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„Macht Umweltschutz billig, schnell und bequem!“

Thailand Klimaschutz Klimastreik

Klimastreik in Thailands Haupstadt Bangkok im Mai 2019 © Kittichai Jirathientham

Thailand: Nanticha ‚Lynn‘ Ocharoenchai hat die thailändische Klimastreik-Bewegung ins Leben gerufen. Ihr Credo: Nicht die Diskussion über Mangel sollte die Klimadebatten bestimmen, sondern das, was wir durch Klimaschutz gewinnen können.

Ich starrte auf den Computerbildschirm. Was ich sah, war ein weinerlich wirkendes Mädchen, das durch ein Megafon sprach und den Leuten sagte, was sie tun sollten. Dieses Mädchen, das den Streik gegen den Klimawandel in Bangkok anführte, war ich. Der Streik, den ich organisierte, fand im Rahmen des globalen #FridaysForFuture-Klimastreiks am 24. Mai 2019 statt, als weltweit 1,3 Millionen junge Umweltaktivist*innen der Schule fernblieben, um Klimagerechtigkeit und eine nachhaltige Zukunft zu fordern.

Viele Menschen hatten mich während des Marsches in Bangkok gefilmt und mir die Aufnahmen geschickt. Auf den Videos sah ich wütend aus – und das war ich auch. Das war ich schon immer, wenn ich bedenke, wie meine Stadt mit Umweltfragen umgeht. Ich forderte, dass mehr Bäume gepflanzt werden und dass alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um Klimagerechtigkeit zu erreichen.

Ich möchte gerne denken, dass ich meiner Arbeit als Umweltschützerin und Aktivistin gerecht geworden bin. Aber als ich mir die Videos noch einmal ansah, hatte ich das Gefühl, wie ein verängstigter Teenager zu klingen, der auf den Straßen Bangkoks in ein Megafon schreit und nur ein paar hundert Unterstützer*innen hinter sich hat. Wir kritisierten Politiker*innen und Unternehmen für ihre Umweltzerstörung und die Ausbeutung von Menschen – dafür, dass sie wirtschaftliches Wachstum über nachhaltige Städte stellen. Wir liefen durch Bangkoks viel befahrene Sukhumvit Road und machten Passant*innen auf ihren verschwenderischen Konsum aufmerksam, der schnell, billig, hübsch und einfach sein soll und damit einer Industrie Vorschub leistet, die von der Ausbeutung natürlicher Ressourcen angetrieben wird.

Thailand Klimaschutz Klimastreik

Klimaaktivistin Nanticha ‚Lynn‘ Ocharoenchai © Kittichai Jirathientham

Bangkok ist eine der Städte mit der geringsten Anzahl an öffentlichen Grünflächen. Deshalb habe ich mehr Parks gefordert und mich gegen Einkaufszentren ausgesprochen. In einem Land, das einer der größten Produzenten von Plastikabfällen ist, setzte ich mich für den Schutz der Meereslebewesen ein und verurteilte den Plastikverbrauch.

Falsche Prioritäten der Regierung

Climate Strike Thailand wurde aus einer Frustration heraus gegründet. Ich dachte mir, wenn niemand darüber redet, was an den Prioritäten unserer Regierung falsch ist, dann würde ich es tun. Seit ich mich auf einer umweltwissenschaftlichen Exkursion in der High School zum ersten Mal in die Natur verliebt habe, habe ich einen Großteil meiner Zeit damit verbracht, meine Mitmenschen davon zu überzeugen, das Gleiche zu empfinden. Während meiner Zeit an der Universität habe ich meine Familie aufgefordert, mehr zu recyceln, und meine Freund*innen genervt, weniger Fleisch zu essen. Jeden Tag wurde mir die Bedeutung einer nachhaltigen Lebensweise bewusster und ich wollte dieses Bewusstsein mit anderen teilen. Manche Menschen kümmern sich tatsächlich um den Planeten, und es ist nicht leicht, diejenigen zu überzeugen, die das nicht tun.

In der Nacht vor dem weltweiten Klimastreik habe ich eine Liste von fünf machbaren und hilfreichen Maßnahmen für die Umwelt erstellt, die ich für Bangkok am sinnvollsten halte:

  1. die Ausrufung eines Klimanotstands
  2. bessere öffentliche Verkehrsmittel
  3. mehr erneuerbare Energiequellen
  4. mehr wirtschaftliche Anreize für nachhaltige Unternehmen und
  5. mehr Grünflächen.

