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Lao Labour: Arbeitsverhältnisse am Beispiel des Zinnbergbaus in der Provinz Khammouane

Informeller Bergbau in den alten Kolonialminen, 2019 © Oliver Tappe

Laos gilt zwar als einer der letzten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaaten, doch Arbeiter*innenbewegungen sind dort nicht besonders ausgeprägt – es sei denn, man bezieht sich auf die räumliche Bewegung laotischer Arbeitsmigrant*innen ins benachbarte Thailand. Es gibt in Laos nur eine staatsnahe Gewerkschaft, eine streng regulierte Massenorganisation auf Parteilinie. Organisierte und wilde Streiks wie im Bruderstaat Vietnam sind in Laos äußerst selten. Stattdessen findet sich im Land eine Vielzahl von temporären und informellen Arbeitsverhältnissen, die weit entfernt von gewerkschaftlicher Organisation sind.

 

Es waren bezeichnenderweise vietnamesische Kontraktarbeiter, die in den 1930er Jahren die ersten Arbeitskämpfe auf laotischem Boden gegen die französische Kolonialverwaltung anzettelten. Sie fanden statt in den Zinnminen entlang des Flüsschens Nam Pathaen (Provinz Khammouane), dem damals wichtigstem Bergbaurevier in Laos. Aufgrund lokalen Arbeitskraftmangels hatten die Franzosen tausende vietnamesische coolies rekrutiert und unter widrigen Bedingungen in der Zinnförderung arbeiten lassen.

Noch heute beschäftigen vietnamesische Unternehmen auf ihren laotischen Bergbaukonzessionen größtenteils vietnamesische Arbeitsmigranten, derweil sich die lokale Bevölkerung dem informellen Bergbau (artisanal mining) widmet. Diese Konstellation wirft ein Licht auf die wenig regulierten und vielfältigen Arbeitsverhältnisse in der Laotischen Demokratischen Volksrepublik, wo die Grenzen von Landwirtschaft und Lohnarbeit oft verschwimmen (vgl. Friis, Cecilie & Jonas Ø. Nielsen. 2016. Small-scale Land Acquisitions, Large-scale Implications: Exploring the Case of Chinese Banana Investments in Northern Laos. Land Use Policy 57: 117–29).

Laotische Haushalte zeichnen sich durch komplexe Subsistenzstrategien aus, bei denen landwirtschaftliche Arbeit mit Staatsdienst, temporären und selbstständigen Arbeitsverhältnissen kombiniert und durch Rücküberweisungen aus Thailand ergänzt werden. Am Beispiel der Zinnminen in der Provinz Khammouane (Zentral-Laos) lassen sich einige dieser Verhältnisse untersuchen.

Gestein mit Zinneinschlüssen © Oliver Tappe

Arbeit in den laotischen Zinnminen

Inmitten von Gestrüpp und Geröll erklingt das Geräusch von Hämmern auf hartem Gestein. Zwei Männer hocken im zerfurchten Gelände der verlassenen Zinnmine von Pontiou im Tal des Flusses Nam Pathaen. Dort hatte vor fast hundert Jahren die französische Société des Études et Éxplorations Minières de l’Indochine ihren Betrieb aufgenommen und eine der ersten größeren Industrien im kolonialen Laos gegründet. Heute sind nur noch leere Gemäuer, eine verfallene Kirche und rostige Maschinenteile zu sehen (nach der kommunistischen Revolution 1975 wurde die Mine noch für einige Jahre von einem laotisch-nordkoreanischen Unternehmen weiter betrieben).

Nun graben die Männer aus dem nahe gelegenen Dorf Ban Muangkhai in den alten Stollen und Schächten nach verbliebenen Erzresten, die zur weiteren Verarbeitung in Plastiksäcke verpackt werden. Diese werden zu den entsprechenden Anlagen einer benachbarten, noch aktiven vietnamesischen Konzession gebracht und an diesen Betrieb verkauft. Derartige Arrangements finden sich bei sämtlichen Konzessionen (alle in vietnamesischer oder chinesischer Hand) im Nam Pathaen-Tal: Die Betreiber dulden den informellen Bergbau der Anrainer, dafür kaufen sie die Erträge zu günstigen Preisen auf und sparen Arbeitskosten. Zwar ein Gegenbeispiel des gängigen Narrativs der Land fressenden Konzessionen, welche die indigene Bevölkerung von ihrer Scholle vertreiben, ist diese Koexistenz für die Dörfer am Nam Pathaen dennoch ein riskantes „Spiel“.

Risiken des informellen Bergbaus

Für die Dörfer entlang des Nam Pathaen ist oberflächlicher Kleinstbergbau seit vorkolonialer Zeit ein wichtiger Bestandteil der Subsistenz. Schon frühe französische Reiseberichte bezeugten lokale Traditionen der Zinnförderung. Heute werden geschätzte 70% des Haushaltseinkommens durch den informellen Bergbau generiert. Der Tageslohn von 40.000 bis 80.000 Kip (je nach Qualität des gelieferten Minerals) liegt über dem gesetzlichen Mindestlohn von 1.200.000 Kip/Monat, wohingegen die spärlichen Gehälter für ungelernte Arbeit – mit langen, Kraft zehrenden Schichten – in den Bergbaubetrieben oft knapp darunter liegen.

