Bunt bemalte Holzpuppen tanzen bei einer Vorstellung des vietnamesischen Wasserpuppentheaters über das Wasser. © Vietnam National Puppetry Theatre, alle Rechte vorbehalten

Vietnam: Nguyễn Tiên Dũng vom Vietnam National Puppetry Theatre berichtet im Interview über das vietnamesische Wasserpuppentheater zwischen Tradition und Moderne.

Das Licht im Saal ist gedimmt, nur die Bühne aus Wasser ist hell erleuchtet. Klänge von Trommeln und Flöten erfüllt den Raum. Drachen tanzen durch wabernden Nebel über das Wasser. Aus ihren Mündern spritzt Wasser. Ein Abend im Vietnam National Puppetry Theatre in Hanoi beginnt.

Die Hauptstadt Vietnams ist reich an Geschichte und Tradition. Eine davon ist das traditionelle Wasserpuppentheater, auch bekannt als múa rôi nước, was so viel bedeutet wie „Puppen, die auf Wasser tanzen“. Historiker*innen zufolge hatte es seinen Ursprung während der Ly-Dynastie (1010-1225) im Delta des Roten Flusses in Nordvietnam.

südostasien: Wie der Name vermuten lässt, spielt Wasser eine besondere Rolle im vietnamesischen Wasserpuppentheater. Wie kam es dazu?

Unser Interviewpartner:

Nguyễn Tiên Dũng ist Manager im Vietnam National Puppetry Theatre und verantwortlich für den Bereich der darstellenden Künste. Seit mehr als 30 Jahren ist er Mitglied in der Vietnam Theater Artists Association und setzt sich für den Erhalt und die Förderung des traditionellen Puppenspiels ein.

Nguyễn Tiên Dũng: Die Tradition stammt aus einer Zeit, in der ein Großteil der Bevölkerung Vietnams noch Bauern waren. Nach den anstrengenden Reisernten sehnten sich die Menschen nach Unterhaltung. So begann man, die überschwemmten Reisfelder oder manchmal auch Teiche zur Unterhaltung der Dorfbewohner*innen zu nutzen und das Ende der Reisernte zu feiern. Die Puppenspieler standen dabei immer bis zur Hüfte im Wasser und kontrollierten die Puppen aus Holz hinter einem Bambusschirm mithilfe von Stöcken. Die Zuschauer sahen dabei nur die bunten Puppen über das Wasser tanzen.

Das Wasserpuppentheater wurde immer beliebter und schließlich auch am königlichen Hof aufgeführt. Die Puppenspieler entwickelten mit der Zeit neue und kompliziertere Techniken. Das Handwerk wurde dabei schon immer sehr ernst genommen. Die Geheimnisse der Puppenspielkunst wurden meist nur innerhalb der Familie von Generation zu Generation weitergegeben.

Wovon handeln die Geschichten, die im Wasserpuppentheater erzählt werden?

Wir haben verschiedene Geschichten. Viele sind eng mit dem Ursprung des Wasserpuppentheaters verbunden, mit den Dörfern und Feldern Vietnams. Sie erzählen von alltäglichen Aktivitäten wie dem Fangen von Fröschen, der Jagd auf Füchse zum Schutz der Entenküken, der Reisernte und auch von Festen wie Bootsrennen oder Ringkämpfen.

Puppen in einer Sänfte gleiten über das Wasser. © Vietnam National Puppetry Theatre, alle Rechte vorbehalten

Andere Stücke erzählen unsere alten Mythen und Legenden, die über Generationen weitergegeben wurden und weit bekannt sind. Ein Beispiel ist die Legende Sơn Tinh – Thủy Tinh (Gott der Berge und des Wassers). Sie handelt von den saisonalen Monsunen die Vietnam heimsuchen und dem harten Kampf unserer Vorfahren gegen deren verheerende Folgen.

Unabhängig vom jeweiligen Stück gibt es einen Charakter, der immer wieder auftaucht. Sein Name ist Chú Tễu, also buchstäblich ‚Onkel Comedian‘ oder Joker. Wie es sein Name schon sagt, sorgt er bei den Vorführungen für Lacher. Manchmal ist er Erzähler und führt durch die verschiedenen Szenen der Geschichten, manchmal tritt er aber auch als Kommentator auf.

Seit der Entstehung des Wasserpuppentheaters ist viel Zeit vergangen. Hat sich mit dem Alltag der Bevölkerung auch das Wasserpuppentheater verändert?

Natürlich hat sich seitdem viel getan. Früher war das Wasserpuppentheater vor allem ein Vergnügen des einfachen Volkes in den gefluteten Reisfeldern der Dörfer. Heute spielen wir auf großen Bühnen für ein breites Publikum. Das Theater hat sich in vielen Bereichen stark weiterentwickelt und sich an kulturelle und soziale Veränderungen angepasst. Neben dem traditionellen Programm werden auch modernere oder internationale Stücke gespielt, um auch die jüngeren Generationen anzusprechen. Wir zeigen zum Beispiel verschiedene Märchen von Hans Christian Andersen. Die Kombination aus traditioneller vietnamesischer Kunst und den beliebten Märchen aus Dänemark kommt bei den Zuschauer*innen sehr gut an.

