Thailand: Militärputsche sind in der Regel schlechte Neuigkeiten für die Arbeiter*innenbewegung. Warum unterstützen die thailändischen Gewerkschaften dennoch die jüngsten Putsche des Militärs?
Ich habe viele Artikel über die Arbeiter*innenbewegung geschrieben. Die meisten davon nach der Wirtschaftskrise 1997, als ich mit dringenden Problemen wie unfairen Entlassungen, Sicherheit am Arbeitsplatz, angemessener Entlohnung und sozialer Absicherung beschäftigt war. Ein Beispiel sind die Textilarbeiter*innen von der Firma Bed and Bath, die alle entlassen worden sind, als die Fabrik in Bangkok geschlossen wurde.
Im Nachhinein kann ich aber erkennen, dass es noch viele andere Aspekte gibt, die studiert werden müssen und über die wir schreiben müssen, insbesondere darüber, was der heutigen thailändischen Arbeiter*innenbewegung vorausgegangen ist. Ich würde behaupten, dass die wichtigsten Aspekte die fünf Militärputsche waren. Weil dies sehr komplexe Vorgänge sind, will ich in diesem Artikel nur kurz anreißen, wie die thailändische Arbeiter*innenbewegung durch die Militärputsche von 1957, 1971,1991 und die beiden jüngsten 2006 und 2014 untergraben wurde.
Die ersten drei Putsche: 1957, 1971 und 1991
Anfang der 1950er Jahre hatte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Experten nach Thailand geschickt, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der thailändischen Arbeiterschaft zu untersuchen. Ihr Bericht deckte große Probleme auf: Kinderarbeit, Analphabetismus, Frauen in physisch harter Arbeit, das Fehlen von Facharbeiter*innen, unhygienische Trinkwasserversorgung und Toiletten, sowie impotente Gewerkschaften. Der Bericht wurde 1954 offiziell der thailändischen Regierung präsentiert und führte, zusammen, wie ich annehme, mit Druck seitens der ILO, zur Verabschiedung des thailändischen Arbeitsgesetzes von 1956, damals während der zweiten Amtszeit von Feldmarschall Plaek Phibunsongkhram.
Das Gesetz hielt aber nur zwei Jahre, weil der Putsch von Feldmarschall Sarit Thanarat es annullierte. Die Anordnung Nr. 19/1956 begründete die Annullierung so:
Nichtsdestotrotz konnte auch das Militärregime nicht verhindern, dass der Übergang von einer vornehmlich landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft zu einer Industriegesellschaft von einer enormen Zahl an Arbeitskonflikten begleitet wurde. Obwohl sie zwischen 1968 und 1969 ohne Verfassung und ohne Arbeitsgesetz regierte, verabschiedete die Militärjunta 1965 die Verordnung über die Schlichtung von Arbeitskonflikten.
Im Jahr 1971 putschte sich dann Feldmarschall Thanom Kittikachorn an die Macht und ersetzte diese Schlichtungsverordnung mit der Anordnung 103/1972. Diese Anordnung behandelte allgemeine Aspekte von Arbeitsrecht wie Löhne, Sozialversicherung und Entschädigung. Sie gilt als Vorläufer des Sozialversicherungsgesetzes von 1990 und des Arbeitsschutzgesetzes von 1998.
Der Putsch von 1991, angeführt von General Sunthorn Kongsompong (Vater des derzeitigen Obersten Befehlshabers der thailändischen Armee, General Apirat Kongsompong), hatte unter anderem das Ziel, die thailändischen Gewerkschaften, die zu der Zeit stärker wurden, anzugreifen. Die Junta verabschiedete zwei Befehle, 54/1987 und 56/1987, um die Gewerkschaften der Staatsbetriebe aufzulösen und um eine Unterstützung von gewerkschaftlicher Organisierung durch „Außenstehende“ zu verbieten.
Anti-demokratische Interventionen
Doch mit den letzten beiden Militärputschen 2006 und 2014 bekommt die Geschichte einen neuen Dreh. Die thailändischen Gewerkschaften wandeln sich nun von einer progressiven Kraft, die das Suchinda-Regime 1992 mit einer Serie von Massenprotesten zu Fall brachte, zu einem Apologeten anti-demokratischer Interventionen. Dies ist keine unverantwortliche Anschuldigung. Wer die thailändische Politik verfolgt, kann erkennen, wie das Image und die Reputation der thailändischen Gewerkschaften darunter gelitten hat, weil sie hartnäckig versucht haben, vier demokratisch gewählte Regierungen (Thaksin 2006, Samak 2008, Somchai 2009, und Yingluck 2014) zu stürzen.