Kehrseite der ungeregelten Arbeitsverhältnisse ist jedoch, dass die Betriebe keinerlei Verantwortung für die Arbeitssicherheit der Dorfbewohner übernehmen. Sie gehen ohne Helm mit Flipflops in den Berg, Unfälle sind an der Tagesordnung. Außerdem leidet die Bevölkerung unter den Umweltfolgen des jahrzehntelangen Bergbaus, wie dem Verlust von wertvollen Ackerflächen, Staubbelastung und verschmutzten Wasserläufen. Sie ist gezwungen, Reis, Fisch und Trinkwasser zu kaufen – normalerweise Natur-gegebene Bestandteile ländlicher Subsistenz in Laos. Entsprechend relativiert sich auch das auf dem Papier solide Einkommen der Haushalte im Nam Pathaen-Tal.

Kinderarbeit und Schwermetallbelastung

Ein großes Risiko bedeutet die Schwermetallbelastung des Nam Pathaen vor allem für Kinder, die nach der Schule mit großen Sieben aus Bambusgeflecht die Sedimente nach verbliebenen Mineralen waschen. Als soziales Problem ist neben dieser de facto Kinderarbeit zudem die hohe Arbeitsbelastung der Frauen zu sehen, die neben gelegentlicher Arbeit im Bergbau (z.B. Sortierung und Verarbeitung von Erzen) die Hauptlast der häuslichen Arbeit tragen.

Dorfkinder bei der Zinnwäsche, 2019 © Oliver Tappe

Die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen werden zudem von den Weltmarktpreisen für Zinn und von der Tragfähigkeit regionaler Netzwerke – beispielsweise mit Zwischenhändlerinnen aus der Provinzhauptstadt Thakhek, die das Metall über Thailand weiterverkaufen – beeinflusst. Lokale Lebensumstände sind unmittelbar mit transregionalen und globalen Dynamiken verknüpft.

Vietnamesische Arbeitsmigration

Bereits die Franzosen hatten in den Boomjahren der 1920er tausende vietnamesische Arbeiter – die sogenannten coolies – in die laotischen Gebiete entlang des Mekong geholt. Noch heute stellen Vietnamesen (und Chinesen, je nach Betreiber der jeweiligen Konzession) den Großteil der Arbeiterschaft im Bergbau und anderen arbeitsintensiven Sektoren der laotischen Wirtschaft. Dies gilt nicht nur für qualifizierte Arbeit, wo es in Laos oftmals am Bildungsstandard mangelt, sondern auch für unqualifizierte Jobs. Die Bevorzugung vietnamesischer Arbeitsmigranten ist zwar gesetzlich beschränkt, ist aber im Bau-, Bergbau- und Plantagensektor gängige Praxis.

Vietnamesische Arbeiter zu beschäftigen bietet den Unternehmen einige Vorteile: Sie sind über lao-vietnamesische Mittelsleute effizient und in großer Zahl rekrutierbar, akzeptieren lange Arbeitstage und widrige Arbeitsbedingungen (da in der Regel aus verarmten Regionen stammend). Sie leben oft in lagerähnlichen Siedlungen auf dem Gelände der Konzession und sind entsprechend gut zu kontrollieren. Wie Ian Baird et al. (Baird, Ian, William Noseworthy, Nghiem Phuong Tuyen, Le Thu Ha & Jefferson Fox. 2018. Land grabs and labour: Vietnamese workers on rubber plantations in southern Laos. Singapore Journal of Tropical Geography) am Beispiel von Kautschukplantagen in Südlaos erläutern, haben vietnamesische Unternehmen in Laos oft ihre eigenen Gesetze und ignorieren rechtliche Vorgaben – die in Laos generell unzureichend implementiert werden.

Zwar wurden in jüngster Zeit einige arbeitsrechtliche Regelungen verschärft, aber die Privilegierung von Unternehmen aus dem „sozialistischen Bruderstaat“ Vietnam hält weiter an. Entsprechend unzufrieden ist die lokale Bevölkerung im laotischen Zinnrevier mit der Arbeitsmarktsituation, allerdings ist das harte Tagewerk der unqualifizierten Arbeiter in den Konzessionen auch nicht besonders attraktiv. Die lokale Bevölkerung bevorzugt die Flexibilität des informellen Bergbaus oder gleich die Arbeitsmigration nach Thailand zur Generierung des Familieneinkommens. Wie auch der Bergbau ist die Migration über den Mekong mit großer Unsicherheit verbunden. Immer wieder enden laotische Migrantinnen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen oder gar der Prostitution.

