4 | 2019

Kinder der Unabhängigkeit

Die Band Dendang Kampungan aus Yogyakarta © Dendang Kampungan

Indonesien: Linkspolitischer Aktivismus in verschiedenen indonesischen Städten und Regionen ist eng mit Musik verknüpft. Der Autor, selbst Aktivist und Songschreiber, erzählt von seinen Beweggründen und langjährigen Erfahrungen im Protest gegen Suhartos Regime.

Als ich im August 2019 in Berlin war, lebte ich dort im Haus von Dodi Cahyadi, in einem Haus, das von autonomen Gruppen übernommen worden war. Dodi selbst ist ein ehemaliges Mitglied des Kollektivs Taring Babi und ein Freund der Punkband Marjinal aus Jakarta. Er kannte meinen Namen, weil er, während er mit Marjinal zusammen lebte, einige meiner Songs spielte, die in den 2000er Jahren auf dem Marjinal-Album enthalten waren.

Die beiden Lieder, die von Marjinal als Medley zusammengefasst wurden, hatte ich geschrieben, als ich mit der NGO Anak Merdeka (dt. Kind der Unabhängigkeit) zusammenarbeitete. Anak Merdeka befasst sich mit alternativer Erziehung für Kinder, die Opfer des Bildungssystems der Orde Baru (Neue Ordnung) unter Suharto waren. Aus den Liedtexten wird ersichtlich, dass wir Werte wie Demokratie, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit vertreten.

Während seiner Zeit in Berlin schrieb Dodi mit seiner Band Indiana Nightmare (Mitglieder aus Mexiko, Italien, der Türkei und Indonesien) ein Lied mit dem Titel Yang Terampas dan Terhisap (Die Benachteiligten und Aufgesaugten), welches von Papua erzählt:

Tragödie in einem reichen Land / Bodenschätze, Gold, Kupfer / Das Leben des Volkes ist elend / ausgeschlossen und kolonialisiert // Lass die Fesseln los, die dich verfolgen / Lass alles los / Befreit und dekolonisiert die Verfolgten / Diejenigen, die beraubt und ausgenommen werden // Diskriminierung geht weiter / Die Epidemie des Faschismus breitet sich weiter aus / Die Menschenrechtsverletzungen infizieren sich / Der Albtraum nimmt kein Ende // Du schickst die Armee / Du lieferst weiter Waffen / Du jagst sie in den Wald / Auf die Gipfel der Berge / F*ckt euch!

Indiana Nightmare – Yang Terampas dan Terhisap:

Bevor ich Dodi kennenlernte, hatte mir Areu Pendul von ihm erzählt. Pendul ist Mitglied der Band Redwine Coolers, der zu dem Zeitpunkt gerade in Hamburg war. Dodi und Pendul sind enge Freunde. Zu diesem Zeitpunkt bat Pendul mich darum, ein weiteres Lied von Anak Merdeka aufzunehmen, nämlich Sama Kenyang (Gemeinsam satt) des letzten Albums Tanah Airku. Dieses Lied thematisiert gesunden Menschenverstand, Verantwortung und Solidarität.

Kommt, Freund*innen, steht aufrecht / Bereit zu arbeiten, bereit [uns oder etwas] zu bewegen / Ein Teller Reis, von der gleichen Hand getragen / Schweres Leid, gleich gefühlt / Die gleiche Melodie begleitet den Gesang / Mit der gleichen Kraft geschlagen / Der gleiche Schmerz, gleich gefühlt / Der gleiche Teller ist voll / Ein gemeinsamer Teller (1990)

Die Gruppen Marjinal in Jakarta und Dendang Kampungan in Yogyakarta wurden von Protestliedern inspiriert, die ich schrieb, und schrieben dann auch ihre eigenen. Wie zum Beispiel Predator (Räuber):

