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Wissensfundus mit west-deutscher Brille

Vietnam, Deutschland, Beziehungen

Die Cap Anamur des Hilfskomitees Ein Schiff für Vietnam brachte ab 1979 vietnamesische Geflüchtete, die so genannten ‚Boat People‘, nach West-Deutschland. © Edeltraud Miller-Pfeil, alle Rechte vorbehalten

Vietnam/Deutschland: „Geteiltes Land, geteiltes Leid“ von Andreas Margara ist ein gelungener Überblick über die Beziehungen Vietnams zu DDR und BRD seit 1945. Aktuelle Debatten fehlen dem Buch jedoch.

Der Historiker Andreas Margara beschreibt in Geteiltes Land, geteiltes Leid – Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen von 1945 bis zur Gegenwart, wie die Vietnampolitik der beiden Deutschlands ihre Beziehung zueinander beeinflusst hat, welche Unterschiede es gab und wie sich diese bis heute auswirken.

Zuerst gibt der Autor eine Übersicht der Forschung zu deutsch-vietnamesischen Beziehungen und legt seine Quellen dar. Er analysiert die diplomatischen Beziehungen anhand von institutionellen Quellen, Medienberichten und persönlichen Erinnerungen sowie aus Interviews mit Zeitzeug*innen. Er beleuchtet somit Schlüsselereignisse auf systemischer und individueller Ebene.

Symbolischer Schauplatz des Kalten Krieges

Deutschland, Vietnam, Beziehungen

Titelbilder der in der DDR publizierten Wochenzeitschrift Neue Berliner Illustrierte (NBI) aus den Jahren 1955 und 1973. © Andreas Margara

Die darauf folgenden Kapitel konzentrieren sich auf bekannte und weniger bekannte Ereignisse der deutsch-vietnamesischen Beziehungen. Margara beginnt die historische Zeitlinie mit der Geschichte der westdeutschen Soldaten, die in der Fremdenlegion für die französischen Armee und den Erhalt der Kolonie kämpften und teilweise auf die vietnamesische Seite überliefen. In Bezug auf die DDR beginnt Margara mit deren Rolle im Indochinakrieg. In einem weiteren Kapitel betrachtet der Autor die Haltungen der beiden deutschen Staaten im amerikanischen Krieg in Vietnam, was sowohl die staatlichen Positionen als auch die Reaktionen in der jeweiligen Bevölkerung beinhaltet.

Im Vordergrund für West-Deutschland stehen die humanitäre Hilfe, die 68er-Bewegung und die Frage der militärischen Beteiligung West-Deutschlands unter anderem durch die Produktion des Giftgases Agent Orange.

Dem gegenüber steht die Solidaritätspolitik der DDR mit Nordvietnam, die beginnende Ausbildungsmigration in die DDR und die Beziehung als ‚Waffenbrüder’ der beiden sozialistischen Staaten. Dabei wird deutlich, dass Vietnam zum symbolischen Schauplatz des Kalten Krieges im deutsch-deutschen Wettbewerb der Systeme wurde. Im Buch treffen bekannte Geschichten wie der Studierendenprotest um Rudi Dutschke auf unterbeleuchtete Aspekte, wie das Schicksal von humanitären Helfer*innen des Deutschen Roten Kreuzes und der Malteser in Vietnam.

‚Boat-People‘ und Vertragsarbeiter

Deutschland, Vietnam, Beziehungen

Briefmarken aus der in der DDR veröffentlichten Serie Unbesiegbares Vietnam. © Andreas Margara

Der dritte Teil des Buches widmet sich der Geschichte der Migration von Vietnam nach Deutschland zwischen 1973 und 1989. Margara geht hier zum Beispiel auf die Geschichte der ‚Boat People’ in West-Deutschland und der Vertragsarbeiter*innen in der DDR ein. Zusätzlich beschreibt er die Hilfspolitik der DDR, durch die die Stadt Vinh wieder aufgebaut und der Kaffeeanbau in Vietnam gefördert wurde. Im Kapitel zur Migration nach Westdeutschland zieht Margara Parallelen zur aktuellen deutschen Migrationspolitik und arbeitet interessante Unterschiede heraus. Dazu zählt beispielsweise die Pro-Migration-Haltung der CDU, die damals vietnamesische Migrant*innen aktiv unterstützte, da sie diese Migration als anti-kommunistische Maßnahme betrachtete.