Ich versuchte mein Bestes, alle rechtlichen und technologischen Einschränkungen zu berücksichtigen, fragte Expert*innen und recherchierte im Internet zu jeder meiner Forderungen. Ich habe eine Petition in den sozialen Medien veröffentlicht, die meine Anhänger*innen geteilt haben. Während meines Streiks wiederholte ich die Forderungen – und die Menschen hörten zu. Reporter*innen haben mich interviewt, und ich habe ihnen gesagt, warum sich unsere Systeme ändern müssen und weshalb unseren Politiker*innen das egal ist. Aber was weiß ich schon? Ich bin nur eine Studentin der Kommunikationswissenschaften, die Bäume liebt und mehr davon will. Ich weiß nicht, ob ich euch genau sagen kann, für welche Bereiche unsere Regierung das Budget veranschlagen sollte oder wie ein neuer Stadtpark gebaut werden kann. Diese Selbstzweifel quälen mich.

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Klimaaktivistin Lynn hat genug von Stau und Smog und fordert den Ausbau des ÖPNV in ihrer Stadt Bangkok © Tim Venchus, Flickr CC BY-NC 2.0

Lernprozesse einer Aktivistin

Neulich saß ich mit meinem Onkel zum Abendessen zusammen. „Ich muss alles über den Energie-Masterplan Thailands wissen“, sagte ich zu ihm. Ich begann, meine Kritik am Umweltmanagement unseres Landes in Frage zu stellen. Sicher, ich habe früher ein Praktikum bei Greenpeace gemacht und viele Umwelt- und Wissenschaftsnachrichten gelesen, aber letztendlich muss ich zugeben, dass ich keine Expertin bin. Allerdings muss ich informiert sein, wenn ich eine der wenigen Regeln befolgen soll, die ich für meine Klimastreiks habe: Sagt keine Dinge, von denen ihr nicht wisst, dass sie wahr sind. Beschuldigt Menschen nicht für Dinge, die sie nicht getan haben. Und hebt keine Probleme hervor, die keine*r beheben kann. Wir wollen keine einseitigen Aktivist*innen werden, die gegen Politiker*innen kämpfen, sondern ihre Freund*innen, die aufzeigen, was sie beheben können und wie wir helfen können.

Dies beschränkt sich nicht nur auf Proteste für Klimagerechtigkeit. Das gilt für unser tägliches Leben. Es gilt für philosophische Debatten mit euren Freund*innen und Diskussionen über Leben verändernde Entscheidungen mit euren Eltern. Es sollte das Leitprinzip sein, wenn ihr euch mit fremden Menschen im Internet streitet oder über Politik redet. Im Gegensatz zu mir ist mein Onkel kein 21-Jähriger, der meistens hinter einem Laptop arbeitet. Er ist der Präsident eines Unternehmens für erneuerbare Energien und hat 30 Jahre Erfahrung auf dem Energiemarkt. Er hat die Entwicklung und Schrumpfung der Branche, ihre Politik und Wirtschaft miterlebt. Er hat gesehen, wie sie sich verändert hat und wie sie sich verändern kann.

Mein Onkel erzählte mir, dass viele von Thailands öffentlichen und privaten Sektoren auf erneuerbare Energiequellen umstellen. Bevor er das sagte, war mir gar nicht aufgefallen, welchen Fortschritt wir bereits gemacht haben. Fairerweise muss gesagt werden, dass Erwachsene versuchen, die Welt zu einem besseren und nachhaltigeren Ort zu machen. Tatsächlich versuchen sie das schon seit langer Zeit. Sie haben Jahrzehnte damit verbracht, die Science-Fiction-Fantasien von Flugmaschinen und drahtlosen Geräten zu erfüllen.

Wir Jugendliche nutzen ein Stromnetz, das rund um die Uhr in Betrieb ist, damit wir unsere täglichen Instagram-Stories posten können. Wir nutzen Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen, um die Autos zu betreiben, mit denen wir die Reisen machen, von denen wir träumen. Wenn sie uns unsere Smartphones wegnehmen würden, die auf dem Abbau von Metallen basieren, würden wir uns alle beschweren. Ohne ihre Erfindungen wären wir immer noch ‚Höhlenbewohner*innen’. Jetzt sind wir an der Reihe, zu versuchen, die Welt zu verbessern, die uns die älteren Generationen übergeben haben, so wie sie es zu ihrer Zeit getan haben.