Über Unterschiede wird nicht mehr nachgedacht / Gleichheit wird unterschätzt / Der Starke ist der mächtige / Der Schwache wird vernachlässigt / Unterschiede werden mit Schlägen begrüßt / Unterschiede werden mit Waffen begrüßt (Sturkopf) / Macht muss immer unterdrückt werden / Um zu töten, töte, töte / Um etwas wegzunehmen, nehmt die Beute / Um zu verachten, verächtlich zu verachten / Wir sind wirklich nichts… nur! / Nur, nur Roboter / Nur, nur Räuber / Der Tod wird sich anfühlen wie das Leben / Die Armut wird die Gedanken füllen / Unterschiede werden als Bedrohung gesehen / Sie wurden immer mit Hass begrüßt (2006)

Marjinal mit Predator:

Die Kinder aus der Gruppe der Anak Merdeka, die seit 1980 aufgebaut wurde, sind nach und nach erwachsen geworden. Die Methode, den Kindern schon früh Werte durch Lieder zu vermitteln, wird von ihnen bis ins Erwachsenenleben getragen. Diese Methode habe ich von meinen Lehrer*innen an der Tamansiswa-Schule in Yogyakarta gelernt. Diese Schule wurde von Ki Hajar Dewantara im Jahr 1922 gegründet. Dewantara wurde nach der indonesischen Unabhängigkeit 1945 der erste Bildungsminister. Außerdem war diese Methode wirksam gegen die Manipulation durch Propagandalieder, die, auswendig gelernt, von den Kindern in Dörfern und Städten laut gesungen wurden und deren Botschaften unterbewusst im Gedächtnis hafteten.

Die 70er Jahre: Musikalischer Protest in Unis und auf der Straße

Anak Merdeka wurde gleichzeitig mit der Bewegung Anti Kebodohan (Anti-Dummheit) in Bandung 1977 vom Studierendenrat des Instituts für Technologie in Bandung ITB (Institut Teknologi Bandung) gegründet. Diese Bewegung kritisierte das Bildungssystem der Neuen Ordnung Suhartos, in welchem acht Millionen Kinder keine Möglichkeit hatten, eine Schulbildung zu bekommen. Da die Kritik der Studierenden von der Regierung nicht beachtet wurde, verkündeten die Studienräte des ITB, sowie die Studienräte aller Universitäten in Indonesien, dass sie sich nicht wünschten, dass Suharto auf der Beratenden Volksversammlung (Majelis Permusyawaratan Rakyat, MPR) 1978 erneut zum Präsidenten ernannt wird. Suharto war empört. Das ITB wurde für bis zu 6 Monate von der Armee eingenommen und besetzt. In dieser Zeit wurde die Straßenmusiker*innengruppe des ITB geboren. Sie schrieben Protestlieder und reisten mit ihren Liedern an zahlreiche Universitäten auf ganz Java, um den Studierenden dort ihre Lieder beizubringen:

Was nützt es, ein Kämpfer zu werden / Die Seele ist immer bedroht / Besser wir verdienen Geld / Die Ära der Korruption / Was ist falsch daran, die Armee einzuladen / Um unser Volk zu verteidigen / Anstatt zu helfen […] // (Refrain) Es ist schon bekannt, dass unser Volk mittellos ist / Betrogen von Japan, England, Amerika / Deshalb ist überall Elend / Und wir schweigen einfach (1979)

Ein anderes hatte folgenden Text:

Warum schweigst du / Warum schweigen wir / Warum schweigen alle / Wenn du es siehst / Lächerlichkeit / In der Regierung // Wie sie es will / Lädt die Armee ein / Pflegt ihre Verbrechen / Will besitzen / Alles was da ist / In Indonesien // (Refrain) Müssen wir etwa Khomeini einladen? / Müssen wir Gaddafi einladen? / Müssen wir Mohammad Ali einladen? / Oder müssen wir revoltieren? (1979)

Später zeigte sich, dass die Protestliedserie während der Orientierung neuer Studierender an verschiedenen Universitäten ‚unterrichtet’ worden war. Einige Kommiliton*innen in verschiedenen Städten wurden ebenfalls von Polizisten oder Soldaten festgenommen, als sie an öffentlichen Orten sangen. Die Erfahrung der Verhaftung hat viele Studierende in verschiedenen Städten dazu angeregt, selbst auch solche Lieder zu schreiben und zu komponieren.

