4 | 2020, Deutschland, Interviews, Vietnam,
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„Wir schaffen uns unsere eigenen Möglichkeiten“

Vietnam

Minh Thu Tran (rechts) und Vanessa Vu (links) sprechen in ihrem Podcast über die vietdeutsche Perspektive. © Valerie Siba Rousparast

Vietnam/Deutschland: Weil ihr die Repräsentation von vietnamesischen und vietdeutschen Menschen in der deutschen Öffentlichkeit und den Medien bisher gefehlt hat, nimmt Minh Thu Tran dies selbst in die Hand. Im Interview erzählt sie von Vorbildern, isoliertem Aufwachsen und alltäglichem Rassismus.

Wie würdest du vietdeutsche Diasporagemeinschaften in Deutschland beschreiben?

Sehr, sehr divers. Die vietnamesische Diaspora in Deutschland setzt sich aus verschiedenen Gruppen zusammen. Da wären die Boat People [Schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen flohen nach Ende des Vietnam-Krieges 1975 vor allem aus Südvietnam. Da sie zumeist über das offene Meer flüchteten, wurden sie als Boat People bekannt, d.R.], die Vertragsarbeiter*innen [Die DDR und Vietnam schlossen 1980 ein Abkommen zur Übernahme von Vertragsarbeiter*innen, von denen viele auch nach Ende der DDR in Deutschland geblieben sind, d.R.] und die zweite Generation, die eigentlich wenig zu tun hat mit den Konflikten ihrer Eltern. Diese Konflikte zwischen Nord und Süd spielen noch eine Rolle für bestimmte, auch nicht alle, älteren Gruppen, aber für uns Junge fast gar nicht mehr. Der Bezug zum Heimatland und der Bezug zu Deutschland ändert sich immer wieder, je nach dem, zu welcher Gruppe man gehört. Die jüngere Migration aus Vietnam nach Deutschland, das sind oft Menschen aus Zentralvietnam – viele aus den ärmeren Provinzen des Landes. Sie kommen her, um Arbeit zu suchen, zum Beispiel in Nagelstudios und Restaurants. Außerdem kommen einige Studierende aus Vietnam, die an deutschen Universitäten studieren wollen.

Unsere Interviewpartnerin:

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Minh Thu Tran © Duc Ha Nguyen

Minh Thu Tran (Trần Võ Minh Thư), geboren 1993, hat Politikwissenschaft und Journalismus studiert und arbeitet als freie Journalistin und Podcastproduzentin in Köln. Ihre Eltern stammen aus Südvietnam, sie selbst ist in Bayern aufgewachsen. Gemeinsam mit Vanessa Vu erzählt sie in ihrem Podcast Rice and Shine davon, wie es ist, vietdeutsch zu sein. Sie bieten damit eine Plattform für vietdeutsche Geschichte, Gesellschaft, Politik, Popkultur und das Leben in der Diaspora. Rice and Shine wurde 2019 für den Grimme-Online-Award nominiert.

In eurem Podcast habt ihr erzählt, dass ihr beide in Kleinstädten groß geworden seid und deswegen weniger Kontakt mit vietdeutschen Communities hattet. Wo liegen die Unterschiede zwischen Diasporagemeinschaften auf dem Land und in der Stadt?

In der Stadt wächst man weniger isoliert auf. Dort gibt es oft eine Community, in der du dich spiegeln kannst. Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie man selbst. Auf dem Land bist du relativ alleine als Vietdeutsche*r.

Vanessa hat anfangs versucht, alles Vietnamesische von sich weg zu stoßen und zum Beispiel ihren Namen von ihrem Geburtsnamen Hồng Vân in Vanessa geändert. Diese Entwicklung ist Zeichen eines Wunsches nach Assimilation, den ich bei vielen Kindern und Jugendlichen, die isoliert von vietnamesischen Communities aufwachsen, beobachten kann.

Wie bist du heute in vietnamesische Diaspora-Communities eingebunden?

