Vietnam: Vergewaltigung war für Frauen im Vietnamkrieg allgegenwärtig. Gina Marie Weaver geht in ihrem Buch ‚Ideologies of Forgetting. Rape in the Vietnam War‘ der Frage nach, warum sexualisierte Kriegsgewalt systematisch verschwiegen wird.
Vergewaltigung war im Vietnamkrieg so weit verbreitet, dass es in den Worten eines Soldaten Standard Operating Procedure – völlig normal – war. Vor allem in Südvietnam wurden Frauen und Mädchen sehr oft Opfer von Vergewaltigungen. Dies lag daran, dass der Krieg hier systematisch gegen die Zivilbevölkerung geführt worden ist. In den so genannten Search and Destroy– Einsätzen sollten amerikanische GIs in den Dörfern Kämpfer*innen des Vietcong aufstöbern – der Erfolg wurde mit dem berüchtigten body count gezählt. Je mehr Leichen – oft wurden die Ohren als Beweismittel abgeschnitten und mitgenommen – desto besser. Und weil die GIs nicht erkennen konnten, ob jemand ein*e Widerstandskämpfer*in war oder nicht, haben sie auch viele Zivilist*innen ermordet.
Sexualisierte Gewalt fand in diesem Kontext statt, entweder als ‚opportunistische Vergewaltigung’ (Soldaten taten es, weil sie dafür nicht belangt wurden) oder zur systematischen Terrorisierung der Bevölkerung. In ihrem Buch Ideologies of Forgetting. Rape in the Vietnam War unterscheidet Gina Marie Weaver zwischen der Vergewaltigung, der sexualisierten Folterung von Gefangenen und der Mordvergewaltigung. Bei der Folterung ging es darum, Informationen über die Verstecke und Personen des Vietcong herauszubekommen. Frauen waren hier viel häufiger Opfer sexualisierter Gewaltfantasien als Männer. Bei den Mordvergewaltigungen wurden Frauen und Mädchen, die man bei ‚Säuberungsaktionen’ umbrachte, vorher massenvergewaltigt.
Weaver diskutiert zuerst die Zeugnisse von Frauen, die im Vietnamkrieg vergewaltigt wurden. In ihrem Buch Then the Americans Came zum Beispiel hat Martha Hess die mündlichen Erzählungen von Frauen aus Interviews zusammengefasst, die die Alltäglichkeit sexualisierter Gewalt bezeugen. Auch in den Berichten zu Kriegstribunalen und Ähnlichem wird Gewalt gegen Frauen thematisiert. Sexualisierte Gewalt kommt außerdem in einigen der bedeutendsten literarischen Werke über den Krieg vor. Bao Ninhs The Sorrow of War (1991) wird um die Massenvergewaltigung der Kämpferin Hoa strukturiert. Duong Thu Hongs Novel without a Name (1995) beginnt mit einer Szene, die die verwesenden Opfer einer Massenvergewaltigung beschreibt. Le Ly Hayslips When Heaven and Earth Changed Places ist die biographische Aufarbeitung einer Vietcong-Kämpferin, die als vermeintliche Verräterin zuerst von Vietcong-Kollegen vergewaltigt wird, und dann eine ganze Reihe von Gewalterfahrungen seitens amerikanischer Soldaten überlebt und als Survivor irgendwann in die USA flüchtet.
Trotzdem sei die sexualisierte Gewalt des ‚Amerikanischen Krieges’ in Vietnam nicht wirklich aufgearbeitet worden, so Weaver. Dafür nennt sie mehrere Gründe. Erstens führe Traumatisierung dazu, dass viele Opfer nicht darüber sprechen wollten oder könnten. Zweitens widerspreche die Aufarbeitung des Leidens dem Bild der vietnamesischen Regierung, die den Krieg als heldenhaften, heroischen Sieg darstellen wolle. Vergewaltigung werde so als Aufopferung für die nationale Sache verstanden, Frauen sollen als Heldinnen vorkommen. 1.5 Millionen Frauen haben in der nordvietnamesischen Armee gekämpft, 70-80 Prozent der freiwilligen ‚Stoßtrupps’ die am Ho Chi Minh-Pfad eingesetzt wurden, waren junge Frauen. Drittens betreibe die Regierung heute eine Normalisierung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu den USA. Eine Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt durch die Amerikaner oder gar die Verurteilung der Täter oder eine Wiedergutmachung stünde diesem Ziel im Wege.