Plakat in Solidarität mit der 1993 nach einer Demonstration entführten und ermordeten Arbeiterin Marsinah. Ihr Tod gilt als Symbol der Repression gegen Arbeiter*innen in der Suharto-Zeit © Nobodycorp

Im gleichen Jahrzehnt, insbesondere nach den Malari-Aufständen am 15. und 16. Januar 1974 in Jakarta, wurde die Zensurpolitik vom Suharto-Regime durchgeführt. Alle Buchveröffentlichungen, Zeitungs- und Magazinnachrichten, Aufführungen und Kunstausstellungen wurden streng zensiert und unterlagen strikten Lizenzierungen. Obwohl keine Musiker*innen inhaftiert wurden, war es vielen Musiker*innen untersagt, ihre Alben zu verbreiten und ihre Musik live zu spielen. Deshalb schrieben einige Sängerinnen oder auch Mainstream-Pop-Bands Semi-Protest-Songs. Sie benutzten in ihren Liedtexten symbolische Begriffe oder verhüllten diese so, dass die Regierung nicht direkt beschuldigt wurde, Unterdrückung oder willkürliche und barbarische Handlungen auszuführen. Wer nicht in die Musikindustrie einbezogen war, nahm Indie-Musik eigenständig auf und verteilte diese.

Die 80er Jahre: Organisierung nach philippinischem Vorbild

Im Laufe der 1980er Jahre wuchs die Zahl und Tragweite von NGOs, die ihre politischen Widerstandsprogramme in problemorientierten Bündnissen organisierten. Diese Art des Widerstands schaute man sich quasi von der philippinischen Bevölkerung ab, die sich organisierte, um das Marcos-Regime untergraben zu können. Jede dieser Aktivitäten musste heimlich geschehen, denn falls diese öffentlich gemacht würden, würden die Personen von der Polizei oder dem Militär festgenommen. Trotzdem wurden einige der Organisator*innen umgebracht, wie zum Beispiel Marsinah (1993), die Arbeiter*innen organisiert hatte. Auch bei Schulungen von NGO-Mitgliedern (sog. Training of Trainers-Methode) war es unter den Gemeindeorganisator*innen üblich, dass zum Zeitvertreib auch Protestlieder weitergegeben werden. Nicht selten wurden inmitten des Trainings sogar neue Lieder geschaffen.

Der Ausbau des internationalen NGO-Netzwerks unter ihnen führte dazu, dass von Zeit zu Zeit Informationen darüber verbreitet wurden, wie effektiv Musik als eine der Waffen der Unterdrückten in verschiedenen Teilen der Welt eingesetzt wurde. Dies erinnerte uns auch daran, dass sogar die Komposition des Liedes Indonesia Raya von Wage Rudolf Supratman in den Zeiten eines Jugendabkommens zur Gründung des Staates im Jahr 1928 eine Form des Widerstands gegen die niederländische Kolonialregierung war [der sog. Sumpah Pemuda (dt. Schwur der Jugend) zur Bekennung zu einem Vaterland, Nation und Sprache als Ideal, wurde von Repräsentant*innen von Jugendorganisationen auf dem Zweiten Jugendkongress (Kongres Pemuda Kedua) in Batavia (heute Jakarta) unterzeichnet, d. Red.].

Globale Inspiration für musikalischen Protest

Die Entstehung von Protestliedern beruhte zum Teil auf Liedern, die in den letzten Jahrzehnten von Studierenden und populären Widerstandsbewegungen in Europa, Lateinamerika, Afrika, Thailand, den Philippinen usw. vorgetragen wurden. Zum Beispiel ein Marschlied der (kommunistischen) Neuen Volksarmee NPA (New People’s Army) der Philippinen, dessen Text ich ins Indonesische umgeschrieben habe und Mars Pasukan Rakyat Merdeka (Marsch der neuen Volkstruppen) nannte:

Wir sind die unabhängige Volksarmee / Die Waffen des freien Volks / Mitten im Erwachen / sind wir bereit zu kämpfen / Sogar die Flagge wurde gehisst / Ein Zeichen, dass der Kampf beginnt / Mit Pfeilen und Schwertern / Bis wir gewinnen / Bis wir gewinnen

Auftritt von Lokal Ambience mit dem Song Ke Selatan bei einem Konzert für Vielfalt und gegen religiöse Gewalt 2011 in Jakarta (1985):

Ähnlich werden bis heute ‚Vorbilder’ genutzt, zum Beispiel in einem Lied der Reggae-Band Lokal Ambience namens Ke Selatan (Nach Süden) auf einem Album von 2011 die Melodie des Liedes Bella Ciao. Es wurde mit einem Text über die Liebe zu Landarbeiter*innen in Indonesien versehen:

Nach Süden suche ich / Mit den Wellen tanze ich / Ich pflücke, ich ernte / Blumen für meine Mutter / Auf den Reisfeldern suche ich / Mit den Landarbeiter*innen suche ich / Grundwasser, Gebirgsfelsen / Und das Wissen der Grashalme der Erde

Zurück in die 80er Jahre: Landkonflikte und Widerstand

Um eine Gruppe Bauern in Gunung Badega (Garut, Westjava), zu unterstützen, setzten sich 1988 Tausende von Studierende aus dem über 60 Kilometer entfernten Bandung zu Fuß in Bewegung. Die Bauern waren von der Polizei festgenommen worden, weil sie sich 1987 der Räumung ihrer Felder widersetzten, welche die Präsidentenfamilie und eine private Firma an sich reißen wollten. Vor der Aktion baten die Studierenden mich, ein Lied zu schreiben, um ihre Reise zu begleiten. Ich schrieb umgehend ein Dutzend Lieder mit verschiedenen Melodien und Rhythmen. Unter anderem den Marsch Kawan Tigabelas (13 Gefährten):

Wir haben 13 Freund*innen / Von der Polizei inhaftiert / Die Fehler und Sünden von ihnen sind nicht klar / Wir können es nicht verstehen // (Refrain) Dieses Land ist wirklich verkorkst / Das Recht wird nicht mehr angewendet / Wir sind nicht bereit unsere Freund´*innen [aufzugeben] / Tod durch Folter der Polizei

Und auch ein anderer Marsch, Tanah Kebun Badega (Das Ackerland in Badega), thematisiert den Landdisput:

Das Ackerland in Badega / Wir fühlen uns schon lange so als würde er uns gehören / Er ist die Seele der ganzen Familie / Niemals werden wir ihn aufgeben // (Refrain) Spring in unser Leben / Wenn du es ergreifen möchtest / Das Land Badega ist das Land der Mutter / Wir werden uns kümmern, bis wir alt sind

Erst im Jahr 2016 gewann die Bevölkerung den Fall: 1100 Familien in Badega erhielten Grundbesitzzertifikate für 383 Hektar. Doch Landkonflikte gab und gibt es in Indonesien viele: Und so nutzten Musiker*innen meine Badega-Songs und tauschten den Ort Badega mit den Aceh, Timor oder Papua und anderen ausgetauscht. Der Songtext wurde so an die Realitäten und Bedürfnisse der Menschen, mit denen sich die Musiker*innen solidarisch erklärten, angepasst.

Megaprojekte vertreiben Bevölkerung

In den späten 1980er Jahren kämpften die Menschen und Studierenden auch gegen den Bau des Kedung Ombo-Staudamms, der mit Geldern des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank errichtet wurde. An dem von der Armee umgebenen Stausee lebten etwa 3.500 Kinder aus Tausenden von Familien. Ich habe ein paar Songs für diesen Widerstand geschrieben.

