2 | 2024

Leben auf ‚unbewohnbaren‘ Inseln

2013 bebte die Erde gewaltig und ließ die Insel Batasan nahe Tubigon (Bohol) absinken © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Philippinen: 2013 sackten die Inseln Batasan und Ubay nach einem Erdbeben um bis zu zwei Meter ab. Die Bewohner*innen bleiben dennoch, weil dort ihre Lebensgrundlage ist

Am 15. Oktober 2013 bebte die Erde mit einer Stärke von 7,2. Das Epizentrum lag auf Bohol in rund zwölf Kilometern Tiefe. Erdbeben sind in den Philippinen keine Seltenheit, da sie auf dem pazifischen Feuerring liegen. Das Beben zerstörte die Kalksandstein-Region aufgrund seiner Stärke massiv. Die Inseln Batasan und Ubay sackten um ein bis zwei Meter ins Meer. Die Behörden bezeichneten die Inseln schnell als Gefahrenzone. Doch die Bewohner*innen ließen sich nicht umsiedeln.

Fast täglich steht die Flut seit elf Jahren auf der Straße der Batasan Island © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

 

Über die Generationen hinweg leben die Bewohner*innen der Inseln Ubay und Batasan vom Fischfang © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Viele Bewohner*innen leben seit Generationen vom und mit dem Meer. Sie fangen Fische, sammeln bei Ebbe Seeigel und Muscheln und verkaufen ihren Fang auf der Nachbarinsel Bohol. Seit 2013 wird allen Umsiedlungswilligen eine kostengünstige Wohnung angeboten, doch zögern weiterhin viele Menschen, ihre Inseln zu verlassen. Eine Umsiedlung hätte den Verlust ihrer Lebensgrundlage zur Folge, da die Umsiedlungsgebiete im Landesinneren liegen.

Fischer repariert und prüft seine Netze © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Die Inseln Batasan und Ubay liegen mitten im Danajon-Riffsystem, dass neben Korallenriffen und Küstenlinien auch Mangrovenwälder umfasst, allesamt Ökosysteme mit großer Artenvielfalt. Die 871 Einwohner*innen Batasans (Census 2020) leben entlang einer langen Straße mit kleinen Abzweigungen, die sich über 800 Meter durch die gesamte Insel zieht. Hingegen leben auf der Nachbarinsel Ubay 223 Einwohner*innen, die Insel ist rund 130 Meter lang.

Auf der Insel Ubay leben weniger Einwohner*innen als auf den Nachbarinseln, doch Ubay wächst aufgrund vieler Geburten © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

 

Kinder in Ubay auf dem Rückweg vom Kindergarten © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Mittlerweile liegen Batasan und Ubay stellenweise nur noch 1,2 Meter über dem Meeresspiegel. Regelmäßige Springfluten zu Voll- und Neumond, eine tägliche Tide und der Monsun lassen die Straßen und Häuser überfluten. An 135 Tagen im Jahr drückt die Flut das Meerwasser für etwa vier Stunden am Tag über die gesamten Inseln, wobei im Durchschnitt das Wasser in ganz Batasan 36 Zentimeter und in Ubay 43 Zentimeter hoch steht. Daher hat das Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen die Insel für unbewohnbar erklärt.

Überflutetes Haus im Zeitraffer, ein beliebter Treffpunkt der Batasanos © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Das Erdbeben zerstörte auch die Trinkwasserversorgung. Bewohner*innen sammeln zwar Regenwasser, aber das deckt den Süßwasserbedarf nicht. Der Anbau von Pflanzen ist auf den beiden Inseln aufgrund der Salzwasser-Fluten nicht möglich. So transportieren die Bewohner*innen Süßwasser und alles weitere Lebensnotwendige aus der nächstgelegenen Stadt Tubigon, eine Bootsfahrt von 30 Minuten entfernt.

Alles, von Lebensmitteln, Wasser, Baumaterial bis hin zu Medizin, wird von Bohol per Boot transportiert © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

 

Viele Gebäude werden durch Stelzen aufgebockt und Wege höher betoniert © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Die Bewohner*innen passen seit 2013 kontinuierlich ihren Lebensstil an die regelmäßige Überflutung an und legen Bürgersteige, öffentliche Gebäude, Wohnhäuser und Möbelstücke höher. Die Schule findet auch bei Hochwasser statt. Eine große Mangrovenplantage von mindestens 54 Hektar wurde am Rande Batasans von den Bewohner*innen angepflanzt, um die Insel vor Wellen und Stürmen zu schützen.

Mangrovenplantage am Rande Batasans © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

 

Alltag auf Ubay dem Wasser zum Trotz, Jugendliche und Kinder spielen Basketball © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Trotzdem bleibt die Angst vor den Folgen des Klimawandels, dem Anstieg des Meeresspiegels und den immer zerstörerischen Stürmen, die regelmäßig über die Philippinen fegen. Kaum einen Monat nach dem Erdbeben zog der Supertaifun Yolanda/Haiyan mit Windgeschwindigkeiten bis zu 400 km/h über die Philippinen, dabei blieben Ubay und Batasan zwar verschont. Doch der Taifun Odette/Rai (Dezember 2021) traf beide Inseln mit voller Wucht und brachte neben Wasser auch eine massive Schwemme von Trümmern und Müll mit sich. Jährlich werden die Philippinen von rund 20 Taifunen heimgesucht. Treffen sie auf die Inseln, so schwemmen sie Tonnen an Plastikmüll aus dem Meer in die Siedlungen.

