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Wir müssen reden! Kunst, Fehler und Politik auf der documenta fifteen
Indonesien/Deutschland: Zwei antisemitische Karikaturen im Großbanner People’s Justice des indonesischen Kollektivs Taring Padi wurden zum vielleicht größten Skandal in der Geschichte der documenta. Wie es dazu kommen konnte und warum ein Dialog weiterhin so wichtig ist.
Konflikt, Enttäuschung und Angst folgten auf die Eröffnung der großen, alle fünf Jahre stattfindenden Kunstausstellung documenta am 18. Juni in Kassel: Grund waren Antisemitismusvorwürfe gegen das teilnehmende Künstlerkollektiv Taring Padi und – nicht zum ersten Mal – gegen die Künstlerische Leitung, das indonesische Kollektiv ruangrupa. Beide Gruppen weisen die Vorwürfe zurück und haben sich dafür entschuldigt, dass sie die beleidigende Natur zweier Figuren innerhalb des riesigen und dicht bemalten Banners The People’s Justice nicht erkannt hätten. Nachdem das Werk zunächst in schwarzes Tuch gehüllt worden war, wurde es nun abgehängt.
Die Folgen waren schwerwiegend und die Reaktionen schrill und emotional, sowohl in Deutschland als auch in Israel. Auf Twitter beschimpfte die israelische Botschaft das Kunstwerk als „Goebbels-Propaganda alten Stils“, während die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth erklärte, sie sei vom documenta-Management und den Kuratoren „enttäuscht“ worden. Diese hätten sich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Antisemitismus keinen Platz auf der Ausstellung habe. In Indonesien und anderswo hat der Vorfall und insbesondere die Reaktion der Behörden die Paranoia über zionistische Verschwörungen neu entfacht und das wachsende Gefühl geschürt, dass die Organisatoren konservativen, fremdenfeindlichen Kräften verpflichtet seien, die kein Interesse an einem konstruktiven Dialog hätten und diesen aktiv unterdrückten.
Partnerschaftliche Modelle gegen heutige Verletzungen
Als 2019 seine Wahl als Künstlerische Leitung der documenta fifteen bekannt gegeben wurde, verwies das Künstlerkollektiv ruangrupa auf die Ursprünge des Festivals: „Wenn die documenta 1955 antrat, um Wunden des Krieges zu heilen, warum sollten wir nicht versuchen, mit der documenta fifteen das Augenmerk auf heutige Verletzungen zu richten? Insbesondere solche, die ihren Ausgang im Kolonialismus, im Kapitalismus oder in patriarchalen Strukturen haben. Diesen möchten wir partnerschaftliche Modelle gegenüberstellen, die eine andere Sicht auf die Welt ermöglichen.“ Unter Einbeziehung von Kollektiven aus der ganzen Welt und insbesondere der vom Kolonialismus betroffenen Gesellschaften schlug ruangrupa einen kuratorischen Rahmen vor, den sie lumbung nannten – ein Begriff, der im Indonesischen eine kommunale Reisscheune bezeichnet.
Dieser Ansatz zielt darauf, horizontal, kooperativ, gemeinschaftsorientiert, inklusiv und experimentell zu arbeiten. Seit Anfang 2022 jedoch erregte die Einladung des palästinensischen Künstlerkollektivs The Question of Funding sowie des Khalil Sakakini Cultural Center die Aufmerksamkeit eines Blogs, der die Künstlerische Leitung des Antisemitismus beschuldigte, begründet durch die Einbeziehung „anti-israelischer Aktivisten“. Diese Anschuldigungen wurden widerlegt, aber dennoch in den Mainstream-Medien wiederholt. Die Mitglieder von ruangrupa bezeichneten dies als „rassistische Verleumdungen“ und bekräftigten ihr Bekenntnis zu den Grundsätzen der Meinungsfreiheit, aber auch „die entschiedene Ablehnung von Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form von gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits“.
