Erst wenn die Länder des Globalen Südens nicht mehr von den Profiteuren des aktuellen Wirtschaftssystems ausgeblutet werden, sind eigene Entwicklungswege wirklich möglich, so das Fazit unseres Autor*innen-Teams der Internationalen Stiftung für sozio-ökonomische Forschung (IBON).
Dies ist Teil 2 des Artikels. Hier geht’s zu Teil 1
Im Zuge des anhaltenden Strebens nach einer vermeintlich nachhaltigen Infrastruktur verlieren Gemeinschaften die Kontrolle über ihre Ressourcen. In den Philippinen bedroht eine Welle von Staudammprojekten das Land indigener Gemeinschaften. Dazu gehören Projekte in der Kordilleren-Region im Norden der Philippinen, wie die von China finanzierte Wiederbelebung des Chico River-Projekts, das in den 1970er Jahren von der Weltbank finanziert und später aufgrund des heftigen lokalen Widerstands ausgesetzt wurde. Weiter südlich befindet sich ein weiteres von China finanziertes Projekt, der Kaliwa-Damm. Noch südlicher, in den Visayas, befindet sich der von Südkorea finanzierte Jalaur-Damm. Während sie vorgeben, den Bedarf des Landes an Wasser und Energie zu decken, bedrohen diese Projekte die Gebiete der indigenen Bevölkerung und werden gegen ihren Widerstand weitergeführt.
In Indonesien behauptet das von der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) finanzierte Mandalika Urban Tourism Infrastructure Project, „nachhaltigen Tourismus“ auf der Insel Lombok zu fördern. Seit 2021 wird es von Expert*innen der Vereinten Nationen (UN) wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert.
Wie der Bergbau in West-Papua (siehe Teil 1, die Red.) werden auch diese Infrastrukturprojekte von staatlicher Gewalt überschattet. Das von der AIIB unterstützte Mandalika-Projekt ist mit Militarisierung und Einschüchterung von Gemeinden verbunden. Der Jalaur-Staudamm in den Philippinen wird trotz der Ermordung indigener Menschen, die sich dem Projekt widersetzten, fortgesetzt. Unter der Regierung von Ferdinand Marcos Jr. sind Aktivist*innen, die sich gegen solche Staudämme in der Kordillerenregion wehren, fingierten Anklagen ausgesetzt.
Trotz der regionalen Spannungen zwischen den USA und China bestehen kooperative Beziehungen zwischen der AIIB und den traditionellen multilateralen Entwicklungsbanken. In Indonesien werden acht von elf AIIB-Projekte seit 2016 von der US-geführten Weltbank und der von Japan geführten Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) ko-finanziert. Das Mandalika-Projekt bildet eine Ausnahme, denn es wird ausschließlich von der AIIB finanziert.
Diese Beispiele zeigen die immensen Schwierigkeiten, die die Beteiligung der Menschen an wirtschaftlichen Entscheidungen behindern. Es sind Momentaufnahmen in einer Geschichte angesammelten Schadens, mit dem den Menschen die Möglichkeit genommen wurde, auf ihre Bedürfnisse einzugehen.
Darüber hinaus illustrieren diese Sachverhalte ein Thema, das im Entwicklungsdiskurs immer noch häufig angesprochen wird: die Finanzierungslücke. Es geht darum, dass die öffentlichen Gelder zur Finanzierung des wachsenden Bedarfs in Bereichen wie Klima, Gesundheit und Infrastruktur einfach nicht ausreichen. Hilfsgelder und Steuern werden die Lücke nicht vollständig schließen können.
Bei der Finanzierungslücke geht es um die Frage, woher das Geld kommen soll. Der Reichtumsverlust der Länder wirft jedoch eine noch größere Frage auf: Warum sind Staaten nicht in der Lage, genügend Mittel für ihre eigene Entwicklung aufzubringen?
Berechnungen der Studie Plunder in the Post-Colonial-Era zeigen, dass in den letzten Jahren für jeden US-Dollar an ‚Hilfe‘ 14 US-Dollar (13 EUR) an Reichtum abgeflossen sind. Dieser Betrag des Geldabflusses erhöht sich auf 30 US-Dollar (28 EUR), wenn Rückflüsse von Gewinnen in die Länder des Nordens und illegale Ströme einbezogen werden. Da Südostasiens Adern von mächtigen Interessen geleert werden, sind seine Regierungen mehr und mehr auf Mittel aus externen Quellen angewiesen. Externe Finanzquellen wie Kredite und Privatkapital werden zu zusätzlichen Kanälen für die Gewinnung von Reichtum.
Die Auslandsverschuldung des Globalen Südens stieg während der Covid-19-Pandemie an. Da die Regierungen nun knapp bei Kasse sind, wälzen sie die Last auf die Bevölkerung ab, indem sie neue Steuern auf benötigte Waren erheben. Dann taucht der von den USA geführte Internationale Währungsfonds (IWF) auf und empfiehlt Sparmaßnahmen. Haushaltskürzungen im öffentlichen Dienst, mehr ausländische Investoren anlocken, um mehr Dollar für die Schuldenzahlungen an private Gläubiger zu verdienen – das sind in der IWF-Sprache „Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung“.