Plastikmüll im Meer © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

 

Wissenschaftler der Universität Tokio erforschten 2017 den Anstieg des Meerespiegels © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Forschende gehen davon aus, dass die beiden Inseln zunehmend weiter absacken und von den Folgen des Klimawandels extremer betroffen sein werden. Gleichzeitig sehen sie Inselbewohner*innen als weltweite Vorbilder zur Anpassung der Lebensweise an den Klimawandel an. In den letzten elf Jahren die ist die tägliche Tide kontinuierlich angestiegen. Das weitere Steigen des Wassers ist nur eine Frage der Zeit.

Die Inselbewohner*innen fordern, dass global die Mächtigen und Verursacher*innen des Klimawandels in die Verantwortung genommen werden © Hartmut Schwarzbach, alle Rechte vorbehalten

Vielen Bewohner*innen ist die Lage ihrer Inseln Ubay und Batasan bewusst. Dennoch bleiben sie: „Es ist nicht leicht, aufzugeben, wenn man auf einer Insel aufgewachsen ist. Ich bin stolz darauf, Batasanon zu sein. Das ist der Slogan, den ich in die Welt tragen möchte: Batasanons sind Kämpfer.“ So fordern die Inselbewohner*innen die größten Umweltverschmutzer der Welt (Firmen und Staaten des globalen Nordens) auf, die Verantwortung für den Klimawandel und seine Folgen zu übernehmen, den sie durch ihr Handeln verursachen.

  • Artikel
Die Autorin

Mirjam Overhoff ist Sozialwissenschaftlerin und Geschäftsführerin des philippinenbüro e.V. in Köln. Seit 2013 arbeitet sie intensiv zum Thema Migration und Diaspora rund um die Philippinen. Weitere Schwerpunktthemen ihrer Arbeit sind Politik, Stadtentwicklung, Klima und der Umgang mit Müll in den Philippinen.

  • Kunst und Empowerment in der Diaspora

    Philippinen/Österreich – Chelsea Amada, Gérard Rababa und Christel Joy Gaño, philippinisch-österreichische Künstler*innen reden im südostasien-Interview über Identität, Gemeinschaft und das zeitgenössische Kunst-Festival KUBŌ22.

  • Zwischen Kontroversen und Kulinarik

    Deutschland/Philippinen – Maite Hontiveros-Dittke erzählt von der gespaltenen Diaspora seit Rodrigo Duterte in den Philippinen an der Macht ist – aber auch von der verbindenden Kraft des Essens.

  • Leben im Junkshop – Alltag eines Müllsammlers in Quezon City

    Philippinen – Zwar erließ die Regierung vor fast 20 Jahren ein umfassendes Abfallwirtschaftsgesetz, doch die Umsetzung verläuft lokal sehr verschieden. Informelle Müllsammler*innen besorgen den Großteil der Müllentsorgung. Immerhin gibt es inzwischen in über 20 Städten Plastikverbote.

  • Break free from Plastic: International in Bewegung gegen Plastikverschmutzung

    Südostasien/Europa: Greenpeace Philippines und Greenpeace International sind Teil der ‚Break Free From Plastic’ Bewegung. Das Ziel ist, auf die weltweite Umweltverschmutzung durch Plastik aufmerksam zu machen. Im Interview berichtet Manfred Santen, Chemieexperte bei Greenpeace Deutschland, von ‚Plastikmonstern’ und deren Auswirkungen.

  • Artikel
Der Autor

Hartmut Schwarzbach begleitet in den 1980er Jahren als junger Fotograf die EDSA-Revolution für das Magazin Der Spiegel und lernte dabei Land und Leute schätzen. Er arbeitete auf dem Smokey Mountain in Tondo (Manila), den er seit 2000 immer wieder besucht. Das Thema Kinderarbeit wurde sein Herzensthema und Langzeitprojekt – sein UNICEF Foto des Jahres 2019 zeigt Kinder im Hafen von Manila. Den schleichenden Untergang von Batasan und Ubay in den Visayas dokumentiert er jährlich seit dem verheerenden Erdbeben 2013. Er lebt zeitweise in den Philippinen auf Biliran.

    The User does not have any posts
Mirjam Overhoff, Hartmut Schwarzbach

Share
Published by
Mirjam Overhoff, Hartmut Schwarzbach

Recent Posts

Klimakolonialität: Das Beispiel Haiyan

Philippinen – Unter dem Klimawandel leiden die Menschen am meisten, die ihn am wenigsten verursachen.…

3 Wochen ago

Kolonialismus im Depot

Philippinen /Schweiz – Die kolonialen Verstrickungen der Schweiz werden selten thematisiert. Ein Verein setzt sich…

1 Monat ago

Grotesk-satirischer Blick auf das koloniale Erbe

Indonesien/Niederlande – Der Film “Sweet Dreams” beleuchtet mit eindrucksvoller Bildsprache und skurrilem Humor Traumata, die…

1 Monat ago

Die molukkische Diaspora und ihr kulturelles Erbe

Indonesien/Deutschland – In einer postkolonialen Gesellschaft müssen ethnologische Museen ihre Sammlungen den Herkunftsgesellschaften zugänglich machen

1 Monat ago

Indigene haben das Recht auf eine eigene Weltanschauung

Kambodscha/Südostasien – Schamanismus kann indigenen Völkern helfen, ihre Identität und ihr Territorium gegen den globalen…

1 Monat ago

Kunst im Kontext kolonialer Kontinuitäten

Indonesien – Die Werke des Udeido-Kollektivs aus Westpapua spiegeln Hoffnungen, Erfahrungen und Kämpfe der Vergangenheit…

1 Monat ago