US-amerikanischen Soldaten an einem Strand in Vietnam. © Unsplash/Annie Spratt.
US-amerikanischen Soldaten an einem Strand in Vietnam. © Unsplash/Annie Spratt
Vietnam: Der neue Roman von Bestsellerautorin Nguyễn Phan Que Mai verbindet Fiktion mit wahrer Begebenheit.
Während der Stationierung amerikanischer Soldaten in Vietnam in den 1960er- und 70er-Jahren wurden viele Kinder von ihnen mit vietnamesischen Frauen gezeugt, die oft als „Amerasier*innen“ bezeichnet werden. Der Roman „Wo die Asche blüht“ (Titel der englischen Originalausgabe: „Dust Child“) der 1973 geborenen vietnamesischen Autorin Nguyễn Phan Que Mai widmet sich diesen Kindern. Er erzählt aber auch von ihren Müttern, die oft aus Armut oder aufgrund von Vertreibung Barmädchen und Sexarbeiterinnen geworden waren. Dazu wechseln sich in der Handlung zwei Zeiträume ab.
Ho-Chí-Minh-Stadt, 2016: Der Amerasier Phong bemüht sich um ein Visum für die USA. Aufgrund seiner dunklen Hautfarbe erfährt er anhaltende Diskriminierung und lebt in Armut. Seine Familie wünscht sich ein besseres Leben in den Vereinigten Staaten, welche in den 1980er-Jahren ein Programm für Kinder wie Phong ins Leben riefen: den „Amerasian Homecoming Act“. Als im Prozess für das Visum Beweise für seine Verwandtschaft mit einem Amerikaner gefordert werden, die er nicht erbringen kann, begibt sich Phong auf die Suche nach Antworten.
Zur gleichen Zeit reisen auch Dan, ein weißer Amerikaner, und seine Frau Linda in die Stadt, um Jahrzehnte nach Dans Einsatz als Soldat seine Kriegstraumata aufzuarbeiten. Der Veteran hat im Geheimen einen weiteren Plan. Während seiner Stationierung hatte er eine intensive Beziehung mit der Vietnamesin Kim. Er kann nicht vergessen, was er der jungen Frau angetan hat, als sie an einem Tag vor vielen Jahren wichtige Neuigkeiten für ihn hatte.
„Wo die Asche blüht“ ist 2024 in deutscher Fassung erschienen. © Insel Verlag.
Phú Mỹ und Sài Gòn, 1969/70: Trang und Quỳnh haben ihr Leben bisher vor allem auf dem Reisfeld ihrer Eltern verbracht, die viele Schulden haben. Als die beiden kaum erwachsenen Mädchen eines Tages das Angebot bekommen, eine Freundin in die Hauptstadt zu begleiten, zögern sie nicht. Die Freundin erzählt, sie würde sich für viel Geld mit amerikanischen Soldaten unterhalten, sie vom Krieg ablenken. Als sich diese Beschreibung als nur teilweise wahr herausstellt, hadert vor allem Trang mit den unerwarteten „Anforderungen“. Sie kämpft sich durch die folgenden Wochen – bis etwas Unerwartetes passiert.
Die Romanautorin und Dichterin Nguyễn Phan Que Mai wurde mit ihrem 2021 auf Deutsch erschienenen Familienepos „Der Gesang der Berge“ mit zahlreichen Preisen geehrt. In dieses war ihre eigene Familiengeschichte eingeflossen. Für ihren neuen Roman bildete eine 2014 erschienene BBC-Reportage über einen amerikanischen Veteranen, der nach seiner früheren Freundin und dem gemeinsamen Sohn sucht, ihre Inspiration. Sie begann, journalistisch und ehrenamtlich zu dem Thema zu arbeiten und widmete sich diesem auch in ihrer Doktorarbeit. Die Vietnamesin spricht sich entschieden gegen bewaffnete Konflikte und für Frieden und Mitgefühl aus.
Der Roman zeigt die vielschichtige Realität kolonialer Kontinuitäten in Vietnam. Dans Zeit im Militär lehrte ihn, wie viel weniger wert „der Orientale“ sei, der dem Leben angeblich nicht so verbunden sei wie „der Westler“. Hinter Dans fiktiver „Lektion“ steht eine wahre Begebenheit: So sprach der damalige Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen in Vietnam, General Westmoreland, zu seinen Soldaten. Außerdem erinnert Dan sich in einer Szene an die Worte Robert McNamaras: Der ehemalige US-Verteidigungsminister hatte später eingeräumt, wie unwissend und simplifizierend sie sich dem Land genähert hätten.
Dan beschreibt im Buch ebenfalls, wie er sich Vietnam vor seinem Einsatz als exotisches Land vorgestellt hat. Dieser Orientalismus herrscht heutzutage immer noch in den Köpfen vieler Tourist*innen vor. Mit Vorstellungen von Exotik und anderen Stereotypen reisen sie in das „ferne Land“, befördert von einer Tourismusbranche, die diese Erwartungen nährt. Nguyễn Phan Que Mai beschreibt gleichermaßen, wie Hotelmitarbeitende sich vor „Westlern“ verbeugen, oder wie Dans Frau Linda willkürlich Einheimische fotografiert.
Dass die Originalausgabe im März 2023 erschien, ist kein Zufall: 50 Jahre zuvor hat der letzte amerikanische Soldat Vietnam verlassen. Die Autorin erinnert mit der Datierung daran, dass es sich hier zwar um eine erfundene Geschichte handelt, die Erfahrungen dahinter aber real und schmerzlich bleiben.
Nguyễn Phan Que Mai widmet sich fachkundig der Vergangenheit ihres Heimatlandes und macht es wunderbar schwer, diese (weiterhin) zu ignorieren. Ihre jahrelange wissenschaftliche und ehrenamtliche Arbeit hat es ihr ermöglicht, sich zugänglich mit den behandelten Themen zu befassen und sorgt dafür, dass Vietnam von innen betrachtet werden kann. Interessierte Leser*innen können auf ihrer Homepage weiterführende Informationen finden.
Nguyễn Phan Quế Mai präsentiert ihren Roman „Dust Child“ im April 2023 in der Martin-Luther-King-Gedenkbibliothek in Washington DC
Sowohl der Titel als auch das Buchcover der deutschen Übersetzung sind zwar ansprechend, spiegeln aber wenig die Tiefe des Themas wider. Mit Bergen, filigranen Pflanzen und Farben, die an einen Sonnenuntergang aus dem Bilderbuch erinnern, befördert der Umschlag eher „Fernwehstimmung“ und büßt damit leider erheblich an Seriosität ein.
Wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird beim Lesen wenig auszusetzen haben. Die Autorin zeichnet auf ebenso spannende wie informative Weise lebendige Bilder. Ihre Charaktere wirken echt und menschlich, was auch bedeutet, dass man sie nicht immer mag. In klarer und zugleich poetischer Sprache zieht die Geschichte die Lesenden in ihren Bann – eine Abhandlung über Liebe jeder Art, über Leid und Hoffnung und das Grauen eines Krieges, in dem jegliche Grenzen verschwimmen.
Rezension zu: Nguyễn Phan Que Mai. Wo die Asche blüht. Übersetzung aus dem Englischen von Claudia Feldmann. Suhrkamp Verlag. 443 Seiten. 2024.
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