
Rodrigo Duterte mit Anhängern 2017 in Manila. © Patrick Roque/Wikimedia Commons
Philippinen: Laut sein und „hart durchgreifen“ wie Rodrigo Duterte: Dieses Männlichkeitsbild fasziniert Millionen – auch in der Diaspora.
Für viele seiner Anhänger:innen ist er Tatay Digong, der gesuchte „Vater der Nation“, der mit Stärke und Unnachgiebigkeit die Philippinen in die „richtige Richtung“ führte. Doch hinter der Fassade des starken Mannes verbirgt sich ein gesellschaftliches Phänomen: Hypermaskulinität. Sie prägt nicht nur politische Rhetorik, sondern auch das Selbstverständnis vieler junger Männer.
Philippinische Perspektiven auf Männlichkeitsideale
2025 haben die Philippinische Nationalpolizei und Interpol den ehemaligen Präsident Rodrigo Duterte festgenommen und an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag überstellt. Trotz des Haftbefehls wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit seiner umstrittenen „Krieg gegen Drogen“-Kampagne, hat Duterte bis heute viele Anhänger:innen. Warum übt ein hypermaskulines Führungsbild auf so viele Menschen eine starke Faszination aus?

Duterte und das Militär. © Presidential Communications Operations Office/Wikimedia Commons
Die Antwort darauf ist vielschichtig – sie reicht tief in die sozialen, historischen und kulturellen Strukturen der philippinischen Gesellschaft hinein. Wenn man genauer hinsieht und den Stimmen junger Filipinos aufmerksam lauscht, wird deutlich: Ein tiefes Bedürfnis nach Ordnung und Stärke zieht sich durch große Teile der Bevölkerung. Ein Anführer wie Duterte scheint für viele die Lösung zu sein. Seine Politik ist das Abbild eines starken Mannes, eines Vaters, der ‚mit harter Hand aufräumt‘ und klare Regeln setzt, in einem Alltag, der geprägt ist von instabilen Strukturen, politischer Korruption, hoher Kriminalität und sozialer Ungewissheit.
Diese Bewunderung entstammt einer patriarchalen Struktur. In vielen asiatischen Gesellschaften wird Männlichkeit oft mit Autorität, Durchsetzungsvermögen und emotionaler Zurückhaltung gleichgesetzt. Der ehemalige Präsident und 2025 gewählte Bürgermeister von Davao, Duterte, verkörperte gezielt diese Eigenschaften und genießt dafür breite Anerkennung. In den Medien wurde er als „Mann des Volkes“ dargestellt: direkt, ungeschönt, furchtlos. Das spiegelte sich auch in seiner Wortwahl wider. Seine provokante, oft vulgäre Sprache wirkte auf viele Menschen authentisch und ehrlich. Er erschien für viele als einzige Alternative in einem politischen System, das von Eliten dominiert wird. Der ‚starke Mann aus der Provinz‘, ein Außenseiter aus Mindanao, der gegen das Establishment in der Hauptstadt Manila ankämpft.
Stark, cool, unverwundbar – warum Männer dieses Bild lieben
Hypermaskulinität steht für ein übersteigertes Männlichkeitsideal, das sich durch Aggression, Dominanz und emotionale Kälte auszeichnet. Bei diesem Weltbild gibt es kaum Raum für Empathie oder Verletzlichkeit. Häufig geht dieses Rollenverständnis mit Gewaltbereitschaft und – auch sexueller – Macht einher. In Medien, Politik und Popkultur wird Hypermaskulinität durch Figuren wie Soldaten, Polizisten oder autoritäre Führungspersonen verkörpert. Die Begeisterung junger Männer, insbesondere junger Filipinos, für hypermaskuline Ideale lässt sich aus mehreren sozialen, kulturellen und politischen Dynamiken erklären.
In patriarchalen Gesellschaften wie den Philippinen orientieren sich junge Männer bei der Identitätssuche oft an überzeichneten Männlichkeitsbildern, um Anerkennung zu erlangen; diese werden durch Medien wie Werbung, Film und Musik verstärkt. Die Darstellung des harten Kämpfers, des dominanten Liebhabers und des unerschütterlichen Helden wirken besonders stark auf junge Männer mit begrenztem Zugang zu alternativen Rollenbildern. Ebenso wachsen viele mit dem Ziel auf, später als Arbeitsmigranten ihre Familien finanziell zu unterstützen. In diesem Zusammenhang wird Männlichkeit häufig mit Verantwortung, Leistungsfähigkeit und der Bereitschaft zum persönlichen Opfer gleichgesetzt. Das sind Vorstellungen, die hypermaskuline Ideale festigen und normalisieren.

