Philippinen: Seit über 50 Jahren kämpft der militärische Flügel der kommunistischen Partei, die Neue Volksarmee, gegen die extreme Ungleichheit im Land. Im Interviewband „Ein Leben im Widerstand“ blickt Gründer und Anführer José María Sison in die Vergangenheit der Bewegung – und auch in deren Zukunft.
Der kommunistisch geführte Volkskrieg auf den Philippinen geht in sein 51. Jahr und ist damit die weltweit am längsten andauernde bewaffnete Revolution gegen US-Imperialismus, Feudalsystem und den korrupten, reaktionären Staat. Von ihren Gegnern wie dem Militär und den gegen die Linke gerichteten Schlägern wird sie als todgeweiht und terroristisch bezeichnet.
Über die charakteristischen Schikanen hinaus werden die Untergrundlinke und ihre Massenbasis weiterhin vom Staat gejagt, der derzeit von der Herrschaftsclique Rodrigo Dutertes angeführt wird und 125.000 Soldaten und Tausende von Polizeikräften gegen sie ins Feld führt. Sieben Präsidenten, von Marcos in den 1960er Jahren bis Duterte heute, haben groß angelegte und von den USA unterstützte Einkesselungs- und Unterdrückungskampagnen gegen die Sozialrevolutionäre durchgeführt, wobei jeder militärische Stabschef damit prahlte, dass die maoistische Neue Volksarmee (NPA) vernichtet werden würde.
Vor einem Jahr gab Verteidigungschef Delfin Lorenzana zu, dass die kommunistische Rebellion nicht besiegt werden kann. Dennoch kündigte er das erneut aufgelegte Enhanced Comprehensive Local Integration Program (E-CLIP) an, in dessen Rahmen auf lokaler Ebene Friedensgespräche mit der NPA aufgenommen werden sollen – mit dem Ziel, das ländliche Rückgrat der bewaffneten Linken in den letzten drei Jahren der Amtszeit von Duterte [bis Mitte 2022] zu zerschlagen.
Was die herrschende Elite nicht versteht: Der Hauptgrund, warum die revolutionäre Bewegung noch nicht besiegt ist, ist ihre Ausdauer und Widerstandsfähigkeit. Letztere ist tief in der ländlichen Massenbasis, der geheimen revolutionären Regierung sowie in der lebendigen Massenbewegung in den Städten verwurzelt.
In 71 der 81 Provinzen des Landes bestehen Guerillazonen. Nach wie vor wird die Bewegung durch die systemischen und strukturellen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ungleichheiten der Gesellschaft befeuert. Diese werden vom reaktionären Staat geschützt, um die Hegemonie der einheimischen herrschenden Klasse zu sichern.
Der Staat täuscht sich in der Annahme, dass nur ein barbarisches militärisches Vorgehen den Aufstand beenden kann, während er die Aufständischen mit Friedensverhandlungen an der Nase herumführt, um sie in die Kapitulation zu locken und ihre Führer zu ermorden. Der Staat, der als Akteur der herrschenden Klasse handelt, wird sich nicht mit den Ursachen des Krieges befassen. Denn das würde bedeuten, sich zusammen mit dem Ausbeutungssystem sein eigenes Grab zu schaufeln.
Die Interviews des deutschen Politikwissenschaftlers und Aktivisten Dr. Rainer Werning mit dem Gründungsvorsitzenden der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) Prof. José María Sison im Band Ein Leben im Widerstand: Gespräche über Imperialismus, Sozialismus und Befreiung vermitteln einen tiefen Einblick in den andauernden revolutionären Krieg und den Optimismus, der ihn begleitet.
So antwortet Sison auf die Frage, warum der Volkskrieg auf dem Weg zu einer strategischen Pattsituation und einer strategischen Offensive immer noch „auf der Stufe der strategischen Defensive“ festgefahren ist:
Auch internationale Faktoren müssen berücksichtigt werden, so Sison, wie zum Beispiel „der revisionistische Verrat am Sozialismus und die vollständige Restauration des Kapitalismus“, die sich negativ auf die philippinische Revolution ausgewirkt haben.
