Philippinen: Seit Sommer 2016 geht ein Gespenst um in den Philippinen – das Gespenst des ‚Dutertismo’. Dieser zeichnet sich aus durch bizarres Mäandrieren zwischen (rechts-)populistischem, mitunter finster reaktionärem Poltern und links drapiertem Habitus. Inszeniert wird diese Pendelpolitik gemäß knallhartem Machtkalkül oder sie geschieht in impulsivem, häufig mit misogynen Attacken flankiertem Stakkato. Befindet sich das Land auf dem Weg zum Faschismus?
Auf die Frage, wie er die ersten drei Amtsjahre der Regierung unter Präsident Rodrigo Roa Duterte einschätze, antwortet Antonio N. Ablon, Bischof der Diözese Pagadian, einer Stadt im Süden der größten südphilippinischen Insel Mindanao:
„Das US-China-Duterte-Regime ist das schlimmste in der philippinischen Geschichte. Der Präsident hat die Bevölkerung während des Wahlkampfs 2016 hinters Licht geführt. Er präsentierte sich als Alternative und als Option der Menschen gegen die Misere vergangener Regierungen. Er versprach, die Korruption auszumerzen, Drogenprobleme zu lösen und eine unabhängige Außenpolitik zu betreiben sowie die Geißel des allgegenwärtigen Kontraktarbeitsystems abzuschaffen.
Doch in all diesen Punkten verkehrten sich seine Versprechungen genau ins Gegenteil. Die Korruption in den Reihen der Regierung nimmt sogar zu, 29.000 arme Menschen wurden ermordet, ohne das Drogenproblem damit auch nur annähernd gelöst zu haben. Erst kürzlich brach Duterte mit dem Verweis auf die Interessenwahrung von Investor*innen das den Arbeitern gegebene Versprechen und legte sogar sein Veto gegen ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz ein, das ein Ende der Kontraktarbeit vorsah. Überdies wurde Duterte zum Vasallen der US-Interventionspolitik sowie Diener eines weiteren Herrn, der Volksrepublik China. Seine Marionettenrolle gegenüber ausländischen Mächten ist für Filipin@s heute weitaus verheerender als unter früheren Regimen – einschließlich der Diktatur unter Ferdinand E. Marcos [1965-86, d.R.], Dutertes erklärtem Idol.
Dutertes ‚Krieg gegen die Drogen’ entpuppte sich als Krieg gegen die Armen, die um ihres Überlebenswillen gezwungen sind, mit Drogen zu dealen und sich mit der Nutzung von illegalen Drogen in einem miserablen Leben irgendwie über Wasser zu halten. Eine Misere, die ihnen durch die wirtschaftliche Verelendung aufgenötigt ist. Und Dutertes ‚Krieg gegen den Terrorismus’ entpuppte sich als Krieg gegen die Moros im Süden des Landes, die seit Langem für Selbstbestimmung und eine eigene Nation kämpfen. Der ‚Krieg gegen die Aufständischen’ entpuppte sich als Krieg gegen Bäuer*innen, die nach eigenem Land streben, und gegen die Indigene (Lumad) in Mindanao, die wie die vorwiegend muslimische Bevölkerung (Moros) für Autonomie einstehen und ihr angestammtes Gebiet schützen wollen, das jedoch reich an natürlichen Ressourcen ist und daher ein begehrliches Ziel von Bergbauprojekten transnationaler Konzerne.“
Das Interview des Autors mit Antonio N. Ablon erschien am 12. Oktober 2019 in der Tageszeitung junge welt.
Lang ersehnter ‚Messias’?
Der 46-jährige Ablon gehört der Iglesia Filipina Independiente (IFI) an, der weltweit einzigen Kirche, die um 1900 im antikolonialen Kampf gegen Spanien und die USA aus der Taufe gehoben wurde. Weil sich die IFI seitdem beharrlich für die Interessen der Ausgebeuteten, Entrechteten und Marginalisierten einsetzt, gerät sie immer wieder ins Fadenkreuz aufgeheizter antikommunistischer Hatz seitens der staatlichen `Sicherheitskräfte´. Dieses Schicksal teilt Bischof Ablon mit zahlreichen Sozialaktivist*innen unterschiedlicher Couleur. Seine Kirche, mehrere Häuser und Straßenplanken nahebei wurden in den letzten Wochen und Monaten mit Parolen beschmiert, die Ablon als „NPA-Sympathisanten“ stigmatisieren. Die Neue Volksarmee (NPA), die Guerillaorganisation des linken Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP), wird seitens des Duterte-Regierung immer dann als Popanz aufgebaut, wenn es gilt, missliebige politische Gegner*innen ‚auszuschalten’. Und dazu zählen seit eh und je Mitglieder der IFI.