Ich habe mir im Studium aktiv diese Communities gesucht und meine eigene Community mit dem Rice-and-Shine-Podcast selbst geschaffen. Wenn man isoliert aufwächst, orientiert man sich an den Medien oder Sachen, die einen umgeben. Ich habe mir oft den Asian-American YouTube-Content angeguckt, Vanessa hat sich im Studium mit Vietnam beschäftigt und ist für ein halbes Jahr nach Vietnam gezogen. Jede*r sucht sich seinen/ihren Weg. Als wir uns kennen lernten, hatten wir eine unfassbare Spiegelfläche, weil wir sehr ähnlich aufwuchsen. Unsere Studienfächer Politikwissenschaften und Ethnologie sind themen-mäßig ähnlich. Auf dieser Basis haben wir mit dem Podcast angefangen, uns eine Community aufzubauen. Von Vietdeutschen bekommen wir fast täglich Feedback zu diesem Projekt. Da kommen Emails mit seitenlangen Lebensgeschichten von Leuten, die sich in unserem Podcast wieder finden oder andere Erfahrungen gemacht haben. Der Austauschbedarf ist groß.

Wie würdest du das Verhältnis zu Bekannten, Freund*innen und Verwandten in Vietnam selbst beschreiben?

Persönlich habe ich sehr intensiven Kontakt zu meiner Familie in Vietnam. Es gibt auch Familien mit schwierigeren Beziehungen untereinander, da sie so weit voneinander getrennt leben. Neid, Unverständnis und gewisse Erwartungen spielen eine Rolle. Die Situation ist von Familie zu Familie unterschiedlich und davon abhängig, ob die Familien aus der Stadt oder vom Land kommen, aber auch von persönlichen und politischen Hintergründen. Der Austausch zwischen dem Heimatland und der Diaspora ist sehr stark vorhanden.

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Nach Ende des Vietnam-Krieges fliehen ca. 1,3 Millionen Menschen aus Vietnam, oft über das offene Meer. © Dirck Halstead/Getty Images, Flickr CC BY-NC 2.0

Wie gestaltet sich die Vernetzung zu vietnamesischen Diasporagemeinschaften in anderen Ländern?

Viele vietnamesische Familien leben verstreut, vor allem die Boat-People-Familien: Da sind welche in Deutschland, in Frankreich, in Großbritannien oder in Amerika. Auf dieser Basis passiert der Austausch. Medialer Content aus Amerika gibt uns hier eine Orientierungsmöglichkeit, in welche Richtung sich die Community entwickeln kann, auch wenn sich nicht alles eins-zu-eins auf Deutschland übertragen lässt. Die machen dort schon sehr viel Community-Arbeit und das schon sehr lange.

Sind Vietdeutsche mittlerweile hierzulande besser repräsentiert, als es noch vor ein paar Jahrzehnten der Fall war?

Ja, ein bisschen mehr kommt schon. Wir schaffen uns unsere eigenen Möglichkeiten, es gibt Podcastmacher*innen, Theatermacher*innen und Schauspieler*innen, die eigene Stücke schreiben, aber noch sind sie nicht im Mainstream angekommen. Vor etwa 20 Jahren war die Moderatorin Minh-Khai Phan-Thi oft bei VIVA zu sehen; sie war ein vietnamesisches Gesicht, das ich im Fernsehen sah und dachte: „Wow die sieht aus wie ich.“ Ich denke, die vietnamesische Community war in den 1990er Jahren vor allem noch darauf erpicht, möglichst nicht aufzufallen, auch weil es viele rassistische Übergriffe gab.

Heute agiert vor allem die zweite Generation anders, nach dem Motto „Nein, wir sind hier, wir können laut sein, wir können sichtbar sein, wir sollen sichtbar sein“. Dafür steht unser Podcast, aber dafür stehen auch beispielsweise viele junge vietdeutsche TikToker*innen, mit einer zum Teil sehr großen Reichweite. Ein Beispiel wären die Geschwister Bao Chii und Henry, oder Saint Linh und ihr Bruder Son. Die haben eine unfassbar große Anzahl an Follower*innen auf TikTok und sagen einfach ganz selbstverständlich „Ja, wir sind vietdeutsch, wir machen auch Asian Content, wir sind Asian, wir machen das“. Das ist sehr erfrischend und unterhaltsam, das finde ich ganz schön.

Ihr habt in eurem Podcast über deutsche Ersatzverwandte gesprochen, die euer Leben begleitet haben, was hat es damit auf sich?