Ombo Moving (Ombo bewegt):

In Kedung Ombo gibt es Tausende von Soldaten / Sie sehen zu, wie Tausende von Kindern ertrinken / Tausende von kleinen Kindern schrien sich heiser / Baten um Hilfe // (Refrain) Wir werden ertrinken / Wir werden ertrinken / Wir werden ertrinken / Falls wir noch Menschen sind / habt Herz und Gefühl / Helft ihr ihnen auf jeden Fall // (2. Refrain) Tausende von Kindern ertrinken / Tausende von Kindern ertrinken / Tausende von Kindern ertrinken

Cincang Penguasa Tanah (Landregeln):

Es fing an, dass unser Blut beschmutzt wurde / Gierige Hände über viel Land / Es ist eine Schande, sich sofort zu ergeben / Land unter den Füßen ist doch ein Zeuge // (Refrain) Unser Blut ist bereit, reichlich zu fließen / Jagt die Unterdrücker auf dieser Erde fort / Der gierige Bastard hackt nur wie ein Schwein / Gib kein Herz / Lass es sterben oder gehen

Landkonflikte betrafen nicht nur die Bäuer*innen in den ländlichen Regionen, sondern auch die Unterschicht der urbanen Bevölkerung. Sie wurden beliebig vertrieben. Wenn sie sich wehren wollten, oder Räumungen verweigerten, wurden sie festgenommen, gefoltert oder umgebracht. Oder die ganze Nachbarschaft wurde abgebrannt. So etwas setzte sich auch nach dem Ende der Herrschaft Suhartos fort, zum Beispiel im Jahr 2001, während einer Vertreibung der Bewohner*innen am Fluss Ciliwung in Jakarta. Dort wurden drei Menschen, die sich der Räumung widersetzten, von der Polizei erschossen. Bis heute kommt es immer wieder zu Vertreibungen am Ciliwung-Fluss).

Ausschnitt Protestposter: „Vereinte Arbeiter*innen können nicht besiegt werden“ © Awesaum

Eines der Lieder für den Widerstands am Ciliwung-Fluss ist beispielsweise Demi Ciliwung, Hancur Lebur Bangkit Kembali (Für Ciliwung, zerstört, eingeschmolzen, wieder aufgestanden):

Faust geballt / Seele ist erwacht / Wir werden sicherlich gewinnen / Ciliwung ist immer in unserer Hand / Vorwärts, angreifen / Wenn es zur Vertreibung kommt / werden wir weiter kämpfen / Auch wenn zerstört werden muss // (Refrain) Zerstört, eingeschmolzen, wieder aufgestanden (4x) (2011)

„Vereint euch!“

Die Protestlieder, die ich geschrieben habe, verließen sich immer auf die Texte, um sowohl das Bewusstsein der Person zu öffnen, die das Lied sang, als auch der Personen, die zuhörten. Texte können eine Forderung, eine Grundhaltung und der Geist von Widerstand sein. Es muss sich also nicht immer kontextuell auf das Problem eines bestimmten Ortes bezogen werden. Der Rhythmus und die Melodie können an die Bedürfnisse der Atmosphäre angepasst werden.

Zum „Mut machen“ können etwa Balladen gesungen werden, die anregen, über die auftretenden Probleme nachzudenken. Auch können Lieder zum tiefen Nachdenken über die Werte, für die wir kämpfen, gespielt werden.

Während Demonstrationen oder Manifesten verschwindet die Melodie, wenn das Lied schnell gesungen wird. Texte werden dann weniger gesungen, als vielmehr geschrieen. Besonders ist dies in Liedern wie Rakyat Pasti Menang (Das Volk wird sicher gewinnen) zu hören:

Das Volk wird sicher gewinnen / sicher gewinnen / ganz sicher gewinnen (2x) // (Refrain) Sicher gewinnen / ganz sicher gewinnen (2x) (1985)

Als die Bewegung der Arbeiter*innengewerkschaft Ende der 1980er stärker wurde, habe ich ein Lied für sie geschrieben, Buruh Bersatu Tak Bisa Dikalahkan (Vereinte Arbeiter*innen können nicht besiegt werden). Sie sangen dieses Lied in der Fabrik und begleiteten damit ihre Arbeit oder ihre Pausen. Außerdem benutzten sie den Slogan, während sie demonstrierten oder streikten. Sie machten sich mit dem Lied während der Organisationstreffen vertraut:

Ballt eure Fäuste, vereinigt eure Ziele / Arbeiter*innen, bewegt euch, bekämpft die Unterdrückung / Kämpft für den Sieg, haltet die Gerechtigkeit aufrecht / Vereinte Arbeiter*innen können nicht besiegt werden / Vereinte Arbeiter*innen können nicht besiegt werden

Wachsender Widerstand gegen die Suharto-Diktatur

Der Widerstand gegen die Neue Ordnung wuchs. Die Organisierung der Menschen umfasste verschiedene Sektoren, darunter Jugendliche, Arbeiter, Landwirte und urbane Arme. Aus den Studenten gingen Protestlieder hervor, insbesondere, nachdem sie 1994 die Demokratische Volkspartei PRD (Partai Rakyat Demokratik) gegründet hatten (zunächst als Demokratische Volksversammlung (Persatuan Rakyat Demokratik), 1996 umbenannt).

Dass das, was wir in dieser Zeit taten, die nachfolgende Generation inspirierte, zeigte sich, obwohl 1978 an allen Universitäten in Indonesien die Studierendenräte verboten worden waren. Lieder wurden geschaffen und gleichzeitig gesungen, als junge Menschen in ganz Indonesien 1988 auf der Straße demonstrierten. Das Lied Topi Jerami (Der Strohhut), ein 1979 geschriebenes Werk einer Gruppe Straßenmusiker*innen der ITB gegen Suharto, wurde mit dem Lied Pembebasan (Befreiung) verbunden, wobei der Text für das jeweilige Ziel der Bewegung verändert wurde.

Ngamen ITB (1979)/Safi’i Kemamang/PRD (1996) – Pembebasan/Buruh Tani:

Arbeiter und Bauern, Studierende, das arme Volk der Städte / Vereint euch und fordert Veränderungen / Vereint euch entschlossen in einer Stimme / Für eine ehrenhafte, heilige Sache / Morgen gehört uns / Die Schöpfung einer glücklichen Gesellschaft / Die Bildung des Volkes / Neues Indonesien ohne die neue Ordnung / Kommt schon, Freund*innen, kommt, wir berichten / In unseren Händen liegt die Richtung der Nation / Kommt schon Freund*innen, kommt, lasst uns singen / Ein Lied über die Befreiung / Unter dem tyrannischen Regime / Suche ich nach diesem Weg / Millionen Mal gehen wir auf die Straße / Für mich ist dieser Schritt sicher / Millionen Mal gehen wir auf die Straße / Für mich ist dieser Schritt sicher

Die Neue Ordnung endete 1998, die Probleme der Bevölkerung blieben. Noch immer werden zahlreiche Versionen des Songs Penbebasan (Befreiung) vertont. Hier ein aktuelles Beispiel:

Ein Mitglied der PRD, John Tobing, dichtete 1991 das Lied Darah Juang (Kämpfendes Blut), als er noch Student der Gadjah Mada-Universität in Yogyakarta war:

Das hier ist unser Land / Der Ort wo der Reis wächst / Das Meer ist reich / Unser Land ist fruchtbar, Gott / In diesem schönen Land / Millionen Bürger*innen, durchnässt von Wunden / Schmächtige Kinder gehen nicht zur Schule / Die Dorfjugend arbeitet nicht / Sie sind beschlagnahmt vom Gesetz / Verdrängt und hungrig / Mutter, mach das kämpfende Blut von uns weg / Um das Volk zu befreien / Sie sind beschlagnahmt vom Gesetz / Verdrängt und hungrig / Mutter, mach das kämpfende Blut von uns weg / Wir versprechen es dir / Für dich erfüllen wir unsere Pflicht

Darah Juang selbst wurde von einer Gruppe zur nächsten leise verbreitet. Auch mein Lied Satukanlah (Vereinigt euch) (1990) wurde mit dem Lied Rakyat Merdeka (Unabhängiges Volk), einem Werk der Band Lontar, verschmolzen und Rakyat Bersatu (Das Volk vereint sich) getauft:

Vereinige alles in dir / Das ganze Volk hat das gleiche Schicksal, das gleiche Gefühl / Schmerz mag es, geteilt zu werden / Wacht endlich auf / Bring deine zerstreuten Finger wieder zusammen / Ball deine Faust und werde zum Boxer / Lasst den Hunger einen Hammer werden / Um deinen Gegner zu besiegen, darfst du nicht zögern // (Refrain) Auf jeden Fall gewinnen, gewinnen / Das Volk kämpft / Auf jeden Fall gewinnen, gewinnen / Das Volk kämpft / Die Tage verstreichen / Wir müssen wieder verlieren / Der Unterdrücker muss gehen / Für eine bessere Zukunft / dürft ihr euch nicht unterdrücken lassen / Ihr dürft euch nicht kolonialisieren lassen / Unsere Seelen und Gedanken / Für eine bessere Zukunft (1990-1997)

Yayak Yatmaka singt gemeinsam mit der Band Dendang Kampungan Rakyat Bersatu:

Auch heute noch aktuell und häufig gesungen: Der Song Rakyat Bersatu (Das Volk vereinigt sich)

Der Staatsapparat, der die Bewegung des Volkswiderstandes gegen das faschistische Regime der Neuen Ordnung überwachte, übersah eines: die Lieder wurden als eine Art Code und Kennzeichnung verwendet. Wer die gleichen Protestlieder singt, egal wer es geschrieben hat, ist ein*e Freund*in der Widerstandsbewegung. Es ist nicht überraschend, dass das gesamte Volk aus den verschiedensten Gruppierungen und verschiedenstem Alter sich zusammentat, um gemeinsam auf der Straße zu protestieren. Sie sangen ihren Protest laut und gemeinsam in regionalen Regierungszentren in ganz Indonesien. Obwohl sie deshalb verletzt wurden oder von der Polizei oder der Armee gefoltert und erschossen wurden, sangen sie immer weiter.

Am 21. Mai 1998 waren die Protestierenden am Ziel: Suharto zog sich als Präsident der Republik Indonesiens zurück. Bis heute jedoch werden Lieder wie Darah Juang und Rakyat Bersatu als Ausdruck der Kritik an den Herrschenden gesungen, mit der linken Hand zur Faust geballt.

Übersetzung aus dem Indonesischen von: Mandana Uriep

  • Artikel
Der Autor
Yayak Yatmaka wurde 1956 geboren und studierte an der Kunst- und Designfakultät des Instituts für Technologie in Bandung (ITB). Er ist der Gründer der Kinderrechtsorganisation SAMIN, die in Yogyakarta ihren Sitz hat, und arbeitet in den Bereichen alternative Bildung für Kinder und Gemeindeorganisation. Daneben ist er selbstständiger Grafikdesigner, Maler, Illustrator und Zeichner politischer Karikaturen, der u.a. Comicbücher, Buchcover, Handbücher, Magazine und Zeitungen gestaltet hat.
  • Kinder der Unabhängigkeit

    Indonesien – Linkspolitischer Aktivismus in verschiedenen indonesischen Städten und Regionen ist eng mit Musik verknüpft. Der Autor, selbst Aktivist und Songschreiber, erzählt von seinen Beweggründen und langjährigen Erfahrungen im Protest gegen Suhartos Regime.

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Yayak Yatmaka

Yayak Yatmaka wurde 1956 geboren und studierte an der Kunst- und Designfakultät des Instituts für Technologie in Bandung (ITB). Er ist der Gründer der Kinderrechtsorganisation SAMIN, die in Yogyakarta ihren Sitz hat, und arbeitet in den Bereichen alternative Bildung für Kinder und Gemeindeorganisation. Daneben ist er selbstständiger Grafikdesigner, Maler, Illustrator und Zeichner politischer Karikaturen, der u.a. Comicbücher, Buchcover, Handbücher, Magazine und Zeitungen gestaltet hat.

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