Zahlreiche Filipin@s, darunter ursprünglich auch der IFI-Bischof Ablon, hatten im letzten Präsidentschaftswahlkampf im Frühjahr 2016 tatsächlich geglaubt, dass mit ‚Rody’ oder ‚Digong’, wie Duterte von seinen Anhänger*innen gern genannt wird, ein lang ersehnter ‚Messias’ die politische Bühne in Manila betritt, um dort endlich einmal die Erwartungen und Wünsche der Menschen in der Peripherie zu erfüllen, anstatt immer wieder aufs Neue die Interessen mächtiger Businesszirkel, einflussreicher Familienclans sowie politischer Dynastien in der Metropole Manila zu bedienen.
Um sein Ziel zu erreichen, kultivierte Duterte einen Politik- und schließlich Regierungsstil, den ich als Dutertismo bezeichne. Dieser zeichnet sich aus durch ebenso ständiges wie bizarres Mäandrieren zwischen (rechts-)populistischem, mitunter finster reaktionärem Poltern und links drapiertem Habitus. Inszeniert wird diese Pendelpolitik gemäß knallhartem Machtkalkül oder sie geschieht in impulsivem, häufig mit misogynen Attacken flankiertem Stakkato. (Dutertismo in Aktion – Teil I von Rainer Werning und Dutertismo Teil II von Lilli Breininger).
Eine ‚Revolution’, die keine war
Die Saat des Dutertismo wuchs im Klima von Zerstörung und Gewalt in Südostasiens ältester Konfliktregion – Mindanao und der Sulu-See – sowie im Zuge der so genannten Rosenkranz- beziehungsweise People Power-Revolution, in deren Folge die langjährige Marcos-Herrschaft Ende Februar 1986 ein jähes Ende fand. Doch in den Präsidentenpalast Malacañang zu Manila zog damals mit Corazon C. Aquino ein Spross eines der landesweit mächtigsten Clans ein – Politikwechsel in Form einer intra- und interelitären Machtrochade. ‚Corys’ Amtsantritt ermöglichten ausgerechnet die beiden Korsettstangen des Ancien Régime: Fidel V. Ramos, langjährig Chef der gefürchteten Philippine Constabulary-Integrated National Police, der Vorläuferin der heutigen Philippinischen Nationalpolizei (PNP), und Verteidigungsminister Juan Ponce Enrile.
Das noch wenige Tage zuvor gefürchtete Ramos-Enrile-Gespann wurde buchstäblich über Nacht mit dem Segen der mächtigen Katholischen Bischofskonferenz als Helden gefeiert. Marcos’ Sturz war das Resultat dreier bedeutsamer, sich zeitlich überlappender Faktoren: gewieftes US-Krisenmanagement; eine Militärrevolte sowie Massenaufmärsche und Großdemonstrationen (People Power). All das geschah in Form einer riesigen, kurzzeitig klassen- und schichtenübergreifenden Open Air-Liturgie.
Doch letztlich bedeutete das Ende des verhassten Diktators keinen tief greifenden gesellschaftspolitischen Systemwandel. Er glich vielmehr einer Machtrochade, wo alte politische Dynastien und mächtige Familienclans wieder an die Schalthebel gelangten und eine ‚Eliten-Demokratie’ re-installierten, deren Stützpfeiler bis heute intakt sind. Amnestie und Amnesie wurden seitdem zu politischen Tugenden. Untermauert durch kaum überarbeitete Text- und Schulbücher, die ihrerseits reichlich Stoff boten, die Schandtaten der ‚Marcoses’ und ihrer Kamarilla sukzessive zu relativieren.
Der Höhenflug ‚Digongs’ begann ausgerechnet zu Beginn der Amtszeit von Aquino. Sie berief ihn 1987 als vorübergehend eingesetzten Politiker, zum Vizebürgermeister der Hafen- und Millionenstadt Davao City. Dort stellte sich 1988 Duterte das erste Mal zur Wahl und gewann auf Anhieb den Bürgermeisterposten. Bis zum Sommer 2016 saßen dann er selbst oder seine beiden Kinder Sara und Paolo an den Schalthebeln der Macht. Seit Juli 2016 hat Tochter Sara den Posten ihres Vaters als Bürgermeisterin Davaos übernommen.