Es besteht kein Zweifel, dass Teile von The People’s Justice auf antisemitische Vorbilder zurückgreifen. Inmitten der Bilder von Skeletten, Waffen, Soldaten und Spionen der wichtigsten geopolitischen Akteure des Kalten Krieges und ihrer Opfer – womit die globalisierte Militärmaschinerie kritisiert werden soll, die tatsächlich das Massaker an Hunderttausenden Indonesiern in den „antikommunistischen“ Säuberungen von 1965 unterstützte – steht eine Figur mit Schläfenlocken und einem für orthodoxe Juden typischen Hut, die neben diesen stereotypen Attributen außerdem rote Augen und spitze Zähne hat und schlimmer noch (und vielleicht bezeichnend anachronistisch) die SS-Insigne auf ihrem Hut trägt.
Lumbung als Ausgangspunkt
„Als konkrete Praxis“, schreibt ruangrupa auf der Website der documenta fifteen, „ist lumbung der Ausgangspunkt der documenta fifteen: Grundsätze von Kollektivität, Ressourcenaufbau und gerechter Verteilung stehen im Mittelpunkt der kuratorischen Arbeit und prägen den gesamten Prozess – die Struktur, das Selbstverständnis und das Erscheinungsbild der documenta fifteen.“
Die Künstler wurden in kollaborativen Mini-Majelis (Räten) von etwa einem halben Dutzend Künstlern und Kollektiven zusammengefasst, die sich in den Monaten vor der eigentlichen Ausstellung regelmäßig (virtuell) trafen, um ihre jeweilige Arbeit und die Verteilung des gemeinsamen Fördertopfes zu besprechen, der ihnen zugeteilt wurde. Größere majelis akbar oder Plenarsitzungen wurden alle paar Monate abgehalten und dienten als Forum, auf dem jedes Mini-Majelis Bericht erstattete. Laut Christina Schott wurden Künstler innerhalb des Mini-Majelis, zu denen Taring Padi gehört, mit der plötzlichen Erwartung konfrontiert, Entscheidungen über Angelegenheiten zu treffen, von denen sie keine Ahnung hatten. Schott zitiert Setu Legi von Taring Padi mit den Worten: „Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich. Aber was mir an dem System gefällt, ist, dass niemand zurückgelassen wird, während andere zum Highlight werden, einfach weil sie die besseren Ressourcen haben.“
Dieser gemeinschaftliche Ansatz ist typisch für landwirtschaftliche und sogar städtische Gemeinschaften in Indonesien, wo das Kollektiv eine übliche Form der sozialen Organisation und oft auch der sozialen Kontrolle ist. Sie bildet eine schützende Blase, die manchmal zu abgeschotteten Perspektiven und Naivität gegenüber einem weiteren Kontext führen kann – seien es die Erfahrungen derjenigen außerhalb der Blase oder der des sozialen Milieus, in dem sie sich befindet. In unserem Gespräch mit Taring Padi wenige Tage nach dem Abbau ihres Banners können sie sich nicht an Diskussionen über die Empfindlichkeiten der Repräsentationspolitik in Deutschland erinnern oder den spezifischen historischen Kontext, der dazu geführt hat – weder innerhalb ihres Mini-Majelis noch in größeren Sitzungen. Dies scheint im Widerspruch zu stehen zu den früheren Verpflichtungen der Künstlerischen Leitung, sicherzustellen, dass solche Gefühle nicht entstehen würden. Grundlegende interkulturelle Sensibilitäten hätten ein Diskussionspunkt sein müssen, insbesondere angesichts der akuten Bedrohung durch rassistische Gewalt, die offensichtlich wurde, als im Mai Vandalen in den Raum von Question of Funding eindrangen.
Direkter Kontakt zum Publikum
Der experimentelle lumbung-Rahmen verkündet bewundernswert horizontale, egalitäre Werte und bricht die institutionellen Hierarchien auf, die den Weg dafür bereitet haben, dass Kunstveranstaltungen auf der ganzen Welt von Banalität, elitären Interessen und leerem Spektakel gekapert wurden. Das Konzept ermöglicht Künstlern, ihre Arbeit direkt mit dem Publikum in Kontakt zu bringen und sich miteinander zu verbinden. Kunstwerke werden nicht länger durch die Linse einer kuratorischen Thematik und Speicher der Selektivität gefiltert, und Bezugsformen werden nicht von Fachleuten öffentlicher Programme diktiert.
