Umweltfreundliche Monatsbinden? Do it yourself!

Teilnehmer*innen eines Workshops zum Nähen von waschbaren Monatsbinden © Biyung/NBB

Indonesien: Aktivist*innen aus Yogyakarta klären über die Gefahren von Plastik und Chemikalien in Menstruationsbinden auf und werben für waschbare Stoffbinden. In Workshops geben sie ihr Wissen an Frauen weiter und nähen mit ihnen gemeinsam farbenfrohe und umweltfreundliche Alternativen zu herkömmlichen Einwegbinden.

Patente für Damen-Hygieneprodukte sind seit Ende der 90er-Jahre sprunghaft angestiegen. Eine Ursache ist massenhaft verfügbarer günstiger Kunststoff, Grafik: Plastikatlas © Appenzeller/Hecher/Sack, CC-BY-4.0

Frauen haben im Laufe ihres Lebens etwa 500 Mal ihre Tage. Über einen Zeitraum von rund 40 Jahren bluten sie (mit Ausnahme von Schwangerschaft und Stillzeit) alle vier Wochen etwa fünf Tage lang. Zusammen gerechnet rund sieben Jahre Lebenszeit! Benutzen Frauen herkömmliche Hygieneprodukte sind sie in dieser Zeit einem Chemikaliencocktail ausgesetzt, der über die empfindliche Vaginalschleimhaut in den Körper übergeht und dort dauerhafte Schäden anrichten kann. Kunststoffe, Phthalate (Weichmacher), Formaldehyd, Dioxin, Pestizide – all das findet sich in herkömmlichen Binden und Tampons. Da diese Hygieneprodukte Plastik enthalten, in Plastik verpackt sind und in großer Zahl verwendet werden, sorgen ihr Verbrauch und der daraus entstehende Müll für dieselben Probleme, die aller Plastikmüll verursacht. Er verschwindet nicht einfach, sondern seine Überreste umgeben uns allerorten.

Dabei gibt es Alternativen wie Menstruationstassen und waschbare Stoffbinden. Letztere werden nach der Benutzung einfach mit kaltem Wasser ausgespült und dann mit der restlichen Wäsche gewaschen. Sie haben den Vorteil, dass Frau sie selbst nähen kann und sich dabei in Haushalten bereits vorhandene Stoffreste wieder verwenden lassen. Drei Aktivistinnen aus Indonesien zeigen Frauen in speziellen Näh-Workshops, wie das geht. Die Umweltaktivistin Westiani Agustin (Ani) ist Gründerin des Labels Biyung, das Stoffbinden produziert und vertreibt. Mita und Mila sind Mitglieder des anarcha-feministischen Kollektivs Needle ’n Bitch (NNB), das geschützte Räume für Frauen bietet, emanzipatorische Aufklärungsarbeit leistet und den Kampf um Frauenrechte mit DIY verbindet. Im Kollektivhaus von NNB werden von vielen Händen an mehreren Nähmaschinen Tote-Bags, Taschen, T-Shirts und Monatsbinden aus Stoff genäht.

Warum und seit wann setzt ihr euch für die Nutzung und Verbreitung waschbarer Stoffbinden ein?

Mita: Meine Großmutter erzählte mir immer, dass sie sich früher mit Handtuch- und Stoffresten geholfen habe. Doch ich kannte lange nichts anderes als die handelsüblichen und vermeintlich alternativlosen Einwegbinden und Slipeinlagen. Inzwischen nenne ich sie „Müll-Binden“. 2014 wurde ich krank, meine Scheide schmerzte und juckte und ich musste im Krankenhaus behandelt werden. Dort sagte mir eine Ärztin, ich solle besser keine Binden/Slipeinlagen mehr verwenden, da sie viel Chemie enthielten, was sich dauerhaft schädlich auf meine Gesundheit auswirken könne. „Warum setzt ihr euch als Mediziner*innen dann nicht dafür ein, dass sie verboten werden?“, fragte ich. „Weil sich die Unternehmen und die Regierung um unsere Ratschläge nicht scheren“, sagte die Ärztin. Das machte mich wütend und ich beschloss, dieses Zeug einfach nicht mehr zu verwenden.

