2 | 2024

„Der Mekong ist unser Leben“

Wachsende Mangobäume am Ufer des Mekong. © Ngan Nguyen

Vietnam: Ngan Nguyen, 1979 in Vietnam geboren, erzählt von ihrer Verbindung zum Mekong, den gravierenden Veränderungen durch Staudämme im oberen Flusslauf und vom Klimawandel.

Der Mekong durchquert fast das gesamte Festland Südostasiens und wird oft als ‚Lebensader Südostasiens‚ bezeichnet. Er entspringt im Hochland Tibets und schlängelt sich durch China, Myanmar, Laos, Thailand und Kambodscha, bevor er schließlich im Mekong Delta in Vietnam mündet.

China hat eine beträchtliche Anzahl von Staudämmen und Wasserkraftwerken errichtet, die es dem Land ermöglichen, die Kontrolle über enorme Wasserreserven von bis zu 47 Milliarden Kubikmeter Wasser auszuüben. Die Folgen für die unteren Anrainerstaaten sind gravierend. Drastisch sind auch die Folgen des Klimawandels.

südostasien: Wie hast du es erlebt, am Mekong aufzuwachsen?

Unsere Interviewpartnerin:

© Ngan Nguyen

Ngan Nguyen wurde 1979 in der vietnamesischen Provinz Đong Tháp geboren. Mit 18 Jahren ist sie in die 170 Kilometer entfernt liegende Ho-Chi-Minh-Stadt gezogen, um IT zu studieren und anschließend dort zu arbeiten. Ihren ersten Berührungspunkt mit Deutschland hatte sie während des Studiums im Rahmen eines Austauschprogramms. Seit sieben Jahren lebt und arbeitet sie in Köln/Bonn und hat hier ihre „kleine Familie“, wie sie selbst sagt.

Ngan Nguyen: Ich komme aus der Provinz Đong Tháp und mein Haus befand sich neben einem kleinen Fluss. Es war ein Arm des Flusses Tien, der wiederum ein Arm vom Mekong ist. Der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, gehört zum Mekong-Delta. Als Kind bin ich sehr oft in dem kleinen Fluss geschwommen, er war wie ein Spielplatz für meine Freunde und mich. Ich habe es geliebt, darin zu spielen. Der Fluss war immer ein Teil von meinem zu Hause.

Wir hatten dem Fluss sehr viel zu verdanken, zum Beispiel Fisch zum Essen und Wasser für die Felder. Der Fluss hat nicht nur uns, sondern mit seinen regelmäßigen Überschwemmungen und dem fruchtbaren Schlamm auch die umliegende Natur ernährt. Er war auch unser Transportweg, da wir nicht viele Straßen hatten. Mit unseren Booten konnten wir ihn als Wasserstraße nutzen.

Zeigt sich diese enge Verbundenheit auch kulturell?

Der Mekong ist unser Leben, das war schon immer so. Der Mekong heißt auch Cửu Long auf Vietnamesisch und das bedeutet übersetzt „neun Drachen“. So heißt er, weil er mit neun Armen ins Meer fließt und jeder Arm des Mekong-Deltas ist ein Drache. Für uns in Vietnam ist der Drache ein heiliges Tier und kann mit einem Gott oder König verglichen werden.

Heute haben wir leider nur noch sieben Drachen, denn ein Arm ist ausgetrocknet und einer mit Salzwasser aus dem Meer geflutet. Das ist sehr traurig für uns. Es gibt ein schönes Lied, das mich sehr berührt, da es von der Schönheit unseres Mekong Deltas handelt. Ich mache mir wirklich viele Gedanken, was die Zukunft für uns bringen wird.

Du hast das Gleichnis mit dem Drachen erwähnt und dessen kulturelle Bedeutung. An welche Rituale und Feste, die mit dem Fluss verbunden sind, erinnerst du dich?

Es gibt viele Feste im Mekong Delta. Ein sehr berühmtes ist das Oóc Om Bóc Fest, welches als Wasser- oder Mondgebetsfest übersetzt werden kann, mit Musik, Tanzen und Essen. Man feiert das Fest, um dem Wassergott und dem Erdgott für einen reichen Fischfang und eine reiche Reisernte zu danken. Wir verehren den Wasser- und den Erdgott. Als Kind hat man mir gesagt, ich dürfe keinen Schmutz in den Fluss bringen, weil dort ein Gott wohne. Und immer, wenn ich zu frech sei, bekäme ich eine Strafe von dem Gott aus dem Fluss. Mit diesem Glauben bin ich groß geworden und als Kind habe ich das nicht angezweifelt. Vielleicht kann man so verstehen, was der Mekong mir bedeutet.

Wie leben die Menschen heute am und mit dem Fluss?

Der Tien, ein Arm des Mekong in Vietnam. © Ngan Nguyen

Heute, 30 Jahre später, leiden wir unter Wasserknappheit und die einst häufigen Überschwemmungen sind zur Seltenheit geworden. Wir können auf unserem kleinen Fluss nicht mehr mit dem Boot fahren, weil er zu schmal und der Wasserstand zu niedrig ist. Durch die Staudämme und den Klimawandel fehlt nicht nur das Wasser, sondern auch der Schlamm, der Sand und die Steinchen, ohne die das Flussufer immer weiter abreißt und sich das Flussbecken vergrößert. Dadurch haben viele Leute ihre Häuser verloren. Die ganzen kleinen Steine, die das Flussufer halten, und auch die Nährstoffe des Wassers werden von den vielen Staudämmen im oberen Flusslauf aufgehalten.

