Philippinen: Mit ihrer Petition für Klimaschutz und Menschenrechte wagten Aktivist*innen einen beispielhaften Vorstoß gegen die ‚Carbon Majors’, die Unternehmen für fossile Brennstoffe, die für einen Großteil des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich sind.
„Wie wird die Zukunft unserer Kinder aussehen, wenn die Natur zerstört wird?“ Diese Frage stellte die Fischerfrau Elma Ryes im Januar 2016 in Manila. Sie nahm dort an den Anhörungen teil, die von der Menschenrechtskommission der Philippinen (CHR) durchgeführt wurden. Mit einer nationalen Untersuchung sollte unter anderem festgestellt werden, ob der Klimawandel Auswirkungen auf die grundlegenden Menschenrechte der Filipin@s hat. Im Fokus standen dabei die so genannten Carbon Majors (die größten Öl-, Gas- und Kohlekonzerne, die für einen Großteil der Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich sind).
Elma Ryes Aufforderung an die Carbon Majors war deutlich: „Hört auf zu verbrennen, so dass die Natur heilen kann und die Hitze nicht alles zerstört.“
Die Philippinen gehören zu den Ländern, die am stärksten durch den Klimawandel bedroht sind. Auf dem im Pazifik gelegenen Archipel leben mehr als 100 Millionen Menschen. Als wirtschaftlich aufstrebender Staat kämpfen die Philippinen mit großen Gegensätzen zwischen einer kleinen reichen Oberschicht und einem großen, extrem armen Bevölkerungsanteil. Ein Drittel der Beschäftigten verdient ihren Lebensunterhalt in Landwirtschaft und Fischerei. Zudem liegen die Philippinen geographisch in einer seismisch aktiven Zone.
Auch die über 36.000 Kilometer lange Küstenlinie macht die Philippinen angesichts des steigenden Meeresspiegels empfindlich für die Folgen des Klimawandels. Überschwemmungen, Taifune, Hitzewellen, Dürren und Erdrutsche, Erdbeben und Vulkanausbrüche sind reale Bedrohungen, denen Filipin@s gegenüberstehen. Der Klimawandel verstärkt die Wetter-Extreme und die damit verbundenen Gefahren, vor allem für die Bevölkerung an den Küsten und die in Armut lebenden Menschen in den Städten.
Die Menschenrechtssituation auf den Philippinen ist mehr als angespannt. Nach dem friedlichen Sturz des Diktators Ferdinand Marcos 1986 galten die Philippinen zunächst als Vorreiterin einer demokratischen Entwicklung in Asien. Die Idee universeller Menschrechte wurde ebenfalls 1986 in der philippinischen Verfassung verankert und eine unabhängige Kommission eingesetzt.
Die jüngsten Entwicklungen zeichnen jedoch ein düsteres Bild für die Philippinen. In nur drei Jahren wurden im Rahmen des von der Regierung ausgerufenen „Krieges gegen die Drogen“ zehntausende Menschen ermordet. Die Regierung Duterte versucht außerdem systematisch, all jene zum Schweigen zu bringen, die Kritik an ihr üben. Besonders betroffen sind davon Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsaktivisten. Wichtige Erfolge der Demokratisierung und Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, die die Philippinen nach dem Ende der Marcos-Diktatur mühsam errungen hatten, werden im Eiltempo wieder zunichte gemacht.
Klimawandel bedroht alle Menschenrechte – bürgerliche und politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle. Durch den Klimawandel werden ganz besonders das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Wohnen und der Zugang zu sauberem Wasser bedroht. Wirbelsturm Haiyan tötete auf den Philippinen 2013 nicht nur fast 10.000 Menschen, sondern machte auch vier Millionen obdachlos (vgl. dazu auch den Artikel Profitgier statt Solidarität auf suedostasien.net). Ganze Dörfer wurden in notdürftige Unterkünfte am Rande von Mülldeponien umgesiedelt, ohne angemessenen Zugang zu Trinkwasser, Ernährung, Gesundheitsversorgung und Bildung.
Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge, könnten von 2030 bis 2050 jedes Jahr 250.000 Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben. Indigene Völker sind dabei besonders stark betroffen, weil ihnen der Verlust ihrer Lebensräume droht und ihr Menschenrecht auf Selbstbestimmung auf dem Spiel steht.
Millionen von Menschen protestieren gegen die Untätigkeit ihrer Regierungen, prangern Missstände an und fordern Aufklärung. Dafür sind Menschenrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit entscheidend. Weltweit gerät zivilgesellschaftliches Engagement aber zunehmend unter Druck und wird kriminalisiert, so auch auf den Philippinen. Umweltaktivist*innen zu schützen und ihren Handlungsspielraum zu erhalten, ist eine zentrale menschenrechtliche Aufgabe.
Eine Gruppe mutiger Filipin@s reichte im Jahr 2015 eine Petition bei der CHR ein, in der sie die Rechenschaftspflicht der 47 weltweit größten Unternehmen für fossile Brennstoffe (Carbon Majors) unter anderen Shell, BP, Chevron, Repsol, Sasol, Total und ExxonMobil forderten, die durch ihr kontinuierliches Fördern und Verbrennen fossiler Brennstoffe den Klimawandel vorantreiben und damit verbundene Menschenrechtsverletzungen begünstigen.
Die Initiator*innen vertraten die Gesellschaft in ihrer ganzen Bandbreite. Landwirt*innen, Fischer*innen, religiöse Gruppen, Jugendliche, Studenten*innen, Wissenschaftler*innen, Akademiker*innen, Künstler*innen, Anwält*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Überlebende von Taifunen sowie Indigene unterstützten die Bewegung, um auf die Menschrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und dagegen anzugehen.
Insgesamt unterstützten 31 Organisationen und Einzelpersonen die Petition. Neben Greenpeace Southeast Asia, stehen auf der Liste der Unterzeichner*innen die Philippine Rural Reconstruction Movement (PRRM) Bewegung, eine Organisation, die sich für die ländliche Bevölkerung einsetzt, sowie DAKILA (Philippine Collective for Modern Heroism), eine Gruppe von Künstler*innen, Student*innen, und weiteren Aktivist*innen, die sich gegen soziale Missstände wenden.
In der eingereichten Petition machen die Initiator*innen auf die verheerenden Folgen des Klimawandels und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen aufmerksam. Sie zeigen anhand von wissenschaftlichen Untersuchungen den Zusammenhang zwischen der Industrialisierung und dem Anstieg der weltweiten CO2 und Methan-Emissionen.
In zwei Statistiken werden die Carbon Majors aufgeführt, die auf den Philippinen operieren oder präsent sind oder weitreichende wirtschaftliche Verbindungen in das Land unterhalten. Aus den Statistiken geht die deutliche Verantwortung für die gesteigerten Emissionen von Treibhausgasen hervor, die für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden.
Am 21. Juli 2016 forderte die CHR die Carbon Majors auf, innerhalb von 45 Tagen zu den Vorwürfen der Petition Stellung zu beziehen. Nur vierzehn der 47 Befragten übermittelten Antworten oder Kommentare zur Petition. Fast alle Carbon Majors verweisen in ihren Antworten zum einen darauf, dass sie nicht haftbar gemacht werden können und das Verfahren ablehnen, zum anderen verweisen sie auf ihre offiziellen Stellungnahmen zum Thema Klimawandel, Menschenrechte und ökologisch-soziale Verantwortung.
Während die Gruppen, die die Petition eingereicht hatten, die offiziellen Antworten und Kommentare begrüßten, forderten mehrere Carbon Majors, das Verfahren aus technischen und formellen Gründen auszusetzen. Dabei übersahen sie, dass es sich bei der Petition nicht um ein Gerichtsverfahren handelt, sondern um eine Untersuchung der CHR, die zum Ziel hat weiteren Verstößen gegen die Menschenrechte der Filipin@s vorzubeugen. Sie stellt weder eine Strafklage dar, die Corpus delicti und Beweise über jeden vernünftigen Zweifel hinaus erfordert, noch einen Zivilprozess für Schadenersatz, der direkte oder nahe Haftursache erfordert.
