4 | 2021

Postkolonialer staatlicher Rassismus in Thailand

Ein Königsbild ist überall in der Öffentlichkeit und auch in den meisten königstreuen Haushalten zu finden. Im nationalen Narrativ verkörpert und beschützt er als ‚vollkommenes Wesen‘ die Nation und Religion. © Dominik Hofzumahaus

Thailand: Bis heute erfahren Bevölkerungsgruppen rassistische Ausgrenzung und Benachteiligung durch die Mehrheitsbevölkerung. Dem zugrunde liegt die staatliche Ideologie von ‚Thainess‘, deren Ursprünge in der Kolonialzeit zu finden sind.

In Thailand gibt es Bevölkerungsgruppen, deren ‚authentische thailändische Identität’ und Zugehörigkeit in Frage gestellt wird. Sie werden als ‚nicht vollwertige Bürger*innen’ von der Mehrheitsgesellschaft betrachtet und im Narrativ einer konstruierten rassifizierten thailändischen Identität werden sie gar als ‚feindliche Andere‘ innerhalb der Gesellschaft gezeichnet. Um den Begriff der thailändischen Rasse und des Rassismus näher zu verstehen, beziehe ich mich auf einen nationalen Mythos, der auf der kolonial geprägten Zeit im 19. Jahrhundert in Siam und dem Aufstieg der königlich-absolutistischen herrschenden Minderheiteneliten in Bangkok sowie auf staatlichen hierarchischen rassischen Identitätsbildungen basiert.

Was ist Thai und was ist Thainess? Es war König Vajiravudh, der die kulturellen und rassischen Grenzen des Thai-Seins festlegte, die von faschistischen und militärischen Diktatoren in Befehle umgewandelt wurden. Um Thai zu sein, muss man: den König verehren, anbeten und lieben; der Nation selbstlos und ohne Frage dienen; buddhistisch sein. Monarchie, Nation und Religion sind heilig. Als Thai geboren zu sein, bedeutet, buddhistische*r Untertan*in eines Königs von ‚reiner Rasse und reinem Blut‘ zu sein. Thais regieren im Namen der buddhistischen Wahrheit, Güte, Reinheit und Tugend, verkörpert in einem ‚vollkommenen Wesen’, dem König, der über der Politik und dem Gesetz steht und angeblich ein vom Himmel herabgestiegener ‚Gottkönig‘ ist. Thailand wird als eine Nation, basierend auf ethnischer und kultureller Homogenität, die um die Monarchie herum organisiert ist, zusammengehalten.

Dieser Glaube wird vom Staat durchgesetzt, wobei die ethnische Vielfalt geleugnet und Unterschiede ausgelöscht werden. Jede*r muss sich einer einheitlichen Art und Weise anpassen, um Thai zu sein. Ein großer Teil der Bevölkerung des Landes wird dabei als ‚minderwertig‘ ausgrenzt, während Bangkoker*innen als ‚rassisch überlegen’ betrachtet werden.

Royalismus, Religion, Rasse und Herrschaft

Royalismus, Religion, Rasse und Herrschaft sind miteinander verbunden. Die soziale und politische Ordnung Thailands ist eine königlich-theologische Ordnung mit dem König an der Spitze und dem Zentrum in Bangkok. Die Erzählung der thailändischen königlichen Elite sieht im König den Vater der Nation, und in seinen Untertanen seine Kinder. Ethnische Minderheiten seien unwissende Kinder, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu regieren und ihre Interessen zu erkennen.

Ultrakönigstreue regierungsfeindliche Anhänger auf dem Weg zum Hauptquartier der thailändischen Polizei in Bangkok am Tag nach dem Scheitern eines Generalstreiks im Dezember 2013. ©Adaptor-Plug, Flickr, CC BY-NC 2.0

Dies wird zumeist Bevölkerungsgruppen aus dem Süden, Norden und vor allem Nordosten zugeschrieben: Menschen mit dunklerer Hautfarbe, die oft kein Zentralthailändisch sprechen. Von Menschen aus der Bangkoker Mittelschicht und den Eliten werden sie etwa als „kon bannok“ (Hinterwäldler*innen) bezeichnet. Nordostthailänder, vor allem ethnische Laot*innen und Khmer, werden mit Bezeichnungen wie „kwai“ (Wasserbüffel) abgewertet. Südliche Thais werden „khaek“ genannt – ein Begriff, unter dem Südasiat*innen, Malai*innen und Araber*innen zusammengefasst werden -, da sie meist eine dunklere Hautfarbe haben. Thailändische und malaiische Muslim*innen werden als Nicht- Buddhist*innen als ‚un-thailändisch‘ angesehen. Die Hautfarbe wird rassifiziert.