Die steile Karriere eines strammen ‚Law and Order’-Machos
Davao – das war Mitte der 1980er Jahre ein Ort, wo antikommunistische Vigilantegruppen Hatz auf (vermeintliche) Mitglieder und Sympathisant*innen der NPA machten. Letztere wiederum waren zeitweilig in Davaos Stadtbezirk Agdao dermaßen stark verankert und mit eigenen Liquidationskommandos, so genannten sparrow units (Spatzeneinheiten), präsent, dass man den Bezirk zeitweilig in ‚Nikaragdao’ in Anlehnung an die sandinistischen Rebellen in Nikaragua umbenannte.
Wer sich in einem solchen Klima aufgeheizten Militarismus’ als Politiker*in dauerhaft etablieren wollte, musste entweder über ein klassenübergreifendes Charisma verfügen oder mit knallharten Bandagen auftreten. Für Letzteres war ‚Digong’ nachgerade geschaffen; das Gros der Davaoeños liebte ihren ‚Saubermann’ par excellence. ‚Digong’ wiederum wurde nicht müde, von Davao als ‚meiner Stadt’ zu schwärmen. Je länger Duterte im Sattel saß, desto größer wurde sein Ego, was ihn dazu verleitete, auch und gerade in eliminatorischen Dimensionen zu denken und zu handeln. Vor allem Geschäftsleute schätzten des Bürgermeisters Sinn für ‚Stadtverschönerung’ und ‚Sicherheit’. Bettler*innen, Straßenkinder und Kleinkriminelle waren den Stadtoberen und dem Business ein Dorn im Auge. Für sie waren sie ‚Gesindel’, das es zu ‚beseitigen’ galt.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch brachte bereits 2009 einige Machenschaften Dutertes ans Tageslicht und gelangte zu dem Schluss, dass er das Wirken der Davao Death Squad (DDS) zumindest gut geheißen hat, wenn er nicht sogar direkt in deren Unwesen involviert war. Um solches seit 2016 zu ‚vergessen’ beziehungsweise vergessen zu machen, wurde mittlerweile DDS umgedeutet und meint heute die auf ‚Digong’ eingeschworene Fangemeinde und ihre Trolle = Diehard Duterte Supporters.
Mehrfronten-Kriege
Ausgerechnet auf seiner ersten Russland-Reise Ende Mai 2017 drang böse Kunde an die Ohren des Präsidenten. In Marawi City, im Zentrum Mindanaos gelegen, lieferten sich Regierungstruppen (Armed Forces of the Philippines, AFP) seit dem 23. Mai Gefechte mit Kämpfern der dschihadistischen Abu Sayyaf- und Maute-Gruppen. Offensichtlich misslang den AFP eine Operation zur Ergreifung des international als ‚Topterrorist’ eingestuften Abu Sayyaf-Führers Isnilon Hapilon. Dessen Operationsgebiet war bis dahin die weiter südlich gelegene Insel Basilan, wo er mit seiner Gefolgschaft den Treueeid auf den Islamischen Staat geleistet hatte und sich als dessen Emir verstand. Hapilon war es gelungen, sich unerkannt nach Marawi durchzuschlagen, um sich dort mit der lokalen Maute-Gruppe zu verbünden.
Noch am selben Abend des 23. Mai 2017 unterzeichnete Präsident Duterte in Moskau die Proklamation 216, mit der er das Kriegsrecht über den gesamten Süden der Inselrepublik verhängte, was – zwischenzeitlich mehrfach verlängert – bis zum 31. Dezember 2019 gilt. Der Präsident brach seine Russland-Reise ab und versicherte seinen Landsleuten bei seiner Rückkehr in Manila, die ‚Krise in Marawi’ schnellstmöglich zu lösen. Doch die Kämpfe zogen sich fünf Monate hin. Als schließlich die Kampfhandlungen in der nahezu vollständig zerstörten Stadt am 17. Oktober 2017 offiziell ein Ende fanden, waren insgesamt über 1.000 Tote zu beklagen– darunter u.a. auch zwei Maute-Brüder sowie Hapilon.
