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Editorial südostasien 2/2019:
In aller Munde: Plastik in Südostasien
Kürzlich fand ein Forschungsteam am tiefsten Punkt des Meeres – im Mariannengraben in fast 11.000 Metern Tiefe – Plastikverpackungen. Die Folgen der Unmengen Plastikmüll, die Menschen in den letzten Jahrzehnten in der Natur zurückließen, sind zunehmend auch medial präsent. Plastik lässt sich nicht natürlich abbauen, sondern zerfällt lediglich in Kleinstteile, so genanntes Mikro- oder Nanoplastik, das durch den natürlichen Kreislauf zirkuliert. Plastik sorgt für Artensterben in den Meeren. Nanoplastik wandert in Sedimente und in die Atmosphäre. Plastik ist nach neuesten Studien im wahrsten Sinn des Wortes in aller Munde. Seine mikroskopisch kleinen Überreste wandern in unseren Lebensmitteln zu uns zurück.
Die wachsende Menge eines Problems, für das wir noch keine Lösung haben, das aber munter weiter produziert und konsumiert wird, ist Grund genug, sich ernsthaft mit der Thematik auseinanderzusetzen. Derzeit werden jährlich rund 400 Millionen Tonnen Plastik produziert. Nicht einmal zehn Prozent des Plastikmülls wird recycelt. Der Großteil – rund 80 Prozent – landet auf Deponien, in Flüssen, Meeren oder an der nächsten Straßenecke. Rund 12 Prozent des Mülls wird schlichtweg verbrannt. Die Deutschen sind Europameister im Plastikverbrauch: 220 Kilo Verpackungsmüll pro Kopf waren es im Jahr 2016.
Dabei mutete Plastik zunächst so viel versprechend an! Seit Anfang des 20. Jahrhunderts der vollsynthetische Kunststoff erfunden wurde, hat Plastik seinen weltweiten Siegeszug angetreten. Es ist zu billig und zu bequem, um davon zu lassen. 1950 wurden pro Jahr rund 2 Tonnen Plastik hergestellt, 50 Jahre später rund 200 Millionen Tonnen, inzwischen beinahe 400 Millionen Tonnen. Es wächst die Erkenntnis, dass dies nicht folgenlos für Mensch und Umwelt bleibt. Doch die aktive Übernahme von Verantwortung für den Müll durch Hersteller von Plastik hält leider mit dem Produktionstempo in keinster Weise Schritt.
Gerade Länder des globalen Nordens, wie die USA oder Deutschland, exportieren ihren Plastikmüll ins Ausland. Seit der langjährige Abnehmer China im Januar 2018 Müllimporte verboten hat, werden unsere Plastikabfälle vermehrt nach Südostasien exportiert. So wurden 2017 145.000 Tonnen Plastikabfall von Deutschland nach Thailand und 100.00 Tonnen nach Malaysia transportiert. Mit insgesamt etwa 686.000 Tonnen dorthin verschifften Plastikabfällen löste Malaysia China im Jahr 2018 als Haupt-Importland ab. Gleichzeitig ist Plastiknutzung auf dem Binnenmarkt der südostasiatischen Staaten schon sehr hoch, während es dort kaum Pfand-Systeme und öffentliche Müllentsorgung gibt. Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch hat im Übrigen auch in Südostasien das reichste Land der Region: Brunei. Das Fehlen einer effektiven Entsorgungsstruktur, ein wachsendes Importvolumen von Plastikmüll aus dem Globalen Norden und die maritime Lage Südostasiens, führen dazu, dass enorme Mengen Plastikmüll den Weg in die angrenzenden Meere und Flüsse finden. Laut einer Studie der Ocean Cleanup Foundation befinden sich von den 20 Flüssen, die weltweit das meiste Plastik ins Meer transportieren, sieben in Südostasien.
Verschmutzte Plastikteile sind schwer zu recyceln. Bislang entledigten sich die Industrieländer dieses Problems mit den genannten Müllexporten, die rein privatwirtschaftlich funktionierten. Mit der im Mai 2019 geschlossenen Zusatzvereinbarung zum Basler Abkommen „über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung“, dem 186 Staaten angehören, soll dies nun stärkerer staatlicher Kontrolle unterliegen. Hoffnungen auf verstärkte Müllvermeidung ruhen auch auf dem Ende 2018 beschlossenen EU-Verbot für Einwegplastik ab 2021.