Die geballte Faust als Symbol des ‚starken Mannes’. © Presidential Communications Operations Office/ Wikimedia Commons
Jeremy C. De Chavez und Vincent Pacheco untersuchten in ihrem 2020 veröffentlichten Fachartikel „Masculinity in the Age of (Philippine) Populism: Violence and Vulgarity in Duterte’s Hypermasculine Discourse“ die Inszenierung von Männlichkeit im Kontext des philippinischen Populismus. Sie zeigten, dass das propagierte Männlichkeitsbild keineswegs neu, sondern tief in der lokalen Kultur verwurzelt ist.
Bereits in den 1990er Jahren fand ein bestimmter Typus philippinischer Männlichkeit Ausdruck im Lied „Ang Tipo Kong Lalaki“ von DJ Alvaro. Besonders prägnant war die Zeile: „maginoo pero medyo bastos“ – sinngemäß: „ein Gentleman, der ein bisschen vulgär ist“. Diese Formulierung hat sich nachhaltig im kollektiven Gedächtnis der Filipinos verankert und wird bis heute zitiert. Sie steht für ein ambivalentes Ideal, das Höflichkeit mit Grenzüberschreitung verbindet.
Hypermaskulinität sei zwar kein neues Phänomen, es habe sich jedoch unter Duterte zu einer radikalisierten Variante entwickelt, so laut Chavez und Pacheco. Mit dem Aufstieg zum Präsidenten setzte sich ein neues Modell männlicher Führung durch, das offen toxische Merkmale verkörperte. Große Teile der Bevölkerung nahmen dieses Auftreten nicht nur hin, sondern betrachteten es als glaubwürdiges Abbild des „typischen philippinischen Mannes“. Chavez und Pacheco beobachteten eine Verschiebung des Idealbilds: weg von maginoo pero medyo bastos („ein Gentleman, der ein wenig vulgär ist“) hin zu dessen Umkehrung bastos pero medyo maginoo („ein vulgärer Mann, der gelegentlich Gentleman ist“). Duterte verkörpert eine ‚neue Männlichkeit‘, die eng mit seiner politischen Erzählung vom tunay na pagbabago (‚echter Wandel‘) verknüpft ist. Hypermaskulinität wurde so als ‚Schlüssel zur nationalen Erneuerung‘ inszeniert und legitimierte autoritäre Machtstrukturen.
Sexualisierte Gewalt als politische Leitlinie
Ähnliches fand Dr. Maria Tanyag heraus. Sie beleuchtete in ihrem Beitrag „Duterte, Hypermasculinity and the Key to Populism“ die zentrale Rolle von Geschlecht in der populistischen Politik. Populismus gilt oft als geschlechtsneutral. Doch in den Philippinen zeigt sich seine enge Verknüpfung mit Genderpolitik: Duterte verkörpert eine hypermaskuline Führungsfigur, deren sexistische Äußerungen breite Zustimmung fanden. Ein prägnantes Beispiel lieferte er in einer Ansprache vor Sicherheitskräften, in der er explizit Anweisungen gegen weibliche Mitglieder kommunistischer Gruppierungen machte: „Wir werden euch nicht töten. Wir werden euch nur in die Vagina schießen.“ Die Aussage zeigt, wie Geschlecht in seiner politischen Rhetorik gewaltsam instrumentalisiert wird; getragen von tief verankerten patriarchalen Strukturen, die solche Äußerungen teils feiern. Das von ihm formulierte Militärkommando galt angeblich als ‚besonders effektiv‘ mit der Begründung, dass Frauen ohne Vagina als ‚nutzlos‘ betrachtet würden. Solche Aussagen sind zutiefst sexistisch und entmenschlichen Frauen systematisch. Duterte befürwortete öffentlich die Straflosigkeit sexueller Gewalt im Kriegsrecht und erklärte, Soldaten dürften bis zu drei Frauen vergewaltigen, ohne Konsequenzen zu fürchten.

Anhänger:innen von Rodrigo Duterte 2017 in Manila. © Judgefloro/Wikimedia Commons
Diese Aussagen hatten weitreichende gesellschaftliche Folgen. Sie trugen zur Normalisierung von Hypermaskulinität in der politischen Kultur bei, mit direkten Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse. Sexuelle Gewalt wurde bagatellisiert, feministische Stimmen wurden marginalisiert und patriarchale Machtstrukturen weiter gefestigt.