Ein nationaler Mythos verweist auf die Ursprünge des thailändischen Rassekonstrukts. Er besagt, dass Siam aufgrund seiner besonderen zivilisatorischen Eigenschaften eine weltweit einzigartige Ausnahme darstellte, da es nie vom Westen kolonisiert wurde. Demnach hielt eine überlegene ‚Herrenrasse‘, der ein halbgöttlicher Monarch vorstand, die ‚großen bösen Kolonialwölfe‘ – Frankreich und Großbritannien – fern. Dies ist eine gefährliche Illusion, die eine „Theologie des thailändischen Exzeptionalismus“ schafft, wie Thongchai Winichaikul es ausdrückt. Es ist, als ob die thailändischen Traditionen und die thailändische Kultur uralte Traditionen wären und keine neuen Erfindungen. Mit diesem Mythos entstanden auch rassistische Ansichten gegenüber anderen südostasiatischen Ländern, die als unterlegen dargestellt und angeblich aus diesem Grund kolonisiert wurden.

Der koloniale Einfluss und die Erfindung der Thai-Rasse

Durch exterritoriale Verträge mit den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich wurde Siams Souveränität im 19. Jahrhundert beeinträchtigt und das Land wurde zu einem „indirekt kolonisierten dynastischen Staat„, der das britische Empire mit Reis versorgte. Die Drohung, kolonisiert zu werden, veranlasste König Chulalongkorn, kolonialistische Waffen und Herrschaftsformen zu übernehmen, und sie gegen sein eigenes Volk einzusetzen. Durch das Studium der europäischen Kolonien Singapur, Malaya, Burma, Indien und Java gewann der König eine Vorstellung davon, wie er regieren konnte: indem er sein Königreich in „eine europäische Miniaturkolonie ohne die Europäer verwandelte und es zu einem modernisierten, ‚zivilisierten‘ asiatischen Staat machte‘, wie der Historiker David Wyatt schildert.

Der thailändische Politikwissenschaftler Kasian Tejapira argumentiert, dass die herrschende Klasse und die Aristokratie die Struktur der holländischen und britischen Kolonialregierung übernahmen und Siam zu einem „autoritären und zentralisierten modernisierenden autokolonialen Staat“ machten. Mit anderen Worten: Siam kolonisierte sich selbst.

„Autokolonisierung“ der herrschenden Eliten Siams

Die letzte Seite eines Cartoons über die Geschichte Thailands. König Bhumibol Adulyadejwar war bis zu seinem Tod im Oktober 2016 im Amt und war bei den Anhänger*innen des Königshauses überaus beliebt. ©Adaptor-Plug, Flickr, CC BY-NC 2.0

Peter Jackson beschreibt, wie die Monarchie in Bangkok als direkte Folge davon profitierte und stärker wurde. Die absolute Macht wurde durch die „Autokolonisierung“ der herrschenden Eliten Siams erlangt, um den Normen, der Moral und den Werten der Zivilisation des Bürgertums zu entsprechen. Der Mythos, dass Siam dank eines großen Königs, der die Nation rettete, nie einer imperialistischen Herrschaft unterworfen war, ignoriert, dass dies durch die Entwicklung einer intensiven Form der internen Tyrannei erreicht wurde: Nämlich durch den Rassismus, mit dem die lokale Bevölkerung unterworfen wurde.

Der Glaube an die Thai als überlegene Rasse verdeckt den siamesischen Imperialismus und seine gewaltsame „interne Kolonisierung“, wie Jackson es ausdrückt. König Chulalongkorn schickte nach Vorbild der französischen Eroberung des siamesischen Königspalastes ein Kriegsschiff der Marine zum Patani- Fluss in Südthailand und ließ den letzten malaiischen Sultan inhaftieren. Damit bewies Siam seine königlich- imperiale und koloniale Macht über ‚unzivilisierte Fremde und Halbbarbaren‘ auf der internationalen Bühne. Wie der Anthropologe James C. Scott argumentiert, sind „Barbaren ein staatlicher Effekt, der nur aus der Sicht des Staates existiert“. Das thailändische Rassenkonstrukt braucht einen schlechten, minderwertigen, feindlichen ‚Anderen‘, um ‚es selbst‘ zu sein: gut und überlegen.

‚Thaiisierung‘ als Folge kolonialer Machtansprüche

Die Analyse des Historikers David Streckfuss zeigt die Entstehung einer thailändischen Rasse: „Der Kolonialismus definierte Siam rassisch. Wer sind die Thailänder? Was ist eine Rasse? Was ist eine ethnische Gruppe? Wer sind die Laoten? Die Kambodschaner? Wer war ein Staatsbürger und wer hatte eine Nationalität?.“ Die thailändische Königsklasse nutzte das Konzept Rasse gegen Frankreich, um eine neue thailändische Identität zu schaffen und einen Territorialstaat zu gründen. Die französischen Kolonialisten betrachteten laut Streckfuss die Siames*innen als eine ‚mindere Rasse’: eine ‚gemischte und befleckte’ Minderheit innerhalb Siams neben anderen, wie den Chines*innen, Malai*innen, Laot*innen, Kambodschaner*innen, Vietnames*innen und lokalen Gruppen. Für die französische indochinesische Herrschaft sollten die Nicht-Siames*innen unter dem Schutz der Franzosen stehen, da sie von den Siames*innen unterdrückt wurden. Die Kolonialmacht setzte auf eine ‚Teile und Herrsche‘-Strategie, um das siamesische Reich herauszufordern, welches die Lao bekämpfte und unterwarf.