Dabei agieren Plastik-produzierende Unternehmen selten umweltpolitisch im Sinne des Allgemeinwohls. Ein Umstand, der zuweilen von green-washing-Aktivitäten der Unternehmen verdeckt wird. CocaCola, Pepsi, Unilever, Nestlé sind globale Player, die es sich leisten können ihr Image mit Kampagnen und Fördertöpfen für Recycling- und Upcycling-Initiativen aufzubessern. In Förderprogramme für Nachhaltigkeit, Natur und Müllvermeidung zu investieren, das ist das neue vermeintliche ‚Grün’. Dabei investierten nicht nur ökonomische, sondern auch (stadt-)politische Akteure im Rahmen von internationalen Vereinbarungen und Abkommen, bspw. den Sustainable Development Goals, in Green City-Strategien und Programme.
In dieser Ausgabe der südostasien widmen wir uns verschiedenen Perspektiven und Praktiken im Umgang mit Plastik. Es geht um Wahrnehmungen und Handlungsansätze in den Ländern, in denen unser Abfall hauptsächlich landet. Aus lokaler und alltagsbezogener Perspektive wird von lokalen Initiativen die Rede sein, wie bei dem Beispiel der Trash Heros von Flores, Indonesien (Kristian Gäckle), der Waste Banks in Java, Indonesien (Lena Keller-Bischoff/Nuzuli Ziadatun Ni’mah), plastikfreier Initiativen in Vietnam (Johanna Kramm/Heide Kerber), Refill-Initiativen (Alieth Bontuyan) und Zero-Waste-Städten (Sonia Mendoza, Mother Earth Foundation) in den Philippinen.
Julia Behrens und Quỳnh Anh Nguyễn berichten, wie mit Plastik in Hanoi umgegangen wird und Mirjam Overhoff beleuchtet Säuberungen der Manila Bay, und die vorhandenen Müllzyklen in den Philippinen. Aus Kambodscha berichtet Kathrin Eitel von Müllsammler*innen, die zum großen Teil die Infrastruktur des Abfallmanagements in Phnom Penh darstellen. Svenja Hübinger analysiert das neue Verbot von Einwegplastik auf der indonesischen Urlaubsinsel Bali. Diese und weitere Artikel finden Sie in den kommenden Wochen auf suedostasien.net.
Die vielfältigen Beiträge zeigen, dass es zahlreiche Initiativen und Bewegungen in Südostasien gibt, die sich mit der Frage von Plastik und Plastikmüll auseinandersetzen und lokal aktiv werden. Sie zeigen aber auch, dass diese oft nur durch die Hilfe von Fördermaßnahmen und politischer Regulierung langfristig Bestand haben können. Dabei müssen völkerrechtlich bindende Verträge entstehen, wie es im Rahmen des Basler Abkommens geplant ist. Jedoch ist hier wichtig, dass alle Nationen an einem Strang ziehen, was sichin in Hinblick auf unterschiedliche außenpolitische Interessen schwierig gestaltet. Auch auf nationaler Ebene müssen bessere Abfallregulierungen ausgearbeitet und ein Ausbau der Müllinfrastruktur vorgenommen werden. Letztendlich sollten aber in erster Linie die Produzent*innen von Plastik in die Verantwortung genommen werden. Ohne eine nachhaltige und umweltverträgliche Regulierung, an die sich alle Unternehmen zu halten haben, wird sich die Plastikflut nicht eindämmen lassen. Das Problem ist zu groß und zu folgenschwer, um es in jahrzehntelangem Verantwortungs-Ping-Pong zwischen Politik, Industrie und Verbraucher*innen auf die lange Bank zu schieben. Unsere nächste Ausgabe (3/2019) hat das Thema: „Asia First! Autoritarismen und das Ringen um Demokratie“. Hier geht’s zum call for paper (Deutsch PDF / Englisch PDF). Unsere übernächtste Ausgabe (4/2019) beschäftigt sich mit „Musik als Instrument politischer Bewegungen“. Hier geht’s zum call for paper (Deutsch PDF / Englisch PDF).
Wir danken allen an dieser Ausgabe Beteiligten sehr herzlich und wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre!
Das Redaktionsteam
Dieser Text erscheint unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.