Indonesien: Nicht alle indonesischen Gewerkschaften nehmen xenophobe und rassistische Positionen ein. Doch es ist unter Arbeiter*innen weit verbreitet, Ausländer*innen als Ursache für schlechte Arbeitsbedingungen zu sehen. Islamistische Gruppierungen und nationalistische Politiker nutzen diese Stimmung – und verstärken sie.
Es ist der 1. Mai 2018. Im Hof des Rathauses in Semarang, der Provinzhauptstadt von Zentraljava, versammeln sich etwa 200 Teilnehmer*innen einer Massenaktion. Ein stämmiger Mann mit rotem T-Shirt schwingt flammende Reden: „Wir sind nicht gegen ausländische Investitionen, aber wir lehnen die illegalen chinesischen Arbeiter*innen ab.“ Dann legt der Redner die Verschlechterung der Arbeitssituation und die Schwierigkeiten, eine Arbeit zu bekommen, dar. Die Rede endet mit den Worten: „Auf, lasst uns die Internationale singen.“ Während sie die Reihen ordnen, ihre Banner ausrollen und ihre Schilder schwenken, beginnen die Teilnehmer*innen geschlossen und andächtig zu singen.
Auch an anderen Orten bietet der Tag der Arbeit Gelegenheit, Unmut gegenüber der Niedriglohn-Gesetzgebung sowie der Leiharbeits- und Outsourcing-Gesetze zum Ausdruck zu bringen. Die Dynamik am Internationalen Tag der Arbeit wird zum Schauplatz fremdenfeindlicher Kampagnen. Auf vielen Bannern und Postern prangern Slogans wie: „Gegen ausländische Arbeitskräfte“, „Raus mit chinesischen Arbeitskräften“, und „Gegen Fremde“. Neben diesen Schriftzügen gibt es natürlich auch Banner wie beispielsweise: „Für den Aufbau einer alternativen politischen Kraft“ oder „Gegen Massenkündigungen“. Redner*innen attackieren zwar auch die Niedriglohn-Politik, aber auch den immer stärkeren Zuwachs illegaler chinesischer Arbeiter*innen. Während in Deutschland oder den Vereinigten Staaten diese fremdenfeindliche Einstellung von neofaschistischen Gruppen vorgebracht werden, werden sie in Indonesien von Arbeiter*innen geäußert.
Die Stimmung gegen ausländische Arbeitskräfte verschärfte sich, als der Präsident die Verordnung Nummer 20 des Jahres 2018, die ausländische Arbeitskräfte betraf, erließ. Einige Gewerkschaftsführer*innen deuteten die Verordnung als Werkzeug zur Begünstigung von Arbeitskräften aus China. Folgende Vorwürfe wurden geäußert: Arbeiter*innen aus China nähmen Arbeitsplätze ein, die indonesischen Bürger*innen zustünden und darüber hinaus erhielten sie höhere Gehälter und würden besser behandelt als lokale Arbeiter*innen. Obwohl von ausländischen Arbeitskräften gesprochen wird, werden nur Arbeitskräfte aus China in Frage gestellt. Die Stimmung gegen chinesische Arbeiter*innen ging auch mit Spekulationen einher, chinesische Investor*innen und Arbeiter*innen wollten die Kontrolle über Indonesien erlangen, kommunistische Lehren verbreiten und würden die Souveränität der Indonesischen Republik zum Einsturz bringen.
Nicht alle Gewerkschaften auf nationaler Ebene nehmen anti-ausländische Einstellungen ein. Aber wie sich an der oben beschriebenen Demonstration zum 1. Mai in Semarang zeigt, wird ein Chines*innen-feindliches Klima geschaffen und von Gewerkschaften zur Erklärung der Verschlechterung der Arbeitssituation auf Fabrik- und Branchenebene instrumentalisiert.
Besondere Aufmerksamkeit bekamen der aufkeimende Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit während des Gouverneur-Wahlkampfs in Jakarta 2017. Der amtierende Bürgermeister Jakartas, ein chinesischer Indonesier namens Basuki Tjahaja Purnama, kurz: Ahok, wurde kurz vor den Wahlen der Blasphemie beschuldigt. Und trotz nachgewiesener Manipulation des Videos, welches als Beweis der Anschuldigung herangezogen wurde, wurde er verurteilt. Einige Beobachter*innen der Geschehnisse argumentierten, dass es sich bei xenophoben Stimmungslagen um ein vorübergehendes Phänomen handle, das aufgrund des Wahlkampfs an die Oberfläche geraten sei, um gewissen Personen zum Erfolg zu verhelfen. Andere sehen hingegen Rechtspopulismus als logische Konsequenz der jüngsten Krise des Kapitalismus und ein Fehlen progressiver gesellschaftlicher Bewegungen.