Siam konnte nur über die Länder herrschen, in denen als Siames*innen gelesene Menschen lebten, aber das beschränkte Siam auf das Chaopraya-Flussgebiet. Außerhalb dieses Gebiets erhob Frankreich 1893 durch einen Vertrag Anspruch auf seine ‚Schützlinge‘ und annektierte heimlich die ehemaligen laotischen und Khmer-Gebiete in Siam. Frankreich betrachtete beide Gruppen als dem eigenen Schutz unterworfen — und nicht als Untertanen Siams, entgegen dem Rechtsanspruch von Prinz Devawongse, nach dem Laoten thailändische Untertanen waren. Für die herrschende siamesische Elite galten die Lao im Gegensatz zu den Khmer als ‚thailändische Rasse‘. Die Franzosen versuchten mit Hilfe des Konzepts Rasse und der ethnischen Vielfalt, die siamesische Minderheit als nicht zu Siam zugehörig zu definieren. Die Siames*innen antworteten ihrerseits, indem sie die Thai zu Thailand zugehörig definierten und dabei westliche Begriffe von Rasse und Regierung verwendeten. Das Königreich Siam wurde zum Reich des Thai-Landes; die nationale Identität und Zugehörigkeit wurde als Thai und nicht als siamesisch gebildet.

Ein 100-Baht Schein mit dem vorherige König Bhumipol mit Königin Sirikit Kitiyakara. Auf der Vorderseite der Geldscheinen müssen immer die Könige in Thailand abgebildet sein. ©Adaptor-Plug, Flickr, CC BY-NC 2.0

Das thailändische Königtum dehnte die ‚Rassengrenzen‘ auf die bestehenden territorialen Grenzen aus, so dass die gesamte Bevölkerung des Landes als Untertanen thailändisch wurde — eine Kombination aus Nation, Nationalität und Rasse. Prinz Damrong, der Innenminister, erklärte laut Streckfuss, sein Ziel sei es, „alle Menschen zu Thais zu machen, nicht zu Laoten oder Malaien“. Andere ethnische Völker wurden der thailändischen Rasse unterworfen, absorbiert und assimiliert: eine ‚Thaiisierung‘. Es gab keine laotischen Provinzen und kein laotisches Volk innerhalb der territorialen Grenzen mehr, da die herrschende Elite in Bangkok begann, die Laoten „ethnisch, historisch und demografisch aus Siam auszulöschen“. Der Mythos einer großen Thai-Rasse wurde geboren. Rasse und Nationalität verschmolzen miteinander und „subsumierten alle Menschen Thailands unter einem imaginären ‚Thai-Sein’“.

Die ‚Thaiisierung‘ der laotischen Bevölkerung war ein wesentlicher Bestandteil eines rassistischen Prozesses der Assimilierung und Negierung von Unterschieden, der die heterogene, multiethnische Bevölkerung Siams in eine thailändische Mono- Ethnie und Mono-Kultur verwandeln sollte. Laut dem Anthropologen Charles Keyes sprachen Anfang des 20. Jahrhunderts in Siam ein Fünftel der Bevölkerung Nicht-Thai-Sprachen und über 50 Prozent waren Lao. Regierungsbeamt*innen durften die Menschen in Nord- und Nordostthailand nicht als Lao bezeichnen. Diese Regionen sollten integriert werden und mussten Zentralthai sprechen. Die regionalen Identitäten löschten die ethnischen Zugehörigkeiten in einer ungleichen Hierarchie mit Bangkok als räumlichem Zentrum der moralischen Ordnung und dem Herzen des authentischen Thailands aus. Weiter weg galt als ‚weniger zivilisiert‘ und ‚weniger wahres Thai‘. Die Lao- Nordostler wurden, so Keyes „ethnisch negiert und sozial ausgegrenzt.“

Übersetzung aus dem Englischen von: Simon Kaack

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Autor

Tim Rackett ist derzeit außerordentlicher Professor an der HELP-Universität in Kuala Lumpur, Malaysia. Er lehrte und lebte 14 Jahre lang in Thailand und forschte zu Formen der Herrschaft und Wahrheitsfindung, Ethik, Politik und Macht des thailändischen Buddhismus, religiösem Nationalismus und Regierungsführung. Er hat für die UNESCO und The Global Movement of Moderates Vorträge über den Konflikt in Südthailand gehalten und Artikel im Journal of Religion and Violence über buddhistischen Nationalismus und Gewalt sowie eine kritische Bewertung von Michael K. Jerrysons Buddhist Fury: Religion and Violence in Southern Thailand (2011) veröffentlicht.

  • Postkolonialer staatlicher Rassismus in Thailand

    Thailand – Bis heute erfahren Bevölkerungsgruppen rassistische Ausgrenzung und Benachteiligung durch die Mehrheitsbevölkerung. Dem zugrunde liegt die staatliche Ideologie von ‚Thainess‘, deren Ursprünge in der Kolonialzeit zu finden sind.

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