An dieser Stelle unterstreicht Sison, was er bereits in vielen Parteidokumenten und in Büchern geschrieben hat: „Die revolutionären Kräfte müssen an Stärke gewinnen und mit der richtigen Linie voranschreiten, müssen vermeiden, größere und kleinere Fehler zu begehen und Fehler zeitnah durch Kritik und Selbstkritik und gegebenenfalls Berichtigungskampagnen korrigieren, je nach Schwere der Fehler.“
Der mittlerweile 80jährige José María Sison war Gründungsvorsitzender der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), die 1968 auf marxistisch-leninistischer Grundlage neu konstituiert wurde. Nach politischer Gefangenschaft zur Zeit des philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos (1965-1986) lebt Sison seit Ende der 1980er Jahre im Exil in den Niederlanden und ist unter anderem politischer Chefberater der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP). International war er als Vorsitzender des Internationalen Bundes des Kampfes der Völker (International League of Peoples‘ Struggle – ILPS) tätig und ist heute dessen Ehrenvorsitzender.
Die Interviewpartner knüpfen an ein Gespräch an, das 1993 unter dem Titel „Die philippinische Revolution: Einen Innenansicht“ veröffentlicht wurde. Die seither sowohl auf weltpolitischer Bühne wie auch in den Philippinen eingetretenen gravierenden Veränderungen bilden den Kern der Interviews, die in zehn thematische Abschnitte gegliedert sind. Sie werden ergänzt durch diverse Dokumente, Gedichte von José María Sison und Fotografien.
Diejenigen, die Sisons frühe und aktuelle Werke gelesen und studiert haben, werden in diesem Buch bekannte Themen, Fragestellungen und Analysen erkennen. Die Bedeutung des neuen Bandes liegt jedoch darin, den Leser zu neuen Perspektiven und Einsichten über nationale und internationale Themen zu führen, die durch den marxistischen Blick Sisons bereichert werden und im Interviewformat zum Nachdenken anregen. Mit Blick auf die „Aussichten auf ein weltweites sozialistisches Wiederaufleben“ sagt er in Kapitel 9:
Sisons Synthese überzeugt auch heute angesichts der kumulativen Auswirkungen der kapitalistischen Krisen und der erneuten Anziehungskraft des Sozialismus. Die Edelman Trust Barometer-Umfrage 2020 unter 40.000 Befragten in 28 Ländern ergab, dass fast 60 Prozent der Befragten den Kapitalismus für schädlich halten. Eine ähnliche Umfrage ergab kürzlich, dass 40 Prozent der Amerikaner es vorziehen würden, in einem sozialistischen Land zu leben. Die Zustimmungsquote der Frauen liegt sogar bei 60 Prozent.
Weitere Interviews im Buch zeigen Ausschnitte aus Sisons Leben. So war Sison zum Beispiel mit neun Jahren Messdiener und träumte davon, Bischof zu werden. Was ihn am meisten beeindruckte, war die Erinnerung an seinen Großonkel Isabelo de los Reyes, der ein Sympathisant der philippinischen Revolution war, ein Senator, Gründer der modernen Arbeiterbewegung des Landes und Antiimperialist.
Ein Leben im Widerstand ist das neueste von rund 30 Büchern, die Sison seit den 1960er Jahren veröffentlicht hat. Seine Werke einschließlich seiner Gedichte sind eine Erzählung des 60jährigen nationalen demokratischen Kampfes, der Geburt und des Wiederauflebens des Volkskrieges, der revolutionären Anwendung der Theorien von Marx, Lenin und Mao Zedong auf den Philippinen und der sozialistischen Perspektive – ein mühsames und heroisches Unterfangen, bei dem er die Hauptfigur war.
Die revolutionäre Bewegung hat die politische Landschaft verändert, hat Millionen von Menschen, insbesondere Bauern, Arbeiter, Jugendliche und andere demokratische und fortschrittliche Kräfte, dazu inspiriert, Freiheit und Demokratie einzufordern und hat die herrschende Elite und ihre ausländischen Herren aufgeschreckt.
Vielleicht ist es als Zusammenfassung des Buches angebracht, einen Ausschnitt von Sisons Gedicht Der lange Freiheitskampf von 2018 zu zitieren:
„Wir kämpfen für die Freiheit,
geben nie auf, wie lange es auch dauert.
Jeden Moment nutzen wir
für den nächsten Schlag gegen den Feind.
So kommt er näher, der Tag unserer Befreiung
von jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung“.
Eine ausführlichere Version dieser Rezension wurde Anfang März 2020 im Rahmen der Buchvorstellung der englischen Ausgabe Reflections on Revolution and Prospects in Manila vorgetragen.
Übersetzung aus dem Englischen von: Jörg Schwieger
Rezension zu: José María Sison, Rainer Werning: Ein Leben im Widerstand: Gespräche über Imperialismus, Sozialismus und Befreiung. Verlag Neuer Weg, Essen, 2019, 272 S.
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