Die CHR ist ein unabhängiges Gremium, das auf der philippinischen Verfassung gründet. Sie hat in erster Linie die Aufgabe, jegliche Form von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Bürgerrechten, politischen, sozioökonomischen und kulturellen Rechten auf den Philippinen zu untersuchen. Zwar handelt es sich nicht um eine Justizbehörde, aber ihre Feststellungen und Empfehlungen werden von den Gerichten anerkannt.
Die Kommission hielt Anhörungen in Manila , New York und London ab, bei denen Klimaforscher*innen, Rechtsexpert*innen, Wissenschaftler*innen und Überlebende klimabedingter Katastrophen Beweise vorlegten. Gerry Bagtasa, Professor an der Universität der Philippinen am Institut für Umweltforschung, äußerte sich im Zuge der ersten Anhörung in Manila eindeutig:
„Die meisten menschengemachten Kohlenstoffemissionen wurden durch das Verbrennen fossiler Energieträger und das Abholzen der Kohlenstoff absorbierenden Wälder erzeugt. […] Die Beweise für einen anthropogenen Klimawandel wachsen.“
Der Fischer Pablo Rosales aus Thulong-Duhat gab bei der dritten Anhörung in Manila die problematische Situation der philippinischen Fischer zu Protokoll. Er sprach über das große Artensterben, das die Existenzgrundlage der Fischer bedroht, Krankheiten, die durch verseuchten Fisch verursacht werden und auch über die Veränderungen des Klimas, die extreme Hitze und die Unberechenbarkeit des Wetters, mit denen die Fischer zu kämpfen haben.
Am 9. Dezember 2019 gab die Menschenrechtskommission der Philippinen am Rande der COP 25 in Madrid bekannt, dass die 47 Unternehmen rechtlich und moralisch für die Menschenrechtsverletzungen der Filipin@s aufgrund des Klimawandels verantwortlich sind. Die wegweisende Untersuchung der CHR endete mit der Empfehlung, möglicherweise strafrechtliche Konsequenzen folgen zu lassen und Unternehmen wegen Behinderung, vorsätzlicher Verschleierung und Klimaschutzverweigerung, zivil- und strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Durch die Untersuchung sollte die Macht der Industrie für fossile Brennstoffe mittels politischer Instrumente gemindert werden. Mit dem Abschluss der Untersuchung hofft die CHR, auch die weltweit wachsende Zahl von weiteren Klimaprozessen günstig zu beeinflussen.
Die Kommission stellte weiter fest, dass die fossile Brennstoffindustrie die Sicherheit von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt wissentlich für ihre eigenen Interessen gefährdet hat. Diese Branche setze sich aus den größten und reichsten Unternehmen weltweit zusammen und erziele Gewinne, während die ärmsten und am stärksten betroffenen Gemeinden von Super-Taifunen und Dürren betroffen sind, die durch den Klimawandel verschlimmert werden, und die unter dem Verlust ihrer Existenzgrundlagen leiden. Die CHR fordert alle Menschen weltweit auf, ihre Bewegung zu unterstützen und Regierungen wie Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, um einen gerechten Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen und die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden.
Die Filipin@s haben mit der Petition für Klimawandel und Menschenrechte einen Vorstoß gewagt, der beispielhaft für viele andere sein dürfte. Eine drastische Veränderung, die durch Staat und Gesellschaft gleichermaßen vorangetrieben wird, ist unabdingbar. Da sich die großen fossilen Energieproduzenten der Umweltkrise und den damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen nicht eindeutig und nicht entschieden genug öffnen und keine oder nur geringe Maßnahmen ergreifen um die Situation zu verändern, sind weitere Schritte nötig um eine Klimawende zu erreichen. Die Petition und die Reaktionen der Industrie haben deutlich gemacht, dass die ‚Carbon Majors’ für ihre Verantwortung für die Klimakrise zur Rechenschaft gezogen werden sollten – nicht nur moralisch, sondern auch juristisch.
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