Nicht alle in Bangkok räumen dem Schicksal eines Waldes Vorrang vor dem Bau eines Wolkenkratzers ein. Nicht alle ziehen Wandern und Campen einem Schaufensterbummel und feinem Essen vor. Nicht alle lesen lieber über die Evolution der Tiere und die Biologie der Pflanzen, als sich Blockbuster-Filme und Netflix-Thriller anzuschauen. Nicht alle verstehen die Wissenschaft des Klimawandels oder die Auswirkungen, die er auf uns hat, und nicht alle interessieren sich dafür. Nicht alle haben das Geld, um Solarpaneele zu installieren, und nicht alle haben die Zeit, über ein von Menschen verursachtes Massensterben nachzudenken.

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„Wir Jugendliche nutzen ein Stromnetz, das rund um die Uhr in Betrieb ist, damit wir unsere täglichen Instagram-Stories posten können.“ – Teilnehmer*innen des Klimastreiks in Bangkok © Kittichai Jirathientham

Wie also soll eine Umweltschützerin wie ich Millionen von Bangkoker*innen davon überzeugen, keine Plastikstrohhalme mehr zu verwenden und keine Schildkröten zu verletzen, mehr Bäume zu pflanzen und die Kohlestoffemissionen zu reduzieren? Kümmern sich die Menschen überhaupt um Schildkröten, oder wollen sie nur sicherstellen, dass ihnen ihr Eiskaffee nicht auf ihr Hemd kleckert, wenn sie daran nippen? Mögen die Menschen Bäume und Parks überhaupt noch, oder wollen sie einfach nur auf ihre Telefone schauen und den ganzen Tag mit ihren Autos herumfahren?

Wie können wir den Klimaschutz als die bessere Alternative darstellen?

Als ein Mensch, der internationale Schulen besucht hat, ausländische Freund*innen hat und westliche Medien konsumiert, dachte ich mir, dass ich nicht die beste Person bin, um Thailänder*innen zu sagen, was sie tun sollen. Trotz meiner thailändischen Nationalität bin ich nur eine Außenseiterin, die versucht, andere davon zu überzeugen, sich für etwas zu interessieren. Es ist nicht leicht, eine ganze Kultur und die Mentalität eines Volkes zu verändern.

Deshalb frage ich mich heute: Was wollen wir alle – ob wir reich oder arm, jung oder alt, Student*in oder Elternteil, Hausmeister*in oder Unternehmer*in, religiös oder atheistisch, Einheimische oder Ausländer*in sind? Was sind unsere Hauptmotivationen und Grundwerte? Wie kann Klimaschutz als eine Win-Win-Situation für alle gestaltet werden? Wie können die Menschen vom Umweltschutz profitieren und gleichzeitig die Dinge erreichen, die sie wollen, und dieselben Menschen bleiben, die sie sind?

Ich weiß, dass wir alle gern gut essen und saubere Luft atmen, und ich habe diesen einfachen Ansatz auch ausprobiert. Aber solange die Supermärkte gefüllt sind und die Klimaanlagen funktionieren, wird Umweltschutz den meisten Menschen in Bangkok unnötig erscheinen – und wahrscheinlich auch in den Teilen der Welt, die nicht an vorderster Front des Klimawandels stehen. Die Welt wird heute nicht in die Luft fliegen, und wahrscheinlich wird sie auch morgen nicht in die Luft fliegen. Aber für diejenigen, die sich darüber ärgern, dass sie eines Tages explodieren wird, und dass wir dies nur verhindern können, indem wir jetzt handeln, stellt sich die Frage: Wie können wir den Menschen zeigen, was sie jetzt haben können, anstatt ihnen mit dem zu drohen, was sie später verlieren werden, d.h. wie können wir den Klimaschutz als die bessere Alternative darstellen?

In einem Blog macht Nanticha ‚Lynn‘ Ocharoenchai Vorschläge für praktischen Klimaschutz, Illustrationen von Saranporn Rarunron:

Wie können wir dazu beitragen, ein nachhaltiges Leben wirtschaftlicher und zugänglicher zu machen für diejenigen, die bereits Hunderte von Problemen haben, um die sie sich täglich sorgen müssen? Anstatt viel beschäftigten Arbeiter*innen zu sagen, dass sie weniger Einzelportionen an Snacks kaufen sollen, damit die Wale den Müll nicht schlucken, ist es besser, ihnen zu sagen, dass ein Großeinkauf ihnen langfristig hilft, Geld zu sparen. Anstatt erschöpften Büroangestellten zu sagen, dass sie nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit fahren sollen, sagt ihnen, wie sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln Zeit sparen können. Macht den Umweltschutz billig und einfach. Macht ihn schnell und bequem.

