach kurzer Zeit wenig politisch. Man will nur noch die, die einem am nächsten stehen, schützen, niemand Wichtigen verärgern, um irgendwie die Hölle zu ertragen. Die Gesellschaft wird von persönlichen Gefälligkeiten bestimmt, so dass selbstlose Hilfe für nur entfernte Verwandte oder gar Fremde überraschend wirkt. Ein Leben in Angst, da Gerechtigkeit relativ ist.
Zugleich ändert sich für die gewöhnlichen Menschen nicht viel von System zu System: Wollen sie überleben, sind sie gezwungen, sich anzupassen. Und dennoch: Die Verantwortung dafür, das eigene Gewissen, nicht zu verlieren, liegt bei jedem Einzelnen.
‚Selbstkritik ist der Weg zum Wandel’, eine im Film genannte Parole der Revolution, mag ein fataler Denkfehler des Systems aus gegenseitigen Anschuldigungen und großer Vorsicht sein. Wenn man die Kritik in die richtige Moral oder ein Ziel umwandelt, kann sie aber, wie auch in Chous Fall, physisch und mental stärken. Auch die Resignierten müssen sich Entscheidungen stellen und treffen sie oft aktiv, selbst in Situationen, auf die sie vorher keinen Einfluss hatten.
Der Film schafft Bewusstsein, ohne Schuld zuzuweisen oder belehrend zu sein. Er zeigt, was die aktuelle Regierung kaum aufarbeitet, außer um es gegen ihre Opposition zu instrumentalisieren.
Offizieller Trailer des Films:
Rezension zu: Denis Do, Funan, Frankreich 2018, 84 min
„Funan“ wurde im Rahmen der Filmreihe „Südostasien auf der Leinwand: Kampf um die Freiheit“ gezeigt, einer Kooperation der Stiftung Asienhaus, der Deutsch-Indonesischen Gesellschaft, dem philippinenbüro und dem Allerweltskino.