Myanmar: Viele Aktivist*innen setzen sich auf Facebook für ein Ende des Konfliktes um die Rohingya ein. Gleichzeitig wird die Plattform beschuldigt, wesentlich zur Eskalation der Lage beigetragen zu haben.
„Facebook wegen Rohingya-Genozid verklagt“, „A genocide incited on Facebook„, „UNO: Facebook trägt Mitschuld am möglichen Genozid in Myanmar“: So lauten die ersten drei Treffer einer Google-Suche mit den Stichworten „Facebook“ und „Genozid“. Das eskalierende Potenzial der Inhalte sozialer Medien im Konflikt um die muslimische Minderheit Rohingya hat in den vergangenen Jahren viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Facebook selbst hat zugegeben, dass es zu wenig unternommen hat, um Desinformationen und Hass auf der Plattform zu stoppen und damit der Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen in Myanmars Rakhine-Staat etwas entgegenzusetzen.
Wissenschaftlich gilt als gut erforscht, wie soziale Medien Konflikte befeuern können, zum Beispiel durch Propaganda oder Desinformationen. Im Fall des Konfliktes um die Rohingya haben das Militär und extremistische buddhistische Gruppen gezielte Desinformationskampagnen auf Facebook durchgeführt und systematisch tausende islamfeindliche Postings und Kommentare veröffentlicht. Dazu zählen zum Beispiel falsche Berichte über Angriffe von Muslim*innen auf Buddhist*innen.
Sehr viel weniger wird jedoch darüber geforscht, ob die Social-Media-Plattformen Konflikte auch deeskalieren und ein friedliches Zusammenleben fördern können.
Soziale Medien werden im Konflikt um die Rohingya längst auch im Kontext von Antidiskriminierungsbemühungen genutzt. Aktivist*innen, Journalist*innen, NGO-Mitarbeiter*innen und Mitarbeiter*innen von Medienentwicklungsorganisationen setzen sich online für ein friedliches Zusammenleben ein:
„Das ist, was ich erreichen möchte: Etwas gegen den Konflikt tun und darüber hinaus eine Kultur des Friedens aufbauen, vor allem im immer wichtiger werdenden Raum der sozialen Medien.“ (Sanda, Pseudonym einer NGO-Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte)
Die Gründe, die zivilgesellschaftliche Akteur*innen für ihren Einsatz auf Facebook und anderen Plattformen nennen, ähneln denen, weshalb die Netzwerke generell so wichtig im Alltag von vielen Menschen geworden sind. Sie sind praktisch. Mithilfe von Facebook lässt sich eine potenziell große Zahl an Menschen erreichen und man kann von fast jedem Ort der Welt aus kommunizieren. Für viele Aktivist*innen ist dieser Punkt sehr wichtig, da sie Myanmar aufgrund des Militärputsches im Februar 2021 verlassen mussten:
„Während der Revolution musste ich aus Myanmar fliehen. Sechs Monate lang habe ich im Dschungel gelebt, jetzt bin ich in Thailand. Facebook und die anderen Social-Media-Plattformen sind der einzige Weg für mich, um mit den Menschen in Myanmar zu kommunizieren.“ (Thet Swe Win, Aktivist)
Die Covid-19-Pandemie hat die Verlegung zahlreicher Aktivitäten ins Digitale beschleunigt. Ein weiterer Grund für den Einsatz sozialer Medien ist, dass sie unkompliziert und mit geringem Aufwand bedienbar sind. Dies eröffnet den Netzwerken den Aktivist*innen viele verschiedene Möglichkeiten, sich für Frieden in Rakhine, der Region im Westen Myanmars, in der der Konflikt vor allem stattfindet, einzusetzen. Sie führen zum Beispiel Social-Media-Kampagnen durch, die für eine respektvolle Sprache im Netz sensibilisieren sollen:
„Wir haben die Menschen darum gebeten, Fotos von sich zu posten mit dem Versprechen, anderen Menschen nicht mit ihren Worten zu schaden. Dazu sollten sie ihre Freunde verlinken und sie auffordern, dasselbe zu tun. Auf diese Weise wurde die Kampagne immer weiterverbreitet.“ (Sanda)
Andere Aktivist*innen führen Fakten-Checks durch, um Desinformationen aufzudecken. Das Medienunternehmen von Journalist Aung Marm Oo hat beispielsweise Reporter*innen in verschiedenen Regionen des Konfliktgebiets stationiert, um Fakten vor Ort prüfen zu lassen:
„Wir verifizieren die Nachrichten, ob sie wahr sind und ob die Quellen vertrauenswürdig sind. Danach schreiben wir einen Bericht und veröffentlichen ihn in den sozialen Medien.“ (Aung Marm Oo, Journalist)
„Wir entwickeln eine Datenbank mit verschiedenen Social- Media- Seiten. Diese Seiten schauen wir uns jeden Tag an, ob dort jemand Hate Speech gegen eine der Konfliktparteien gepostet hat. Wir beobachten, wie viel Reichweite diese Postings bekommen und melden sie bei Facebook.“ (Thiri, Pseudonym einer NGO-Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte)
Kann dieses virtuelle Engagement einen positiven Effekt auf den realen Konflikt haben? Tatsache ist, dass die Friedensaktivist*innen sich mit ihrem Tun selbst der Gewalt des Konflikts aussetzen. Alle berichten von Beleidigungen und Drohungen, die sie online infolge ihres Engagements erhalten. Fast alle von der Autor*in für diesen Artikel befragten Akteur*innen geben an, sich durch diese Drohungen stark belastet zu fühlen.