Jedoch sind diese großartigen Errungenschaften mit einem großen Risiko verbunden. Kulturinstitutionen haben notorisch Angst vor Risiken, wobei ihre wichtigste Motivation darin besteht, ihre Reputation nicht zu schädigen. Ein Nebeneffekt dieser Aversion gegen jegliches Risiko von Rufschädigung ist, dass kontextuelle und kulturelle Empfindlichkeiten normalerweise vorab geklärt werden und eine sichere Umgebung für Publikum, Künstler und Kunstwerke Vorrang hat. All dies wird durch eine Verantwortungshierarchie erreicht, die letztendlich voraussetzt, dass die Institution gegenüber all ihren Interessengruppen eine Sorgfaltspflicht hat. Künstler stehen am unteren Ende dieser institutionellen Hierarchie, doch auch wenn sie die größte Sichtbarkeit haben, sind sie dadurch einigermaßen geschützt. Es ist ein Paradoxon, das ebenfalls eine genaue Untersuchung verdient – experimentelle Methoden wie lumbung sorgen dafür.
Obwohl dies kein ungewöhnlicher Ansatz für die kreative und kuratorische Praxis in Indonesien ist, scheint das lumbung-Rahmenwerk keinen angemessenen Mechanismus gefunden zu haben, um Risiken und Verantwortung zu vermitteln, die angesichts der erhöhten Spannung von Deutschlands eigener Auseinandersetzung mit der heutigen Islamophobie und den historischen Belastungen des Holocaust existieren. Während dieser Kontext eine besondere Sensibilität erzeugt, wird jeder Kontext, der Künstlern und Kuratoren unbekannt ist, dasselbe tun. Repräsentationspolitik und die damit verbundenen Tabus existieren überall in unterschiedlichen Formen. Wer ist dafür verantwortlich, dass diese verstanden und in alternative Modelle des Wissensaustauschs integriert werden, wenn sie in einen neuen Kontext importiert werden?
Hegemonialen Diskurs berücksichtigen
Es müssen auch wichtige Fragen dazu gestellt werden, wie visuelle Darstellungen in diesem Rahmen berücksichtigt werden sollten. Der Fokus auf Prozess, Konzept und Dialog ist von größter Bedeutung, um Kunstveranstaltungen für vielfältigere und pluralistischere Stimmen zu öffnen und die Erfahrungen derer offenzulegen, die im hegemonialen sozialen Diskurs nicht berücksichtigt werden. Dennoch ist es eine Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der bildenden Kunst repräsentative Darstellungen und sinnliche Erfahrungen beinhaltet, die Zuschauer subjektiv aufnehmen. Kritische Diskussionen über Darstellung, Repräsentation und Macht sollten immer Teil der Ausstellungsvorbereitungen sein, sowohl um Risiken zu managen als auch um sicherzustellen, dass die Werke gegen eine Vielzahl potenzieller Interpretationen getestet werden. Künstler verdienen nicht weniger als die Möglichkeit sicherzustellen, dass ihre Kunstwerke ihre Position nicht unbeabsichtigt falsch darstellen.
In unserem Interview mit Taring Padi waren die Künstler sehr bemüht zu betonen, dass sie weder ruangrupa noch das lumbung-Framework für die Kette von Ereignissen verantwortlich machen, die dazu geführt hat, dass ihr Banner trotz der umstrittenen Bilder gezeigt wurde. Sie entschuldigen sich weiterhin für den verursachten Fehler, bestehen aber darauf, dass es unbeabsichtigt war – sowohl in Bezug auf die ursprünglichen Präsentation des Bildes beim ebenfalls umstrittenen Adelaide Art Festival 2002 als auch bei dem Versäumnis, die potenziell Aufruhr verursachende Rezeption in Deutschland 20 Jahre später zu identifizieren.