Ein Plakat kündigt Vorstellungen zu Andersens Märchen an – ein Teil des neuen, modernen Repertoires. © Vietnam National Puppetry Theatre, alle Rechte vorbehalten

Auch die technologischen Entwicklungen haben uns neue Möglichkeiten für unsere Aufführungen eröffnet. Durch den gezielten Einsatz von modernem Ton- und Lichtequipment können wir die visuelle Darstellung verbessern. Das Theaterstück wird dadurch noch lebendiger. Wichtig ist dabei aber immer, dass trotz aller Innovation bei der Kombination zwischen Tradition und Moderne die Seele des Wasserpuppenspiels erhalten bleibt. Wir sind damit auf einem guten Weg. Das Wasserpuppentheater ist nicht nur in Vietnam beliebt, sondern mittlerweile auch im Ausland als eine einzigartige Kunstform unseres Landes bekannt. Es ist ein Teil unserer kulturellen Identität, die wir fördern und bewahren müssen.

Welche Rolle spielt das Vietnam National Puppetry Theatre beim Erhalt dieser traditionellen Kunstform?

Das Vietnam National Puppetry Theatre ist das größte Zentrum für Puppenspielkunst im Land. Es hat es sich zur Aufgabe gemacht, die traditionelle Kunst nicht nur zu bewahren, sondern auch weiterzuentwickeln. Es wurde 1956 auf Anweisung des damaligen Präsidenten Hô Chí Minh gegründet, der damit Kindern Freude und etwas zum Lachen schenken wollte. Unser Theater besteht aus einem vielfältigen Team aus talentierten Künstler*innen verschiedener Berufe, von Regisseur*innen, Drehbuchautor*innen, über Puppenmacher*innen und -spieler*innen, bis hin zu Ton- und Lichttechniker*innen. Viele von ihnen haben im Ausland studiert oder direkt von traditionellen Wasserpuppenspieler-Truppen aus den Dörfern gelernt. Aktuell gibt es im Vietnam National Puppetry Theatre drei Bühnen, eine für ’normales‘ Theater und zwei für Wasserpuppentheater. Damit schaffen wir nicht nur einen Platz für Künstler*innen, die traditionelle Kunst zu leben, sondern auch, sich auszuprobieren. Ein wanderndes Puppentheater erlaubt uns zudem, Vorstellungen überall in Vietnam, aber auch im Ausland zu geben. So können wir unsere Kultur lebendig halten und ein neues Publikum erreichen, indem wir sie in die Welt tragen.

Welche Regierungs-Maßnahmen unterstützen das Wasserpuppenspiel?

Das Vietnam National Puppetry Theatre wurde nicht nur von Hô Chí Minh gegründet, sondern untersteht auch dem Ministerium für Kultur, Sport. Damit hat die Regierung ein großes Zeichen gesetzt. Das Wasserpuppenspiel ist seitdem offiziell als eine traditionelle Volkskunstform mit hohem Wert für die Nation anerkannt.

Ein Puppenmacher stellt eine Holzpuppe in traditioneller Handarbeit her. © Vietnam National Puppetry Theatre, alle Rechte vorbehalten

Das Wasserpuppenspiel ist eine Kunstform, die nicht nur passende Bühnen, sondern auch eine entsprechende Ausbildung der Mitarbeiter*innen und spezielle Requisiten benötigt. Ohne gute Puppenmacher könnten keine neuen Puppen mehr angefertigt werden. Traditionelle Puppen würden auch nicht richtig gepflegt oder bei Bedarf ausgebessert. Ohne die nötige Förderung und Investitionen könnte diese Kunstform nicht bestehen und die Kultur verschwände. Daher müssen vor allem lokale Behörden und Kulturbeauftragte auf die Bedürfnisse der verschiedenen Puppentheater achten. Außerdem soll die Rolle des damit verbundenen Handwerks gefördert werden, um diese Kunstform weiterhin zu erhalten. Nur so kann das vietnamesische Wasserpuppenspiel weiterhin bestehen und ein großes Publikum erfreuen.

Interview und Übersetzung aus dem Englischen von: Eileen Kristiansen

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Die Autorin

Eileen Kristiansen studiert im Master Modern East Asian Studies an der Goethe Universität in Frankfurt. Ihr Bachelorstudium absolvierte sie in Südostasienwissenschaften und Sinologie, mit Aufenthalten an der Universitas Muhammadiyah Purwokerto und der Fudan Universität in Shanghai. Sie interessiert sich vor allem für Themen im Bereich Innovation und Nachhaltigkeit.

  • Wasser als Bühne

    Vietnam – Nguyễn Tiến Dũng vom Vietnam National Puppetry Theatre berichtet im Interview über das vietnamesische Wasserpuppentheater zwischen Tradition und Moderne.

  • Bürger-Beteiligung mit Hilfe von Apps

    Indonesien/Philippinen – Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten für Information und Engagement. PetaBencana aus Indonesien und TrashCash aus den Philippinen sind Beispiele für App-basierten Katastrophen- und Umweltschutz.

  • Jamu – mehr als ‚nur’ traditionelle Medizin

    In Indonesien gehört die Alternativmedizin Jamu zum Alltag. Jamu wird aus Pflanzen hergestellt und hat eine jahrhundertealte Tradition. An seiner Beliebtheit hat auch die Verbreitung der Schulmedizin nichts geändert.

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Eileen Kristiansen

Eileen Kristiansen studiert Südostasienwissenschaften und Sinologie an der Universität Frankfurt. Neben diversen universitären Auslandsaufenthalten sammelte sie zudem praktische Erfahrung bei einer indonesischen NGO.

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