1 | 2023

Wirtschaftswachstum um jeden Preis?

Der Tamok-See in Phnom Penh © STT

Kambodscha: Die kapitalistische Wirtschaftsweise schadet Mensch und Umwelt. Mögliche Vorteile von Entwicklung werden durch negative Auswirkungen konterkariert.

Zwei Bildergeschichten zum gleichen Thema, die unterschiedlicher nicht sein könnten, wurden im November 2022 in zwei Zeitungen in Kambodscha porträtiert. Die Behörden von Phnom Penh wurden in der Zeitung Khmer Times für ihre Teilnahme an Reinigungsteams am Ufer des Flusses Tonle Sap gelobt, während die Stadt sich auf den ASEAN-Gipfel im Jahr 2022 vorbereitete. Einen Tag später berichtete The Guardian über Kinder aus den ’schwimmenden Dörfern‘ in Tonlé Sap, einem See im Westen Kambodschas. Die Kinder sammeln auf ihrem Schulweg Müll, um die Umwelt zu schützen. Diese Bildergeschichten zeigen zwei Seiten einer traurigen und dramatischen Realität: Dem Bestreben der Regierung, Kambodscha bis zum Jahr 2030 zu einem „middle income country“ zu machen, stehen die Folgen einer nicht nachhaltigen Entwicklung gegenüber, die von der Zerstörung der Umwelt gekennzeichnet ist.

Schlagzeile der Khmer Times mit einem Reinigungsteam am Phnom Penh Fluss, Foto © Khmer Times, alle Rechte vorbehalten / Schlagzeile des Guardian mit Kindern, die auf ihrem Schulweg auf dem Tonlé Sap Müll sammeln, Foto © Linh Pham / The Guardian, alle Rechte vorbehalten

Nachhaltigkeitsziele sind Lippenbekenntnisse

Kambodschas Volkswirtschaft hat eine der höchsten Wachstumsraten weltweit. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist höher als in anderen asiatischen Ländern. Die Armutsrate hat sich verringert. Gleichzeitig ist Kambodscha auch eines der am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder Asiens. Die Wirtschaft ist auf vulnerable Sektoren wie Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Tourismus angewiesen, um die Bevölkerung zu ernähren. Die Mehrheit der kambodschanischen Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen und ist auf Ackerbau und Fischerei angewiesen.

Fischer*innen sind auf die Wasserflächen angewiesen © STT

Die beeindruckende Wirtschaftsentwicklung Kambodschas ist zwar ein Erfolg, hat jedoch Schattenseiten. Sie ist hauptsächlich durch chinesische Investitionen finanziert, die große Infrastrukturprojekte, Agrarindustrie, Immobilien- und Fertigungsindustrien vorantreiben und die Umwelt und die Sozialstruktur schädigen. Die Regierung setzt weiterhin auf die Steigerung ausländischer Direktinvestitionen. Langfristige Nachhaltigkeitsziele sind in zahlreichen Regierungsplänen und Strategien lediglich Lippenbekenntnisse. Durch privatwirtschaftliche Entwicklungsvorhaben kommt es zu fehlgeleiteten Investitionen, zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Enteignungen und Vertreibungen von Familien.

In März 2014 berichtete das FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk (FIAN), dass nach Schätzung kambodschanischer Menschenrechtsorganisationen über eine halbe Million Menschen von Landkonflikten betroffen waren. Die folgenden Beispiele beleuchten diese Konflikte.

Illegale Abholzung der Regenwälder

Kambodscha hat in den letzten Jahrzehnten eine der höchsten Entwaldungsraten weltweit erlebt. Seit 2011 ist der Baumbestand um rund 64 Prozent geschrumpft. Die Regenwälder von Prey Lang und Prey Preah Roka sind von Entwaldung besonders betroffen. Die illegale Abholzung der Regenwälder gefährdet nicht nur die biologische Vielfalt und das Klima, sondern untergräbt auch die Menschenrechte der indigenen Bevölkerung und bedroht ihre Lebensgrundlagen.

Auffüllung des Boengkak-Sees für Bauprojekte. © Miguel Jeronimo, alle Rechte vorbehalten

Die indigene Bevölkerung hat eine enge Verbindung zu den Waldgebieten, von denen ihr Lebensunterhalt und ihre kulturellen Praktiken abhängen. Ihre Landansprüche sind zwar gesetzlich verankert, widersprechen dennoch häufig den Interessen von Unternehmen, die sich in der Regel mit staatlicher Unterstützung durchsetzen. Indigene Interessen werden nicht berücksichtigt und ihre Stimme selten gehört.

Bis 2013 wurden schätzungsweise 2,6 Millionen Hektar Land, in die Hände von agroindustriellen Unternehmen für die Produktion und den Export von Rohstoffen wie Kautschuk, Zuckerrohr Zellstoff und Papier übertragen.

Zerstörerische städtische Entwicklung

Der Bauboom in Phnom Penh führt zu Enteignungen, Vertreibungen und Rechtsverletzungen. Laut der Landrechte-Organisation Sahmakum Teang Tnaut (STT) sind hunderte von Familien am Ufer des Tamok-See, dem größten noch verbliebene Süßwassersee der kambodschanischen Hauptstadt, von Vertreibung bedroht. Im vergangenen Jahr wurde der See an Regierungsstellen, Bauunternehmer und Investoren vergeben.

Ein weiteres Negativbeispiel ist der neue internationale Flughafen in Phnom Penh. Die Bauarbeiten für den Flughafen begannen 2019 und er soll 2025 fertiggestellt werden. Wegen des Baus und der damit einhergegangenen Vertreibung kämpfen kambodschanische Familien und Landrechtsaktivist*innen immer noch um Anerkennung und Entschädigung durch die Regierung.