Was auch immer die Schwächen des lumbung-Ansatzes sein mögen: Die offene Plattform hat möglich gemacht, dass Taring Padi trotz allem eine Welle der Unterstützung von Besuchern der documenta fifteen und Einwohnern von Kassel erfahren hat, die ihnen Geschenke, Essen, Zuneigung und Solidarität gebracht haben. Mitglieder der Gruppe erzählten uns, dass ein Besucher darauf bestand, viele der ausgestellten Werke mit ihnen einzeln durchzugehen, um nach weiteren Bildern zu suchen, die Anstoß erregen könnten, und ihren Erklärungen offen zuhörte, wann immer Fragen aufkamen. Auf diese Weise kann lumbung es auch ermöglichen, den Dialog außerhalb des institutionellen und medialen Rahmens fortzusetzen, der darauf bedacht zu sein scheint, eine nuancierte Diskussion über das Geschehene zu ersticken. Zumindest diese Geselligkeit bedeutet für Taring Padi vertrautes Terrain, ob in Deutschland, Indonesien oder anderswo.
Kollektiver Zugang zur Kunst ist entscheidend
Taring Padis eigener geselliger, kollektiver Zugang zur Kunst ist entscheidend, um zu verstehen, warum es keine einfachen Antworten auf die Frage gibt, wie das anstößige Bild überhaupt auf das Banner gelangen konnte. Taring Padi hat nicht nur viele Mitglieder, die am kreativen Prozess beteiligt sind, sondern lädt auch oft Nichtmitglieder wie zum Beispiel Workshop-Teilnehmer ein, an neuen Werken mitzuarbeiten. Groß angelegte Arbeiten werden zwar in Diskussionen, Notizen und Skizzen geplant und die Arbeitsteilung koordiniert (wenn auch nicht immer strikt durchgesetzt). Es ist jedoch ein Prozess, der bewusst auf Autorenschaft verzichtet – Werke werden nicht von Einzelpersonen signiert, sondern mit dem unverwechselbaren Logo des Kollektivs versehen. Wie Bambang Agung in Taring Padi: Seni Membongkar Tirani (Kunst zerstört Tyrannei) schrieb: „Kollektive Kunstwerke sind mit anderen Worten eine Kritik an der Vergegenständlichung von Kunst und der fortschreitenden Kommerzialisierung ihrer Künstler.“
Die Bilder, die durch diesen Prozess entstehen, stammen definitiv aus einer Vielzahl von Quellen und sind mit linken Ideologien verbunden, die von dem von Natur aus strukturlosen Kollektiv angenommen werden. Sie setzen Karikatur und Humor ein und teilen diese visuelle Strategie mit vielen indonesischen Künstlern, darunter Apotik Komik, Heri Dono und Eddie Hara. Ihr direkter Gesamtansatz ist darauf ausgerichtet, eine politische Botschaft zu übermitteln. Ihre Holzschnitte, die auf billigem braunem Papier gedruckt und oft einfach an Wände geklebt oder über soziale Netzwerke verbreitet werden, weisen oft eine Bildsprache auf, die den sozialen Realismus von Käthe Kollwitz widerspiegelt. Ihre Wandbilder teilen die kompositorischen Strategien mexikanischer Wandmaler wie Diego Rivera – kurz gesagt: Ihre visuellen Einflüsse sind ebenfalls politisch. Das Kollektiv verfolgt zudem eine Strategie der Reduktion, in der Figuren als (Stereo-)“Typen“ (Bauer, Frau, Politiker, Prediger) dargestellt werden. Die Anthropomorphisierung von Schweinen und Hunden zu Ableitungsfiguren spiegelt die kulturellen und sprachlichen Einstellungen zu diesen Tieren auf Java und teils auch im globalen Sprachgebrauch wider (kapitalistische Schweine, Wachhunde usw.). In diesem gesellschaftlichen Kontext dürfte die Darstellung jüdischer Figuren mit Fangzähnen und blutroten Augen entstanden sein. Im mehrheitlich muslimischen Indonesien, wo pro-palästinensische Einstellungen normativ sind, würde angesichts solcher Bilder kaum jemand eine Augenbraue hochziehen. Aber wie die documenta fifteen gezeigt hat, ist es eine andere Geschichte, wenn die Arbeit in dem Land ausgestellt wird, das für den Holocaust verantwortlich ist.
