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„Wir müssen auf den Ressourcen von Gemeinschaften aufbauen“

Indonesien, Umweltschutz, Walhi

Die Aktionswoche für Umwelt 2023 fand vom 4. bis 5. Juni in Jakarta statt, auch Walhi beteiligte sich. © Walhi/Hermawan

Indonesiens Regierung setzt auch beim Klimaschutz auf Großinvestitionen – und auf Projekte, die häufig mit Umweltproblemen verbunden sind. Die lokale Bevölkerung bleibt dabei außen vor.

Indonesien ist mit seinen über 18.000 Inseln besonders vom Klimawandel betroffen. Gleichzeitig spielt das Land durch seine Regenwälder auch eine wichtige Rolle beim Kampf gegen den Klimawandel: Positiv, wenn diese Wälder erhalten, negativ, wenn sie abgeholzt werden. Ist sich die Bevölkerung der Klimakrise bewusst? Welche Maßnahmen ergreift die Regierung? Was machen Nichtregierungsorganisationen (NRO)? Die südostasien hat hierüber mit Puspa Dewy von Walhi (Wahana Lingkungan Hidup Indonesia, Indonesisches Umweltforum) gesprochen.

Klimabewegungen in Indonesien

Walhi ist der indonesische Ableger von Friends of the Earth und eine Dachorganisation mit über 400 Umweltgruppen, die auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene aktiv sind. In Indonesien gibt es viele weitere Gruppen und Organisationen, die sich für das Klima engagieren, wie zum Beispiel Jeda Iklim (Pause für Klima), Koalisi untuk Keadilan Iklim (Koalition für Klimagerechtigkeit) und das Indonesia Center for Environmental Law (ICEL).

südostasien: Welchen Stellenwert hat das Thema Klimawandel für die indonesische Regierung?

Unsere Interviewpartnerin:

© Privat

Puspa Dewy ist eine feministische Aktivistin aus Indonesien. Seit 2021 leitet sie bei Wahana Lingkungan Hidup Indonesia (Walhi) die Abteilung für Kampagnen und Umweltstudien. Diese umfassen Ressourcenabbau, Großplantagen, die Klimakrise sowie Menschenrechte in Indonesien und weltweit. Puspa Dewy setzt sich bereits seit über 15 Jahren für die Rechte von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen in Indonesien ein. Seit 2015 engagiert sie sich auch im Vorstand der Frauenorganisation Solidaritas Perempuan, derzeit im National Monitoring Board.

Puspa Dewy: In nationalen Kreisen wird über Klimawandel häufig diskutiert, weil das auch auf internationaler Ebene ein wichtiges Thema ist. Aber alles ist unserer Ansicht nach noch zu sehr auf die Diskursebene beschränkt. Man spricht halt in großen Worten über ein großes Thema.

Was passiert auf lokaler Ebene, wie sprechen die Kommunen darüber?

Hier liegt die Herausforderung. Die Kommunalverwaltungen haben noch nicht viel Einsicht und Verständnis für die damit verbundenen Probleme. Es bedarf daher noch großer Anstrengungen, damit die Kommunen sowohl Klimawandelfolgen als auch die indonesische Klimaschutzagenda verstehen.

Warum ist das so?

Die meisten Klimaschutzinitiativen finden auf nationaler Ebene statt. Klimaschutz wird von der Exekutive dominiert. Das heißt, die indonesische Regierung ist die treibende Kraft. Vom Parlament selbst, oder von den politischen Parteien, gibt es zu wenig Initiativen. So gab es beispielsweise seitens der politischen Parteien und des Parlaments keine eigenen Initiativen zum Klimaschutzgesetz.

Welche Perspektiven hat die Zivilgesellschaft? Welche Ansichten haben die Menschen zu Klimawandel und Klimagerechtigkeit?

Es gibt viele junge Leute, die sich dafür interessieren und sich damit beschäftigen. Die Herausforderung ist, dass viele Begriffe zum Klimawandel erklärt werden müssen. Denn die Diskussion auf internationaler Ebene ist zu wissenschaftlich und zu unkonkret. In der Zivilgesellschaft werden der Klimawandel und seine Folgen schon verstanden, aber, wie gesagt, alles ist sehr national ausgerichtet. Das Thema Klimagerechtigkeit kennen nur die wenigsten. Das wird eher international diskutiert.