„Es findet sehr viel Mobbing statt. Die Atmosphäre in den sozialen Medien ist sehr giftig. Sie schadet unserer mentalen Gesundheit.“ (Thiri)
Dass die Akteur*innen ihre Arbeit trotzdem weiterführen, zeigt, dass sie an eine positive Wirkung glauben. Dennoch ziehen einige Akteur*innen Aktivitäten in der’echten‘ Welt dem Online-Engagement vor. Eine NGO-Mitarbeiterin, die sich in Rakhine dafür einsetzt, Mitglieder verschiedener Bevölkerungsgruppen zusammenzubringen, beschreibt den Unterschied von Online-Programmen und persönlichen Treffen:
„Bei den persönlichen Treffen lernen wir uns gegenseitig besser kennen und das erhöht das Vertrauen innerhalb der Gruppe. Wenn wir die gleichen Aktivitäten online abhalten, sind die Erfahrungen weniger intensiv.“ (Thiri)
Auch der Aktivist Thet Swe Win, der sowohl Social-Media-Kampagnen durchführt, als auch persönliche Protestaktionen organisiert, möchte auf den Austausch in der ‚echten‘ Welt nicht verzichten:
Sind die Friedensbemühungen in den sozialen Medien also eher ein ‚Aktivismus zweiter Klasse‘? Ein Aktivismus, auf den höchstens zurückgegriffen werden sollte, wenn persönliche Zusammenkünfte gerade nicht möglich sind? Sanda widerspricht:
„Wir können die sozialen Medien in unserer Arbeit nicht außen vor lassen, weil sie so ein wichtiger Teil im Leben vieler Menschen geworden sind. Facebook ist der ‚Ort‘, an dem sie sich informieren, wo sie für Unterhaltung und persönliche Kommunikation ‚hingehen‘. Wir können diesen ‚Ort‘ nicht ignorieren.“ (Sanda)
Gerade in Myanmar, wo Facebook zum wichtigsten Medium geworden sei, so Sanda, dürfe dieser Raum nicht den Menschen überlassen werden, die Konflikte weiter anheizen. Es geht bei der Friedensarbeit in den sozialen Medien also auch darum, öffentlichen Raum zu ‚besetzen‘, ihn im Sinne eines gewaltfreien Zusammenlebens einzunehmen. Dass diese Aufgabe von Unternehmen wie Facebook weiterhin zu einem großen Teil auf lokale Aktivist*innen abgewälzt wird, die sich einem hohen Maß an Hass und verbaler Gewalt aussetzen müssen, ist ein Skandal. Es zeigt, dass das Unternehmen trotz öffentlicher Zugeständnisse im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Rohingya noch einen weiten Weg vor sich hat.
Die Vorstellung, dass soziale Medien ausschließlich zu einer Eskalation des Konfliktes beitragen, ist dennoch falsch. Ihr Einsatz im Friedensprozess stößt aber an Grenzen, hinter denen die Akteur*innen nicht vor dem hohen Maß an persönlichen Bedrohungen und Hate Speech geschützt werden können. Außerdem können Social Media-Plattformen nur ein Teil der Lösung eines jahrhundertealten, hochkomplexen Konflikts sein. Die persönliche Kommunikation, außerhalb der virtuellen Welt, bleibt auch für die Social-Media-Aktivist*innen ein zentraler Bestandteil im Friedensprozess.
Zitate übersetzt aus dem Englischen von: Teresa Bechtold
Teresa Bechtold ist Redakteurin beim WDR. Im Juli 2022 hat sie den Masterstudiengang Moderne Süd- und Südostasienstudien an der Humboldt Universität zu Berlin abgeschlossen.
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