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Agroforstwirtschaft: (K)eine Lösung für die Zukunft?
Indonesien: Agroforstwirtschaft wird in Westtimor durch Landnutzungsänderungen und der Land-Stadt-Migration junger Menschen zunehmend bedroht. Die Ernährungssicherheit der Agroforstgemeinden gerät dadurch in Gefahr.
Mamar – hinter dem klangvollen Namen verbirgt sich ein altes und bis heute wirksames landwirtschaftliches und kulturelles System. Das Mamar-System im Dorf Ponain wurde Ende des 18. Jahrhunderts errichtet, als das Königreich Koroh noch existierte, bevor es 1945 zusammen mit anderen lokalen Königreichen des Archipels in die Republik Indonesien eingegliedert wurde. Bis 1968, als ein neues Gesetz über die Dorfverwaltung in Indonesien verabschiedet wurde, umfasste das Königreich Koroh drei Dörfer im Großraum Ponain. Bis in die 1990er Jahre war das Mamar-System die Haupteinnahmequelle der Dorfbewohner*innen.
Ein Mamar-Gebiet kann in seinem Zentrum Wasser speichern, das sich aus lokalen Wasserquellen und Regenfällen speist. Darüber hinaus bietet die vielfältigere Auswahl an Anbaupflanzen den Landwirt*innen im Laufe des Jahres diversere Einkommensquellen, wodurch ihr Saisonkalender abwechslungsreicher wird.
Forschungen haben gezeigt, dass ein gut verwaltetes Mamar-System bei Ernährungssicherheit und Anpassung an den Klimawandel besser abschneidet als Monokulturen. Dies gilt insbesondere auf der Insel Timor, wo sich die Trockenzeit aufgrund des Klimawandels verlängert hat.
Das Drei-Zonen-System des Mamar
Mamar besteht aus drei Zonen, die durch soziokulturellen Glauben festgelegt sind. Die erste Zone wird Aibaun (Kern) genannt – eine heilige Zone, die weder betreten noch für kommerzielle Aktivitäten benutzt werden darf. Über Wasserquellen dient sie zur Bewässerung der äußeren Zonen. Die Kulturpflanzen, die in dieser 0,5 bis ein Hektar großen Zone wachsen werden nur für kulturelle Zeremonien geerntet.
Die zweite Zone, Kopa (Pufferzone), ist für die rentablen Hauptkulturen vorgesehen, wie Kokosnuss, Areka-Nuss und Banane. Frühere Forschungen weisen darauf hin, dass diese sieben bis 20 Hektar große Zone aufgrund ihrer hohen Bodenfruchtbarkeit und Wasserableitung das größte Potenzial für die Landwirtschaft hat. Die letzte Zone, Tanaman Semusim (Entwicklungszone, wörtlich Zone der einjährigen Pflanzen) wird für den Anbau von saisonalen Feldfrüchten und Tierfutterpflanzen sowie als Vieh-Weidefläche genutzt.
Die Bewohner*innen von Ponain praktizieren semi-Pastoralismus. Im Gegensatz zu anderen Viehhaltungssystemen, bei denen Kühe oder Ziegen zusammen gehalten werden, ziehen sie täglich zum Füttern ihrer Kühe und Ziegen mit ihnen herum. Außerdem halten sie das Vieh davon ab Gartenbauerzeugnisse zu fressen. Die dritte Zone bietet auch Platz für die Weißkopfmimose (Lamtoro), das wichtigste Viehfutter im Dorf Ponain.
Gegenwärtig sind die Bewohner*innen von Ponain mit zwei Dilemmata konfrontiert: Zum einen gibt es die Veränderung der Landnutzung hin zur Profitoptimierung und die gleichzeitige Verkleinerung der Schutzgebiete von Mamar. Zum anderen bedroht die Landflucht von jungen Menschen in Zukunft die Verfügbarkeit von Arbeitskräften für die Landwirtschaft.
Verlust eines nachhaltigen Landnutzungssystems
Die hohe Nachfrage nach Erzeugnissen des Pflanzenanbaus Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre veranlasste die Einheimischen, einen Teil der geschützten Mamar-Zone umzuwandeln und dort Gartenbau zu betreiben. Infolgedessen hat Mamar seinen traditionellen Wert verloren. Obwohl die Dorfbewohner*innen den Umweltnutzen des Mamar-Systems kennen, wie z.B. als Wasserquellen für den Wasser-Gartenbau, sind sie nicht am Mamar-System interessiert. Sie betrachten Mamar nicht als finanziell ausreichende Lebensgrundlage.