Im Kapitel Naming Themselves geht Weaver auf die Selbstzeugnisse von amerikanischen Soldaten ein. Es waren vor allem die Antikriegsbewegung, die Frauenbewegung in den USA und die Vietnam Veterans Against the War (VVAW), die eine kritische Auseinandersetzung mit den Gräueltaten der US-Armee mitsamt der sexualisierten Kriegsgewalt schon während des Krieges vorangebracht hätten. Die Gräueltaten des Massakers von My Lai sind aufgrund von Aussagen kritischer Soldaten ans Licht gekommen: Bei dem Massaker wurden mindestens 20 Frauen und Kinder vergewaltigt, bevor man sie ermordet hat. Die Meldung eines anderen während des Krieges bekannt gewordenen Vorfalls, bei dem eine Patrouille ein junges Mädchen entführt hat, um sie zu vergewaltigen und dann zu ermorden, führte zu der Verurteilung der beteiligten Soldaten. Ihre Strafen wurden nachträglich erheblich abgemildert.
Über dieses wichtige Whistleblowing hinaus haben die aktivistischen Soldaten das Verhältnis zwischen Rassismus, Klassengesellschaft und toxischer Männlichkeit hergestellt und in Frage gestellt. Diese Analyse ist eine der stärksten des Buches. Soldaten reflektierten in der berühmten Winter Soldier Investigation von 1971 ihre Opferrolle und Mittäterschaft im Krieg und entwickelten dafür einen intersektionalen Ansatz.
Die US-Kriegsmaschinerie hatte schon im Zweiten Weltkrieg und im Koreakrieg rassistische Stereotypen über Japaner und Asiaten verwendet und setzte diese im Vietnamkrieg fort, um den Gegner zu entmenschlichen und so besser töten zu können. Die Verrohung in der Ausbildung der Soldaten, in der Frauen als zu erniedrigende Objekte porträtiert wurden, bereitete die Soldaten darauf vor, die Frauen des Feindes zu verachten. Sie griff dabei aber auch auf ein vor allem in der Arbeiterklasse verankertes Genderverständnis zurück, bei dem der Mann hart, stark und vor allem nicht verweichlicht und weiblich sein durfte. Auf dieser Grundlage stellten sie nicht nur den Krieg sondern auch den Kapitalismus in Frage.
Genau diese kritische Haltung sei für die militärische Schlagkraft des US-Imperialismus zum Problem geworden. Laut Weaver dienten Hollywoods Vietnamfilme vor allem dazu, die Täterschaft der amerikanischen Soldaten zu leugnen. Dies laufe hauptsächlich über die Darstellung der Soldaten als Opfer, Opfer der traumatischen Erfahrungen im Krieg aber auch Opfer der ‚Weicheier’ zu Hause, also der Aktivisten der Antikriegsbewegung und vor allem der Feministinnen. Der Vietnamkrieg wird als ‚amerikanische Erfahrung’ dargestellt. Die Menschen in Vietnam und insbesondere die vielen Opfer von sexueller Gewalt werden ausgeklammert: Rambo als tragischer Held war kein Vergewaltiger.
In anderen Hollywoodfilmen sei Vergewaltigung ein wichtiges Element, das die männlichen Tötungsfantasien gegen den Feind pornographisch und mit rassistischen Untertönen untermauere. Klassische Frauenrollen seien die geldgierigen und abgekochten Prostituierten auf der einen und die fanatischen ‚Sniperfrauen’ auf der anderen Seite. Beide dienten als Projektion für eine toxische Männlichkeit, die eine grausame amerikanische Intervention nachträglich rechtfertigen sollte.
Kein Buch hat mich in letzter Zeit so aufgewühlt wie dieses. Es zeigt, wie wichtig die Einbeziehung der Erfahrung der sexualisierten Gewalt für die Analyse des Vietnamkrieges ist. Gleichzeitig bleibt es vor allem eine amerikanische Erzählung. Weitere Forschungen in Vietnam selbst wären jetzt wichtig, um die Perspektive weiter zu dekolonialisieren.
Rezension zu: Gina Marie Weaver. Ideologies of Forgetting. Rape in the Vietnam War. SUNY Press. 2010. 198 Seiten.
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