Entwicklungspolitik, Thailand, Infrastruktur

Infrastruktur steht schon seit langem im Fokus von Entwicklungsprojekten. © CC BY-NC-ND 2.0/Ferry Octavian

Thema: Entwicklung(spolitik) für wen?

Nach dem jüngsten Bericht von ESCAP, der Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik der Vereinten Nationen (VN), wird Südostasien bei dem derzeitigen Tempo keines der 17 VN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bis 2030 erreichen. Zwar sind laut ESCAP zum Teil deutliche Fortschritte bei der Umsetzung einzelner SDGs zu erkennen, so etwa bei der Bekämpfung von Armut (Ziel 1) oder beim Aufbau einer widerstandsfähigen Infrastruktur und nachhaltiger Industrialisierung (Ziel 9). Wenig wurde hingegen bislang in den Bereichen Bildung (Ziel 4) und der Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums und menschenwürdiger Arbeit (Ziel 8) erreicht.

Zum Teil sind sogar Rückschritte zu erkennen. Die Treibhausgasemissionen steigen weiter an, Produktion und Konsum, auch getrieben durch eine wachsende kaufkräftige Mittelschicht, hinterlassen einen immer größeren ökologischen Fußabdruck und die Bewahrung und Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers hat sich im Durchschnitt verschlechtert. Diese Entwicklungen sind ein Hinweis darauf, dass Wirtschaftswachstum allein, ohne ausreichende gesetzliche Rahmenbedingungen und flankierende Maßnahmen, zu Lasten von Mensch und Umwelt geht.

Einem offenen Diskurs darüber, wie eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Entwicklung gestaltet sein muss, werden zunehmend Grenzen gesetzt – durch eine Rückkehr autoritärer Regierungsformen und die Verkleinerung von zivilgesellschaftlichen Handlungsräumen in verschiedenen Ländern der Region. Anlass zur Sorge bereitet beispielsweise der Wahlsieg von Ferdinand Marcos jr. in den Philippinen, der bereits während seines Wahlkampfes keinen Zweifel daran ließ, politische Ziele notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Aber auch ein Land wie Indonesien, einst ein Musterbeispiel für Demokratisierung, erlebt in jüngster Zeit eine erneute Autokratisierung von Staat und Gesellschaft.

Für eine kritische Zivilgesellschaft wird es in einem solchen Umfeld immer schwieriger, eigene Perspektiven auf eine nachhaltige Entwicklung einzubringen oder auch Kritik an konkreten Entwicklungsvorhaben zu formulieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die wirtschaftlichen Kennzahlen den politischen und wirtschaftlichen Eliten Recht zu geben scheinen und ihnen den Rückhalt in der Bevölkerung sichern. Der wirtschaftliche Wohlstand hat sich in den vergangenen Jahren in den meisten Ländern der Region deutlich verbessert und stellt die in der Vergangenheit häufig von Geberinteressen des Globalen Nordens dominierte Entwicklungspolitik in den Schatten.

Mit der 2015 gegründeten Asiatischen Infrastruktur und Investitionsbank (AIIB) wurde ein Gegengewicht zu den ‚westlichen‘ Finanzinstitutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfond (IWF) geschaffen. Die von Peking geführte AIIB konzentriert sich dabei auf die Finanzierung von großen Infrastrukturprojekten und sah sich in der Vergangenheit wiederholt mit dem Vorwurf konfrontiert, Umwelt-, Sozial- oder Menschenrechtsstandards nicht allzu genau zu nehmen.

In der Präsenz Chinas in der Region – beispielhaft hierfür steht die Belt and Road Initiative – spiegeln sich auch die sich verändernden machtpolitischen Interessen auf globaler Ebene wider. USA, Europa und Australien bemühen sich ihrerseits darum, ihre Einflusssphäre in der Region auszuweiten – Entwicklungszusammenarbeit ist dabei ein zentrales Instrument, das allerdings unter den veränderten globalen Machtverhältnissen weit weniger als früher dazu in der Lage ist, eigene politische Interessen in den Empfängerländern durchzusetzen.

Für die kommende Ausgabe 1/2023 der südostasien suchen wir Reportagen, Hintergrundberichte, Analysen, Interviews oder auch Foto-Essays, die sich u.a. mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

  • Welche Rolle kommt der Zivilgesellschaft bei der Planung und Umsetzung von Entwicklungsvorhaben zu? Welche zivilgesellschaftlichen Widerstände gibt es?
  • Welche (alternativen) Entwicklungsverständnisse gibt es in Südostasien? Welche empowernden Ansätze für Entwicklung gibt es? Wie werden diese gelebt?
  • Welche politischen Interessen stehen hinter Entwicklungszusammenarbeit in und mit Südostasien (z.B. Geopolitik, Wirtschaftsinteressen)?
  • Welche Folgen hat das Auftreten neuer Entwicklungsakteure wie z.B. AIIB für die Entwicklungszusammenarbeit in Südostasien? Welche (neuen) Formen einer Süd-Süd-Kooperation im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sind zu beobachten (z.B. IndonesiaAid)?
  • Wie verändert sich in Südostasien die öffentliche Wahrnehmung traditioneller und oft durch den Globalen Norden dominierter Akteure der Entwicklungszusammenarbeit auch vor dem Hintergrund eines postkolonialen und teils nationalistischen (neuen) Selbstbewusstseins? Und welche Folgen hat dies für die Tätigkeit teilweise durch den Globalen Norden finanzierter politischer Stiftungen, NGOs, Kirchen und Menschenrechtsorganisationen?
  • Welchen Stellenwert wird einer an sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Zielen orientierten nachhaltigen Entwicklung beigemessen gegenüber einem primär an wirtschaftlichem Wachstum und Infrastrukturentwicklung orientierten Entwicklungsverständnis?

Wir möchten diese Fragen in der Ausgabe 3/2022 der südostasien in verschiedenen Formen aufgreifen, in Kommentaren, Reportagen, Hintergrundberichten, Analysen, Interviews, Foto-Essays und Rezensionen von Filmen oder Büchern zum Thema. Wir freuen uns auf eure Beiträge – sowohl Texte, die den Blick auf einzelne Entwicklungsprojekte legen, wie auch Artikel zu größeren entwicklungspolitischen Zusammenhängen.

Selbstverständnis der südostasien:

südostasien versammelt Stimmen aus und über Südostasien zu aktuellen Entwicklungen in Politik, Ökonomie, Ökologie, Gesellschaft und Kultur. Zu vier Schwerpunkthemen im Jahr erscheinen Beiträge über die Region und die Länder Südostasiens sowie deren globale/internationale Beziehungen.

südostasien versteht sich als pluralistisches Forum eines herrschaftskritischen und solidarischen Dialogs, als Raum für Diskussionen zwischen Akteur*innen in Südostasien und Deutschland mit Nähe und Kenntnissen zu sozialen Bewegungen. südostasien beschäftigt sich mit Möglichkeiten transnationaler Solidaritätsarbeit angesichts ungleicher Machtverhältnisse zwischen dem globalen Norden und Süden. südostasien möchte Denkanstöße für das Handeln in Europa bzw. in Deutschland liefern.

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Call for paper – 1/2023 (deutsch)
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Deadline

Deadline für Artikel (max. 10.000 Zeichen) ist der 1. November 2022 (in Einzelfällen und nach Absprache mit der Redaktion ist ggf. auch eine spätere Deadline möglich). Bitte vorab ein kurzes Abstract (max. 1000 Zeichen) an die Redaktion einreichen.

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