Nach der Wende, als für die Vertragsarbeiter*innen jegliche alltäglichen und staatlichen Strukturen zusammengebrochen sind und es keine Unterstützung gab, haben oft deutsche Menschen aus der Nachbarschaft eine Unterstützer*innenrolle eingenommen. Für viele sind diese auch zum Familienersatz geworden. Wir waren sonntäglich bei ihnen zu Kaffee und Kuchen, sie haben uns vom Kindergarten abgeholt, wir haben sie Oma/Opa oder Tante/Onkel genannt und in den Ferien waren wir oft zum Spielen dort. Dieses Phänomen ist tatsächlich sehr häufig vorgekommen. Zu meinen Ersatzverwandten habe ich auch heute immer noch Kontakt. Fast jedes Mal wenn ich zu Hause bin, versuche ich einmal vorbeizugucken, Hallo zu sagen und etwas mit ihnen zu essen.

In unserer letzten Folge haben wir über bikulturelles Aufwachsen in einer deutschen und einer vietnamesischen Familie gesprochen. Das Problem von Rassismus innerhalb dieser Familien gehört oft zum Alltag und ist eine Dynamik, die wir auch durch unsere Ersatzverwandten erfuhren: Sie fanden uns nett und haben uns geliebt und geholfen, dennoch fiel auch der ein oder andere Spruch.

Wie groß ist die Rolle, die Rassismus im Alltag von Vietdeutschen spielt?

Vietnam

Unter dem Motto ‘Unbesiegbares Vietnam’ gab es in der DDR als Ausdruck der Solidarität mit dem ‘kommunistischen Bruderstaat’ eine ganze Serie von Briefmarken. Diese hier stammt aus dem Jahr 1966. © Joseph Morris, Flickr CC BY-NC 2.0

Rassismus ist nicht messbar, er ist auf jeden Fall immer präsent. Wir haben in einem Interview mit Philipp Rösler gesprochen, der eindeutig rassistisch beschimpft wurde. Er hat gesagt „Das ist Politik, es passiert halt einfach“ und so gehen auch viele Vietdeutsche damit um. Jede*r muss selbst seinen Weg finden, mit Rassismus umzugehen. Aber vor allem die junge Generation ist unfassbar outspoken und spricht viel über Rassismus. Wir Vietdeutschen sind eine sogenannte Vorzeigeminderheit: Natürlich, wenn es Gewalt gegen Ausländer*innen gibt, sind wir auch mittendrin, dann zünden sie auch unsere Häuser an.

Aber wir erleben im Vergleich weniger Rassismus und rassistische Gewalttaten als zum Beispiel muslimisch gelesene Menschen oder auch Schwarze Menschen. Wir haben nicht das Problem, aufgrund unseres Namens keinen Job zu bekommen. Der Stereotyp des/der strebsamen und leistungsstarken Asiat*in existiert immer noch in der Gesellschaft und aus einer unterprivilegierten Position heraus haben viele Vietdeutsche diesem Stereotyp auch oft zugestimmt. Die asiatische oder die vietnamesische Community sollte sich hier hinterfragen. Das sind natürlich ganz normale Dynamiken, die ich nachvollziehen kann, aber man muss denen nicht in die Hände spielen.

Hast du im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie neue rassistische Erfahrungen gemacht?

Ich habe schon eine Maske getragen, als noch wenige eine trugen und wurde auf der Straße beschimpft mit „Schon wieder so eine, die das Virus hier rüber geschleppt hat.“ Ein Video ging um, in dem asiatische Jugendliche mit „Ihr Corona-Schlampen“ beschimpft wurden. Es gab auch gewalttätige Übergriffe – eine chinesische Frau in München wurde von ihrem Nachbarn mit Desinfektionsmittel attackiert und er drohte, sie umzubringen. Die rassistischen Übergriffe gab es vor allem im März und April 2020. Ich habe das Gefühl, das passiert jetzt nicht mehr so häufig, aber ein gewisser Unterton im Sinne von ‚das ist das China-Virus’, ‚diese Asiaten’, etc. ist weiter vorhanden.

Was würdest du dir als vietdeutsche Zukunftsperspektive wünschen?

Ich würde mir einfach wünschen, dass wir ein bisschen mutiger sind, laut zu sein und unsere Geschichten erzählen! Einfach das zu sagen, was wir wollen und nicht das was unsere Gesellschaft oder unsere Eltern von uns erwarten.

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