Ob oder gerade wegen dieser Inszenierungen finden sich unter jungen Männern zahlreiche Anhänger – insbesondere unter den sogenannten „Duterte DieHard Supporters“. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Viele junge Filipinos sind frustriert über Korruption, soziale Ungleichheit und die chronische Ineffizienz staatlicher Institutionen. Duterte gilt für die Mitglieder als radikaler Reformer, der Probleme kompromisslos angeht. Sein Slogan „Change is coming“ traf einen Nerv, besonders bei Jugendlichen, die sich nach einem Bruch mit der alten politischen Elite sehnten. Digitale Plattformen wie Facebook und TikTok machten ihn zum Popkultur-Phänomen. Jugendliche konsumieren Politik zunehmend über Memes und Kurzvideos, was die emotionale Wirkung autoritärer Figuren verstärkt.
Hinzu kommt, dass politische Bildung in vielen Teilen der philippinischen Gesellschaft kaum gefördert wird. Das begünstigt eine unkritische Bewunderung charismatischer Führer. Auch Frauen wie Sara Duterte, Duertes Tochter und derzeitige Vizepräsidentin der Philippinen, übernehmen diese Machtrhetorik. Sie setzt die politische Linie ihres Vaters fort, um sich als „tough“ und durchsetzungsfähig zu inszenieren; ein Stil, der auch bei jungen Menschen Anklang findet. In einem männlich geprägten politischen Umfeld nutzt sie martialische Rhetorik, Militärnähe und autoritäre Symbole, um sich als starke Führungsperson zu inszenieren. Ihre Strategie zeigt, wie auch Frauen männlich codierte Machtformen übernehmen. Für viele Jugendliche wirkt dies als Ausdruck von Protest gegen ein als ungerecht und elitär empfundenes System.
Hypermaskulinität als soziales Konstrukt
Gegen Ende von Dutertes Amtszeit und insbesondere nach seinem Ausscheiden aus der Präsidentschaft formierte sich zunehmend Widerstand. In akademischen Kreisen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und jungen politischen Bewegungen wuchs die Kritik an hypermaskulinen und autoritären Tendenzen. Politikerinnen wie Leni Robredo, Leila De Lima und Risa Hontiveros sowie Journalistinnen wie Maria Ressa und Karen Davila positionierten sich öffentlich gegen diese politischen Ideale und engagierten sich entschlossen für demokratische Werte, Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit.

Präsident Rodrigo Duterte hält eine Rede im regionalen Polizeihauptquartier. © Presidential Communications Operations Office / wikimedia
Übersteigerte Männlichkeitsnormen werden kulturell vermittelt, durch Medien, Peer-Gruppen oder tradierte Rollenbilder. Um diesen Dynamiken entgegenzuwirken, braucht es gezielte Strategien zur Prävention und Veränderung. Dazu zählt insbesondere die Förderung kritischer Männerbildung. Initiativen wie Detox Masculinity setzen auf Bildungsarbeit, die Männer zur Reflexion ihrer Rollenbilder anregt und alternative Männlichkeitskonzepte entwickelt. Auch die Stärkung von Diversität in sozialen Räumen spielt eine zentrale Rolle: Gemischte Gruppen, inklusive Sprache und vielfältige Repräsentationen helfen, einseitige Normen aufzubrechen.
Hypermaskulinität ist ein kulturelles Produkt, gestützt durch Medien, Politik und soziale Strukturen. In einem Umfeld, das autoritäre Männlichkeitsbilder feiert, braucht es Bildungsansätze, die alternative Rollenbilder fördern und geschlechtergerechte Räume eröffnen. Der Kampf gegen Hypermaskulinität ist kein Randthema, sondern eine Voraussetzung für eine gerechtere, friedlichere und inklusivere Gesellschaft.
Ralph Chan schreibt seine Dissertation im Bereich der Soziologie an der Universität Wien. Neben seinen Forschungstätigkeiten beschäftigt er sich in vielen Projekten mit Philippinenbezug. Er ist ebenso journalistisch tätig, ist derzeit der Bureau Editor of Austria des europäisch-philippinischen e-Magazins Roots and Wings. Sein Interesse am Thema Philippinen / Filipin@s ergibt sich aus dem Eigeninteresse, seine eigene Biographie zu verstehen. Ralph Chan beschreibt sich selbst als einen Filipino, der in Österreich geboren und aufgewachsen ist.
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Philippinen – Laut sein und „hart durchgreifen“ wie Rodrigo Duterte: Dieses Männlichkeitsbild fasziniert Millionen – auch in der Diaspora.
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USA/Deutschland/Philippinen – Der Film „Quezon’s Game“ behandelt historische Aspekte, die bisher noch wenig bekannt sind: die amerikanische Besatzung der Philippinen, die Präsidentschaft von Manuel Quezon und die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge während des Nazi-Regimes.
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Philippinen – Politische Themen in der Musik ziehen sich durch die jüngere Landesgeschichte. Entsprechende Songs – inspiriert durch persönliche Erfahrungen und/oder der Kritik an den Herrschenden – entfalten in ihrem jeweiligen Kontext besondere Wirkung.