Ani: Ich benutze seit 2013 waschbare Stoffbinden. In Yogyakarta kannten das damals nur wenige Menschen. Deshalb dachte ich zunehmend darüber nach, Stoffbinden selbst zu produzieren und zu verkaufen. Dabei waren auch meine beiden heranwachsenden Töchter einbezogen, die ich zu der Zeit per home schooling unterrichtet habe. Sie hatten sich ein Projekt vorgenommen, bei dem sie zu Hause etwas herstellen wollten, das für Frauen nützlich ist. Sie suchten sich die Stoff-Monatsbinden aus.

Ani (Biyung) und Mita (NNB) beim Workshop zum Nähen von waschbaren Monatsbinden © Biyung/NNB

Wie seid ihr auf das Problem Plastik in Monatsbinden und das daraus folgende Aufkommen von Müll aufmerksam geworden?

Ani: Ich bin seit 20 Jahren in der Umweltbewegung aktiv. Und dabei wurde mir immer mehr klar, dass alle Umweltprobleme mit unserem Konsumverhalten zu tun haben. Das heißt, wenn wir weniger Müll wollen, müssen wir weniger Müll-produzierende Dinge konsumieren. Darüber müssen wir nachdenken BEVOR wir etwas einkaufen. Das Gleiche gilt für Menstruationsprodukte. Wir benötigen davon regelmäßig so viel, dass dies enorme Mengen Müll produziert. Dem entgehen wir nur, wenn wir uns für wieder verwendbare Produkte entscheiden.

„Wenn wir weniger Müll wollen, müssen wir weniger Müll-produzierende Dinge konsumieren. Darüber müssen wir nachdenken BEVOR wir etwas einkaufen. Das Gleiche gilt für Menstruationsprodukte. Wir benötigen davon regelmäßig so viel, dass dies enorme Mengen Müll produziert. Dem entgehen wir nur, wenn wir uns für wieder verwendbare Produkte entscheiden.“

Sind euch Statistiken bekannt, wie viel Plastikmüll in Indonesien durch Plastik enthaltende Menstruationsprodukte verursacht wird?

Ani/Mita: In Indonesien leben dem Zensus von 2018 zufolge 132 Millionen Frauen. 60 Prozent, also fast 80 Millionen Frauen, sind zwischen 15 und 49 Jahre alt, haben also einmal monatlich ihre Periode. Rechnet man damit, dass sie pro Periode zwischen zehn und 20 Monatsbinden verbrauchen [Tampons werden in Indonesien kaum verwendet, d.R.] kommt man auf monatlich 80 bis 160 Millionen Plastik enthaltende Binden, die in Indonesien zu Müll werden!

Die Binden landen üblicherweise im Hausmüll. Wie wird dieser wiederum entsorgt?

Ani: In Indonesien gibt es keine kommunale Müllabfuhr. Aus Büros und Wohnkomplexen wird der Müll gegen eine Gebühr abgeholt und auf Müllhalden gebracht. Manche Menschen, die nicht in diesem System sind, bringen den Müll selbst zur Halde. Viele entsorgen ihn jedoch illegal: in Flüssen, Kanälen oder einfach irgendwo am Straßenrand. Oder sie vergraben oder verbrennen den Müll in ihren Hinterhöfen.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, euch die Alternativen zu herkömmlichen Binden einfach selbst zu nähen?

Ani: Das ergab sich aus der Weiterentwicklung des Projektes mit meinen beiden Töchtern und den Diskussionen mit ihnen. Von Oktober 2016 bis Juli 2017 machten wir zunächst einen Testlauf mit einer ausgewählten Gruppe von Menschen.

Mita: Ich kam nach meinem Krankenhausaufenthalt zurück in unser Gemeinschaftshaus und wurde dort von allen unterstützt. Wir suchten Informationen im Internet zum Plastik-Problem, den Gesundheitsfolgen und den Alternativen. Zum Glück hatten wir schon Erfahrung mit dem selber Nähen und Nähmaschinen hatten wir auch. Wir experimentierten also mit verschiedenen Stoffen für Hülle und Füllung von Stoffbinden, nähten drauf los und probierten das Ergebnis an uns und unseren Freundinnen aus. Daraus entstanden viele Diskussionen und schließlich die Workshops.