Das Buch schließt mit einem kurzen vierten Teil zu den deutsch-vietnamesischen Beziehungen nach dem Mauerfall und zur neuen Generation Vietdeutscher.

Gelungene Zusammenstellung mit Lücken

Durch die Mischung der Quellen gelingt es dem Autor, institutionelle Standpunkte mit persönlichen Erlebnissen zusammenzubringen und auf diese Weise Geschichte lebendig zu erzählen. Sehr bekannte Ereignisse werden verflochten mit kaum bekannten, unter anderem die Geschichte der einzigen Frau, die in Kriegsgefangenschaft im berüchtigten Hanoi Hilton-Gefängnis der kommunistischen Kräfte saß.

Deutschland, Vietnam, Beziehungen

Cover des Buches Geteiltes Land – geteiltes Leid. © regiospectra Verlag

Leider wird im Buch die Befangenheit des Autors weder eingeordnet noch reflektiert. Jede*r Autor*in schreibt mit persönlicher Voreingenommenheit – dies darzulegen ist wichtig und fehlt dem Buch. Dass der Autor westdeutsch sozialisiert ist und aus einer weißen Perspektive schreibt, wird an einigen Stellen deutlich. So benennt er den Rassismus gegenüber Vietnames*innen und Vietdeutschen nicht als solchen, sondern spricht von „Fremdenfeindlichkeit“ und „Exotisierung“. Damit fehlt eine wichtige Einordnung in aktuelle sozialwissenschaftliche Debatten. Auch erwähnt Margara die Morde an Do Anh Lan und an Nguyen Ngoc Chau nicht, die 1980 als erste rassistische Morde in die westdeutsche Geschichte eingingen und bis heute das Leben vieler Vietnames*innen in Deutschland und Vietdeutscher prägen.

Das Buch hätte noch inklusiver und interessanter werden können, wenn der Autor nicht nur Quellen aus deutschen Institutionen genutzt, sondern auch vietnamesische einbezogen hätte. Bei den Interviews mit Zeitzeug*innen hat er die vietnamesische Perspektive im Ansatz einbezogen. Generell hätte sie aber stärker zu Wort kommen können. Wie sich die westdeutsche Prägung des Autors auf seine Einordnung und Auswertung der Quellen auswirkt, wird durch mehrere Formulierungen deutlich. So zum Beispiel als Margara ausschließlich die DDR für „theologische Geschichtspolitik und selbstlegimatorische Zwecke“ kritisiert – die es aber ebenfalls in Westdeutschland gab.

Geteiltes Land – geteiltes Leid ist ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der deutsch-vietnamesischen Beziehungen und ein Novum in der deutschsprachigen Literatur. Dem Buch gelingt es, wichtige historische Ereignisse aus persönlichen und offiziellen Quellen zu erzählen. Allerdings fehlt dem Buch eine klare Positionierung: Der Autor hätte seinen Standpunkt und seine Auswahl der Beispiele und Menschen, die im Buch zu Wort kommen, einleiten können. Somit könnten Leser*innen besser verstehen, warum und wie der Autor historische Ereignisse wertet – und welche Leerstellen es im Buch gibt.

Rezension zu: Andreas Margara. Geteiltes Land, geteiltes Leid – Geschichte der deutsch-vietnamesischen Beziehungen von 1945 bis zur Gegenwart. regiospectra Verlag 2022. 320 Seiten

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