Wut politisierter Kunststudenten
Dennoch ist die Frage nach dem sozialen Kontext umstritten. Über das demontierte Werk sagt Taring Padi: „Das Banner People’s Justice wurde vor fast zwanzig Jahren gemalt und drückt unsere Enttäuschung, Frustration und Wut als politisierte Kunststudenten aus, die viele ihrer Freunde in den Straßenkämpfen des Volksaufstands 1998, der schließlich zum Rücktritt des Diktators führte, verloren haben.“ Darüber hinaus stützte sich der Inhalt auf die damals aufkommenden Erkenntnisse, die die Komplizenschaft der westlichen Demokratien in Bezug auf die systematische Verschärfung der politischen und sozialen Instabilität in Indonesien in den 1960er Jahren offenlegte. Deren Ziel war es, die indonesische Kommunistische Partei und den amtierenden Präsidenten, der mit dieser sympathisierte, zu Fall zu bringen. Diese Spannungen führten 1965-66 zu einem Massaker an mindestens einer halben Million Bürgern, der Inhaftierung von vielen weiteren ohne Gerichtsverfahren und der Einsetzung des autoritären Militärregimes der Neuen Ordnung. Das umstrittene Banner von Taring Padi zeigt den Mossad ausdrücklich als Unterstützer der Neuen Ordnung – eine Tatsache, die durch Dokumente der israelischen Außenpolitik bestätigt wird, die in den Staatsarchiven entsiegelt wurden.
Doch während ein Verweis auf den Geheimdienst des modernen Israels als legitime Kritik an Israels Rolle in der Politik des Kalten Krieges angesehen werden kann, ist das andere Bild, das den Zorn deutscher und israelischer Kommentatoren auf sich gezogen hat, schwieriger zu fassen. Die Darstellung einer Figur mit seitlich geschlossenem Anzug bezieht sich eindeutig auf die Art antisemitischer Propaganda, die in Europa seit langem weit verbreitet ist. Für diejenigen, die durch Bildung und sozialen Kontext gelernt haben, solche Bilder als spezifischen Ausdruck von Hass kritisch zu bewerten, ist der Hinweis eindeutig und offensichtlich. Für Künstler, die in einen anderen sozialen Kontext eingebettet sind, mag es weniger offensichtlich sein. Angesichts der Tatsache, dass Taring Padi seit langem dafür bekannt ist, Werte religiöser Toleranz und Menschlichkeit zu vertreten, ist es daher wichtig zu fragen, wie ein solches Bild in ihrer Arbeit erscheinen konnte.
Antisemitische Gefühle weit verbreitet
Als Staat mit einer der größten muslimischen Bevölkerungsgruppen der Welt unterhält Indonesien keine diplomatischen Beziehungen zu Israel. Antisemitische Gefühle lassen sich auf Kolonialbeamte und europäische Reisende im 19. Jahrhundert zurückführen, die europäische Stereotypen von Juden systematisch auf die lokale chinesische Bevölkerung in ganz Südostasien übertrugen. Verstärkt durch solche Hinterlassenschaften der Kolonialherrschaft, die zudem vielen Indonesiern eine Ausbildung zu kritischem Denken verweigern, sind antisemitische Gefühle leider ziemlich weit verbreitet. Im Jahr 2002, als die Welt nach dem 11. September von Islamophobie überschwemmt wurde, war die Reaktion auf die Ereignisse in den USA in Indonesien eine andere. Das Mitgefühl für die Opfer wich bald der Wut und der Angst, dass der Islam als Ganzes zum Sündenbock gemacht worden sei. Es war ein Wendepunkt, der bereits aktive Terrorgruppen ermutigt hat und unter anderem zum Bombenanschlag auf Bali im Oktober 2002 führte.