Chinesische Zinnkonzessionen im Nam-Pathaen-Tal (Khammouane, Laos), 2019 © Oliver Tappe

Fortgesetzte Abhängigkeit und keine Alternative

Zum chinesischen (bzw. vietnamesischen) Neujahrsfest liefen die Konzessionen auf Sparflamme, da die jeweiligen Unternehmen den Großteil ihrer Arbeiterschaft zum Jahresurlaub in ihre Heimatländer entlassen hatten. Auch in den umliegenden Dörfern wurde das neue Jahr des Mondkalenders von laotisch-vietnamesischen Familien mit lauter Musik und Feuerwerk gefeiert. Vorfahren dieser Familien waren bereits zur Kolonialzeit in den Berg gegangen, in den vietnamesischen Küstenregionen von den Franzosen rekrutiert. Das Unbehangen angesichts neuerer Migrationsdynamiken von Vietnam nach Laos und der damit einhergehenden Konkurrenz teilen alle alteingesessenen Bewohner im Nam Pathaen-Tal. Auch Gerüchte zu neuen, größeren Konzessionen – und drohenden Umsiedlungsmaßnahmen – bereiten den Menschen Sorgen.

Der nai ban (Dorfvorsteher) von Ban Muangkhai beschwerte sich im Gespräch mit dem Autor (Februar 2019) zudem über den Damm eines Sickerbeckens, der den Lauf des Nam Pathaen in der aktuellen Trockenzeit zum Erliegen brachte. Seitens der chinesischen Konzession am Oberlauf erntete er und andere Dorfvorsteher nur Achselzucken (bzw. beschwichtigende Geldkuverts und Kleinspenden für lokale Schulen und Tempel). Ein alternatives Szenario zu einer Großkonzession nannte er ebenfalls: Die drohende Erschöpfung der lokalen Zinnreserven. Vorerst scheint es jedoch bei der Abhängigkeit der Dorfbevölkerung – auch mangels an alternativen livelihoods jenseits der Arbeitsmigration nach Thailand – vom Bergbau zu bleiben, mit den entsprechenden Risiken und Unwägbarkeiten.

 

Zum Weiterlesen:

  • Lahiri-Dutt, Kuntala, Kim Alexander & Chansouk Insouvanh. 2014: Informal mining in livelihood diversication: mineral dependence and rural communities in Lao PDR. South East Asia Research 22/1: 103-122.
  • Molland, Sverre. 2017. Migration and Mobility in Laos. In Changing Lives in Laos – Society, Politics, and Culture in a Post-Socialist State, ed, Vanina Bouté & Vatthana Pholsena, 327-349. Singapore: NUS Press.
  • Phouxay, Kabmanivanh. 2017: Patterns and Consequences of Undocumented Migration from Lao PDR to Thailand. In Changing Lives in Laos – Society, Politics, and Culture in a Post-Socialist State, ed. Vanina Bouté & Vatthana Pholsena, 350-373. Singapore: NUS Press.
  • Tappe, Oliver. 2019. Patterns of Precarity: Historical Trajectories of Vietnamese Labour Mobility. TRaNS: Trans–Regional and –National Studies of Southeast Asia doi:10.1017/trn.2019.1

 

Disclaimer: This research has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement N°770562 (CRISEA)

  • Artikel
Der Autor

Oliver Tappe ist Ethnologe und Historiker und forscht am Institut für Ethnologie der Universität Heidelberg zu historischen und soziokulturellen Aspekten des Kleinbergbaus in Laos (gefördert von der Deutschen Forschungsgesellschaft, DFG). Mit Simon Rowedder hat er 2022 den Sammelband Extracting Development – Contested Resource Frontiers in Mainland Southeast Asia herausgegeben, der unterschiedliche Fallbeispiele zum Thema Extraktivismus in Südostasien vereint – von Bergbau und Plantagenökonomie bis hin zu Staudammprojekten.

  • Traditioneller Bergbau mit Wasser

    Laos – Seit 100 Jahren bauen ausländische Unternehmen in großem Stil Zinn ab. In einem kleinen Flusstal in Zentrallaos sichern lokale Gemeinschaften in der Regenzeit mit het kua nam ihren Lebensunterhalt.

  • Laos und der französische Kolonialismus

    In Laos zieht die regierende Laotische Revolutionäre Volkspartei ihre Legitimation aus dem historischen Kampf gegen französische Kolonialisten und amerikanische ‚Neo-Kolonialisten‘. Die Erinnerungsdiskurse sind allerdings komplexer, als die staatliche Kampfrhetorik suggeriert.

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    Laos – Zur Einweihung der Statue von Chao Anuvong riefen mehr als 100 Mönche den Geist von Chao Anuvong herbei. Der Geist eines Königs im „sozialistischen“ Laos? Dieser scheinbare Widerspruch im Spannungsfeld von offizieller Erinnerungskultur und ritueller Alltagspraxis verdient nähere Beobachtung.

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Oliver Tappe

Oliver Tappe ist Ethnologe und Historiker und forscht am Institut für Ethnologie der Universität Heidelberg zu historischen und soziokulturellen Aspekten des Kleinbergbaus in Laos (gefördert von der Deutschen Forschungsgesellschaft, DFG). Mit Simon Rowedder hat er 2022 den Sammelband Extracting Development – Contested Resource Frontiers in Mainland Southeast Asia herausgegeben, der unterschiedliche Fallbeispiele zum Thema Extraktivismus in Südostasien vereint – von Bergbau und Plantagenökonomie bis hin zu Staudammprojekten.

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