An einer Reihe von „Aktionen zur Verteidigung des Islam“ (Aksi Bela Islam, im Folgenden „(Aksi) Bela Islam“), besonders Ende 2016/Anfang 2017, waren Führer*innen sowie Mitglieder von Gewerkschaften federführend beteiligt. Aksi Bela Islam attackierte Ahok. Die geistigen Drahtzieher schufen das Narrativ, dass ihre Vorwürfe rein auf die Ehrenrettung ihres Glaubens ausgerichtet seien und weder eine rassistische Tendenz noch eine Verbindung zur Gouverneurswahl aufwiesen. Allerdings bezeichneten ihre Predigten aus den Kommandofahrzeugen, ihre Flugblätter und ihre Poster Ahok durchgängig als Chinesen, als Ungläubigen und Nicht-Indonesier, dem es nicht zustehe, Jakarta zu führen. Gewerkschaftsflaggen wurden gehisst und Massen mobilisiert.
In den Medien war davon die Rede, dass das gemeinsame Interesse des indonesischen Gewerkschaftsbundes KSPI und der Aksi Bela Islam wäre, den Verstoß gegen das Blasphemiegesetz, aufzuzeigen und rechtlich zu verfolgen. Natürlich sprach KSPI auf besagter Massenaktion auch Arbeiter*innen-Angelegenheiten an. Mehr als ein Dutzend Gewerkschaften sagten dem Kandidatenteam von Anies Baswedan (Gouverneur) und Sandiaga Uno (Stellvertreter) für die Gouverneurswahl schriftlich Unterstützung zu. Letztendlich wurde mit Hilfe der Kampagne Bela Islam der Wahlsieg Akohs bei der Gouverneurswahl 2017 verhindert. Im Jahr 2017 traten drei Gewerkschaften in Tangerang, Banten aus ihrer Gewerkschaftsförderation aus, da sie nicht willig seien eine*n christliche*n Generalvorsitzende*n zu tolerieren.
Einige der noch heute aktiven Gewerkschaften wurden von Akteur*innen, die während der Zeit des Suharto-Regimes (1965 – 1998) Karriere machten, gegründet und sind antidemokratischer Natur.
Suharto vereinte Gewerkschaften mit dem Ziel, sie mundtot zu machen. In ihren täglichen Praktiken konnten Gewerkschaftsführer*innen nur wirtschaftliche Angelegenheiten in Bezug auf Arbeiter*innen problematisieren und diskutieren, die bereits durch nationales Recht reguliert wurden. Auch damalige so genannte progressive Arbeiter*innenorganisationen, die sich dem Suharto Regime widersetzten, beschränkten sich auf Forderungen nach Versammlungsfreiheit und nach der Möglichkeit, Gewerkschaften außerhalb von SPSI (Gesamtindonesische Gewerkschaft, die einzige unter Suharto erlaubte Gewerkschaft) gründen zu dürfen – Forderungen nach demokratischen Strukturen wurden nicht gestellt.
Im September 2017 forderte die KSPI alle Mitglieder dazu auf, eine öffentliche Vorführung des Films Der Verrat der Bewegung 30. September/PKI (Pengkhianatan G30S/PKI) auf Zweigstellenebene zu veranstalten. Ein Propagandafilm über den angeblich kommunistischen Putschversuch am 30. September 1965, der von der Suharto-Regierung zur Legitimation der Morde an Kommunist*innen und der eigenen Macht verwendet wurde (vergleiche Artikel von Bambang K. Prihandono in Ausgabe 3/2018). Als Begründung wurde angeführt, die Vorführung des Films diene der Verbesserung von Geschichtskenntnissen und zur Aufrechterhaltung der Entscheidung der Beratenden Volksversammlung (MPR) vom Jahr 1966 über die Auflösung der PKI und des Verbots marxistisch-leninistischer Lehren.