Durch die Abholzung der Mamar-Gebiete, vor allem in der ersten und zweiten Zone, wird es direkte Auswirkungen auf die Wasserverfügbarkeit geben. Wasserquellen werden weniger werden und schließlich ganz verschwinden. Das Fehlen von Wasserquellen wird in der Zukunft enorme Folgen für die Gartenbau-Aktivitäten im Dorf Ponain haben, da diese Aktivitäten stark von der Wasserverfügbarkeit abhängen. Es besteht das Dilemma, entweder die Mamar-Systeme beizubehalten oder sie in ein Vollkultursystem umzuwandeln. Gleichzeitig wächst die Nachfrage nach Gartenbauprodukten in Kupang, der Hauptstadt von Ost-Nusa Tenggara.
Die Umwandlung von geschütztem Mamar-Gebiet in produktive Fläche wird nicht mehr reguliert, da das traditionelle Recht seine Wirkmacht im Angesicht von rechtlich-rationaler und religiöser Autorität verloren hat. Das Einholen von Genehmigungen für die Landumwandlung gilt heutzutage als einfach im Vergleich zu den 1900er Jahren. Damals musste die Wiederbepflanzung mit Sachleistungen garantiert werden. Dieses Phänomen hat die Mamar-Fläche schrumpfen lassen und dazu geführt, dass Mamar als nachhaltiges Landmanagementsystem für die Zukunft verloren gegangen ist.
Alarmierend ist, dass Produktivität und Einkommensbildung langfristig sinken werden. Die Tatsache, dass Landwirte chemische Düngemittel verwenden, hat Umweltauswirkungen. Diese Umweltauswirkungen werden auch in der Zukunft zunehmen – insbesondere bei Gartenbau und Viehzucht. In letzter Zeit wird ‚grüne Wissensverbreitung’ von Kirchen betrieben. Dies scheint unzureichend zu sein, da Verhaltensänderungen Zeit und reale Demonstrationsfelder benötigen.
Land-Stadt-Migration
Neben Landnutzungsänderungen, die sich auf die lokale Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel auswirken könnten, spielt Migration eine Rolle. Die lokale Ernährungssicherheit steht da auf dem Spiel, wo junge Menschen nicht mehr an agroforstwirtschaftlichen Aktivitäten interessiert sind. Auf nationaler Ebene sieht sich Indonesien mit einem Bevölkerungswachstum von 1,07 Prozent konfrontiert. Gleichzeitig wird die Landflucht voraussichtlich zunehmen. Bis 2025 werden 68 Prozent der Gesamtbevölkerung in den Städten leben. Die landwirtschaftliche Produktivität muss bis 2025 um 60 Prozent gesteigert werden, um Hunger in Indonesien zu verhindern.
Auch in Westtimor gibt es Landflucht. Viele junge Dorfbewohner*innen emigrierten auf der Suche nach höherer Bildung oder besseren Arbeitsplätzen in städtische Gebieten wie Kupang. Die Auswanderung kann als eine Strategie zur Sicherung des Lebensunterhalts der Jugendlichen verstanden werden, da es an Mitteln und Unterstützung durch eine transformative Struktur innerhalb des Dorfes mangelt.
Ein Mangel an Ressourcen hat auch in Ponain zu einer Land-Stadt-Migration von Jugendlichen geführt. Beispielsweise fehlende Hochschuleinrichtungen in Ponain, da es nur ein einziges Gymnasium und keine Universitäten gibt. Jugendliche, die ihre Ausbildung fortsetzen möchten, müssen das Dorf verlassen. In Kupang gibt es die nächstgelegenen Ausbildungsmöglichkeiten. Die Tatsache, dass die meisten Dorfbewohner*innen der Glaubensgemeinschaft der Adventist*innen angehören, schränkt die Auswanderungsmöglichkeiten auf megapolitische Gebiete wie Bandung und Medan ein. Dort wird eine höhere Ausbildung speziell für Adventist*innen in Indonesien angeboten.
‚Schnelles Geld’ ist wichtiger als Erhalt von Land und Landwirtschaft
Städtische Arbeitgeber*innen zahlen oft einen regionalen Mindestlohn und verlangen keinen anspruchsvollen Bildungsabschluss. Deshalb gilt die Arbeit in städtischen Gebieten als ‚besser’ im Vergleich zum Leben auf dem Dorf. Diese Situation ist für Jugendliche aus Ponain zweckmäßig, da die meisten von ihnen die Hochschulreife besitzen. Darüber hinaus ist Auswanderung aufgrund der gewachsenen sozialen Vernetzung im ländlich-urbanen Kontext der Insel Timor in letzter Zeit immer üblicher geworden.