Luft- und Wasserverschmutzung, Lärmbelästigung und umweltschädliche Abfälle

Kambodschas wirtschaftliche Entwicklung hat erhebliche Umweltprobleme durch Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Lärmbelästigung und Abfälle verursacht. Wie in anderen ‚Entwicklungsländern‘ entsteht durch die Industrialisierung mehr Müll. Dessen Entsorgung stellt ein Risiko für die Umwelt dar. Der Zugang zu sauberem Wasser ist aufgrund von defizitären Sanierungsanlagen ebenfalls eine Herausforderung, besonders für die Mehrheit der Bevölkerung in ländlichen Gebieten. Sie haben deutlich weniger Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen.

Zivilgesellschaftliches Engagement als Alternative zur wirtschaftlichen Entwicklungsfalle

Die Bürger*innen sind nicht passiv gegenüber den menschen- und umweltfeindlichen Folgen der unersättlichen privatwirtschaftlichen Entwicklung. Zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich dafür ein, das öffentliche und politische Bewusstsein für den Klimawandel zu stärken und die Ansprüche auf Zugang zu Land und den Erhalt der Lebensgrundlagen einzuklagen.

Blick auf Phnom Penh von einer Sandbaggerplattform im Mekong aus gesehen © Miguel Jeronimo, alle Rechte vorbehalten

Vor allem Frauen aus armen, ländlichen und abgelegenen Gebieten machen sich in Kambodscha als Verteidiger*innen ihrer Rechte auf Land und Leben stark – und riskieren damit ihre Freiheit. Sie organisieren sich in Netzwerken, um ihre Anliegen gemeinsam und mit einer Stimme zu vertreten. Zivilgesellschaftliche themenbezogene Koalitionen agieren häufig durch gemeinsame Petitionen und Erklärungen. Die Bewohner*innen am Ufer des Tamok-Sees organisieren sich, um ihre Häuser so lange wie möglich zu behalten. Frauen führen die meisten Proteste an, marschieren entlang der schrumpfenden Uferlinie des Sees und stellen sich sogar gegen Bulldozern entgegen, die sich ihrem Straßenabschnitt nähern. Teilweise werden auf Facebook ihre Aktivitäten live dokumentiert. Sie erregen auch die Aufmerksamkeit der Medien und der internationalen Gemeinschaft.

Jugendliche organisieren sich online, um für ihre Rechte und Anliegen einzustehen. Soziale Medien (insbesondere Facebook) sind in Kambodscha ein Mittel zur Sensibilisierung, Interessenvertretung und psychologischen Unterstützung.

Nichtregierungsorganisationen (NROs) unterstützen die betroffenen Gemeinschaften dabei, ihre Kapazitäten zu stärken, insbesondere ihr Rechtsbewusstsein. Zusätzlich bieten sie ihnen rechtlichen Beistand bei der Durchsetzung ihrer Landrechte. Durch die Entwicklung von Kompetenzen und Fähigkeiten werden sie in die Lage versetzt, eigenständig Aktivitäten im Bereich von Umweltschutz und Klimaschutz durchzuführen und übernehmen auch die Verantwortung dafür.

Zwei unterschiedliche Erzählungen einer Geschichte

Karte des Tamok-Sees (Stand April 2023). Rot hinterlegt sind die vom See abgetrennten Gebiete. © STT

Für die Behörden in Phnom Penh ist es wichtig, dass der Tonle Sap Fluss gereinigt wird. Ein sanierter Fluss soll die Mächtigen der Weltgemeinschaft begeistern und kurzfristig die zerstörenden Effekte einer fehlgesteuerten Entwicklung verstecken. Davon hängt möglicherweise auch die Bereitschaft von Investoren ab, finanzielle Mittel in den kambodschanischen Wirtschaftskreislauf zugeben. Investitionen, die für die Befriedigung privater wirtschaftlicher Interessen eingesetzt werden.

Für die Kinder, die in einem ’schwimmenden Dorf‘ auf dem Tonlé Sap See leben und tagtäglich mit dem Boot zur Schule fahren, ist die Klimakrise eine sehr reale Bedrohung für ihre Bildung und Zukunft. Die häufigeren Stürme auf dem See machen den Schulweg zu einem Risikofaktor und die zunehmende Hitze in der Trockenzeit macht es den Schüler*innen schwer, sich fortzubewegen. Deshalb fahren sie mit dem Boot durch ihre Dörfer, um ein Bewusstsein für die Natur zu schaffen und sich für eine nachhaltige Welt einzusetzen.

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Die Autorin

Paula Assubuji ist seit 1997 in unterschiedlichen Positionen für die Heinrich-Böll-Stiftung tätig. Derzeit leitet sie das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Phnom Penh, Kambodscha. Sie hat ihr Studium als Diplom-Volkswirtin in Hamburg abgeschlossen und ihr Fachwissen über sozioökonomische Fragen durch jahrelange Arbeit im Entwicklungssektor im südlichen Afrika und in Europa erweitert. Sie ist überzeugte Feministin und hat eine langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Basisorganisationen und gemeinschaftsorientierten Projekten.

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Paula Assubuji

Paula ist seit 1997 in unterschiedlichen Positionen für die Heinrich-Böll-Stiftung tätig. Derzeit leitet sie das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Phnom Penh, Kambodscha. Paula hat ihr Studium als Diplom-Volkswirtin in Hamburg abgeschlossen und ihr Fachwissen über sozioökonomische Fragen durch jahrelange Arbeit im Entwicklungssektor im südlichen Afrika und in Europa erweitert. Sie ist überzeugte Feministin und hat eine langjährige Erfahrung in der Arbeit mit Basisorganisationen und gemeinschaftsorientierten Projekten.

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