„Anstatt viel beschäftigten Arbeiter*innen zu sagen, dass sie weniger Einzelportionen an Snacks kaufen sollen, damit die Wale den Müll nicht schlucken, ist es besser, ihnen zu sagen, dass ein Großeinkauf ihnen langfristig hilft, Geld zu sparen.“

Wie können wir nachhaltigen Konsum cooler, angesagter, schöner und trendiger gestalten und ihn gleichzeitig einfach und erschwinglich machen? Anstatt College-Kids zu sagen, dass sie nicht mehr auf Einkaufstour gehen sollen, um die Produktion zu drosseln, sagt ihnen, wie sehr der Minimalismus im Trend liegt. Sagt ihnen, warum Fast Fashion den Menschen und dem Planeten schadet.

Anstatt Rucksacktourist*innen zu erzählen, wie Billigflüge die Umwelt verschmutzen und warum der Wildtiertourismus scheiße ist, erzählt ihnen, dass Zugreisen jetzt cool sind und dass es hip ist, freiwillig Bäume zu pflanzen. Besser noch, zeigt ihnen, wie einfach es wirklich ist, mit dem Zug zu reisen, und wie sinnvoll es sein kann, Bäume zu pflanzen. Macht den Umweltschutz cool. Macht ihn zum Trend.

Wie können wir nachhaltige Industrien und Systeme für Unternehmen nutzbarer machen? Anstatt Unternehmen unter Druck zu setzen, damit sie die Ausbeutung natürlicher Ressourcen einstellen, unterstützt lieber die Unternehmen, die umweltfreundliche Materialien beziehen. Anstatt von Regierungen zu verlangen, dass sie sich wegen ihrer ökologischen Auswirkungen von fossilen Brennstoffen trennen, sagt ihnen, dass sie in saubere Energie investieren sollen, da dies wirtschaftliche Vorteile bringt. Macht den Umweltschutz praktisch und logisch. Macht ihn profitabel.

„Der Schlüssel liegt darin, alle dazu zu bringen, dass sie es wollen, und nicht alle dazu zu zwingen. Es geht darum, allen etwas anzubieten, was sie gewinnen können, unabhängig davon, wer sie sind oder woher sie kommen, anstatt sie mit dem einzuschüchtern, was sie durch den Klimawandel verlieren könnten.“

Es ist eine Herausforderung, für den Klimaschutz einzutreten, weil er jeden Aspekt unseres täglichen Lebens betrifft – von den Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen, der Kleidung, die wir tragen, der Art und Weise, wie wir pendeln, bis hin zu den Häusern, in denen wir leben, den Jobs, die wir ausüben, und den Worten, die wir sprechen. Gleichzeitig ist es eine Chance, weil wir in fast allen der genannten Bereiche Veränderungen bewirken können.

Wir können nicht erwarten, dass wir alle mit einer einzigen Lösung für den Klimawandel erreichen, und deshalb sollten wir versuchen, die Menschen mit Ansätzen zu erreichen, die auf ihren Lebensstil zugeschnitten sind. Der Schlüssel liegt darin, herauszufinden, was sie am meisten schätzen, wie betroffen sie sind und wie wir sie für den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen können. Der Schlüssel liegt darin, alle dazu zu bringen, dass sie es wollen, und nicht alle dazu zu zwingen. Es geht darum, allen etwas anzubieten, was sie gewinnen können, unabhängig davon, wer sie sind oder woher sie kommen, anstatt sie mit dem einzuschüchtern, was sie durch den Klimawandel verlieren könnten. Auf diese Weise können wir den Umweltschutz zu einer Win-Win-Situation für alle machen.

Übersetzung aus dem Englischen von: Simon Kaack

Dieser Artikel erschien zunächst auf Englisch im Rahmen der von der Heinrich-Böll-Stiftung publizierten „Perspectives Asia #8: Asia for Future“ und wurde für die südostasien redaktionell bearbeitet.

Lynns Blog ist hier zu finden

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