Heutzutage werden Formen von Hass gegen Minderheiten durch neue Medien und neue Technologien begünstigt, durch bekannte Persönlichkeiten formuliert und legitimiert und dann an die Masse weiterverbreitet. Die hetzenden Akteur*innen verfügen über großen politischen, oft religiösen Einfluss, Macht sowie ausreichende finanzielle Mittel. Digitale Medien dienen der Verbreitung von Rassismus und Xenophobie. Websites, die Hass verbreiten, sprießen wie Pilze aus dem Boden, obwohl die Regierung sich bemüht, sie in Schach zu halten.
„Das kommunistische China exportiert zehn Millionen Arbeiter*innen nach Indonesien. Wenn sie bewaffnet sind, bricht Indonesien zusammen!“. Das ist der Titel eines Artikels eines Onlinemediums vom 15.7.2016. Im September 2016 wurden elf Webseiten vom Ministerium für Kommunikation und Informatik (Kominfo) blockiert. Im Dezember 2016 folgten weitere Seiten, die der Volksverhetzung beschuldigt wurden. Darauf wurden Webseiten umbenannt und die anti-chinesischen Nachrichten werden bis heute erfolgreich weiter verbreitet.
„Nachrichten“ der oben beschriebenen Art werden auf Sozialen Medien verbreitet, in Kurznachrichtendiensten (Chat-Apps) geteilt und über verschiedenste Onlinekanäle vervielfacht. Die Methoden, Hass und Rassismus zu schüren gedeihen immer weiter bis hin zur gezielten Manipulation von Videos, wie im Falle Ahoks.
Auch der schnellere Zugang zu Printmedien und Design-Anwendungen erleichtern die Verbreitung von Rassismus und Xenophobie. Wenn es vor 15 Jahren noch mehr als drei Tage dauerte, ein Poster oder ein Banner zu drucken, so ist dies heute schon innerhalb von 24 Stunden möglich.
Gewerkschaften scheinen kein leicht zugängliches Forum für einfache Arbeiter*innen zu sein. Wenn die Not im Leben besonders groß wird, sind paramilitärische oder islamische Organisationen am einfachsten zu erreichen. Wenn zuständige Gewerkschaften sich nicht für ihre Anliegen einsetzen, wenden sie sich an paramilitärische Organisationen.
Drei militante Truppen, die von Gewerkschaften gebildet wurden, erhielten Training in einem Militärstützpunkt. Das Militär vermittelte ihnen dafür theoretisches Wissen führte praktische Übungen durch. Eine Führungsfigur einer solchen militanten Gruppe erklärte, dass es wichtig sei, den militanten Truppen insbesondere Materialien über die Souveränität der Republik Indonesien nahe zu bringen. Es versteht sich von selbst, dass dieses Verständnis von Souveränität der Perspektive des Militärs entspricht.
Mehr als 20 Jahre sind seit dem Rücktritt Suhartos 1998 vergangen. Auf seinen Rückzug folgte die Gründung vieler neuer Gewerkschaften. Im April 2018 waren 14 Gewerkschaftsbünde, 120 Gewerkschaftsföderationen und 7.000 Gewerkschaften auf Fabrikebene registriert. Auf der anderen Seite jedoch verschlechtert sich die Arbeitnehmer*innen-Situation stetig: die Beschäftigungssicherheit geht verloren und Lebenshaltungskosten steigen. Die einfachen Leute spotten gern über reformasi als „repotnasi“ (wörtlich etwa „es ist mühselig, an Reis zu kommen“; d.h. „man kämpft ums Überleben“). Durch Massenmedien, Veranstaltungen und Massenorganisationen nutzen politische Eliten die allgemeinen Sorgen, Verzweiflung und Frustration aus, indem sie die Schuld auf Ausländer*innen als Ursache der Probleme schieben.
In den letzten fünf Jahren entwickelte sich in Gewerkschaftskreisen ein Bewusstsein, dass Arbeitsgesetze durch die Ergreifung politischer Macht geändert werden müssen. Der Weg über Massenbewegungen reicht nicht aus. Die wichtigste Bedingung, um diesen Einfluss zu erlangen, ist, dass Gewerkschaften auf Demokratie und die Wahrung von Menschenrechten drängen, anstelle sich auf Hetze gegen Minderheiten zu konzentrieren. Sich auf ein Regime zu stützen, das auf Angst und Antidemokratie ausgerichtet regiert, wird dagegen die Arbeiter*innenbewegung unterlaufen.
Übersetzung aus dem Indonesischen von: Sophia Hornbacher-Schönleber
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