Eine erschreckende Dichotomie zwischen westlichen Imperialisten und dem Rest der Welt gewann an Bedeutung, und stereotype Bilder von Kapitalisten, Imperialisten und Zionisten wurden – und werden weiterhin – in bestimmten Kreisen unkritisch verbreitet. Es ist nicht unverständlich, dass in dieser Umgebung ein wenig verstandenes – oder tatsächlich völlig unerkanntes – Bild eines schändlichen Mannes im Anzug ein angemessenes Bild zu sein schien, um den Staat Israel zu repräsentieren, neben einem riesigen Schwein mit einem Uncle Sam-Hut und einem anderen Schwein das einen Peci (eine indonesische Kopfbedeckung) trägt. Die schrille und verwirrende Anwendung der SS-Runen vertieft die Schockwirkung des Bildes, wirft aber auch weitere Fragen auf: Was ist die Absicht des Bildes und wie informiert war sein Autor? Gab es wirkliches Verständnis der Symbolik oder wurde sie unkritisch der Masse von Bildern entlehnt, die in einem öffentlichen Diskurs kursierten, der Antisemitismus mit Antiimperialismus und Antikapitalismus vermengte?
Sicherheit der Künstler bedroht
Da gibt es viel zu entpacken und es ist ein Wunder, dass die Bildsprache in diesem Werk in der Vergangenheit bisher keine negativen Reaktionen anderer Publikumssegmente ausgelöst hat. Taring Padi räumt ein, dass ihre Herangehensweise „nachlässig und leichtsinnig“ gewesen sei. Diese Erfahrung, sagten sie uns, wird zu einem sorgfältigeren Umgang mit der Wirkung von Bildern führen. Leider wird die documenta fifteen den Künstlern nun kaum eine Plattform bieten, um zu erklären, wie eine solche sorgfältigere Herangehensweise aussehen könnte. Übertriebene Anschuldigungen, dass das Kunstwerk eine Nazi-Stimmung im Goebbels-Stil widerspiegele, haben extremistische, reaktionäre Reaktionen angeheizt und eine gefährliche Atmosphäre geschaffen, in der die Sicherheit der Künstler bedroht ist. Reaktionen von Institutionen und Staatsvertreten haben konstruktive Diskussionen verhindert, die Repräsentationspolitik aus unterschiedlichen Perspektiven kontextualisieren.
Es ist wichtig anzuerkennen, dass weitreichende Wissens- und Praxissysteme durch den Kolonialismus gewaltsam unterdrückt und verzerrt wurden und die Arbeit zur Behebung dieses Schadens gerade erst begonnen hat. Die documenta fifteen bietet uns mit ihren horizontalen Strategien und offenen Plattformen, so tückisch sie auch sein mögen, die Möglichkeit, an echten Gesprächen über unsere überkommenen Weisheiten, unsere kognitiven Vorurteile, unsere persönlichen Interessen und unsere privilegierten Positionen teilzunehmen. Diese Gespräche werden manchmal unbequem, verletzend und beleidigend sein. Das ist es, was eine reflektierende Demokratie von uns verlangt: einen unvermeidlich fehlerhaften Kampf um einen schwer fassbaren, sogar unmöglichen Konsens. Das Experimentieren mit der Rolle der Kunst in diesem Kampf und der Machtverteilung innerhalb der Kunstwelt ist ein bewundernswertes und ehrgeiziges Experiment, das momentan – unvollkommen – auf der ganzen Welt durchgeführt wird. Die documenta fifteen bringt einige dieser Experimente zu ihrem Publikum. Es ist eine Gelegenheit zum Dialog über einige der wichtigsten sozialen, politischen und menschenrechtlichen Herausforderungen unserer Zeit.
Die Autoren danken Taring Padi, dass sie sich bereit erklärt haben, für diesen Artikel interviewt zu werden, und Dirk Tomsa für seine Kommentare zu einem früheren Entwurf.
Übersetzung aus dem englischen von: Christina Schott
Dieser Artikel erschien zunächst im New Mandala und wurde für die südostasien redaktionell bearbeitet.
Dieser Text erscheint unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.