Klimaschutzagenda

Die Klimaschutzagenda von Indonesien wird in den so genannten nationalen Klimabeiträgen (Nationally Determined Contributions, NDC) festgelegt. Indonesiens NDC beinhaltet das Emissionsreduktionsziel bis 2030 auf 31,89 Prozent (bedingungslose Reduzierung) und auf 43,2 Prozent (bedingt), verglichen mit einem Business-as-usual-Szenario (BAU). Diese Ziele wurden im Juli 2021 von der indonesischen Regierung festgelegt.
Bedingungslos will Indonesien seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zu einem BAU-Szenario um 915 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren, um im Jahr 2030 Emissionen von 1.953 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu erreichen. Unter bestimmten Bedingungen könnte das Land seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zu einem BAU-Szenario um 1.240 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren und im Jahr 2030 Emissionen von 1.632 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente erreichen. Die größten Reduzierungen werden sich auf die Sektoren Energie und Forstwirtschaft konzentrieren. Das langfristige Ziel ist, bis 2060 oder früher Netto-Null-Emissionen zu erreichen.

Hendra Pasuhuk

Welche Rolle spielen die Medien bei der Verbreitung von Informationen und im politischen Diskurs?

Die indonesischen Medien schenken der Klimakrise inzwischen mehr Aufmerksamkeit, aber eher ereignisbezogen. Wenn es zum Beispiel Katastrophen gibt, dann werden diese als Folgen des Klimawandels benannt, oder damit in Zusammenhang gebracht. Doch man sieht den Klimawandel eher als ein Naturphänomen, und nicht als ein von Menschen verursachtes Problem. Doch immer mehr Medienschaffende sehen den Klimawandel nicht nur als ‚News‘, sondern berichten umfassender. Doch die meisten Impulse kommen von zivilgesellschaftlichen Gruppen, sie machen Druck, berichten kritisch über lokale Missstände und informieren die Medien darüber.

Haben Unternehmen den Klimawandel als ein wichtiges Thema erkannt, das sich auf die Art und Weise auswirken wird, wie sie wirtschaften?

Indonesien, Umweltschutz, Walhi

Die Insel Pari kämpft gegen den ansteigenden Meeresspiegel. Betroffene haben mit Walhi und anderen NGO-Partnern eine Zivilklage gegen den Schweizer Konzern Holcim eingereicht. Teilnehmerin bei der Aktionswoche für Umwelt 2023. © Walhi/Hermawan

Tatsächlich gibt es Unternehmen, die über das Klima sprechen. Dabei geht es aber weniger um Klimapolitik oder die Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels, sondern vielmehr um Marketing und Werbezwecke. Auch in der internationalen Zusammenarbeit liegt ein Schwerpunkt auf der Förderung von Unternehmen bei Klimaschutzprojekten. Hierbei wird kein Fokus auf betroffene Gemeinden oder Gruppen gelegt. Es sind meistens Projekte wie Wiederaufforstung oder für Energie, jedoch oft ohne Mittel für betroffene Gemeinschaften. Dabei werden die Opfer des Klimawandels auf lokaler Ebene oft nicht unterstützt. Ihre Gemeinschaftsrechte (hak adat, Gewohnheitsrechte von Gemeinschaften) werden nicht berücksichtigt.

Eines der großen Themen in Sachen Klimaschutz ist die Energiewende von fossiler Energie zu nachhaltiger Energie. Wie sehen Konzepte der Energiewende in Indonesien aus?

Dies ist ein wichtiges Thema der Regierungspolitik. Da die Politik jedoch nicht die Interessen der Bevölkerung vertritt, konzentriert sie sich immer noch auf den Wirtschaftssektor. Denn das Thema Energiewende ist nur auf der Makroebene angesiedelt, es geht um große Investitionen und technologiebasierte Lösungen, die natürlich nicht von den lokalen Gemeinschaften umgesetzt werden können und die oft nicht involviert sind. Wir halten das Energiewendekonzept der Regierung für eine Scheinlösung.

Die Denkansätze der Klimawandelagenda drehen sich darum, wie man von internationalen Geldern für Klimaschutz profitieren kann. Es geht nicht darum, die Sicherheit der Menschen an die erste Stelle zu setzen oder Lösungen für die Gesellschaft bereitzustellen und die Bedingungen für den Umwelt- und Klimaschutz zu verbessern. Das löst das Problem des Klimawandels nicht wirklich, es schafft sogar neue Probleme für die Gesellschaft und Umwelt.

Könntest du dafür konkrete Beispiele nennen?