Die Überschwemmungen waren zwar unbequem, aber sie brachten sehr viele Nährstoffe für die Pflanzen. Jetzt haben wir weniger Felder als früher, aber noch genug, um Obst, Gemüse und Reis anzubauen. Heute braucht man aber industrielles Düngemittel, weil es zu wenig ’natürliche‘ Nährstoffe im Wasser gibt. Fisch und andere Nahrung, die aus dem Fluss kommt, haben wir kaum noch. Städte, die neben dem Meer liegen, können wegen des Wassermangels kaum noch Lebensmittel produzieren und müssen zur Versorgung auf Ware aus dem Binnenland zurückgreifen.

Herrscht durch den Wegfall der Nahrung Armut?

Ein Junge schwimmt im kleinen Fluss bei Ngans Haus in Đong Tháp als dieser überflutet ist. © Ngan Nguyen

Nein, noch gibt es keine Armut, dank der Industrialisierung. Wir können zwar weniger Produkte aus der Natur gewinnen, da die Felder und Pflanzen fehlen, aber viele Menschen haben Arbeit in den Kleidungs- und Elektronikfabriken im Umland gefunden. Da die Fabriken Besitzern aus anderen Ländern gehören, sind wir von ihnen abhängig. Das finde ich nicht nachhaltig und bereitet mir Sorgen. Sie legen die Verträge so fest, dass wir ausgenutzt werden, indem wir zu wenig Geld für die Arbeit bekommen. Es hat sich viel verändert. Wir leben in unserem kleinen Dorf sehr eng mit der Natur zusammen, das geht dadurch auch verloren, da immer mehr Leute aus unserem Dorf und aus der Natur raus müssen, um in den Fabriken zu arbeiten.

Die Hälfte aller Lebensmittel Vietnams wird im Mekong-Delta produziert. 90 Prozent des Reises wird von dort aus ins Landesinnere und in andere Länder exportiert. Wenn das im ganzen Mekong-Delta aber so weitergeht, wie an unserem kleinen Fluss, dann wird durch den Klimawandel und den Einfluss der Staudämme die Armut kommen.

Unternimmt die Regierung etwas gegen den sinkenden Wasserspiegel und den Rückgang der Produktion von ‚eigenen‘ Lebensmitteln?

Der niedrige Wasserstand im Fluss neben dem Haus von Ngans Familie in Vietnam. © Ngan Nguyen

Die Regierung macht hier und da etwas, aber das sind alles nur kurzfristige Lösungen. Sie plant die Landwirtschaft anders als vorher, wählt zum Beispiel andere Reissorten, die weniger Wasser brauchen und plant die Trockenzeiten aktiv mit ein. Wir bekommen Empfehlungen, die wir umsetzen können, wann welcher Reis am besten gepflanzt werden sollte. Außerdem werden an den Flüssen des Mekong, die nah am Meer liegen und mittlerweile vom salzigen Meerwasser geflutet sind, Garnelen gezüchtet. Diese brauchen im Gegensatz zu den Reisfeldern kein Süßwasser.

Die Regierung baut auch neue Kanäle oder vertieft Seen, die schon existieren, damit mehr Wasser aus den Flüssen gesammelt werden kann. Aber eigentlich sind das alles nur kurzfristige Lösungen und das führt wieder zu neuen Problemen. Gerade zu diesem Thema gibt es viele Forschungen von anderen Ländern, aber umgesetzt wird davon nichts. Die Vorstellung, dass das Mekong-Delta austrocknen könnte, bereitet mir große Sorgen. Ich hoffe inständig, dass Lösungen gefunden werden, um diese Entwicklung aufzuhalten. Wir in Vietnam und in den anderen Ländern am Mekong brauchen einen Umschwung auf politischer Ebene, etwas Großes, das uns hilft.

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Die Autorin

Marie Born studiert Südostasienwissenschaft in Bonn. Zuvor hat sie an der Universität zu Köln ihr Bachelorstudium in Ethnologie und Literaturwissenschaften abgeschlossen. Besonderes Interesse hat sie an Mensch-Umwelt-Beziehungen und deren Verbindung zu Religion. Ihr Fokus liegt dabei insbesondere auf Indonesien.

  • „Der Mekong ist unser Leben“

    Vietnam – Ngan Nguyen, 1979 in Vietnam geboren, erzählt von ihrer Verbindung zum Mekong, den gravierenden Veränderungen durch Staudämme im oberen Flusslauf und vom Klimawandel.

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Marie Born

Marie Born studiert Südostasienwissenschaft in Bonn. Zuvor hat sie an der Universität zu Köln ihr Bachelorstudium in Ethnologie und Literaturwissenschaften abgeschlossen. Besonderes Interesse hat sie an Mensch-Umwelt-Beziehungen und deren Verbindung zu Religion. Ihr Fokus liegt dabei insbesondere auf Indonesien.

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