Monatsbinden aus Stoff © Biyung/NNB

Aus welchen Materialien bestehen die waschbaren Stoffbinden, die ihr in Workshops mit Interessierten gemeinsam näht?

Ani/Mita: Die äußere, untere Schicht besteht aus buntem Batik-Stoff aus Baumwolle. Die äußere obere Schicht aus Resten von T-Shirts, also ebenfalls Baumwolle. Innen nähen wir unten zunächst eine Wasser abweisende Schicht ein, die wir aus Stücken von gebrauchten Regenmänteln zurecht schneiden. Darüber kommt als obere innere Schicht ein Stück Handtuch-Stoff aus Baumwolle. Alles sind Materialien, die in Haushalten bereits vorhanden sind und wiederverwertet werden.

Wie sind die Reaktionen, die ihr bekommt, wenn ihr das Konzept der wieder verwendbaren Monatsbinden vorstellt?

Mila: Die Reaktionen sind sehr verschieden. Manche Frauen sind anfangs unsicher, wie sie die Binden benutzen und pflegen können. Andere sorgen sich darum, ob sie saugfähig und hygienisch genug sind. Überwiegend reagieren die Frauen aber sehr positiv, denn sie verstehen, dass die Stoffbinden besser für ihre Körper und besser für die Umwelt sind.

Ausgaben-Vergleich zwischen herkömmlichen Monatsbinden, dem Menstruationscup und waschbaren Stoffbinden © CNN Indonesia

Was ist aus deiner Sicht das größte Hindernis für Frauen, auf nachhaltige und Plastik-freie Menstruationsprodukte umzusteigen?

Ani: Vielen erscheint es erst mal teurer. Was es auf lange Sicht aber gar nicht ist. Eine Grafik von CNN Indonesia zeigt, dass auf zehn Jahre berechnet die Ausgaben für herkömmliche Einwegbinden das Doppelte bis Achtfache der Ausgaben für Stoffbinden ausmachen.

Habt ihr den do-it-yourself-Ansatz des Binden-Nähens vor allem aus Umweltaspekten gewählt oder spielen feministische Fragen des self empowerment auch eine Rolle?

Mila: Selbstverständlich. Sich seine Binden selbst herzustellen heißt, sich auf selbständige Weise mit den Bedürfnissen des eigenen Körpers für eine gesunde Menstruation auseinander zu setzen. Außerdem kann die Fähigkeit des selber Nähens die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen als Einzelpersonen und auch als Gruppen erhöhen.

Würdest Du sagen, dass das Bewusstsein für die Umweltfolgen von Plastikmüll in Indonesien wächst?

Ani: Ja. Es gibt einen Trend zu einem „grüneren“ Lebensstil, es gibt zero-waste-Bewegungen und sie üben einen Einfluss auf die indonesische Gesellschaft aus. Es gibt inzwischen in Jakarta, Bandung, Yogyakarta und Surabaya Unverpackt-Läden. Die #zerowaste-Gruppen wachsen und veranstalten immer mehr Workshops und Festivals. Auch einige Regierungsbehörden haben inzwischen Regeln, dass in ihren Büros keine Plastikverpackungen mehr verwendet werden dürfen. Sicher wirkt Vieles erst mal wie ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber es gibt an vielen Stellen Signale von Bewegungen, die sich für eine Reduzierung unseres Plastik-Konsums einsetzen.

Interview und Übersetzung aus dem Indonesischen von: Anett Keller

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Die Autorin

Anett Keller hat in Leipzig und Yogyakarta Journalistik, Politikwissenschaft und Indonesisch studiert. Sie hat mehrere Jahre in Indonesien gelebt und von dort als freie Korrespondentin berichtet. Derzeit arbeitet sie als freie Autorin, Moderatorin und Übersetzerin und koordiniert (auf Teilzeitbasis) die Redaktionsarbeit der südostasien.

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Anett Keller

Anett Keller hat in Leipzig und Yogyakarta Journalistik, Politikwissenschaft und Indonesisch studiert. Sie hat mehrere Jahre in Indonesien gelebt und von dort als freie Korrespondentin berichtet. Derzeit arbeitet sie als freie Autorin, Moderatorin und Übersetzerin und koordiniert (auf Teilzeitbasis) die Redaktionsarbeit der südostasien.

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