Außerdem gibt es Vorurteile, dass die Landwirtschaft keine ‚richtige’ Einkommen schaffende Tätigkeit sei, da lokale Landwirt*innen von Subsistenzwirtschaft leben und die städtischen Arbeitsplätze mehr Geld bieten würden. Das Durchschnittsalter der Bäuer*innen im Dorf Ponain liegt bei 50 bis 60 Jahren. Entsprechend ist die Landwirtschaft gefährdet. Die Jugendlichen in Ponain sind sich dem bewusst und entscheiden sich trotzdem, aus dem Dorf wegzuziehen.
Dieser Mangel an Humankapital in quantitativer und qualitativer Hinsicht wird in naher Zukunft zu einer Vulnerabilität des Dorfes Ponain führen. Es wird nicht genügend menschliche Arbeitskräfte geben, um Mamar als Existenzgrundlage zu erhalten.
Traditionelles Recht wiederbeleben?
Gibt es einen Ausweg aus diesen beiden Dilemmata? In diesem Abschnitt wird die Möglichkeit erörtert, das traditionelle Recht im Dorf Ponain wiederzubeleben. Traditionelles Recht könnte künftige Abholzung verhindern und das Bewusstsein der Jugendlichen für den Erhalt des Mamar-Systems stärken.
Da die rechtlich-rationale Autorität (Dorfverwaltung) in Ponain traditionelle Gesetze ausschließt, werden Heiratszeremonien und das System der Landnutzungsänderungen immer einfacher. Früher verlangte das traditionelle Gesetz von den jungen Brautleuten, 50 Bäume im Mamar-Gebiet zu pflanzen. In anderen Fällen wurden Sicherheiten für die Änderung der Landnutzung verlangt.
Das traditionelle Recht beinhaltete auch eine nachhaltige landwirtschaftliche Praxis, bezog die Jugendlichen in einen spezifischen Saisonkalender ein und förderte das, was wir heute als FPIC (free, prior, inform, consent – zu Deutsch freie, vorherige und informierte Zustimmung) kennen. Diese Praktiken unter traditionellem Recht erwiesen sich damals als wirksam.
Der Prozess der Anerkennung der Multifunktionalität von Mamar könnte durch die zwei stärksten Autoritäten im Dorf unterstützt werden, nämlich die rechtlich-rationale Autorität der Dorfverwaltung und die religiöse Autorität der Kirche. Zusammen könnten beide die wichtigsten Akteure beim Schutz des Mamar-Systems und seiner Wasserquellen sein. Die Autorität der Dorfverwaltung könnte durch positives Recht und auf Grund ihrer Entwicklungsagenda für die Gemeinde nützliche Ressourcen mobilisieren. So könnten sowohl die formellen als auch die informellen lokalen Eliten zur Rettung von Mamar zusammengebracht werden.
Mit konkreten Ideen zur Erhaltung des Mamar-Systems könnten fortgesetzt Einkommen schaffende Aktivitäten für die Dorfbewohner*innen ermöglicht werden. Auf der anderen Seite können die Kirchen mit ihrem besonderen Einfluss auf die Dorfbewohner*innen ‚grünes Wissen’ fördern und verbreiten. Als konkrete Maßnahme könnten die Kirchen damit beginnen, Demonstrationsflächen einzurichten.
Aus kritischer Sicht kann die Wiederbelebung des traditionellen Rechts für die Dorfverwaltung und die Kirchen verunsichernd sein, da es ihren Status quo herausfordert. Die Dorfverwaltung als auch die Kirchen sind die Haupteinflussnehmenden im Dorf. Daher erfordert die Stärkung der traditionellen Autorität im Dorf den Willen der Verwaltung und der Kirchen, um die lokale Machtstruktur im Interesse der Nachhaltigkeit von Mamar ausgewogen zu gestalten. So oder so müssen die Dorfverwaltung und die Kirchen Pläne zur Mitigation entwickeln, um Mamar vor aggressiven Veränderungen der Landnutzung und dem Mangel an Jugendlichen im System zu bewahren.
Übersetzung aus dem Englischen von: Dominik Hofzumahaus
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