Video von Manuel Domes über die Situation in Marawi 2018:
Während sich Duterte anfangs „überrascht“ zeigte, dass überhaupt US-Soldat*innen vor Ort operierten, wurde zunehmend klarer, dass deren Einsatz sich nicht nur auf logistische und nachrichtendienstliche Unterstützung für die AFP beschränkte, sondern dass sie in direkte Kampfeinsätze einbezogen waren. Seitdem haben in Manila mehr denn je jene (Ex-)Militärs das Sagen, die einen stramm pro-amerikanischen Kurs favorisieren und jedweden Dialog mit der NDFP ablehnen. Mindestens 60 Ex-Offizieren aus Armee und Polizei hat der Präsident Posten in Bürokratie und Verwaltung sowie im diplomatischen Korps zugeschanzt – Tendenz steigend. Überdies wurden zum Jahresbeginn 2018 die Gehälter für die AFP und PNP verdoppelt.
Militarisierung und schleichende Faschisierung
Die ‚Ereignisse’ in Marawi City lieferten die Blaupause für die Eskalation der US-inspirierten Operation Pacific Eagle-Philippines, die Manilas bestehenden Aufstandsbekämpfungsplan Kapayapaan (Operationsplan Frieden) flankiert. Bereits in Marawi hatte sich gezeigt, dass die Präsenz von US-Spezialeinheiten, die Ausstattung der AFP mit modernster amerikanischer und israelischer Kriegstechnologie sowie der Einsatz von Drohnen maßgeblich dazu beitrugen, den bewaffneten dschihadistischen Gruppen das Rückgrat zu brechen. Im ‚kriegsrechtgeschützten’ Mindanao genießen kombinierte amerikanisch-philippinische Truppenverbände das Privileg extraterritorialer Immunität. Sie können ungehemmt auch und gerade gegen die vor Ort operierenden NPA-Einheiten vorgehen, deren 50-jährige Existenz rechten Politiker*innen und Militärs eh ein Dorn im Auge ist.
Zugute kommt dem Präsidenten ein noch ungebrochener Rückhalt in der Bevölkerung sowie die Tatsache, dass Dutertes politisches Camp erst recht seit den Halbzeit-Wahlen am 13. Mai 2019 in beiden Kammern des Kongresses, im Repräsentantenhaus sowie im Senat, über eine komfortable Mehrheit verfügt.
Auch die Judikative weiß Duterte geschlossen hinter sich, nachdem die von ihm geschmähte Kritikerin und Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, Maria Lourdes Sereno, am 11. Mai 2018 Opfer einer Kabale unter Kolleg*innen wurde. AFP und PNP wurden aufgewertet und über den ‚Antidrogenkampf’ hinaus verstärkt im ‚Kampf gegen den kommunistischen Terrorismus’ eingesetzt. Worunter mittlerweile Kongressabgeordnete und Kabinettsmitglieder sogar Schüler*innen und Student*innen subsumieren, sobald diese sich kritisch äußern.
Zutiefst verärgert darüber, dass in seiner Administration Betrug, Korruption und Schmierereien fortgesetzt grassieren, zeigte Duterte sich just einen Monat nach den Wahlen tief enttäuscht. Anlässlich des 121. Jahrestags der Gründung der Philippine Navy in Sangley Point, Provinz Cavite (südlich von Manila), beklagte er diese Übel. „Wenn das so weitergeht“, fügte der Präsident hinzu, „wird sich die politische und wirtschaftliche Situation in unserem Land nicht verbessern. Sucht euch da lieber einen neuen Marcos.“. Den Dutertismo in einer Retourkutsche der (radikalen) Linken bereits jetzt als ‚faschistisch’ zu werten, könnte sich als fatale Fehleinschätzung entpuppen.
Zum Weiterlesen:
- Sheila Coronel, Mariel Padilla, David Mora & The Stabile Center for Investigative Journalism (2019): The Uncounted Dead of Duterte’s Drug War; in: The Atlantic (Washington, D.C.), 19.8.
- Steven Levitsky & Daniel Ziblatt (2018): How Democracies Die. New York
- The Observatory for the Protection of Human Rights Defenders (2019): Philippines: I’ll Kill You Along With Drug Addicts — President Duterte’s War on Human Rights Defenders in the Philippines. Geneve/Paris, 28.2.