Den Ländern wird gesagt, sie sollen sich auf privates Kapital verlassen, auf den Finanzmärkten könnten Billionen für Entwicklung mobilisiert werden. So will man begierig von ‚bankfähigen‘ Infrastrukturprojekten profitieren. Damit einher geht dann die Gefahr des green-washing und die Instabilität des Finanzkapitals, das sich beim ersten Anzeichen von wirtschaftlicher Not und Krise zurückzieht.
Während die Bürger*innen die Zeche mit neuen Steuern zahlen, versuchen die politischen Eliten Südostasiens, ihre Steuerzahlungen zu reduzieren. Es wurde festgestellt, dass Beamt*innen – von einem derzeitigen philippinischen Senator über ehemalige malaysische Finanzminister bis hin zu einem kambodschanischen Justizminister – ihren Reichtum in geheime Offshore-Territorien mit niedrigen Steuersätzen gelenkt haben. Öffentlicher Reichtum wird auch durch Korruption gestohlen, wie etwa in Malaysia. In den Philippinen kann die Übernahme des Präsidentenamtes dazu führen, Reichtum zu schützen, der zuvor, während einer der – von den USA unterstützten – korruptesten Militärdiktaturen der Welt gestohlen wurde.
Was die offenen Adern betrifft: Südostasien wird von Interessensgruppen ausgeblutet, die wie Vampire sind – um die Metapher auszuweiten. Die genannten Probleme nötigen uns zu einer Schlüsselfrage: Führen Entwicklungsdiskurse und so genannte Entwicklungszusammenarbeit dazu, dass der Abfluss von Reichtum und Ressourcen aus den Ländern des Globalen Südens gestoppt, verlangsamt oder einfach nur aufrechterhalten wird?
Der Abfluss von Reichtum macht deutlich, dass es bei der Finanzierung von Entwicklung weniger darum geht, die ‚Finanzierungslücke‘ zu schließen, sondern vielmehr darum, Veränderungen herbeizuführen, die die Ursache des Schadens angehen.
Echte nachhaltige Entwicklung bedeutet heute, Menschenrechte und ökologische Nachhaltigkeit zu wahren. Dies erfordert eine Abrechnung mit den Systemen und Politiken, die den Aderlass der Länder des Südens ermöglichen. Es sollte eine Option sein, Schulden zu streichen oder abzulehnen, insbesondere wenn Kredite nicht dem öffentlichen Interesse dienen. Sparmaßnahmen, die zur Begleichung von Schulden auferlegt werden, sind mit dem öffentlichen Interesse unvereinbar. Eine stärkere Regulierung von Unternehmensaktivitäten ist unerlässlich, einschließlich der Unterbindung schädlicher und nicht nachhaltiger Aktivitäten.
Eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit setzt voraus, dass die Stimmen indigener Gemeinschaften gehört werden, wenn sie schädliche Projekte ablehnen. Sie erfordert auch ein offeneres Ohr für die sozialen Bewegungen des Südens, die sich gegen Aktivitäten von Institutionen mit einer langen Geschichte wirtschaftlicher Interventionen wie IWF und Weltbank wenden. Eine Politik der Militarisierung und Unterdrückung, wie sie sich heutzutage immer noch hinter der Rhetorik der ‚Terrorismusbekämpfung‘ versteckt, ist ungeeignet für eine Agenda, die lokale Forderungen der Bevölkerung einbezieht.
Andererseits erfordern die Grundbedürfnisse der Menschen eine Umverteilung von Reichtum durch eine Erhöhung der Steuern auf Reiche und Großunternehmen. Die Verpflichtung der ‚Geberländer‘, Hilfe im Wert von 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts einzuhalten, ist ein längst überfälliges Versprechen.
Zivilgesellschaftliche Organisationen und soziale Bewegungen argumentieren seit langem, dass das derzeitige Wirtschaftssystem und Entwicklungsmodell obszöne Ungleichheiten und eine ökologische Krise hervorrufen – Tatsachen, die durch die Covid-19-Pandemie noch deutlicher wurden. Seit Jahrzehnten setzt sich die Zivilgesellschaft für einen formellen Raum zur Erörterung von Systemreformen ein, wie zum Beispiel eine vierte UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung mit demokratischer Beteiligung der Länder und Organisationen des Globalen Südens.
Um den Wandel voranzutreiben, müssen Menschen im Globalen Süden und ihre Organisationen in ihren Ländern noch eine größere Rolle spielen. „Die Rückgewinnung der Ressourcen, die uns immer entrissen wurden, ist die Rückgewinnung unseres Schicksals“, sagt Eduardo Galeano in seinem Buch Die offenen Adern Lateinamerikas. Wenn die Siege der Menschen den Abfluss des Reichtums gestoppt haben, können Gemeinschaften wirklich ihren eigenen Entwicklungsweg einschlagen.
Übersetzung aus dem Englischen von: Jörg Schwieger
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