Die Allianz der thailändischen Gewerkschaften wurde zu dieser Zeit von Somsak Kosaisuk von der Eisenbahnergewerkschaft, Sirichai Mai-gnam von der Energiegewerkschaft und anderen Anführer der Staatsunternehmensgewerkschaftsföderation angeführt. Am 9. Februar 2006 erklärten sie, dass sie dem monarchistischen Netzwerk – der Volksallianz für Demokratie (PAD) – beitreten würden.
Gewerkschaften schweigen zur Gewalt der Militärs
Gerade die Staatsunternehmensgewerkschaften mobilisierten die Anhänger und Ressourcen des Thai Labour Solidarity Committee (TLSC) – ein Netzwerk verschiedener Gewerkschaften in Thailand – für ihre Kampagne gegen die Shinawatras. Diese Leute waren an gewalttätigen Aktionen zwischen 2006 und 2014 beteiligt. Sie unterstützten das Militär in seinem Vorgehen gegen unbewaffnete Demonstrant*innen und schwiegen zu den vielen Verletzten und Toten. In dieser Periode starben 130 Menschen durch verschiedene Operationen des Militärs, 3,457 wurden verletzt. Alleine bei der blutigen Niederschlagung der Rothemdproteste im Mai 2010 starben 99 Menschen.
Am 3. August 2006 unterschrieben 42 Organisationen vom TLSC Netzwerk eine Erklärung, die den Rücktritt Thaksins forderte. Am 18. September 2006 erklärte die TLSC, dass sie 30.000 ihrer Anhänger mobilisieren würde, um zusammen mit der PAD die Thaksin-Regierung zu stürzen. Dies war die Steilvorlage für den Putsch vom 19. September 2006, den das Militär damit begründete, dass sie eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen beiden Lagern verhindern musste.
Dass der Putsch keine gute Nachricht für die Arbeiter*innenbewegung war, zeigt das Beispiel Gina Form Bra. Die Fabrik, die 1.600 Arbeiter*innen beschäftigte, stellte Unterwäsche für Marken wie Limited Brands (u.a. Victoria’s Secret und La Senza), Calvin Klein und Gap her. Im Oktober 2006 wurde die Fabrik geschlossen, und die Produktion nach China verlagert, auch, um eine gewerkschaftliche Organisierung im Betrieb zu unterlaufen. Die Schließung der Fabrik verbunden mit Massenentlassungen wurden mit Hilfe vom Militär durchgeführt und Soldaten haben die Arbeiter*innen vom Gelände eskortiert. Wegen der Aufhebung der Versammlungsfreiheit war es für die entlassenen Arbeiter*innen unmöglich, die Schließung zu verhindern oder für eine angemessene Entschädigung zu kämpfen.
Es schien, als ob Somsak und Co. ihr Ziel erreichten, als die Thaksin-Regierung gestürzt wurde. Doch die nächste Wahl machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die monarchistische Partei, die sie unterstützten, verlor die Wahl an die Shinawatras. Deshalb fingen sie wieder an, zu protestieren. 2008 mobilisierten die thailändischen Gewerkschaften ihre Anhänger, um strategische Knotenpunkte der Stadt zu besetzen: der Regierungssitz, das Parlament, Fernsehstationen und vier internationale Flughäfen. Letztere Aktion stoppte internationale Flüge nach und von Thailand für fast eine Woche; hunderttausende Passagiere waren betroffen.
Gewerkschaften als Verbündete der Monarchisten
Es wurde jetzt richtig turbulent. Die Monarchisten waren am Gewinnen, nachdem das Verfassungsgericht Thaksins Partei – die Thai Rak Thai – als verfassungsfeindlich erklärt hatte und die monarchistische Democrat Party die Regierungskontrolle übernahm. Aber auch die nächsten Wahlen gingen 2011 verloren, woraufhin die Gewerkschaften sich wieder mit den Monarchisten verbündeten. Und weil sie wussten, dass sie die Neuwahlen verlieren würden, mobilisierten sie 2014 vorab gegen die Abhaltung von Wahlen. Sie wiederholten den gleichen Trick und mobilisierten ihre Anhänger für eine große demokratiefeindliche Demonstration am 22. Mai 2014. Erwartungsgemäß hörte General Prayut Chan-o-Cha die Signale und führte einen neuen Putsch durch – angeblich um Gewalt vorzubeugen. Die Junta ist jetzt seit fast fünf Jahren an der Macht.
Dies ist das schändliche Ende der thailändischen Gewerkschaftsbewegung in der heutigen Zeit. Sie haben die falsche Taktik gewählt und damit der thailändischen Bevölkerung großes Unrecht getan. Falls Sie als Leser*innen fragen, warum die internationale Gewerkschaftsbewegung nichts unternommen hat, ist die traurige Wahrheit, dass diese die thailändischen Gewerkschaften in ihrem Vorgehen in den letzten zehn Jahren unterstützt hat.
Übersetzt aus dem Englischen von: Oliver Pye