Wenn wir auf die Nutzung fossiler Energie schauen, und wenn es darum geht, den Anteil des fossilen Energieverbrauchs zu reduzieren, dann sehen wir, dass Unternehmen die meisten fossilen Energien verbrauchen, nicht die Bevölkerung. Daher sollte sich der Druck, den Verbrauch fossiler Energie zu reduzieren sowie Energie effektiv zu nutzen, in erster Linie auf die Großverbraucher, also zunächst die Industrie, konzentrieren.

Oder schauen wir auf Geothermie. Hier werden große Projekte gestartet, ohne die lokale Bevölkerung zu konsultieren. Diejenigen, die später davon profitieren, werden nicht die dort lebenden Menschen sein, sondern Unternehmer*innen. Das sorgt für Unruhe bei der betroffenen lokalen Bevölkerung. Beispielsweise in West-Sumatra gibt es Proteste gegen ein Geothermie- Projekt in Gunung Talang. Oder auch gegen ‚regenerative Energien‘. In Zentral-Sulawesi wird zum Beispiel gegen ein Wasserkraftwerk in Poso protestiert. Bei Protesten reagieren Polizei und Konzerne oft mit brutaler Härte. Immer wieder werden Menschen verhaftet, weil sie gegen ihre Vertreibung und gegen die Zerstörung der Umwelt protestieren.

Die indonesische Regierung geht demnach auf die Interessen von Unternehmern ein und nicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung?

Indonesien, Umweltschutz, Walhi

Eine von vielen Klimawandelfolgen: Überschwemmungen in Jakarta im Jahr 2018 © Arya Manggala/World Meteorological Organization/Flickr CC BY-NC-ND 2.0

Offensichtlich. Ein weiteres Beispiel sind Elektroautos. Der Fokus liegt auf der Automobilindustrie, und wie man durch den Aufbau der Infrastruktur Elektroautos produzieren kann. Das Ziel der Regierung ist also nicht, die Nutzung von Autos zu reduzieren. Dadurch werden vielmehr Fahrzeuge auf die Straße gebracht, anstatt in die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs zu investieren, von der die breite Bevölkerung profitieren würde.

Kommen wir zum Nickelabbau. Er hat in Indonesien Priorität, da er für die Elektrofahrzeugindustrie wichtig ist, die mit der Klimaschutzpolitik verknüpft ist. In mehreren Regionen, beispielsweise in den Nord- Molukken und Zentral-Sulawesi, hat der Abbau von Nickel und die Weiterverarbeitung in Industrieanlagen die Lage für die Gemeinden vor Ort tatsächlich erschwert. Sie sind schon vom Klimawandel betroffen. Nun werden sie zusätzlich Opfer der Regierungspolitik, die die Wirtschaft in den Vordergrund stellt und lokale Umweltfolgen des Nickelabbaus in Kauf nimmt. Das ist auch der Fall in Süd-Sulawesi, wo es Proteste gegen eine Nickelmine des Konzerns PT Vale Indonesia gibt.

Im so genannten Gesetz zur Schaffung von Arbeitsplätzen (UU Cipta Kerja, auch bekannt als Omnibus-Gesetz) stehen vor allem die Erleichterungen für Investitionen im Vordergrund. Es steht da nichts mehr von Umweltschutz, es geht da nicht darum, lokale Gemeinschaften zu schützen. Es geht vor allem darum, Großinvestoren anzuziehen und ihnen Erleichterungen zu bieten. Das ist der Denkansatz hinter dem Gesetz.

Was muss sich in der internationalen Zusammenarbeit verändern? Sollte sie stärker den Fokus auf die lokale Bevölkerung legen, die schon jetzt unter dem Klimawandel leidet?

Ja, richtig. Bei Walhi versuchen wir, die Menschen mehr zu beteiligen und einzubeziehen. Auch von der internationalen Gemeinschaft erwarten wir mehr Unterstützung. Hierzu werden bislang nur wenige Projekte gefördert.

Wir müssen uns die Frage stellen, wie lokale Gemeinschaften dabei unterstützt werden können, sich stärker für die Themen des Klimawandels zu engagieren. Wie schaffen wir es, dass die indonesische Regierung nicht ausschließlich auf große Investitionen und Technologie setzt, sondern auch auf lokale Gemeinschaften und wissensbasierte Lösungen achtet? Also nicht ein Top-Down-Ansatz, wie es derzeit der Fall ist, sondern ein Bottom-Up-Ansatz, der auf den Ressourcen in den Gemeinschaften aufbaut.

Interview und Übersetzung aus dem Indonesischen: Hendra Pasuhuk

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